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XVI.

Als Harro von Detten bald nach ein Uhr in Monte Carlo angelangt war, ließ er sich in jagender Hast nach Condamine und vor das Haus fahren, in dem der Fürst Caraffa wohnte. Hier war alles schon im Schlaf und ein mürrischer Hausknecht geleitete ihn schlaftrunken die dunkle Treppe hinan, indem er auf Harros rasche und angstvolle Fragen nur antwortete: »Es steht schlecht«, um murmelnd hinzuzufügen: »und die letzte Rechnung ist noch nicht mal bezahlt.« Jetzt begriff Harro, und ein Ekel schüttelte ihn. Man wollte in dieser Spielerpension keinen Sterbenden, der mit Hinterlassung von Schulden aus der Welt gehen würde. Ein Todesfall in solch einem Logierhaus macht immer einen widrigen Eindruck auf die übrigen Bewohner und war für die Spieler ohnedies ein böses Omen, das bei ihrem hochgradigen Aberglauben leicht manche zum Verlassen des Hauses treiben konnte, um so eher, als der Unglücksfall an der Roulette selbst sich ereignet hatte und man im ganzen Bereich des Kasinos schon davon sprechen würde.

Und für das alles stand nicht einmal eine Entschädigung in Aussicht.

»Sie wissen doch«, sagte Harro, auf dem obersten Treppenabsatz stehenbleibend, »daß der Fürst Caraffa heute die Nachricht von einer mehrere hunderttausend Franken betragenden Erbschaft erhalten hat.«

Der Mensch in seinem blauen Wollenhemde starrte den Sprecher mit offenem Munde an. »Na«, sagte er dann, den Kopf wiegend und lächelte dummdreist vor sich hin, »wenn das nur wahr ist! Davon hätte man doch wohl längst gehört. Und das Fräulein –«

»Die Prinzessin wollen Sie sagen«, fiel Harro scharf ein. »Nun, ich verbürge mich für die Wahrheit der Nachricht.« Er warf dem verdutzt Dreinstarrenden ein Geldstück zu und schritt weiter.

»Ich werd' es der Madame unten doch gleich erzählen, Herr Baron«, stammelte der Bursche, der plötzlich eine ganz veränderte Miene zeigte und einen Kratzfuß über den anderen machte.

»Wenigstens dies Häßliche werd' ich ihr erspart haben«, dachte Harro, der nun, ohne den Menschen weiter zu beachten, leise an Eugenias Zimmertür pochte und dann eintrat.

In dem dämmerigen Räume fand er den Fürsten halb angekleidet, eine Decke über den Knien, in einem zerschlissenen Lehnstuhl sitzen, Eugenia neben ihm im Sessel, seine eine Hand in den beiden ihren haltend. Der Greis hatte den Kopf angelehnt und hielt die Augen geschlossen. Harro erschrak beim Nähertreten über seinen Anblick. Das eingefallene Gesicht war bläulich angelaufen, die eine Hälfte verzerrt, der Mundwinkel herabgezogen. Die Schulter hatte sich gleichfalls gesenkt und der Arm darunter hing bewegungslos herab. Wirr klebten die weißgrauen Haare um die furchige Stirn und der Atem rang sich nur mühsam aus der eingesunkenen Brust, mehr einem schmerzlichen Stöhnen ähnelnd.

Eugenias Antlitz wurde von einem Leuchten überflogen, als Harro eintrat. Sie konnte ihm nicht entgegengehen, weil sie die Hand des Schlummernden nicht loslassen wollte, aber ihre Augen begrüßten ihn, und ihre Lippen murmelten: »Gott sei Dank!« Er fragte nichts, sondern schlich nur auf den Zehen zu ihr heran und küßte ihre Stirn. Dann ließ er sich geräuschlos neben ihr nieder, und mit tonloser Stimme berichtete sie ihm, was geschehen war, hin und wieder ihren Kopf an seine Schulter lehnend. Dann küßte er sie jedesmal, und sie horchten beide auf die schweren, rasselnden Atemzüge des Schlafenden, der manchmal ächzend seinen Kopf hin und her bewegte.

Heute hatte er seinen »großen Schlag« machen wollen, alle Berechnungen trafen zu, heute mußte es gelingen. Und Eugenia hatte ihn in seinen Hoffnungen bestärkt. Wenn er die Bank nicht sprengen sollte, werde es ihr gelingen. Sie hatte ihm eingeredet, daß sie sein System, das er ihr mit triumphierender Erfindermiene auseinandergesetzt, voll begreife und daß es keinem Zweifel unterliege, danach gewinnen zu müssen. Sie hatte sogar versucht, ihn zu bestimmen, er möge das Spielen ihr überlassen, da sie ruhiger und leidenschaftsloser sei; sie hätte dann den besten Vorwand gehabt, ihm die Geldsumme, die Harro ihr für heute versprochen, als ihren Spielgewinn aufzudrängen, und alles wäre aufs glücklichste gelöst gewesen. Darauf hatte aber der Fürst nicht eingehen wollen, seinen Triumph, den Sieg seines Systems hatte er selbst erleben wollen.

So hatte er sich denn ans Kasino fahren lassen, denn zum Gehen war er in der letzten Zeit schon zu schwach gewesen und das Herz arbeitete so stark, daß es ihm den Atem versetzte. Seinen gewohnten Platz am Roulettetisch hatte er eingenommen, seine Papiere, die mit Zahlen bedeckt waren, neben sich ausgebreitet. Und sie hatte hinter seinem Stuhl gestanden – alles wie sonst. Nur seine Augen waren ihr unheimlich gewesen. Es hatte etwas darin geflackert, was sie noch nie gesehen. »Das ist der beginnende Irrsinn«, hatte sie gedacht und war im tiefsten erschauert. Aber dem Anschein nach hatte der alte Herr ganz ruhig pointiert wie sonst, hin und wieder eine Zahl notierend. Anfangs hatte er gewonnen und gleichgültig hatte er weiter gesetzt und seine Gewinne eingestrichen! Goldstück hatte sich zu Goldstück gelegt und Banknote zu Banknote.

Dann hatte er plötzlich verloren, und ein heißer Schreck hatte sie durchrieselt. Er aber war ganz ruhig geblieben und hatte sogar gelächelt. Nur daß das Lächeln allmählich etwas Verzerrtes angenommen hatte, zuletzt seinen Gesichtsausdruck völlig verwandelte und ihn ihr als einen Fremden erscheinen ließ.

Plötzlich war dann ihr Vater unruhig geworden, er hatte mit beiden Händen die ihm noch gebliebenen Banknoten zusammengescharrt und auf eine einzige Nummer gehäuft, während ein grimmig verzweifeltes Lachen ihm vom Munde geflogen war. Und im Moment, wo der Croupier die kleine Ebenholzschaufel ausgestreckt hatte, um diesen Geldhaufen an sich zu reißen, war er mit einem dumpfen Stöhnen, rollenden Augen, Schaum vor dem Munde zusammengebrochen.

Ein sekundenlanger Aufstand war erfolgt. Dann hatten ein paar herzugesprungene Saalwächter den Gestürzten schon auf ihre Arme gehoben und rasch hinausgetragen, während die Stimme des Croupiers erklungen war: »Faites vos jeux, messieurs!« als ob nichts vorgefallen sei, und die rasch gefaßten Spieler schon im Augenblick, als Eugenia zu ihrem Vater gestürzt war, sich wieder am Tische niedergelassen hatten, um weiter zu spielen. Es war ihr vorgekommen, als ob man nur darüber nicht hätte einig werden können, welche Bedeutung für das Spiel der Unglücksfall habe, ob man Glück oder Unglück daraus folgern müsse. Dann hatte man draußen den Bewegungslosen schon in einen Wagen gehoben, und sie war in einem zweiten ihm gefolgt. Hier in der Spielerpension von Condamine hatte man anfänglich den Fürsten nicht wieder aufnehmen wollen, in der Meinung, daß man einen Toten vor sich habe. Erst als ein herbeigeholter, zufällig in der Nähe wohnender französischer Arzt bestätigt hatte, der Fürst lebe, hatte man sich bestimmen lassen, den bis dahin im geschlossenen Wagen auf der Straße liegenden Kranken ins Haus zu tragen. Der Arzt hatte einen Schlaganfall bei dem Fürsten konstatiert und ihn allmählich durch die angewandten Mittel wieder ins Leben, wenn auch nicht zum Bewußtsein zurückgerufen. Er hatte Eugenia ziemlich unverblümt merken lassen, daß ein rasches Ende einem anderenfalls unausbleiblichen Hinvegetieren in halbem Blödsinn und fast vollständiger Bewegungslosigkeit des Körpers doch wohl bei weitem vorzuziehen sei. Dann war er gegangen, und sie war mit dem entschlummernden Kranken allein geblieben.

»Und die Menschen hier im Hause betrachten uns wie ansteckende Aussätzige«, schloß Eugenia ihren Bericht, »ich weiß nicht, was sie so gegen uns aufbringt. Von Mitleid ist nichts bei ihnen zu spüren. Am liebsten setzte man uns auf die Straße, glaub ich.«

»Krankheit wird hier als Verbrechen betrachtet«, erwiderte Harro. »Hier, wo nur Lust, Rausch und Taumel herrschen sollen, fühlt man sich dadurch beleidigt und beeinträchtigt. Aber kränke dich nicht darüber. Wenn nur dein Vater –«

Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihn, und während dieselbe sich halb öffnete, steckte sich der haubenbedeckte Kopf einer älteren Frau herein, in der Harro sogleich die Wirtin vermutete. Er gab ihr ein Zeichen, sich still zu verhalten und deutete auf den Schlafenden, worauf sie, die beiden Hände wie in Demut über die Brust gefaltet, mit einigen Bücklingen näher heranschlurfte und mit wispernder Stimme versicherte, sie habe sich nur nach dem Befinden des »hohen Kranken« erkundigen wollen, es habe ihr keine Ruhe gelassen, ehe sie nicht erfahren, ob er auch alles habe, wie es nötig sei. Ob der Hausknecht nicht vor der Türe sitzen bleiben solle, um beim ersten Ruf zur Hilfeleistung bereit zu sein? Die Prinzessin solle ihr doch die Gnade erzeigen, alles zu bestimmen; ihr, der Wirtin, könne ja gar keine größere Ehre widerfahren, als einem so hohen Herrn, den ein glücklicher Zufall unter ihr Dach geführt und dem nun ein beklagenswertes Übel widerfahren sei, irgend welche Dienste zu leisten.

So ging es noch in gleicher Tonart eine geraume Weile fort, während Eugenia mit erstaunten Augen bald die Sprecherin und bald Harro anblickte, der mit einer energischen Handbewegung dem Redestrom der Person ein Ende machte. »Es ist gut«, sagte er trocken, auf die Tür weisend, »die Prinzessin wird von Ihrer Freundlichkeit Gebrauch machen, sobald es dessen bedarf. Für den Augenblick ist hier nichts erforderlich als Ruhe. Man soll sich aber bereithalten. Gute Nacht.« Und er schob die Wirtin sachte zur Türe hinaus.

»Was da nur plötzlich geschehen sein mag!« sagte Eugenia kopfschüttelnd. »Das ist wie ein Wunder.«

Harro wurde einer Antwort überhoben, denn der Schlummernde im Sessel hatte sich gerührt und mit einem müden Lallen etwas Unverständliches gemurmelt. Jetzt zog er seine Hand aus der der Tochter und fuhr sich langsam mit dem Zeigefinger nach den Augen herauf, deren Lider er sich emporzuheben mühte. Als ihm das nicht gelang, wurde er unruhig, versuchte sich aufzurichten, stöhnte und rief: »Eugenia – Eugenia –«

»Ich bin hier, Papa. Was willst du?« Sie griff nach seiner Hand. »Es ist so dunkel, Eugenia«, murmelte er zusammensinkend mit einer Stimme, der man es deutlich anmerkte, wie widerwillig die Zunge dem Sprecher gehorchte.

»Es ist ja Nacht, Papa.«

Diese Auskunft schien ihn zu verwundern, beruhigte ihn aber gleichzeitig auch allmählich. »Nacht –«, murmelte er. Dann klang es von seinen Lippen: »Das System, Eugenia – ich verstehe nicht –«, er rieb sich über die Stirn hin, »ich habe doch nach dem System gespielt. – Habe ich denn nicht gewonnen?«

»Du warst im besten Zuge, Papa, als du unwohl wurdest und aus dem Kasino fort mußtest. Wenn du wieder gesund bist, spielst du weiter und gewinnst, aber nun schlafe, schlafe!«

Der Kranke dachte immer einige Zeit über das nach, was er hörte, und das Begreifen machte ihm sichtlich große Schwierigkeiten. »Das System«, lallte er mehrmals. Er machte krampfhafte Anstrengungen, sich aufzurichten und seine Lider emporzuheben. »Ich will spielen, Eugenia – Ich habe keine Zeit, weißt du – die armen Leute! – Wenn ich nun stürbe! – Wenn ich gewonnen habe, zeige mir das Geld! – Ich habe ja gar nicht gewonnen – du lügst. – Das System – ah – ah –.« Er rang nach Luft, seine zitternden Finger rissen vorn an seinem Halse, als fürchtete er zu ersticken, Schweiß perlte von seiner Stirn.

Eugenia sah sich in hilfloser Angst nach Harro um, der bisher regungslos hinter ihrem Sessel gestanden hatte. Jetzt trat er heran und sagte: »Sie haben gar nicht mehr nötig, die Richtigkeit Ihres Systems zu erproben, Fürst! Sie ist über allen Zweifel sichergestellt. Ich habe damit gewonnen.«

Der Kranke lauschte wie fasziniert auf diese Stimme, die er anfangs nicht zu erkennen schien, bis ein allmähliches Verstehen in seinen Zügen aufdämmerte und ein freudiger Glanz das verwitterte und verzerrte Antlitz überstrahlte. »Harro von Detten«, murmelte er. Und dann fragenden Tones: »Sie? Sie haben gewonnen? Mit meinem System?«

»Ja, als Sie vom Spieltisch fort mußten, weil eine Ohnmacht Sie befallen hatte, stand ich gerade hinter Ihnen und griff nach Ihren Papieren, die Sie zurückließen, um sie nicht in fremde Hände fallen zu lassen. Da sah ich, daß ein System darauf ausgearbeitet war, das mich sofort frappierte. Ich setzte mich auf den von Ihnen verlassenen Stuhl, ich pointierte mit dem Gelde, das von Ihrem Gewinnst noch neben meinem Platz lag – immer genau nach Ihrem System – und gewann weiter. Eine unglaubliche Veine! Ich wurde zum Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit, des Neides und der Nacheiferung. Schlag auf Schlag entschied für mich. Nach Ablauf einer Stunde mußte der Croupier den Auftrag erteilen, neues Geld für seine Kasse heranzuschaffen, sein Vorrat war in meine Hände übergegangen, die Bank war gesprengt!«

Ein jauchzendes Lallen brach von den Lippen des Greises, der, sich mühevoll vorbeugend, mit angestrengter Aufmerksamkeit gelauscht hatte. Nun sank er zurück, ein unbeschreibbar friedliches und seliges Lächeln um die Lippen. »Gesiegt«, murmelte er, »gesiegt!« Eugenia war in plötzlich erwachender Angst an dem Sessel niedergekniet und hatte dem Greis ihre beiden Arme um die Knie geschlungen, um ihr Haupt daran zu lehnen. Er legte ihr die Hand aufs Haar und murmelte immer wieder:

»Gesiegt – mein System – mein System –.« Das Haupt sank ihm immer schwerer nach der gelähmten linken Körperseite, aber immer friedvoller wurde der Ausdruck seiner Züge. »Und nun, Fürst Caraffa«, klang da Harros Stimme, »nun bitte ich Sie um die Hand Ihrer Tochter Eugenia. Sie werden dem Manne, dem sie sich zu eigen geben will, gewähren, daß er den Makel, der nach Ihren Ehrbegriffen auf dem stolzen Namen Caraffa haftet, tilgt und denen, die einst durch Sie, ohne Ihr Verschulden, einen Teil ihrer Habe einbüßten, Ersatz und Entschädigung leistet. Ich erbitte das Recht dazu von Ihnen, Fürst. Die Mittel haben Sie – hat Ihr System mir dazu gewährt. Sie dürfen sich sagen, daß Sie die Aufgabe Ihres Lebens gelöst haben.«

Der Greis konnte sich vor tiefster, innerer Bewegung nicht fassen, und die Zunge verweigerte ihm infolgedessen vollends den Dienst. Seine Hand griff bald nach der Harros, bald nach seiner eigenen Kehle, die ihm wie zugeschnürt vorkommen mochte. Er stammelte etwas, das niemand verstand, er schluchzte und ein Krampf rüttelte in seinen Gliedern. Die bläuliche Röte seines Antlitzes machte plötzlich einer fahlen Blässe Platz, und nun, mit einem Male, konnte er sprechen – langsam, wie tastend, aber man verstand ihn. Und was er in seinen Worten nicht ausdrücken konnte, schienen seine zitternden Finger zu sagen, die bald über Harros, bald über Eugenias Kopf hinglitten, die beide jetzt aneinander geschmiegt sich vor ihm herabgebeugt hatten. In Zwischenräumen klang es an ihrer beider Ohren: »Glücklich sein – kein Makel mehr auf dem Namen der Caraffa – Dank – das System – das System – erlöst – vollbracht –«

Die Hand, die auf Eugenias seidenweichem Haar ruhte, wurde merkwürdig schwer, sie regte sich nicht mehr. Der Kopf des Greises sank zur Seite. Eugenia blickte entsetzt auf. »Harro!« schrie sie auf.

Harro hatte sich erhoben. Er beugte sich über den regungslos Daliegenden herab, er legte ihm die Hand erst auf die Stirn, dann aufs Herz. »Vollbracht!« murmelte er und zog Eugenia sanft empor.

»Um Gottes willen, den Arzt, Harro, den Arzt!« stieß sie aus.

»Er kommt zu spät«, erwiderte er leise. »Aber wie du willst.« Er zog die Klingel.

Als der sofort herbeigestürzte Hausknecht gegangen war, den Arzt zu holen, hob Harro den zusammengebrochenen Körper mit beiden Armen auf, um ihn bequem zu betten. Noch einmal legte Harro sein Ohr an die Stelle, wo das Herz dieses Greises bis zur letzten Stunde für das eine höchste Lebensziel in immer gleichem Verlangen geschlagen hatte – nein, es klopfte nicht mehr. Kampflos, schmerzlos und ahnungslos war er hinübergegangen.

Mit leisen Worten sprach Harro auf Eugenia ein, während er die Weinende in seinen Armen hielt. »Gönne ihm seine Ruhe!« sagte er, »störe ihm seinen Frieden nicht! Und von Stund' an laß mich dir Vater und Bruder und Geliebter sein – alles zugleich. Darf ich's, Geliebte?«

Sie warf sich ihm schluchzend an die Brust.

Als der Arzt kam, konnte er nur den vor einer Viertelstunde eingetretenen Tod des Fürsten konstatieren. Es war inzwischen das erste Morgengrauen aufgedämmert, und er machte sich gleich daran, die nötigen Verordnungen zu treffen, um die vorschriftsmäßige Überführung der Leiche in die Totenkapelle zu veranlassen, als plötzlich das unterirdische Rollen und Donnern, von Osten her den meilenlangen Mittelmeerstrand in Sekundenschnelle durchstürmend, das Haus in allen Fugen erzittern machte, die Fenster erklirren und die Möbel sich schwankend bewegen ließ.

Einen Moment hindurch sahen sich die drei Menschen im Gemach mit großen, entsetzten Augen an, ihre Gesichter waren wie entgeistert. Keiner konnte sprechen. Dann war der Arzt zuerst aufgesprungen: »Ein Erdbeben!« stammelte er und machte Miene, davonzustürzen. Erst als dann alles wieder ruhig wurde und keinerlei ernstliche Schäden verursacht zu sein schienen, besann er sich eines Besseren und kehrte an der Schwelle wieder um. »Wie es scheint, sind wir hier nur gestreift worden«, sagte er unsicher, »und der erste Stoß pflegt stets der heftigste zu sein. Danach hätten wir es glücklich genug überstanden und werden mit dem bloßen Schrecken davonkommen. Aber wie mag es anderswo gewütet haben! Das war kein bloßer Erdstoß, wie wir ihn manchmal im Hochsommer hier erleben, sondern ein echtes Erdbeben, wie es seit einem Menschenalter nicht mehr vorgekommen ist. Haben Sie das Brechen und Knattern in der Tiefe gehört? Das klang, als wollte es Häuser verschlingen. Ich glaube, wir werden Gott danken können, diese Katastrophe gerade in Monte Carlo erlebt zu haben. Wir haben hier Felsboden, kein angeschwemmtes Land. Und übrigens« – er lächelte schon wieder – »im Bannkreis des Kasinos hat man eben immer Glück, das war nicht anders zu erwarten.« Und er schrieb seine Anweisungen zu Ende. Harro war aufgefahren. »Margot ist ganz allein«, murmelte er. »Wie mag es in Nizza aussehen? Ich werde fort müssen.«

Eugenia nickte. »Ich bitte dich sogar darum, Harro. Geh' zu Margot! Und wenn es sein kann, komm mit ihr zurück zu mir. Leb' wohl! Hab' Dank.« Sie drückte seine beiden Hände und küßte ihn. Dann schloß sich die Tür des Nebengemachs hinter ihr.

Harro unterredete sich noch ein paar Augenblicke mit dem Arzt, dann stürmte er ins Freie. Er sah überall aufgeregt schwatzende Gruppen beieinander stehen, aber ein angerichteter Schaden zeigte sich nirgends an den Häusern. »Que voulez-vous?« hörte er lachend sagen, »heute mittag um zwölf Uhr wird die Spielbank eröffnet werden wie alle Tage! Und das andere ist Nebensache.« Auf dem nächsten Halteplatz nahm er einen Wagen und fuhr davon.


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