Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Drittes Kapitel

Die nächsten Wochen brachten viel Arbeit. Nach der Trockenheit war ein guter Regen gekommen, und der Pflug faßte wieder an.

Auf allen Höhen sah man Menschen und Pferde sich langsam bewegen, und hinter ihnen fraßen sich dunkle Furchen in die Stoppelfelder ein.

Vom Dorfe hinauf bis zum Walde zogen sich gerade Linien; die lustigen Farben verschwanden, und die Gegend hatte ein ernstes Aussehen.

Der Schuller war fleißig hinter den Knechten her und hatte selber die Hand am Pfluge, den ganzen Tag.

Es traf ihn viel, weil sein Ältester als Soldat in Ingolstadt diente, und wenn er des Mittags heimkam, streckte er die Füße schwerfällig unter den Tisch. Und wenn er heimkam, war noch ein müder Mensch in der Stube; müde von einem langen Leben, in dem es kein Ausrasten gibt.

Das war die Mutter des Schullerbauern. Sie zählte noch nicht siebzig Jahre, und in der Stadt gibt es viele, die in dem Alter noch aufrecht gehen. Aber Bauernarbeit bricht vorzeitig die Kraft.

Die Alte saß auf der Ofenbank und schaute vor sich hin.

Die runzligen Hände faltete sie im Schoß und fand kaum die Kraft, zudringliche Fliegen abzuwehren.

»Was is 's denn mit da Muatta?« fragte der Schuller seine Frau.

»Sie is schlecht beinand; seit gestern kummt sie arg von da Kraft«, erwiderte die Bäurin.

Die Alte nickte müde mit dem Kopfe und bewegte den zahnlosen Mund.

»Was hat sie g'sagt?« fragte der Bauer.

»I ho's it verstanna. Was hoscht g'sagt, Muatta?«

Die Schullerin schaute die alte Mutter prüfend an.

Ruhig wie ein Mensch, der über eine Sache ins reine kommen will.

»Was hoscht g'sagt, Muatta?« fragte sie noch einmal.

Die Alte begegnete ihrem Blick, in ihren glanzlosen Augen war nichts von Angst und Sorge zu lesen. Nur Müdigkeit.

»I treib's nimmer lang«, sagte sie.

»Sie moant, sie muaß sterb'n«, wiederholte die Schullerin mit lauter Stimme. Der Bauer schnitt bedachtsam den Brotlaib an und brockte kleine Stücke in seine Suppe.

»Sie is halt scho guat bei die Jahr«, sagte er, »wie alt bischt denn jetzt, Muatta?« Die Alte gab keine Antwort; sie schaute wieder vor sich hin, und ihr Kopf sank herunter.

»An achtasechz'g Jahr' werd sie sei, und g'arbet hat sie viel«, sagte der Sohn.

»Ja, g'arbet hat sie viel, und acht Kinder hat sie bracht; des setzt oan zua. Sie g'fallt mi aba gar net; sollt'st dennerst an Pfarra hol'n, Bauer.«

»In Pfarrhof geh' i net. Dös müaßt's scho selm toa; oder schick umi!«

»Na geh'n i selm, bal i abg'spült hab.«

Die Alte bewegte wieder die Lippen.

»Was hoscht g'sagt, Muatta?«

Die Schullerin ging zur Ofenbank und horchte aufmerksam.

»Ja, ja, Muatta! Hoscht scho recht. Sie sagt, sie is froh, bal's gar is. A so hat's koan Wert nimma, sagt sie.«

Der Bauer legte den Löffel weg und ging in den Hof hinaus.

»Andrä!«

»Wos geit's?«

»I nimm jetzt de zwoa Braun', und du spannst an Ochsen ei!«

Der Knecht führte zwei stattliche Pferde aus dem Stall; der Schuller nahm das Leitseil und ging hinter ihnen her. Am unteren Ende des Dorfes holte er den Geitner ein.

»'ß Good, Schuller!«

»'ß Good!«

»Wo geahscht hi?«

»An Schmidlacker; Habern vorbaun.«

»Wo's d'an Klee g'habt hoscht?«

»Ja.«

»Jetzt geht's ja leicht mit'n Bau'n, weil's nimma so trucka is.«

»Es tuat's.«

»Beim Kramer ham s' g'sagt, daß dei Muatta schlecht dro is?«

»Ja, sie hat's kloa beinand. Oan Tag oder zwoa, länger werd s' kaam mehr leb'n.«

»Wia's halt is. Die Junga könna sterb'n, und de Alt'n müassen sterb'n.«

»Da ko'scht nix macha.«

»Hoscht du nix g'hört, Schuller, wann de Bürgermoasterwahl is?«

»Na, koa Tag is no net g'setzt, wia'r i woaß. Im November werd s' halt sei.«

»Dösmal werst as du, Schuller.«

»I reiß mi net drum. Mir werd's liaba an anderner.«

»Wer denn? Da Kloiber mag nimma.«

»Vielleicht sagt er grad a so.«

»Na, dös woaß i g'wiß. Da Kloiber steht z'ruck.«

»Nacha könnt's ja an Hierangl nehma.«

»I glaab it, daß 's der werd. Er hat it viel Leut' auf da Seiten; bloß de, wo eahm was schuldi san.«

»Aba da Pfarrer möcht'n.«

»Ja, weil er moant, daß er eahm helfat mit sein' Turm, und weil er überhaupts alleweil z'sammaspinnt damit. Aba ,r auf'n Pfarrer passen mir it auf.«

»I sag' da's schnurgrad, Geimer, mi freut's gar it. Bal i Burgermoaster waar, gang da Verdruß nimma aus. Garaus mit'n Pfarra. Er ko mi net schmecka, dös woaßt ja. Und z' Erlbach san gnua, de wo zu eahm halt'n; nacha gab's allaweil Zwidrigkeiten. Nehmt's an Hierangl, dös is viel g'scheiter.«

»Mir hamm ja no Zeit, Schuller; aba dös derfst glaab'n; bals mir nachgeht, werst as du. I bin auf deiner Seiten; dös derfst g'wiß glaab'n.«

»Is scho recht. 'ß Good!«

Der Schuller ging vom Weg ab zu seinem Acker; wie er die Gäule am Pflug vorspannte, sah er dem Geitner nach und sagte vor sich hin: »Hättst mi gern ausg'fragt, gel, Tropf schei'heiliga? Di kenn i guat. Wiah!«

Die Gäule zogen an; unter der blinkenden Pflugschar wellten sich die Schollen.

Daheim saß die alte Mutter noch immer unbeweglich in der Ofenecke und sah der Schwiegerin zu, welche die Stube aufräumte.

Das ging flink mit rüstigen Armen.

So hatte die Alte auch einmal gearbeitet und geschaltet im Hause. Dann waren langweilige Tage gekommen, und sie hatte gespürt, wie unnütz ein Leben ohne Arbeit ist.

Hohes Alter ist kein Segen. »Du sollst dein Brot verdienen im Schweiße deines Angesichts.« Das ist für die Bauernleute geschrieben, denen die Hände schwer werden beim Rasten.

Und die Alte fürchtete sich nicht vor dem Sterben; das hatte sie sich oft gewunschen, nicht aus Verzweiflung oder aus Trübsinn, sondern weil es recht ist, zu gehen, wenn das Bleiben keinen Wert hat.

Der jüngste Bub der Schullerin kam lärmend herein.

Die Bäuerin wehrte ihn ab.

»Geh aussi, Xaverl, du hoscht do herin nix z'toa. Siegscht it, daß d' Großmuatta krank is?«

»Muaß sie sterb'n?«

»Ja, sie muaß bald sterb'n. Aba jetzt geh zua! Du gehst uns do im Weg um.«

Der Kleine sah mit neugierigen Augen nach der Alten hin, und als er die Stube verlassen hatte, stellte er sich draußen an das Fenster und preßte das Gesicht an die Scheiben.

Die Schullerin wollte in den Stall gehen; da kam der Kooperator über den Hof, und sie blieb unter der Tür stehen.

»Es ist eine kranke Person im Hause, welche des geistlichen Trostes bedarf?«

»Ja, Hochwürden, d' Muatta is schlecht beinand. Seit Mittag kimmt s' ganz von da Kraft.«

»Wo ist sie?«

»Bitt schön, Hochwürden, da herin.«

Der junge Herr trat in die Stube. Ein Blick auf die Alte zeigte ihm, daß hier nur mehr die Seele, nicht aber der Körper zu retten sei, und er ging berufsfreudig an sein Werk.

»Warum habt Ihr so lange gewartet?« fragte er die Schullerin. »Ich fürchte, sie versteht meine Worte nicht mehr.«

»Es is so schnell ganga, Hochwürden. Aba sie is no beim Vastand; sie hört no ganz guat, bloß müad is sie halt.«

»Dann laßt uns jetzt allein!«

Die Bäurin ging hinaus, und der junge Mann setzte sich vor die Kranke hin. Er zog ein dickes Gebetbuch aus der Tasche und fragte mit lauter Stimme: »Hört Ihr meine Worte?«

Zwei müde Augen schauten ihn an; es lag darin mit dem Aufbieten der letzten Kraft der Ausdruck von Ehrerbietung, und die Alte versuchte mit zitternder Hand das Zeichen des Kreuzes zu machen. Ein minder frommer Mensch wäre gerührt worden durch diese schlichte Ergebung und hätte sich demütig gebeugt vor der Würde der sterbenden Greisin. Aber Herrn Sitzberger konnte nichts Irdisches überwältigen; er fühlte sich nicht klein in dieser Stunde, sondern es erhob ihn der Besitz der geistlichen Gewalt über diese Seele.

Und er sprach wieder so laut, daß ihn die Alte hören mußte:

»Anastasia Vöst, Ihr seid nun an das Kreuz geheftet, und Ihr sehet der bitteren Todesstunde entgegen. Ihr müßt bedenken, daß der liebreichste Jesus für Euch ebenfalls Krankheiten getragen und Schmerzen auf sich geladen hat.

Bittet ihn, daß er Euch wahre Geduld verleihe, und opfert ihm alle Glieder Eures Leibes auf, daß er sie strafen möge nach seinem göttlichen Wohlgefallen!«

Die Alte verstand nicht alle Worte, aber sie fühlte dunkel, daß sie die Tröstungen der Religion bildeten, in welcher sie lange und gläubig gelebt hatte. Darum hob sie mühsam den Kopf und versuchte kurze Zeit, ihre Augen offenzuhalten. Herr Sitzberger fuhr eifrig weiter.

»Ihr sollt nicht mehr an dieser Welt hängen und Euch das Scheiden von derselben schwerfallen lassen. Ihr sollt im Gegenteil von einem innigen Verlangen nach den Wohnungen des Himmels erfüllt sein. Ihr sollt sagen, daß Eure Seele dürstet und seufzt nach den Vorhöfen des Herrn. Wenn auch immerhin die Furcht vor dem Gerichte die Vorstellungskraft beängstigt und der Anblick Eurer Sünden Euren Geist in tödliche Traurigkeit versenkt.«

Die Kranke bewegte ihre Lippen, und der Kooperator fragte:

»Was wollet Ihr sagen?«

Sie sprach kaum vernehmbar vor sich hin: »I hab allewei gern g'arbet. Es is mir it leicht an Arbet z'viel g'wen.«

Dabei hielt die Alte die mageren Hände vor sich hin, als wollte sie die Ehrenmale der Arbeit zeigen; und ein freundliches Lächeln ging über ihr verwelktes Gesicht. Ja, wäre der liebe Gott in der Stube gesessen, dann wären ihm vielleicht die Augen naß geworden, und er hätte gesagt: »Das sind zwei ehrliche Hände, Anastasia Vöst, die du aufweisen kannst, und sie erzählen von nützlicher Arbeit. Die haben Gutes gewirkt im Leben, und mehr braucht es nicht für den Himmel.«

So hätte der liebe Gott reden müssen, aber sein Stellvertreter meinte es anders. Er zeigte Ungeduld, oder größeren Eifer, und verstärkte die Stimme. »Ihr müßt Eure Gedanken gänzlich vom Irdischen abwenden, indem die sinnliche Welt Euch bald verschwunden sein wird. Und wenn Ihr in den Bedrängnissen des Todeskampfes erseufzet, müßt Ihr Gott bitten, daß er diese Seufzer als Wirkungen einer heiligen Ungeduld, zu ihm zu gelangen, aufnimmt. Versteht Ihr meine Worte?«

Anastasia Vöst verstand sie nicht, sie hielt noch immer ihre Hände vor sich ausgestreckt und schaute sie lächelnd an. Da stand Herr Sitzberger auf und zuckte die Achseln.

Er sagte zur Schullerin, welche still hereintrat: »Ihr hättet mich früher rufen sollen, solange sie noch bei vollem Verstande war. Ich fürchte sehr, sie hat meine Worte nicht mehr erfaßt.

»Sie fallt so schnell z'samm, daß 's gar it zum glauben is, Hochwürden. Vor anderthalb Stunden is sie no viel frischer g'wen. Mir wer'n Zeit hamm, daß ma s' no ins Bett einitragen. Und wann i bitten durft, daß Sie s' versehg'n, Hochwürden.«

»Ich werde gleich zurückkommen mit den heiligen Sakramenten«, sagte der Kooperator und ging schnell aus dem Hause.

Der Xaverl stand noch immer am Fenster, aber er sollte doch nicht sehen, wie es ist, wenn ein Mensch stirbt.

Denn die Schullerin und die Ursula trugen die Alte behutsam in ihr Austragszimmer und schlossen die Fensterläden. Darauf zündeten sie zu Häupten des Bettes zwei Kerzen an und begannen zu beten.

In der Dorfgasse wurde es lebhaft; es war Feierabend. Die Leute kamen heim vom Acker, da blieb ein Nachbar beim andern stehen und redete davon, was man diesen Tag geschafft hatte und was man vom nächsten erwarte.

Beim Schmied wurde noch fleißig gehämmert; ein Gaul vom Bartlbauer brauchte neue Eisen, und der Weßbrunner ließ seinen Pflug schärfen. Einige Leute standen vor der Werkstätte und schauten zu; sie lobten das Pferd und sagten, der Bartlbauer hätte beim Kaufen eine glückliche Hand gehabt.

Da kam der Mesner um das Eck herum, hinterdrein der Kooperator mit dem Allerheiligsten. Alle zogen den Hut, und der Schmied hielt mit der Arbeit ein.

»Wer werd denn versehg'n?« fragte einer.

»An Schuller sei Muatta.«

»De alt Vöstin? Um de is schad«, sagte der Zwerger und schaute dem Kooperator nach.

Einige Weiber schlossen sich dem traurigen Zug an.

Als der Priester beim Schuller angekommen war, wandte er sich um und hob den Kelch mit der heiligen Wegzehrung in die Höhe.

Die Leute knieten nieder und bekreuzigten sich andächtig. Und die Bäcker Ulrich Marie betete mit lauter Stimme das Vaterunser vor.


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