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Das Sterben

Es ist ein recht heißer Julitag.

Die Sonne brennt auf das weite Moos herunter, daß man die Luft wie über einem offenen Feuer zittern sieht.

Das kleine Häusel des Steffelbauern schaut in dem flimmernden Dunst noch unansehnlicher aus, und wer das braune Strohdach betrachtet, der könnte meinen, es sei gerade von der Sonne geröstet worden und werde beim Zusehen dunkler.

Die zwei Birnbäume vor dem Haus stehen so müde da, als möchten sie am liebsten einnicken bei der schwülen Hitze und dem eintönigen Summen der Fliegen.

Sonst ist nichts Lebendiges um das Haus, was ihnen die Zeit vertreiben könnte, denn es ist alles auf das Feld hinaus zum Einbringen.

Oder doch nicht alles.

Im Austragstübel ist der alte Steffel und wartet auf das Sterben; und seine Bäurin, die Urschel, leistet ihm Gesellschaft.

Gestern noch, gegen den Abend zu, hat der Doktor vorgesprochen, und beim Gehen hat er gesagt, er wollt die Medizin herausschicken.

»Braucht's net,« hat der Steffel gemeint, »i woaß scho, es geht dahi.«

»No, no, Vater,« hat ihn der Doktor trösten wollen, »so schnell stirbt keiner, du mußt net am Leben verzagen.«

Aber der Steffel ist hartnäckig geblieben. »I kenn mi scho aus,« sagt er; »dös sagen S' bloß zu an jed'n. I g'spür's selber, morgen geht's auf die Letzt.«

Hernach haben die Weibsleut um den Pfarrer geschickt; der ist gekommen und hat ihm die Sterbsakramente gereicht.

Seitdem liegt der Steffel ruhig da und schaut zu der niederen Weißdecken hinauf.

Die Urschel sitzt am Fußende vom Bett und liest in dem großen schwarzen Gebetbuche die Bitten für einen Sterbenden.

Wie sie die Lippen bewegt und die Worte in sich hineinmurmelt, ist es das einzige Geräusch im Zimmer; sonst ist es so feierlich still wie vor dem Häusel.

Ein paar Sonnenstrahlen stehlen sich zwischen den Vorhängen zum Fenster herein und spielen über die blaugeblümte Bettdecke nach den gefalteten Händen des Steffel hin, als wollten sie ihm noch einen schönen Gruß bringen von draußen, wo sie so oft mit ihm beisammen waren im Winter und Sommer.

Und es mag sein, daß es der Sterbende auch so versteht, denn er streicht mit den Händen über die Stelle, wo der goldgelbe Schein auf dem Bett liegt.

Sind alleweil gute Kameraden gewesen, er und die Sonne, und hat ihn allemal gefreut, wenn sie auch noch so heruntergebrannt hat.

Sie hat ihm oft geholfen, das Heu einbringen, und hat ihm das Korn gereift und den Weizen.

Ob es drenten wohl auch so ist, daß sie einen rechtschaffenen Wachstum haben und Arbeit für ein paar starke Hände?

Wenn es dem Pfarrer nach geht, nicht; der hat ihm erzählt, daß droben die Engel den ganzen Tag Harfen spielen und Halleluja singen. Er hat es gut gemeint, aber dem Steffel war das kein rechter Trost. Vielleicht weiß es der Pfarrer nicht ganz genau, oder vielleicht machen sie bei den Bauernleuten eine Ausnahme?

Allzulang hält sich der Steffel nicht auf bei den überirdischen Dingen; er schaut wieder zur Decke hinauf, und die Sonnenstrahlen zittern von der Bettdecke weg auf das Kopftüchel der alten Urschel und auf das große schwarze Gebetbuch.

Mit einemmal bricht der Kranke das Schweigen, und indem er den Kopf herumdreht, sagt er:

»Bäuerin, 's Mahl halt's beim Unterwirt.«

»Ja,« sagt die Urschel und hört das Beten auf, »mi wern's beim Unterwirt halt'n.«

»Und daß von de Leichentrager a jeder seine zwoa Maß Bier kriagt, Bäuerin, net, daß hinterdrei schlecht g'redt werd.«

»I will's achthaben,« sagt die Urschel.

»Beim Einsagen koan vagessen von der Freundschaft, daß 's a richtige Leich werd,« fahrt der Steffel fort, und wie er sieht, daß seine alte Bäuerin recht ernsthaft auf seine letzten Wünsche hört, kriegt er die tröstliche Überzeugung, daß seine letzte Sache auf der Welt mit Anstand und Ordnung abgemacht werden wird, und daß nichts fehlen wird, was einem ehrengeachteten Manne zukommt.

So viele Leute auch hinter seinem Sarge hergehen werden, es ist keiner darunter, der was Schlechtes von ihm behaupten kann; er ist keinem was schuldig geblieben, und jeder, der an seiner Grabstätt vorbei in die Kirche gehen wird, muß ihm das Weihwasser geben.

Und wie er sich das alles überlegt, sieht er sein ganzes Leben vor sich, als würd es vor ihm aufgeführt, und er wäre Zuschauer.

Arbeit und Lustbarkeit wechseln miteinander ab, aber dies erste kommt öfter an die Reihe; Fröhlichkeit und Sorgen, Jungsein und Altwerden, und zwischenhinein immer wieder das Trachten und Mühen für das Heimatl.

Der Steffel merkt gar nicht, was für eine lange Reise seine Gedanken machen, aber die Urschel merkt es, und sie zündet die Kerzen an, welche über dem Kopfende des Bettes auf dem Tische stehen.

Die kleinen Lichter brennen farblos knisternd in die Höhe, und mit einemmal ist der Steffel am Ende seiner Reise angekommen; vor die Bilder schiebt sich eine große dunkle Wand, und die Urschel betet jetzt laut das Vaterunser für die hingeschiedenen Seelen im Fegfeuer.

Draußen ist es Abend geworden. – Die zwei Birnbäume sind aus ihrem bleiernen Schlafe aufgewacht und schauern in dem leichten Luftzuge zusammen; ihre Schatten strecken sich über den Hausanger und die Wiesen hinauf zu dem Wege, auf dem jetzt der hochgehäufte Erntewagen herunterkommt.


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