Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die unterbrochene Berta

Eine Bürger- und Bauerngeschichte

Der Katholische Gesellenverein in Markt Erlbach erfuhr einen gewaltigen Aufschwung, als der Herr Kooperator Pletschacher das Ehrenpräsidium übernahm. Dieser blonde Jüngling, den die Pfarrerköchin oftmals mit dem heiligen Johannes verglich, weil er gekräuselte Haare hatte, stammte aus Ettal bei Oberammergau und war mit Neigungen für die Darstellung ehrbarer oder heiligmäßiger Bühnenstücke begabt. Und so wußte er auch baldigst die Mitglieder des Gesellenvereins Erlbach fürs Theater zu begeistern, so daß man sich mit dem Gedanken trug, zum Besten der Vereinskasse und zur Ergötzung der ländlichen Bevölkerung ein Theaterstück aufzuführen. In einer Generalversammlung, die beim Stangelmayer abgehalten wurde, zeigte sich indessen gleich, daß in künstlerischen Fragen die Meinungen stets auseinandergehen.

Der Bader Schlechmoser, der im Bürgerverein Eintracht schon öfter viel belachte Soloszenen vorgeführt hatte, setzte sich mit Feuereifer dafür ein, daß man etwas der Komödie Verwandtes, eine Gaudi, wie er es nannte, wählen solle, denn das ziehe am meisten bei den Bauern. Er behauptete, etliche gelungene Viechereien zu kennen, bei denen es die Leute vor Lachen beinah zerreißen müsse.

Schon jubelten ihm viele zu, als der hochwürdige Herr Pletschacher, mit einer leichten Zornröte im Gesichte, aufstand und erklärte, daß man damit himmelweit von seinen Absichten abgekommen sei, ja, daß man geradezu den guten Zweck in einen schlechten verkehre.

Wenn er geahnt hätte, daß sein herzinniger Wunsch, die Einwohnerschaft von Erlbach zu veredeln, sogleich von gewissen Elementen – Schlechmoser war ein gewisses Element – dazu benützt würde, die Freude an rohen Späßen zu nähren, so wäre er nie und nimmermehr dem Gedanken an theatralische Leistungen nahe getreten. Er müsse klipp und klar und rundweg erklären, daß er sofort das Ehrenpräsidium des Vereins niederlegen werde, wenn die Tendenzen des Vorredners den Beifall der Mehrheit finden würden.

Die besseren Bürger des Marktes pflichteten ihm sofort bei, und der Vorsitzende, der Schlossermeister Dichtl, sagte, es sei niemand eingefallen, den Vorschlag des Baders Schlechmoser ernst zu nehmen. Der hochwürdige Herr Ehrenpräsident möge überzeugt sein, daß man in allem bloß seinem bewährten Rate folgen wolle. Es sei wohl das Beste, wenn derselbe die Wahl des Stückes treffe, und er dürfe auf den Dank des Vereins rechnen. So gelang es, zwar nicht sofort, aber doch im Laufe der Beratung den heiligen Zorn des Johannes zu stillen, und zur Belohnung des guten Willens, den er um sich sah, beschloß Herr Pletschacher, den Erlbachern ein ganz besonders edles Stück zur Aufführung zu übergeben.

Es hieß »Berta, die fromme Gräfin«, und da außer Pletschacher und mir niemand diese von christkatholischem Geiste durchwehte Dichtung kennt, will ich dem Leser verraten, daß sie von dem hochbegabten Sohne Ettals selbst verfaßt war.

Vielleicht hätte man in ihr starke Anlehnungen an das treffliche Volksstück »Die Räuber von Maria Kulm« finden können, allein die Sprache der Gräfin Berta war unvergleichlich edler und getragener. Und es war vorauszusehen, daß dieses Stück den wohltätigsten Einfluß auf die Gemüter der etwas rauhen, ländlichen Bevölkerung haben mußte.

In diesem Stücke gab es Rollen, welche die Frauen und Männer Erlbachs zum Mitspielen entflammen mußten. Ritter, Knappen, einen Grafen, sein Gespons, jene edle Gräfin Berta zusamt ihrer frommen Vertrauten Mechtildis und ihrer alten Amme. Auch zwei Bösewichte fehlten nicht, die dem Grafen nach dem Leben trachteten. Mehrere Mädchen strebten nach der Ehre, die Gräfin darstellen zu dürfen, und man glaubte schon, daß die Hirgstetter Marie, die hübsche und tugendhafte Tochter des angesehenen Glasermeisters, die Rolle erhalten werde.

Allein in Erlbach, das doch eigentlich von dem verderblichen Hauche der Bühnenwelt unberührt geblieben war, machten sich sogleich bei diesem ersten Anfange alle jene Leidenschaften geltend, die wir in Großstädten an Hoftheatern und bedeutenden Bühnen bemerken. Der Neid war geweckt worden und trieb häßliche Blüten.

Durch anonyme Briefe wurde der hochwürdige Herr Pletschacher davon verständigt, daß die Tugend der Hirgstetter Marie längst in die Brüche gegangen sei, indem sie ein paarmal in der Dämmerung mit dem Apothekerprovisor lustwandelnd angetroffen worden sei.

Ebenso kamen häßliche Gerüchte über die Kreszentia Portl in Gang, als man glaubte, daß sie zur Rolle der frommen Gräfin auserlesen sei.

Der hochwürdige Herr Pletschacher schwebte in argen Zweifeln, auf welche reine Tochter des Marktes seine Wahl nun eigentlich fallen sollte, aber da griff, wie das auch anderwärts so geht, eine höhere Protektion ein.

Die Pfarrerköchin ließ durch den Herrn Dekan dem Jünger Johannes einen Wink zukommen, daß an Begabung wie an religiösem Eifer keine würdiger dieser schönen Rolle sei, als die Buchbinderin Weiß. Zudem sei es auch geraten, die Rolle einer verheirateten Frau wiederum durch eine solche darstellen zu lassen, da die Idee, verehelicht zu sein, und wenn es auch noch so kurze Zeit auf der Bühne wäre, in einer ledigen Person sündhafte Gedanken erwecken könnte. Wenn Herr Pletschacher auch wußte, daß seiner Gräfin Berta alle irdischen Gelüste weit entrückt waren, so durfte er doch den Bedenken, welche sein Vorgesetzter äußerte, keinen Widerspruch entgegensetzen, und er gab nun die Rolle der vollbusigen Buchbinderin Weiß, die die Nachricht mit sichtbarer Freude entgegennahm. Sie lud den hochwürdigen Herrn sogleich zu einer Tasse Kaffee ein, und da ihr Mann in der Werkstätte sein mußte und überhaupt von dem Tratsch, wie er sagte, nichts hören und sehen wollte, war der Ettaler Jüngling dem begeisterten Danke der überaus stattlichen Buchbinderin ausgesetzt. Sie drückte ihm mit liebreichem Lächeln die Hand, stellte ihren Fuß auf den seinigen und preßte einige Weichteile an den jungen Mann, der seine Strenge vergaß und trotz mancherlei Dingen, die nicht zum Charakter der frommen Gräfin paßten, dennoch ihre Darstellung der üppigen Frau anvertraute.

Es war nicht zu umgehen, daß Herr Pletschacher die wichtige Rolle mit ihr einstudierte, und er kam so oft in das Haus des Buchbinders, daß die gewissen Elemente schändliche Gerüchte ausstreuten, die aber schadlos blieben, weil Lena, die Pfarrerköchin, die in Erlbach die Waage hielt, in der Gerechte und Ungerechte gewogen wurden, ihrer Busenfreundin die Treue hielt.

Die Buchbinderin drang also in den Geist ihrer Rolle ein und war schon gänzlich darin, als die ersten Proben begannen. In dieser Zeit entwickelte Pletschacher eine ungeheure Tätigkeit, die alle Mitspielenden entflammte. Er ermunterte die schwachen Talente und dämpfte die feurigen, er lehrte die guten Erlbacher lange Sätze in gebildetem Hochdeutsch sprechen, sich mit Würde bewegen und ihre Reden mit edlen Gebärden begleiten. Der Uneingeweihte macht sich wohl keine Vorstellung von der Schwierigkeit dieser Aufgabe. Der Darsteller des Grafen Botho, der Hafnermeister Pferringer, mußte an sein Schwert schlagen und dabei ausrufen: »Schweige, Vermessener! Wage es niemand, die unantastbare Tugend meiner mir vor Gott angetrauten Gemahlin anzuzweifeln, oder dieses Schwert, das ich im Kampfe um das Heilige Grab mit dem Blute der Ungläubigen gerötet habe, soll deine schwarze Seele zur Hölle schicken!«

Solche Sätze enthielten unendlich viele Schwierigkeiten, über die die Zunge eines Erlbacher Handwerkers nur stolpernd hinwegkam. Und dabei noch eine gräfliche Würde und edle Entrüstung zu zeigen, war eine Leistung, die nur dem unermüdlichsten Fleiß gelang. Den andern waren nicht weniger Mühseligkeiten aufgeladen, denn all diese Ritter und Knappen und Edelfrauen, ja sogar die mordlustigen Bösewichter redeten die schöne Sprache des Mittelalters. Nach zahlreichen Proben aber gelang es, den Erlbachern den getragenen Ton beizubringen, und nun kam noch die beinahe unübersteigliche Schwierigkeit, den Darstellern würdige Kostüme zu verschaffen. Zum Glück war der Photograph Lidauer ein Mann von ungewöhnlicher künstlerischer Begabung und Phantasie, der seine Kenntnisse und seine Geschicklichkeit in den Dienst der guten Sache stellte. Es war ein Leichtes, die Damen zu kostümieren, die nur einer Anleitung bedurften, um sich mit Puffärmeln und Rüschen, mit Gürteln und Schließtaschen in Ritterfrauen zu verwandeln. Die Schwierigkeit lag in der Aufgabe, die männlichen Darsteller so zu kleiden, daß man der malerischen und reizvollen Tracht früherer Jahrhunderte nahekam.

Aber darin war eben Lidauer ein Meister.

Er gab dem Rembrandthute seiner Frau durch Aufbiegen einer Krempe eine ritterliche Fasson und setzte ihn dem Grafen Botho schief auf das Haupt und befestigte ihn mit einem Sturmbande. Ein kleines Damenmäntelchen mit einem Pelzkragen ließ er ihn keck über die Schultern werfen. Dazu ein Paar mächtige Wasserstiefel vom Glonnfischer, ein selbstverfertigtes Bandelier aus Glanzleder, in dem der Degen des pensionierten Bezirksamtmannes Reisberger steckte, und die ritterliche Erscheinung des Grafen war wirkungsvoll zur Geltung gebracht.

Ebenso gelang es, die anderen zu kostümieren, und bei der Generalprobe gestand sich der glückliche Verfasser des Stückes, daß durch eine gar stattlich anzusehende Ritterschar das Bild vergangener Zeiten wiedergegeben war.

Am Sebastianitag, der auf einen Sonntag fiel, war die erste Aufführung im Stangelmayersaale.

Schon eine halbe Stunde vor Beginn waren alle Plätze besetzt, nur die vorderen Stühle, die für den Herrn Dekan und einige Geistliche der Nachbarschaft, ferner für den Doktor, den Apotheker und angesehene Bürger reserviert waren, standen noch leer.

Der Vorstand des Gesellenvereins, der Schlossermeister Dichtl, stand im Bratenrock an der Türe, um die Honoratioren zu begrüßen. Ein paar jüngere Handwerksgesellen in Turnertracht kontrollierten die Billette und hielten die Ordnung aufrecht. Das war nicht überflüssig, denn unterm Bauernvolk war auch mancher ungebärdige Knecht, der sich mit groben Ellenbogen vordrängen wollte.

Auf dem Juhe oder der Galerie, die sich um die Rückwand und die Hälfte der Langseite herumzog, war das ärgste Gewühl. Da standen die Leute so dicht aneinander, daß sich die Mädel kaum die Sacktücher aus der Tasche langen konnten, um sich den Schweiß abzutrocknen, und wenn eine den Kopf drehte, wischte sie mit dem Zipfel vom Kopftuch ihrem Nachbarn ums Maul.

Am besten waren die daran, die auf den zwei vorderen Bänken der Galerie saßen; die übersahen den Saal und die Bühne aufs beste und konnten alles mit Ruhe abwarten.

Um einen solchen Platz zu erwerben, hatte man früh daran sein müssen, und darum waren dort fast nur Austrägler und kleine Leute aus Erlbach zu sehen, die Zeit und Geduld zum Warten gehabt hatten. Ein paar ganz schlaue Bauern aus der Umgebung waren auch darunter, der Schuechl von Leiten, der Ecker und der Ruepp von Schweigen, die wohl das Geld für einen numerierten Platz gehabt hätten, die sich aber ausgerechnet hatten, daß sie um die Minderkosten etliche Maß Bier trinken konnten.

Den schönsten Platz in aller Mitten der Galerie hatte der Rankl, ein Kleinhäusler von Freitsmoos, der in der ganzen Gegend der Holzg'haxte hieß, weil er am rechten Bein, vom Knie ab, einen Stelzfuß trug.

Auch wer den Ruf, den er als der größte Gauner im Umkreise hatte, nicht kannte, mußte dem schlauen, fuchsähnlichen Gesichte allerhand Schlimmes zutrauen. Er saß aber an diesem Nachmittag ruhig und in sich gekehrt da, als erwarte er mit stiller Freude die Erbauung seines christlichen Gemütes, die in der Ankündigung des Stückes allen Besuchern versprochen worden war.

Vielleicht bemerkte er, daß unten im Saale der Gendarmeriewachtmeister sich nach ihm umdrehte und zu seiner Frau sagte, »der holzg'haxte Lump hockt auch da droben,« vielleicht sah er den mißgünstigen Blick, den ihm der Ecker von Flinsbach zuwarf in Erinnerung an eine Sau, auf die der Hüter zu wenig Obacht gegeben hatte, und die in einem Feldhölzl für immer verschwunden war, vielleicht sah Rankl dies und noch mehreres, aber er war allen irdischen und häßlichen Dingen abgewandt und wartete mit halbgeschlossenen Augen auf die Weihe der Stunde. Der hochwürdige Herr Pletschacher hätte sicherlich an ihm seine Freude gehabt, aber dieser eifervolle junge Mann hatte keine Zeit, die innere Sammlung der Zuschauer zu beobachten. Bald eilte er hinter die Bühne, um noch einmal einen prüfenden Blick auf die Vorbereitungen zu werfen und die Darsteller durch ein paar hastige Worte zur höchsten Kraftanstrengung anzuspornen, bald kam er wieder nach vorne, sprach aufgeregt mit dem Schlosser Dichtl oder dankte lächelnd für die Grüße der Honoratioren, die nunmehr ankamen und die vorderen Plätze füllten. Der Doktor mit seiner Frau, die sich bei einem mehrjährigen Aufenthalte in München Sinn und Verständnis für künstlerische Ideale erworben hatte. Der Apotheker, seine Gattin und deren Schwester, die das bessere Publikum ergänzte, und dann auch der Dekan an der Seite des geistlichen Rates Angermayer von Rettenfeld. Rechts von ihnen saß der Schlossermeister Dichtl und seine Frau, dann kamen die Stangelmayerischen, der Distriktsrat Trauner und andere.

Sie begrüßten sich alle, und als sie nun saßen, ertönte die Glocke. Das Spiel begann.

Es war, um kurz zu sagen, eine zu Herzen gehende Vorstellung. Der edle Graf Botho von Falkenstein war aus dem Heiligen Lande heimgekehrt und wollte sich eben des Wiedersehens mit seiner Gesponsin erfreuen, als sich schwarze Verleumdung in Gestalt des Ritters Heino von Isenburg an ihn heranschlich. Der Verräter hatte den frevlen Versuch gemacht, die Gräfin während der langen Abwesenheit ihres Gemahles zur Sünde zu verleiten, war aber von der tugendsamen Frau schnöde zurückgewiesen worden. Aus Rache dafür wollte Heino den schlimmsten Verdacht ins Herz des Grafen senken, allein dieser durchschaute den verruchten Plan, und der erste Akt schloß mit jenen Worten, die der Hafnermeister Pferringer so mühselig erlernt hatte, aber nunmehr mit Wucht dem Verleumder entgegenschleuderte.

Im zweiten Akte hielt Heino mit seinem Gesinnungsgenossen Kunz im Walde eine Beratung ab, wie sie den Grafen, der ein grimmiger Feind aller Raubritter war, gemeinsam ermorden wollten. Dieses Gespräch wurde aber von einem frommen Einsiedler belauscht. Er beschließt, sich im Walde zu verstecken, um den edlen Grafen, dem die Mörder auf der Jagd nachstellen wollen, zu warnen.

Der dritte Akt spielt wieder im Schlosse. Die fromme Gräfin ist im Traume von der heiligen Barbara, der sie eine besondere Verehrung widmet, gewarnt worden, und sie beschwört ihren Gemahl, die geplante Jagd abzusagen. Indessen der Graf, dessen tapferes Herz keine Furcht kennt, beruhigt sie und weist darauf hin, daß sein Leben in Gottes Hand liege.

Er betritt den finstern Wald im vierten Aufzuge und spricht mit seinem Knappen Meginhart, als sich der Eremit naht und ihm den furchtbaren Mordplan enthüllt.

»Was höre ich?« ruft der Graf. »So ist mein erlauchtes Gespons dennoch nicht von einem leeren Traume erschreckt worden, sondern die Heilige, deren Namen von mir und meinen Nachkommen immerdar gepriesen sei, ist ihr in Wirklichkeit erschienen, um so den schurkischen Plan ruchloser Menschen zunichte zu machen!«

Er dankte dem Eremiten mit herzlichen Worten, dieser aber lehnt es bescheiden ab.

»Nicht also, edler Graf! Danket vielmehr Eurer frommen Gemahlin, welche durch die Kraft ihres Gebetes die Heilige dazu vermocht hat, Euch ihren Schutz so sichtbarlich angedeihen zu lassen. Wahrlich, ich sehe es nun deutlich, daß sie auch mich an jene Stelle hingebracht hat, wo ich Zeuge der Unterredung jener schwarzen Verräter wurde.«

»Du hast wahr gesprochen,« ruft der Graf. »Aber jetzt ziehe dein Schwert, Meginhart, auf daß wir den tückischen Mördern begegnen mögen, wenn ...«

In diesem spannenden Momente treten Heino und Kunz hinter dem Baume hervor, werden aber nach kurzem Gefechte beide erstochen.

Der letzte Akt verklingt in einem heißen und frommen Danke an die heilige Retterin.

Es sollte eigentlich der große Moment der Buchbinderin Weiß werden; sie kam an der Seite ihres Gemahls, begleitet von dem Eremiten, ihren Edelfräuleins und Rittern in den Wald.

Alle, auch der Graf, blieben dann auf der rechten Seite der Bühne stehen und bildeten eine gerührte Gruppe; der Eremit hatte nach Anordnung Pletschachers verzückt gen Himmel zu schauen, die Edelfräuleins mußten die Hände falten und züchtig zu Boden blicken, indes sowohl der Graf als die Ritter ihre Arme nach oben streckten und auch ihre Blicke zu den Wolken emporrichteten.

In diesem Augenblick wurde ein bengalisches Licht angezündet, das die Gruppe in magischer Beleuchtung zeigte.

Die Buchbinderin Weiß aber, oder vielmehr die Gräfin Berta trat in der Mitte ganz nach vorne und faltete mit dem Ausdrucke der innigsten, hingebenden Frömmigkeit die Hände, um diese Worte zu sprechen: »O du über alle Maßen gnadenreiche Helferin, wie danke ich dir für die wunderbare Rettung meines erlauchten Gemahles aus den Händen blutgieriger Mörder. Ich gelobe dir an dieser Stelle, wo uns dein starker Schutz und deine sichtbarliche Hilfe sein teures, auch deiner Verehrung fortan geweihtes Leben erhalten hat, eine Kapelle zu errichten, worin ich mit unserem frommen Volke dich lobpreisen will und worin auch in fernen Zeiten noch manches nach Hilfe schmachtende Herz sich zu dir emporrichten soll ...«

Dieses und noch mehr hatte die Buchbinderin Weiß zu sprechen, und sie war dazu von Pletschacher angelernt, den Ausdruck ihrer Hingebung bis zur heiligen Ekstase zu steigern.

Indessen, als sie damit anhub und mit wirklichem Schmelze sprach: »O du über alle Maßen gnadenreiche Helferin! Wie danke ich dir für die wunderbare Rettung meines erlauchten Gemahles ...«, und als eben das bengalische Licht aufflammte, da ertönte hinten auf der Galerie ein fürchterliches, langgezogenes Geräusch, über dessen Unanständigkeit niemand im Zweifel sein konnte.

Die Buchbinderin ließ ihre gefalteten Hände sinken und brach mitten im Satze ab.

Die vom bengalischen Lichte geröteten Gesichter der gerührten Gruppe wandten sich entrüstet nach der Stelle jener Detonation hin, und auch im Saale drehten sich alle Zuschauer um; sie konnten aber im dunkeln Raum den Frevler nicht herausfinden.

Auf der Galerie ging das unterdrückte Kichern in schallendes Gelächter über und setzte sich leider im Saale fort, so daß jede auferbauliche Stimmung verflogen war.

Da erhob sich der Vorstand, der Schlossermeister Dichtl, von seinem Platze und sagte, wobei sein dröhnender Baß der Entrüstung aller Gebildeten Ausdruck verlieh: »De Sau hat scho gar koa G'fühl net!«

Erst nach bangen Minuten konnte die Vorstellung weitergehen, aber weder die Buchbinderin Weiß noch die gerührte Gruppe konnte das Publikum in fromme Stimmung zurückversetzen. Außerdem war auch das bengalische Licht erloschen.

Der Vorhang fiel, und nun suchte jeder Blick den Täter. Man bemerkte sogleich an den Zuschauern auf der Galerie, daß es niemand anderer als der Holzg'haxte, der Rankl von Freitsmoos, gewesen war. Allerdings, er selbst zeigte eine ruhige, unbewegte Miene, ja den Ausdruck völliger Unschuld, aber alle, die sich nun lachend neben ihm zum Gehen rüsteten, wiesen auf ihn. Es konnte nur zweifelhaft bleiben, ob die tief aufwühlende Rührung zur Explosion geführt hatte, oder ob eine gemeine Absicht die Ursache gewesen war. Der Gendarmeriewachtmeister sagte zu seiner Frau: »Dös hat der Lump mit Fleiß to.« Und vielleicht glaubten das alle, die den Rankl näher kannten. Der Kooperator Pletschacher war tief verletzt. Er erntete wohl seitens der Honoratioren Worte des Lobes für seine edle Dichtung, aber sogar der geistliche Rat Angermayer konnte sich nicht völlig beherrschen, sondern brach in ein unpassendes Lachen aus, das seine stattliche Rundung erschütterte.

Der Bader Schlechmoser soll hinterher geäußert haben, es sei halt doch noch eine großartige Viecherei geworden.


 << zurück weiter >>