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Der Rauchklub

Wenn einer von den geneigten Lesern nach Kraglfing kommen sollte, was ja am Ende auch nicht ausgeschlossen ist, da wird er im Nebenstübel des Wirtshauses einen blau und weiß gefärbten Schild bemerken mit der Inschrift:

 

RAUCHGLUPP KRAGELFING

 

Was ist das?

Allererstens ist es ein Schreibfehler vom Schreinermeister Wagerer, der es nicht besser versteht, und es soll »Rauchklub« heißen. Des zweiten und letzten aber ist es ein Zeichen, daß man auf dem Lande nach und nach das Bedürfnis fühlt, nicht bloß Feuerwehr-, Veteranen- und Schützenvereine, sondern auch andere Vereine zu haben.

Es ist am Land wie in der Stadt. Wenn so sechs oder sieben Leut alle Abend beisammensitzen, dann geht ihnen das Gefühl auf, als müßt es so sein, als erfüllten sie eine Pflicht. Und je weniger oft einer sonst von Gehorsam oder Pflicht wissen mag, desto merkwürdiger und wichtiger kommt es ihm vor, daß er im Wirtshaus so pünktlich ist, und er findet eine ordentliche Genugtuung darin. So, daß er sich selber vorredet, was er für ein gewissenhafter Mensch ist.

»So gern tät ich heut daheim bleiben,« sagt er zu der Frau oder gar zu sich selbst, »so gern; ganz froh wär ich, wenn ich nur einmal ausrasten dürft, aber es geht nicht, es geht wirklich nicht. Ich muß zum Unterwirt. Ein wahres Kreuz ist es, aber was willst machen?«

Und im Wirtshaus fangt er dann zu sinnieren an; alles gewinnt eine gewisse Bedeutung. Der Platz, den er mit lauter Draufsitzen blank gehobelt hat, zeigt ihm die Spur gewissenhafter Tätigkeit; das Krügel, welches er jeden Abend zur Hand nimmt, gewinnt er lieb, schier wie einen langjährigen treuen Gefährten in der Arbeit.

Und was ihm nur der Wirt verdankt! Was ihm nur der Mann Dank schuldig ist. Der muß ihn doch anschauen wie einen Brotgeber und Herrn! Er sieht ihn gern in der Stube hantieren; da fühlt er sich recht als Gönner und überzählt in Gedanken die Liter und Hektoliter, welche er weggetrunken hat.

Das ist ein saures Stück Arbeit, was er hinter sich hat, das Bier muß fort aus der Welt, und er hat sein redlich Teil getan. Man sieht, es kann sich einer als etwas Bedeutendes vorkommen, und tut doch nichts anderes als Bier trinken.

Den übrigen geht es ebenso; allein die bloße Übereinstimmung genügt nicht, man muß ihr Form und Gestalt geben, und da es einmal deutsche Eigentümlichkeit ist, über alles und jedes, besonders über Gesetze und Vorschriften herzhaft zu schimpfen, aber für das Wirtshaussitzen Statuten zu machen, gründet man einen Verein, dessen Bestimmungen jedem Mitgliede das erste halbe Jahr heiliger sind als die zehn Gebote Gottes und die Staatsgrundgesetze. Denn was ein richtiger Anhänger ist, läßt alles hinten, Weib und Kind, um für das Blühen und Gedeihen der »Concordia« oder des »Kegelklubs« oder des »Betrunkenen Wagscheitels« seine ganze Persönlichkeit einzusetzen.

Und … ja so, da wäre ich jetzt beinahe in das Predigen hineingekommen, und ich habe doch bloß vom Kraglfinger Rauchklub erzählen wollen. Ich bin nämlich so glücklich gewesen, einer Generalversammlung desselben beizuwohnen. Und das kam so.

Der Lehrer und der Förster haben mit mir Tarock gespielt. Beim vorletzten Umgang, Schlag sechs Uhr, sind auf einmal die sämtlichen Mitglieder des Vereins gekommen, und weil sie mich nicht hinausschaffen wollten, vielleicht auch, weil sie meinten, ich könnte am Ende korrespondierendes Mitglied werden, haben sie erlaubt, daß ich der lehrreichen Beratung zuhören durfte. Zum Zeichen meiner Dankbarkeit will ich den Hergang gewissenhaft und wahrheitsgetreu erzählen.

Als die sämtlichen Mitglieder erschienen waren, nahm der Vorstand, der Badermeister Lippel, den Schlüssel und sperrte das Vereinsarchiv auf. Dasselbige war ein hoher Kasten, in welchem viele Pfeifen hingen, welche nun insgesamt in die Hände ihrer Besitzer gelangten.

Der Förster machte mich aufmerksam, daß dies ein sehr feierlicher und wichtiger Moment sei. Kein Mitglied ist nämlich berechtigt, sich selbst die Pfeife zu holen, oder gar, sie mit nach Hause zu nehmen. Jeder ist gehalten, den Tabak zu rauchen, welcher vom Ausschusse als jeweiliger Vereinstabak bestimmt wird, und es wird genau Protokoll geführt, wie viele Pakete Tabak ein jedes Mitglied im Monat verbraucht. Am Schlusse des Jahres wird verkündet, wer den größten Konsum aufweisen kann, woran sich etwa eine Belobigung für bewiesene Anhänglichkeit reiht.

Wenn mich der Förster nicht angelogen hat, so ist die Anerkennung jedem Mitgliede mindestens so viel wert als eine Belobigung von Seite der kgl. Kreisregierung.

Also, nachdem diese Zeremonie vorüber war und die Unruhe des Pfeifenstopfens und Anzündens sich gelegt hatte, stand der Herr Vorstand auf und tat einen kräftigen Räusperer.

»Bst! Bst!« machten die andern.

»Meine Herren!« fuhr der Herr Vorstand fort. »Meine Herren! Indem daß unser Verein schon zwei Jahre besteht, und indem, daß er besteht, trotz aller Angriffe und Hindernisse …«

»Aha! Da moant er sei Frau damit,« sagte der Förster …

»Das muß ich mir schon verbitten,« schrie Herr Lippel, »verstehen S' mich, ich laß mich von keinem Menschen durchaus nicht derblecken …«

»Ruhe, Ruhe! Ausreden lassen! Was war denn jetzt dös! Lassen S' doch unsern Herrn Vorstand mit Eanere Witz aus,« ermahnte der Protokollführer, bis sich die Entrüstung gelegt hatte …

»Jawohl, meine Herren! Zwei Jahre hat unser Verein schon seine segensreiche Wirkung geübt, und immer haben wir, oder hätten wir, muß ich leider sagen, seine Fahne hochgehalten, wenn das nicht unmöglich wäre. Aber wir haben immer noch keine, obwohl ich schon bei der Gründung gleich gesagt habe: ›Eine Fahne gehört zu allererst her.‹ Und das ist auch der Grund unseres heutigen Beisammenseins. Wir müssen endlich einmal uns entschließen, ob wir wie die anderen eine Fahne haben wollen, oder ob der Verein zugrund gehen soll. Ich bitte Ihnen, daß Sie jetzt Ihre Meinung abgeben …«

»… Bravo! Recht hat er! Bravo! …«

Jetzt stand der Andreas Rogler, Bauer von Kraglfing, auf und schrie: »Staad sein ein bißl! Ich hab auch ein G'sätzl zum Hersagen. Meine Herrna! Überall wo man hinschaugt, ist ein Bannür (Panier), überall steht geschrieben und gedruckt: ›Wir wollen dem Bannür treu bleiben‹, das Bannür gült als ein Zimbolium der Eintracht und der Dreie. Deßweng haben sie auch bei alle Vereinigungen eine Fahnen. Bei der Militari, bei die Turner, bei die Schützen. Und unsere Veterana hamm sogar zwoa! Warum sollen denn mir koan Fahnen hamm? Geradeso gut, als bei uns die Eintracht und die Dreie notwendig is, braucha mir aa ein Zimbolium. Ich bin firti.«

»Bravo!« schrie der Vorstand; »das is amal ein Manneswort.«

»Dös hast schön auswendi g'lernt, Roglerbauer,« sagte der Förster.

Beinahe wäre wieder ein Streit ausgebrochen, wenn nicht der Hofbauer schon dagestanden wäre und mit dem Krugdeckel geklappert hätte. »Bst! Bst!«

»Meine lüben Vereinsbrider, Kameraden! Oha! Jetzt waar i beinah in mei Veteranared neikomma! Also meine Herrna! Indem daß der Rogler von dö zwoa Fahna g'redt hat, die wo wir bei unserm Veteranaverein hamm, und indem daß i scho zehn Jahr Vorstand bin, muaß i sagn: Wann er spötteln hat wollen, nachher zünd i eam a Licht auf, wann er aber dos ernst moant, alle Anerkennung. Respekt, sag i, und recht hat er. A Fahna muß her. (Bravo!) Denn, meine Herrna, als alter Vorstand kenn i die G'schichten. Wo a Fahna is, da is aa a Fahnaweih! (Bravo! Bravo!)

Und wo a Fahnaweih is, da kemma Leut z'samm. (Bravo!) Da kemma Verein z'samm aus sechs Stunden in der Rund. (Bravo!) Und da braucht der Wirt was (Bravo!), und wenn der Wirt was vodeant, bringe mir unsere Sau und Kaibin o um a schön's Geld an. (Bravo, Bravo!) I sag allaweil: Rühren muaß sie was. Und no oans!

Was gibt's denn Schöners, als wann der Verein mit da Fahna und d'Musi voro aufziagt. Dös is a Leben, und macht an Ansehn. (Bravo!) So, jetzt wißt's ös.«

Wenn ich ein Reichstags- oder Landtagsberichterstatter wäre, könnte ich vielleicht beschreiben, was für einen Eindruck diese Rede machte. So bin ich leider nicht imstande, es zu tun. Ich denke mir aber, daß die lauteste Rede von Bebel oder Vollmar, wenigstens was den Erfolg anbelangt, ein Pfifferling dagegen ist.

Man hat in Kraglfing schon lange gewußt, daß der Hofbauer ein gesundes Maulwerk hat, aber so – das hätt' ihm doch keiner zugetraut.

Alles hat geschrien und mit Händen und Füßen getrommelt – und was die Hauptsache war, alle ohne Ausnahme haben sich überzeugen lassen.

Das soll ein anderer nachmachen!

Es ist also der Beschluß einstimmig gefaßt worden, daß der Verein Rauchklub eine seidene Fahne erhält. Die Kosten seien zwar groß, meinte einer, aber die gute Sach verlangt es, da gibt es kein Räsonieren.

Ich habe nichts mehr zu erzählen, als daß der Herr Badermeister Lippel ein Hoch auf den Hofbauern ausbrachte; er betonte, daß der Verein glücklich sei, so edle Männer als Mitglieder zu haben, die sich aufopfern und das Herz auf dem rechten Flecke haben. Worauf dann der Hofbauer erwiderte, daß auch ein solcher Vorstand ein seltenes Exemplar sei, der sich so unvergeßliche Verdienste um den Verein erwerbe.

»Unser Herr Fürstand soll leben, hoch, hoch, hoch! Mit gedämpfter Stimme hooch!«

Man sieht: es ist auf dem Lande ganz so wie bei uns. Nächstdem erzähle ich von der Fahnenweihe, bei der aber nicht bloß der Wirt, sondern auch das Gericht und der Advokat etwas zu verdienen bekamen.


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