Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Achtes Kapitel

In der Rosengasse zu München liegt eingeklemmt zwischen hohen Neubauten das Geschäfts- und Wohnhaus des Herrn Michael Sporner. Es hat nur zwei Stockwerke; trotzdem sieht es nicht ärmlich aus neben den Türmen und Erkern und riesigen Mauern seiner Umgebung. Es trägt ein schuldenfreies Wesen zur Schau und sagt jedem, daß hinter den blitzblanken Fenstern ein ehrbarer Reichtum wohnt. Zu ebener Erde ist der Laden, aus dem der Geruch von frisch gebranntem Kaffee auf die Straße dringt und in jedem Spaziergänger angenehme Vorstellungen erweckt. Sie werden verstärkt durch den Anblick eines Schildes, das neben der Ladentüre hängt. Man sieht darauf einen fröhlichen Neger neben einem Kaffeesacke stehen; sein Haupt ist mit bunten Federn geschmückt, wie der Schurz, den er um die Lenden geschlungen hat.

Er raucht aus einer großen Pfeife und bläst Tabakwolken in die Luft. Im Hintergrunde, am Ufer des dunkelblauen Meeres, stehen zwei Indianer, und jeder begreift, warum sie so neidisch auf den heiteren Mohren blicken. Jeder denkt an duftenden Mokka und treffliche Zigarren und behagliche Stunden. Wer in den Laden eintritt, erfreut sich an den flinken Bewegungen der Herren Kommis, die mit schwungvollen Handgriffen Pakete zusammenlegen, Schnüre abzwicken, die mit staunenswerter Sicherheit den Inhalt jeder Schublade kennen und nie eine unrechte öffnen, die das Gewicht der Waren genau erraten und die Zahlen flüchtig auf das Papier hinwerfen. Er erfreut sich an dem verbindlichen Lächeln dieser jungen Herren, welche ihr Benehmen nach Stand und Rang der Kunden einzurichten wissen und so verschwenderisch achtunggebietende Titel verleihen.

Er sieht mit Bewunderung, wie Herr Michael Sporner, unbeirrt durch den Lärm, an seinem Pulte steht, Briefe nach allen Weltteilen schreibt und dabei mit flinken Augen seine Untergebenen überwacht. Oder wie er dienstfertig seinen Platz verläßt, wenn ein angesehener Kunde eintritt, und wie er dann an geschickten Handgriffen und gut gewählten Höflichkeiten sogar den ersten Kommis übertrifft.

Und wenn der Käufer mit seinem sauber gebundenen Pakete an die Kasse tritt, kann er noch mit wirklicher Hochachtung auf Madame Sophie Sporner blicken, welche sein Geld mit einer leichten Verneigung entgegennimmt und mit energischem Ruck die amerikanische Kassette öffnet, die jeden Betrag anzeigt.

Dies alles kann derjenige sehen, welcher seinen Bedarf an Kolonial- und Spezereiwaren bei Sporners seligen Erben deckt. Aber wenn nach dem arbeitsreichen Tag der Hausdiener die Rolläden herunterzieht, dann schreitet Herr Michael Sporner händereibend durch den Raum und dreht fröhlichen Gemütes die Gasflammen ab. Er tut es stets in der gleichen Reihenfolge, und wenn die letzte verlöscht, sagt er: »So, das hätten wir wieder einmal!«

Auch heute ging er vergnügt über die Treppe zur Wohnung hinauf. Ein frisches Mädel kam ihm entgegen und begrüßte ihn mit einem Kusse, um den man ihn beneiden durfte. Denn Fräulein Gertraud sah in dem Hauskleide mit der weißen Schürze über die Maßen hübsch aus; ihre Wangen waren gerötet vom Küchenfeuer, die Augen blitzten, und alles an ihr war Gesundheit.

»Guten Abend, Traudel!« sagte Herr Sporner, »ist schon gedeckt?«

»Freilich. In einer Viertelstunde essen wir.«

»Und du hast gekocht?«

»Bloß mitgeholfen, Papa.«

»Da bin ich neugierig.«

»Geh nur ins Wohnzimmer. Die Mama ist schon drin.«

Papa Sporner trat ein und stellte sich vor den Ofen.

»Das ist wieder gemütlich heute!« sagte er; »du, Alte, da sind ja vier Gedecke, wer kommt denn heute?«

»Der Herr Mang. Es ist doch Samstag.«

»Richtig, freilich! Das hab' ich jetzt ganz vergessen. Das ist fein, da kriegen wir Musik heute.«

»Hm - ja.«

»Du tust beinah, als wenn du keine hören möchtest.«

»Ich hör' recht gern Musik.«

»Na also, kannst dir vielleicht eine bessere wünschen?«

»Hm - ja, der Herr Mang spielt ganz gut.«

»Was hast denn?«

»Ich? Nichts.«

»Geh, hör auf. Weil ich dich net kenn'! Dir is was übers Leberl g'laufen ?«

»Wenn du schon fragst, ja. Ich bin nicht dafür, daß der Herr Mang so oft zu uns kommt.«

»Aber warum denn net? Was hast du denn gegen den jungen Menschen?«

»Nichts; im Gegenteil, ich mag ihn recht gern. Er ist brav und alles, aber ...«

»No, aber?«

»Aber es paßt mir wegen der Traudel nicht.«

»Is s' am End' gar verliebt? Hahaha! Jetzt da schau her! Wart, da wer i's aber glei ins Gebet nehmen, unser Fräulein Pfarrerköchin!«

»Sei so gut, gelt, und mach keine Witz' mit ihr!«

»Natürlich mach' ich Spaß. Du vielleicht net?«

»Ich muß dich bitten, daß du dir nix merken laßt.«

»Zu Befehl, Frau Sporner. Versteh'n tu' ich dich allerdings net.«

»Das is scho schwer zum Verstehen. Er is jung, und sie is jung, und er singt recht schön. Und er is überhaupt ein sehr netter Mensch; das muß man ihm lassen.«

»Und is a Geistlicher, net wahr?«

»Das is er noch gar nicht.«

»Aber er wird's. Außerdem hat ihn die Traudel beim Schwager kenneng'lernt, und der Toni hat ihn uns warm empfohlen.«

»Das is alles ganz recht. Ich denk' ja auch nichts Schlimmes dabei. Warum hätt' sie ihn nicht kennenlernen sollen? Aber daß er so oft kommt und daß sie allein musizieren, das find' ich nicht in der Ordnung.«

»Is doch allaweil d' Mathild' dabei!«

»No weißt, dei Schwester! I tu' ihr nichts weg, aber die ist die allererst', die ihre Bemerkungen d'rüber macht; und eine alte Jungfer mit überspannten Ideen ist g'rad auch nicht die beste Aufsicht.«

»Die soll's überhaupt bei der Traudel nicht brauchen, hoff' ich.«

»Da red'st du wie alle Männer! Ich hab' unser' Tochter auch mit auf'zogen und hab' g'rad so viel Vertrauen zu ihr wie du.

Gott sei Dank, daß sie ein braves Mädel is. Aber sie könnt' zuletzt selber nichts dafür, wenn. sie sich verliebt. Sie tät nichts Unrechtes, das weiß ich schon, aber sie tät. sich vielleicht Hoffnungen in den Kopf setzen.«

»Geh! Geh!«

»Ja, oder er. Kommt dir das gar so unmöglich vor, daß er Feuer fangt? Und das wär' ein Unglück für ihn.«

»Er weiß doch, was er is.«

»Die Vernunft hat noch keinem geholfen.«

»Mir können ihm doch net auf einmal 's Haus verbieten.«

»Das will ich gar nicht. Ich möcht' den armen Menschen um alles in der Welt nicht verletzen.«

»Was soll'n wir nachher tun?«

»Das mußt mich machen lassen, Papa. Ich bring' das schon in Ordnung. Die Hauptsach' ist, daß du dir nichts merken laßt. Nicht gegen unser' Traudel, und nicht gegen den Herrn Mang.«

»Ich bin froh, wenn ich nix weiß davon.«

»Und lad ihn auch nicht ein, das mach' schon ich.«

»Ihr Frauen seid's eigentli hartherzig!«

»Das is nicht hartherzig, wenn man zu rechter Zeit vorbeugt.«

»No, von mir aus! Jetzt kommt er, scheint's.«

»Also, gelt? Herein!«

Man hörte Stimmen von der Türe, und Sylvester trat ein. Es war leicht zu sehen, daß er nicht zum erstenmal hier war. Er war frei von Befangenheit und machte eine gute Verbeugung vor Madame Sporner, dann schüttelte er dem Inhaber der Firma herzlich die Hand.

»Hamm Sie Ihr' Geigen net dabei?« fragte der Alte.

»Ich hab' sie draußen gelassen, weil es hier zu warm ist.«

»Da wern S' uns heut' wieder was Schön's vorspielen?«

»Wir sollten eigentlich den Herrn Mang nicht immer so plagen«, sagte Frau Sporner.

»Das ist doch keine Plag' für mich! Ich wüßt' gar nicht, was mir lieber wär'. Ich freu' mich den ganzen Tag darauf, und Fräulein Gertraud macht solche Fortschritte!«

»Gelobt sei Jesus Christus!«

Eine schrille Stimme kam von der Tür her, und eine aufgeputzte Frauensperson trat mit hastigen Bewegungen ein. Die lebhaften Farben des Kleides paßten schlecht zu dem alten Gesicht seiner Trägerin, und noch schlechter die großen Ohrgehänge, welche verwegen hin und her baumelten, so oft Fräulein Mathilde, die ältere Schwester des Hausherrn, den Kopf wandte. Ihre schwarzen Haare waren glatt gescheitelt und preßten sich wie abgezirkelte Arabesken an die Stirn. Die Augen blieben nie ruhig stehen, sie wanderten in einem fort herum, und man hatte den Eindruck, daß sie blitzschnell alles erfaßten. Die ganze Erscheinung Mathildens war nicht dazu angetan, Behagen zu erregen.

Witze, die schon auf der Zunge schwebten, zogen sich in ihrer Gegenwart zurück, ein fröhliches Lachen brach in der Mitte ab, und Geheimnisse schoben hastig noch einen Riegel vor. Sylvester hatte den katholischen Gruß überhört. Er wurde wiederholt: »Gelobt sei Jesus Christus!«

»In alle Ewigkeit. Amen! Guten Abend, Fräulein Sporner!«

»Grüß Gott beisammen! Ihr seid ja in einem sehr eifrigen Gespräch.«

»Mir hamm von der Musik g'redt«, erwiderte ihr Bruder.

»Freilich von der Musik. Die Traudel geht ja jetzt ganz darin auf. Kein Mensch hat g'wußt, daß sie so viel Talent hat, und eine solche Liebe dazu. Früher hat man da gar nichts g'merkt.«

»Sie hat allaweil gern Klavier g'spielt, schon als Schulmädel.«

»Vielleicht is mir das nicht so aufg'fallen. Aber geweckt hat das Talent schon der hochwürdige Herr.«

»Warum heißen Sie mich immer Hochwürden? Ich bin noch nicht Geistlicher.«

»Wie lang' wird das noch dauern? Du lieber Gott, die paar Jahr und dann kommt der Freudentag!«

»Und jetzt kommt das Essen. Bleibst du bei uns, Mathild'?«

»Ja, wenn's euch recht is?«

»Traudel, laß für die Tant' noch aufdecken, und jetzt setzen wir uns, Herr Mang, wenn ich bitten darf.«

Bei Tische kam heute keine rechte Unterhaltung auf. Sylvester gab innerlich dem Fräulein Mathilde schuld daran, und auch Gertraud fand, daß die Anwesenheit der Tante störend wirkte. Die Alten wußten es freilich besser; aber wenn sie sich auch Mühe gaben, die Unterhaltung in Fluß zu bringen, so waren sie doch viel zu wenig geschult, um den gewohnten heiteren Ton anzuschlagen.

»Wie lang' müssen Sie eigentlich noch studieren?« fragte Herr Sporner.

»Zwei Jahre.«

»No, dös is gar nimmer so lang'. Und nachher werden S' gleich Koadjutor, net?«

»Nein, zuerst is man Neomyst«, sagte Fräulein Mathilde.

»Neomyst, was das für merkwürdige Namen san! Woher woaßt du denn dös alles?«

»Das weiß man doch, daß die Herren nach der Primiz Neomysten heißen.«

»Ich hör's zum erstenmal.«

Frau Sporner fiel ihrem Mann ins Wort.

»Wie geht's Ihrer Mutter, Herr Mang?«

»Danke, gut.«

»Schreibt sie Ihnen öfters?«

»Sie selber nicht, aber ich hör' so ab und zu etwas.«

»Sie wird froh sein, wenn Sie einmal fertig sind.«

»Da kann S' amal zu Ihnen ziehen«, sagte Sporner. »Und kann Ihnen den Haushalt führen.«

»Das ist wohl der Lieblingswunsch Ihrer Mutter?« fragte Madame Sophie, und Herr Sporner versicherte wohlwollend: »Da krieg'n Sie's amal schön, so als Landpfarrer, und b'sonders, wenn a nette Ökonomie dabei is.«

Sylvester schwieg.

Warum redeten sie von der Zukunft, die er nirgends lieber vergaß als hier? Er blickte über den Tisch. Suchte er die Augen des jungen Mädchens, welches sich errötend über den Teller beugte? Er fand sie nicht; aber zwei andere Augen begegneten den seinen, und in denen lag mütterlicher Ernst und Mitleid.

Was war das heute? Eine beklemmende Angst überkam ihn. Er wollte sie überwinden und ein Gespräch beginnen. Er fühlte, wie dieses Schweigen sich drohend zwischen ihn und die Menschen stellte, welche er lieb gewonnen hatte.

Und da redete wieder das alte Fräulein: »Wie muß einem zumute sein, der die erste Mess' lest! Ich glaub', das ist das schönste, was es auf der Welt gibt.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Sylvester.

»Ich mein', das muß man kaum erwarten können; wenn man bedenkt, daß ein junger Geistlicher in dem Augenblick, wo er die erste Mess' lest, über die Engel gestellt wird!«

»Dös werst a net schriftlich hamm«, brummte der Alte.

»Jawohl haben wir's schriftlich. Das is ausdrücklich geschrieben von einem Kirchenvater. Nicht wahr, Herr Mang?«

»Ja, es ist eigentlich ein Gleichnis.«

»Der Herr Stadtprediger Reiser hat g'sagt, es is wortwörtlich so, weil die Engel nicht die Gewalt haben wie die Priester.«

Herr Sporner schüttelte ungeduldig den Kopf. »Mir g'fallt's net, wenn einer solche Geschichten erzählt. Das müssen S' mir versprechen, Herr Mang; wenn S' amal Pfarrer san, werden S' net hochmütig! Der Hochmut hat viel verdorben. Früher is net so viel g'stritten worden, und die Religion war gemütlicher.«

Frau Sporner nickte lächelnd zu Sylvester hinüber.

»Ich kann mir den Herrn Mang gut vorstellen als Pfarrer. Der bleibt jede freie Stund' bei seiner lieben Musik.«

Sylvester litt unter diesen Reden. Lag eine Mahnung darin? Wollten sie ihm bedeuten, daß er kein Recht habe, sich gefährlichen Träumereien hinzugeben? Aber was konnten sie von Gedanken wissen, die er vor sich selbst verbarg? Nein, es lag sicher keine Absicht in ihren Worten. Es war nur sein Unrecht, daß er die arglosen Reden schmerzlich empfand.

»Frau Sporner«, sagte er, »weil Sie von der Musik reden, ich habe das Largo von Händel bei mir. Darf ich es spielen?«

»Ja, ich hab' mich schon darauf gefreut«, bat Gertraud. Und es lag frohe Erleichterung in ihrer Stimme.

Mama Sporner hörte sie heraus, und ein Blick auf die Schwägerin zeigte ihr, daß nicht ihr allein die Wärme des Tones aufgefallen war. Ein boshaftes Lächeln saß in den Mundwinkeln der alten Jungfer, und ihre flinken Augen schossen von Gertraud hinüber zu Sylvester. Der merkte nichts. Er freute sich an der lieben Stimme, deren Klang er diesen langen Abend vermißt hatte.

»Heute, Herr Mang, wäre es mir lieber, wenn Sie nicht spielten«, sagte Frau Sporner. »Ich habe schon den ganzen Tag Kopfweh.«

»Wenn ich das gewußt hätte!« antwortete Sylvester rasch, »entschuldigen Sie!«

Der Inhaber der Firma Sporners selige Erben war kein Mann für weit ausgreifende Pläne.

»Dös hast aber doch sonst gar nie!« sagte er. »Und im Laden hast mir koa Sterbenswörtel g'sagt!«

»Ich hab' net mitten drin von der Kasse weggehen wollen. Und es war auch nicht so arg. Jetzt ist's aber stärker geworden.«

»Ja, nachher geh nur glei ins Bett!«

»So gefährlich ist's nicht. Bloß Musik tät' ich heut' lieber nicht hören.«

»Es tut mir so leid«, sagte Sylvester, »daß ich Sie gestört habe.«

»Nein, bleiben Sie nur! Es ist mir lieber, wenn Sie noch ein bißchen bleiben.«

Mathilde stand auf.

»Mich mußt du entschuldigen, Sophie! Ich bin so zu lang' geblieben. Morgen ist die Frühmess' um sechs Uhr.«

»Ja, wie du willst. Traudel, begleit die Tante hinunter; die Elis kann das Tor nicht ordentlich aufsperren.«

»Also gute Nacht! Und recht gute Besserung!«

»Gut' Nacht, Mathild'!«

Sylvester blieb in gedrückter Stimmung zurück.

Er horchte auf die Schritte draußen; jetzt klangen sie die Treppe hinunter, und dann hörte er sie nicht mehr.

»Herr Mang!«

Er schrak zusammen und sah auf Frau Sporner.

Das war wieder der ernste Blick.

»Herr Mang, ich muß eine Bitte an Sie richten. Aber Sie dürfen mich nicht falsch verstehen.«

Sylvester brachte keinen Laut über die Lippen.

Er wußte alles. Nun kam das Gefürchtete, und sein Herz klopfte.

»Nicht wahr, Sie verstehen mich recht. Es hat Schwätzereien gegeben, und ich darf als Mutter nicht gleichgültig bleiben.«

»Aber ...«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen, Herr Mang. Das braucht keine Versicherung, aber es ist besser, auch für Sie in Ihrer Stellung, wenn solche Reden nicht einmal den Schein für sich haben. Sie wissen, daß wir Sie gerne bei uns sehen, aber ich muß Sie bitten, daß die Musikstunden aufhören. Wenn Sie sonst hie und da kommen, freut es uns alle. Sie verstehen, daß ich Sie gewiß nicht kränken will?«

»Ich war...ich bin...«

»Sie müssen sich an meine Stelle denken.«

»Ich war so gerne bei Ihnen.«

»Lieber Herr Mang, nehmen Sie das nicht schwer! Wir freuen uns ja, wenn Sie wiederkommen, aber ich meine nur wegen der Musikstunden...«

»Ja, Frau Sporner...«

»Ich schreibe Ihnen morgen noch, ich wollte nur zuerst mit Ihnen reden. Brieflich sieht es immer sonderbar aus ...«

»Ja, Frau Sporner.«

Leichte Schritte näherten sich der Türe. Traudel kam zurück. Ein Blick zeigte ihr, daß sich etwas zugetragen hatte.

Und es war nicht schwer, das zu sehen.

Der Alte stand am Fenster und schaute angelegentlich auf die dunkle Straße hinaus.

Er hütete sich, den jungen Mann anzusehen; eine solche Aussprache war nichts für ihn. Er ärgerte sich über seine Frau; die tat ja, als wäre sie ihrer Lebtage Hofdame gewesen. So etwas Großartiges! Er hätte das nie fertig gebracht; ganz gewiß nicht.

Es wurde ihm beim Zuhören unbehaglich zumute, und er hatte Angst, daß seine Frau sich am Ende auf ihn berufen würde. Er schaute verstohlen zu ihr hinüber.

Da mußte er sie doch bewundern, wie sie in mütterlicher Würde dasaß und ruhig die langen Sätze redete.

In den Frauenzimmern steckt etwas Gefährliches. Wer hätte bei seiner Sophie diese Grausamkeit gesucht? Seit vierundzwanzig Jahren saß sie bescheiden und still an der Kasse von Sporners seligen Erben, in vierundzwanzig Jahren hatte sie ihm nichts genommen von der überlegenen Stellung, die ihm als Chef dieser Firma gebührte, und jetzt saß sie dort auf ihrem Stuhle und zeigte ein so beherrschendes Wesen, daß ihm nachträglich der Schrecken in die Glieder fuhr.

Er hätte sich gefreut, wenn dieser junge Mensch sich vor ihrer Hoheit nicht gebeugt hätte. Aber der saß wie betäubt da und brachte nichts heraus, als sein »ja, Frau Sporner«.

Natürlich, so mußte er unterliegen.

Jetzt schwieg sie, und Traudel kam in das Zimmer.

Papa Sporner war neugierig, ob Sylvester nicht doch noch mit diesem Bundesgenossen einen Gegenangriff versuchen würde. Das Mädel mußte ihm tapfer helfen und sagen, daß sie alle zusammen fröhlich waren und daß keine böse Zunge das unschuldige Vergnügen stören dürfe.

Aber das war nun heute schon so. Niemand kämpfte wider die Macht der Frau Sophie.

Der junge Mensch sagte kein Wort, und Traudel stand verlegen mitten im Zimmer; eine leichte Röte stieg ihr in die Schläfen, und sie machte sich am Tische zu schaffen; sie räumte einige Teller ab und eilte mit ihnen auffallend rasch hinaus. Nirgends war eine Spur von Mut und Entschlossenheit zu bemerken.

Auch Sylvester erhob sich. Seine Stimme klang verschleiert.

»Es tut mir so leid, wenn ich Ihnen Verdruß gemacht habe. Grüß Gott, Frau Sporner!«

Jetzt ging er zum Fenster hin.

Der Alte gab ihm die Hand, und Sylvester drückte sie kräftig.

»Gute Nacht, Herr Sporner, und ...«

Der Satz brach ab und wurde durch Händeschütteln ergänzt. So verständlich, daß der Chef der Firma gerührt wurde und beinahe versucht war, den Sieg der Frau Sophie in eine Niederlage zu verwandeln.

Aber Sylvester wartete es nicht ab; er verließ das Zimmer noch rascher als Traudel, und erst auf der Treppe kam er in langsame Gangart. Diesmal ging Elise mit, obgleich man der Ansicht war, daß sie das Tor nicht ordentlich aufsperren könne.

Sylvester bemerkte diese Ungeschicklichkeit nicht; es ging viel rascher, als er dachte.

Er blieb sogar noch eine Weile in dem gewölbten Hausgange, als das Tor bereits offen stand.

Und dann schritt er zögernd hinaus.

Es war alles wie sonst.

Die Straße war still und menschenleer; die Gaslaterne warf ihren Schein auf den fröhlichen Neger, der auch bei Nachtzeiten guten Knaster rauchte und sich an den Kaffeesack lehnte.

Und es war empörend, wie vergnügt er lachte, während doch neben ihm ein junger Mann sich an die Mauer lehnte und bitterlich weinte.


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