Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Fünftes Kapitel

Es war ein frischer Herbstmorgen in Nußbach.

Aus den großen Schornsteinen der Bierbrauerei zum Stern stieg der Rauch gerade in die Höhe, und der Gockel auf dem Kirchturme drehte den Kopf nach Westen.

Die eine Hälfte des Marktplatzes lag in hellem Sonnenscheine, und aus allen Häusern liefen die Hunde auf die warme Seite hinüber.

Der Buchdrucker Schüchel verließ seinen dunklen Laden und ging zum Melber Wimmer, der mit anderen Bürgern in der Sonne stand. Denn um diese Jahreszeit freuen sich Menschen und Tiere an ihren Strahlen.

Ein offener Einspänner kam die Ingolstädter Straße herauf. Ein kräftiger Schimmel zog ihn, und die Hufeisen klapperten in langsamem Takte auf dem Steinpflaster. Neben dem Kutscher saß ein Mann in geistlicher Tracht, und der Wagen hing stark auf seine Seite hinüber.

Vor dem Sternbräu hielt das Fuhrwerk. Der Dicke stieg schwerfällig herunter, und die Bürger grüßten ihn.

Er spreizte die Beine von sich, wie einer, dem langes Sitzen sauer gefallen ist, und schritt bedächtig den Marktplatz hinunter.

Der Schuster Prantl sah ihn von seinem Drehstuhle aus. Er legte Nadel und Pfriemen weg und ging auf die Straße zu seinen Mitbürgern.

»Habt's an Pfarra von Giabing g'sehg'n?« fragte er.

»Der werd halt wieder zu unsern Großkopfeten geh'«, sagte Wimmer.

Und er meinte damit den königlichen Bezirksamtmann Otteneder, welcher gerade am Fenster stand und mürrisch heruntersah.

Seine Untertanen gefielen ihm nicht; er warf verächtlich die Lippen auf und sagte vor sich hin: »Faules Pack! Steht auf der Straße herum und stiehlt dem lieben Herrgott den Tag.«

Abneigung von oben wie von unten. Es war eine schlimme Zeit. Diese Bürger gewährten wohl ein friedliches Bild; aber wer ihre Reden hörte, als sie später beim Frühschoppen saßen, der gewann einen anderen Eindruck.

Der Buchdrucker Schüchel vermaß sich, daß er in seinem Wochenblatt einen unerbittlichen Kampf gegen Beamte und Geistlichkeit führen wolle; und der Melber Wimmer schlug auf den Tisch und sagte, daß die Regierung mit Absicht den Mittelstand zugrunde richte.

Welcher Geist war in diese Leute gefahren, die sich früher als ruhige Männer und besorgte Familienväter gezeigt hatten?

Es war der Geist der Auflehnung, der zuerst die Bauern ergriff und dem sich die Bürger nicht verschließen konnten.

Die Kaufleute spürten, daß es den Bauern an Geld fehlte, die Handwerker klagten über das nämliche; alle billigten eine Bewegung, von der sie Besserung hofften.

Treue Untertanen wurden irre an ihrer Pflicht und an ihrem Glauben.

Die Bauern verloren zuerst den festen Halt.

Es war auch früher vorgekommen, daß einer jammerte über schlechte Preise und hohe Steuern.

Aber er tat es bei den Behörden und mit ehrerbietigen Worten. Er bat nur für sich um einen kleinen Vorteil und war zufrieden, wenn sein Nachbar weniger erhielt.

Jetzt kamen die Leute mit ungestümen Forderungen und verlangten Rechenschaft von der Obrigkeit.

Und was das Schlimmste war, sie kehrten sich gegen ihre Priester. Man sagte, die Geistlichkeit habe schuld daran, weil sie zuerst den Glauben mit der Politik vermischt habe.

Aber die ließ es nicht gelten und jammerte von den Kanzeln herunter, wie der Glaube der Väter dahinschwinde, und wie die Kirche in Bedrängnis komme.

Die Bauern ließen sie reden und zählten grimmig das Geld, welches sie auf den Schrannen lösten.

Siebzehn Mark für den Scheffel Korn, zweiundzwanzig für den Weizen.

Und sie erinnerten sich noch gut an die Zeit, wo die Frucht mehr wie das Doppelte galt.

Das ließen die Leute zu, denen sie ihr Vertrauen schenkten, die sie nach Berlin in den Reichstag schickten, damit sie frei hinstünden und sagten, was den Bauern not tue.

Es kam eine arge Wut über die Leute.

In Niederbayern fing es an. Da rührten sie sich zuerst und fanden unter sich Männer, die sagen konnten, was alle meinten.

Es war grob und heftig; aber Leute, die lange den Zorn in sich hineinfressen, hauen über die Schnur, wenn sie das Reden anfangen.

Und wird die Ehrfurcht locker, dann schlägt sie leicht in das Gegenteil um.

Es fielen böse Worte, und der Kampf verschärfte sich von einem Tag zum andern.

Das Feuer schlug nach Oberbayern herüber; es flackerte da und dort auf. Es wurden Markgenossenschaften gegründet, ein Waldbauernbund tat sich zusammen; der Hutzenauer von Ruhpolding probierte das Reden, und es ging ihm gut genug. Andere machten es ihm nach, und jeder hatte Erfolg, wenn er sagte, daß der Bauer obenauf kommen müsse.

Die bündlerischen Zeitungen fanden Eingang in die Gemeinden; überall gärte es, überall war der Boden bereitet.

Es fehlte nur am rechten Zusammenhalten; und es fehlte an der Agitation.

»Versammlungen müssen her«, sagte der Melber Wimmer, »und Vertrauensmänner. Sonst woaß ma'r überhaupt net, wer zu oan steht.«

»Vor allem a Versammlung«, meinte Prantl, »,und de Versammlung muaß in Nußbach sei'. De Leut' müassen sehg'n, daß si was rührt.«

»Das ist auch meine Ansicht sozusagen«, pflichtete Schüchel bei; »Nußbach ist der Mittelpunkt. Sozusagen die Zentrale. Von da aus muß die Bewegung sozusagen strahlenförmig auseinandergehen. Also net wahr, wenn ich zum Beispiel hier einen Kreis ziehe. Geh, Anna, bringen S' mir eine Kreiden!«

»Dös braucht's net«, sagte Prantl, »lassen S' uns aus mit eahnern Kreis und eahnere Strahlen!«

»Ja, wenn die Herren meinen, aber das kann man doch auch mit Ruhe sagen, net wahr? Übrigens ist Nußbach die Zentrale, und wenn man sozusagen systematisch vorgeht, muß die Bewegung von hier aus in die einzelnen Kanäle geleitet werden. Hier ist der Sitz der Presse, und so weiter, net wahr?«

»Is scho recht«, sagte Wimmer. »Aber dös mit da Versammlung, Prantl, dös muaß z'sammgeh'. Je eh'nder, desto besser.«

»Es braucht sei Zeit«, antwortete Prantl, »mir müassen an bekannten Redner hamm, mir müassen in de Gemeinden Leut' hamm, und mir müassen aa de Stimmung kenna. G'rad bei der ersten Versammlung müassen mir Obacht geb'n, daß mir net fallieren.«

»Um d' Stimmung brauchst di net z'kümmem. I kenn' Leut' g'nua, de auf unserer Seiten san.«

»Ob sie sich aber trau'n in der Öffentlichkeit?«

»Warum denn net, g'rad g'nua gibt's. Da is der Kronschnabl von Bachern, und der Stuhlberger von Giebing und der Wanninger und der Rädlmayer von Schachach: g'nua gibt's.«

»Man müßte sozusagen ein Verzeichnis anlegen«, sagte Schüchel, »auf der einen Seite müßte die Gemeinde stehen und auf der anderen der Name, net wahr? Von dem Betreffenden. Und jeder müßte sozusagen ein Unterverzeichnis haben, wo diejenigen stehen, welche er für unsere Sache gewinnen kann.«

»Ja, ja«, antwortete Prantl, »so oder anderst müassen mir 's macha. Aber paß auf, Wimmer, in d' Hand muaß die Sach' g'numma wer'n, und a Versammlung muaß's geben, daß d' Leut' schaug'n, und unser Großkopfeter dazua.«

Er meinte wieder den königlichen Bezirksamtmann von Nußbach.

Der Pfarrer von Giebing, Dekan und päpstlicher Hausprälat, Mitglied der Kammer der Abgeordneten, sagte zu Herrn Franz Otteneder: »Ich versichere Sie, Herr Bezirksamtmann, es ist so.

Wenn nichts geschieht, haben wir in jeder Gemeinde den Krieg. Es muß etwas getan werden.«

»Es fragt sich nur, was, Herr Dekan. Ich bin schon längst informiert, daß die Bündler bei uns Boden gewinnen. Ich erhalte fast täglich Zuschriften von Ihren Kollegen. Ja, das ist alles recht, aber ...« Otteneder zuckte die Achseln.

»Es lassen sich schon Mittel finden, Herr Bezirksamtmann.«

»Zum Beispiel?«

»Durch persönlichen Einfluß.«

»Den haben Sie mehr wie ich. Was zu mir kommt, das sind die Bürgermeister. Ich verkehre nur indirekt mit den Gemeinden; Sie sind an Ort und Stelle.«

»Aber gegen uns richtet sich die ganze Bewegung. Wir sind Partei, und was wir sagen, gilt nicht. Sie kennen ja unsere Bauern.«

»Ob ich sie kenne! Deswegen sage ich, wie soll denn ich bei der hartköpfigen Gesellschaft ankommen?«

»Sie müssen aber zugeben, Herr Bezirksamtmann, daß man nicht die Hände in den Schoß legen kann. Denken wir an die Zustände in Niederbayern! Es darf nicht soweit kommen.«

Herr Dekan Metz beugte sich vor und versuchte, mit der Hand um seinen ausgepolsterten Rücken herum und in die rückwärtige Tasche zu kommen.

Nach ein paar hastigen Bewegungen gelang es ihm, und er zog sein geblümtes Taschentuch heraus, mit dem er sich die Stirn trocknete.

»Denken Sie an Niederbayern !« wiederholte er, und seine Augen drückten eine ernstliche Besorgnis aus.

Otteneder stand auf und ging auf und ab.

»Ich habe den besten Willen, Herr Dekan. Ich will keineswegs ruhig zusehen. Gewiß nicht. Aber man redet immer nur von der Gefahr. Wenn ich nur einmal etwas von den Mitteln dagegen hören würde!«

»Ich dachte, es muß gehen.«

»Das denkt die Regierung auch. Sehen Sie, da kriege ich immer Schreiben. Man erwartet, daß die Bewegung nicht um sich greift. Na, Sie wissen das ja!«

»Ich habe vor vierzehn Tagen mit der Exzellenz darüber gesprochen.«

»Und?«

»Der Minister meint eben auch, der persönliche Einfluß.«

»Tja, der persönliche Einfluß. Das heißt, man macht uns dafür verantwortlich.«

»Das nicht, aber ...«

»Nu natürlich, Herr Dekan! Ich weiß doch, wie das ist. Läßt sich die Geschichte nicht aufhalten, dann heißt es, wir haben die Gefahr nicht erkannt, oder wir haben es nicht verstanden, auf die Leute günstig einzuwirken. Wir müssen es ausbaden; die Herren oben natürlich nicht.«

»Unter Einfluß, da verstehe ich doch nicht bloß Überredung, Herr Bezirksamtmann. «

»Sondern?«

»Sondern, ja! Da gibt es viel. Alles, was halt die Aufsichtsbehörde ... wie soll ich sagen? Was halt die Aufsichtsbehörde sonst anwendet. Es gibt aber doch manches.«

Otteneder setzte sich und spielte nachdenklich mit einem Lineal.

»Was meinen Sie damit, Hochwürden?«

»Nichts Bestimmtes, Herr Bezirksamtmann. Aber ich denke, zum Beispiel, wenn Versammlungen stattfinden sollen. Man liest, daß hie und da eine Versammlung verboten wird.«

»Aber nicht jede. Und was hilft es dann?«

»Man könnte auf die Wirte einwirken, daß sie kein Lokal hergeben. Ein Wirt ist doch immer angewiesen auf das Bezirksamt.«

»Einigermaßen, ja. Aber das sind Mittel, einmal helfen sie, einmal nicht. Und übertreibt man sie, dann schreien die Leute noch ärger.«

»Auf alle Fälle muß man jetzt vor den Gemeindewahlen etwas tun. Daß uns nicht lauter Bündler als Bürgermeister hingesetzt werden.«

»Ich bin der Sache schon näher getreten, Herr Dekan.«

»Ich weiß, mit der Umfrage. Haben Sie überall Auskunft bekommen, Herr Bezirksamtmann ?«

»Von den meisten.«

Otteneder schloß den Schreibtisch auf und nahm einen umfangreichen Aktenbündel aus der Lade.

»Sehen Sie, das sind die Antworten. Namen genug, fast zu viel.«

»Ich habe unterderhand dafür gesorgt, daß die Beteiligung möglichst allgemein war, Herr Bezirksamtmann.«

»Nachträglich meinen Dank, Hochwürden. Aber nun sagen Sie einmal selber! Da sind mir von etlichen vierzig Gemeinden vielleicht dreihundert Männer bezeichnet, die als Bündler gelten und die nicht in die Ausschüsse kommen sollen. Dreihundert, Herr Dekan! Wie kann ich das verhindern?«

»Nicht bei allen. Aber doch bei den Gefährlichsten. Zum Beispiel in meiner Pfarrei der Stuhlberger und der Meisinger! Das ist ganz ausgeschlossen, daß einer davon Bürgermeister wird! Das hieße geradezu den Aufstand proklamieren, das hieße die Stellung des Pfarrers unmöglich machen. Der Meisinger tut mir seit sechs Jahren alles an, was er nur kann. Geradezu verbrecherisch.«

Der Dekan geriet in Eifer. Er schlug mit der Hand heftig auf die Papiere, welche den Namen Meisinger enthielten.

»Hochwürden, ich habe mir die Namen besonders notiert.«

»Der Mensch hat Verleumdungen gegen mich begangen und Personen hineingezogen. Ich will mich nicht weiter ausdrücken.«

»Herr Dekan, Sie können sich darauf verlassen ...«

»Dieser Mensch ist ein Gottesleugner, ein Kirchenschänder. Er hat die boshaftesten Lügen über mich in der Zeitung verbreitet. Entschuldigen Sie, wenn ich heftig werde!«

»Es sind Ihnen einmal die Fenster eingeworfen worden?«

»Ja, das war der Meisinger. Und kein anderer.«

»Ich notiere mir's, Herr Dekan. Das ist jetzt einer. Aber dreihundert?«

»Ich blicke wirklich trübe in die Zukunft, Herr Bezirksamtmann.«

Orteneder machte eine verbindliche Bewegung.

»Ich hoffe, daß die Herren selbst Einfluß haben. Die Wahlen fallen vielleicht besser aus, als wir denken.«

»Ich fürchte, ich fürchte, es gibt Überraschungen. Aber ich habe Ihre Zeit lange in Anspruch genommen.«

»Bitte, ich bin sehr dankbar für Ihren Besuch. Und für jede Unterstützung. Ich empfehle mich Ihnen.«

Der päpstliche Hausprälat näherte sich der Türe. Unter derselben blieb er stehen. Er harte noch etwas vergessen.

»Herr Bezirksamtmann, pardon!«

»Sie wünschen?«

»Mein Amtsbruder in Erlbach schreibt mir, daß er mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.«

»So, so?«

»Ich möchte ihn warm empfehlen.«

»Was sich tun läßt ...«

»Nochmals besten Dank, Herr Bezirksamtmann.«

Die Türe schloß sich, und Otteneder war allein. Er setzte sich an den Schreibtisch und sah zur Decke hinauf.

»Meisinger, Stuhlberger, der Pfarrer von Erlbach. Es hätte noch mehr sein können«, sagte er.

Und sein Gesicht nahm wieder den mürrischen Ausdruck an.

Ungewohnte Arbeit und eine neue Verantwortlichkeit, das sind Dinge, die einen nicht fröhlich stimmen.

Diese Neuerungen, welche überall störend eingriffen, und das Amtieren erschwerten! Früher, ja, da war alles besser gewesen. Wer achtete früher auf die Unzufriedenheit der Bauern?

Sie drang nicht in die Öffentlichkeit; wenn einer mit seiner Klage in das Amt kam, sagte man ihm, es werde schon einmal besser werden, und man wolle überlegen, wo zu helfen sei.

Man schrieb und verordnete, und die Regierung war zufrieden, wenn auf dem Papiere alles in Ordnung war.

Jetzt sollte mit einem Male alles aus großen Gesichtspunkten geschehen. Und dabei war alles im Ungewissen, nirgends eine feste Richtschnur.

Schimpften die Bauernbündler, dann empfand man es oben sehr unangenehm; schrien die Geistlichen in ihrer Presse, dann war es zweimal nicht recht.

Das pendelte hin und her. Dazu eine heillose Angst vor dieser lärmenden Bewegung, weil sie die Volksschichten aufwühlte, die bisher so angenehm teilnahmslos waren.

In der Politik wird das Zuwenig gleich ein Zuviel, und ganz selten wird die Mitte eingehalten.

Solange noch etwas zu richten war, hatte man nicht auf die Bauern geachtet. Jetzt zeigte man eine übertriebene Furcht, die von den Geistlichen sorgsam genährt wurde. Zum Beispiel dieser vortreffliche Erlaß der Regierung! »Die Vorstände der Bezirksämter sollten ein besonderes Augenmerk darauf haben, daß die bevorstehenden Gemeindewahlen ein gutes Ergebnis lieferten, daß insbesondere nicht die Führer der Bewegung in Vertrauensstellungen gelangten.«

Das war richtige Stubenweisheit, und der Verfasser mochte glauben, wie klug er mit ein paar Federstrichen nützliche Verhaltungsmaßregeln angegeben hatte.

Freilich, der persönliche Einfluß mußte hier das Beste tun.

So sagte auch der Abgeordnete, Hochwürden Herr Dekan Metz.

Das dachten sich die Leute so.

Franz Heinrich Otteneder, der Sohn des Landrichters gleichen Namens und der Enkel des Salinenadministrators Johann Otteneder, zuerst Schüler eines Gymnasiums, Student in München und späterhin durch lange Jahre Assessor in einer fränkischen Kreisstadt, sollte seinen persönlichen Einfluß geltend machen. Bei den Dickschädeln der oberbayerischen Hochebene, deren Sprache er kaum verstand und die ihm so fremd waren wie die Neger an den Strömen Afrikas.

Aber eines war gewiß.

Er durfte den Erlaß seiner vorgesetzten Regierung nicht einfach beiseite legen; er mußte Eifer zeigen.

Nach längerer Überlegung hatte er das vertrauliche Schreiben an die Pfarrer seines Bezirkes gerichtet, betreffend Gemeindewahlen. Mit der Bitte, die Leute namhaft zu machen, welche sich in der Agitation für den Bauernbund hervortaten oder von denen solches zu erwarten stand.

Das Ergebnis war befriedigend.

Otteneder konnte einen umfangreichen Akt anlegen, der als Beweis für einen bereitwilligen Fleiß gelten durfte.

Nicht jeder Pfarrer schickte eine Liste. Aber der Ausfall wurde gedeckt durch den Eifer der anderen.

Die längste kam aus Erlbach.

Von 106 Gemeindebürgern mußte Herr Jakob Baustätter leider 59 als schlechtgesinnt bezeichnen.

Sein Bericht begann mit der Erklärung, daß nicht etwa erst seit kurzem eine betrübende Abneigung gegen die Kirche und jegliche Autorität zu bemerken sei.

Diese wäre bereits zutage getreten, als der hochachtungsvollst Unterfertigte den Bau eines neuen Turmes beantragte.

Was damals von einem königlichen Bezirksamte vielleicht nicht so gewürdigt worden sei.

Natürlich in wohlmeinendster Absicht.

Nach dieser Einleitung kam das Verzeichnis der Abtrünnigen; bei jedem Namen eine Randbemerkung. Der Schluß lautete wörtlich:

»Einem hohen Bezirksamte kann ich nicht umhin, noch eine sehr wichtige Mitteilung zu machen. Es verlautet, daß in diesem Jahre Andreas Vöst Bürgermeister werden soll. Dieses wäre von den schwersten Folgen begleitet. Vöst ist die Seele des Aufruhres und ein rachsüchtiger Mensch. Ich möchte hinweisen, daß ich zur rechten Zeit gewarnt habe, wenn sich ein unermeßlicher Schaden ergibt.«

Otteneder übersah die anmaßliche Bosheit nicht, welche in diesem Satze steckte.

Er mußte ihn ernst nehmen; nicht, weil er den Andreas Vöst, sondern, weil er den Jakob Baustätter scheute.

Den Herrn Pfarrer von Erlbach, welcher ihm zu verstehen gab, daß er die Welt mit Lärm erfüllen werde, wenn sein Wunsch kein Gehör fände.

Und Otteneder wußte jetzt, daß die Umfrage ein Fehler war. Indem er diese Herren um Auskunft anging, gab er ihnen ein Recht, Ratschläge zu erteilen.

Indem er sie um einen Dienst für das allgemeine Wohl ersuchte, verschaffte er ihnen Gelegenheit, ihre persönlichen Interessen hineinzumengen.

Er hatte sie im voraus zu Richtern über den Ausfall der Wahl bestellt.

Wenn er es recht überlegte, blieb ihm nur mehr ein Weg offen.

Er mußte mit dem Klerus gehen und sich den Anschein geben, als wenn er seine Wünsche teile.

Es geschah ihm das gleiche wie der Staatsregierung. Er wollte die Geistlichkeit für seine Zwecke benützen und diente unversehens den ihrigen. Wer Freude am Herrschen hat, unterwirft sich aber nicht gerne, und deswegen war Franz Otteneder schlechter Laune.

Er stand wieder auf und stellte sich an das Fenster.

Die Bürger kamen gerade aus der Brauerei.

Prantl schüttete eine Prise Tabak auf die Hand und schnupfte. Der Melber Wimmer schaute in die Sonne und gähnte herzhaft.

»Das ist ein Volk«, sagte Otteneder, »das frißt und sauft den ganzen Tag.«


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