Torquato Tasso
Das befreite Jerusalem
Torquato Tasso

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Neunzehnter Gesang.

 
1.
                  Schon machten Tod, Erwägung oder Grauen
Die Mauern leer von Heiden überall;
Und nur Argant mit trotzigem Vertrauen
Weicht immer nicht vom schon erstürmten Wall.
Furchtlose Kühnheit läßt sein Antlitz schauen;
Noch kämpft er fort, umwogt vom Feindesschwall.
Mehr als zu sterben, fürchtet er zu weichen
Und will auch sterbend nicht Besiegten gleichen.
 
2.
Doch zu den andern, die mit ihm sich schlagen,
Kommt nun Tankred und greift mit Macht ihn an.
Ihn kennt Argant an Rüstung, Gang, Betragen
Als den, der ihn bekämpft auf freiem Plan
Und Rückkehr ihm versprochen nach sechs Tagen
Und dennoch nicht, was er gelobt, gethan.
Drum schreit er: So, Tankred, thust du dem Rechte
Des Schwurs genug? So kommst du zum Gefechte?
 
3.
Spät kommst du, nicht allein; doch nicht entbinde
Ich mich des Schwurs, und Kampf ist mein Begehr,
Obwohl ich hier dich nicht als Ritter finde;
Denn als Geschützerfinder kommst du her.
Mach jetzt die Deinen dir zum Schild, erfinde
Dir neues Werkzeug, ungewohnte Wehr:
Doch sollst du dich dem Tod von meinen Händen,
O tapfrer Weibermörder! nicht entwenden.
 
4.
Mit Lächeln, doch entflammt von Zornesgluten,
Erwidert stolz Tankred dies freche Schrein:
Spät komm' ich, ja; doch darf ich wohl vermuten,
Ich werde bald dir nur zu eilig sein.
Bald wünschest du, es würfen Meeresfluten
Und Bergeshöhn sich zwischen uns hinein;
Und daß die Wiederkehr nicht ward verschoben
Durch Furcht und Feigheit, sollst du rasch erproben.
 
5.
Komm denn herab, komm mit mir auf die Seite,
Du Helden-, Riesentöter; komm heran!
Der Weibermörder ruft dich auf zum Streite.
So spricht Tankred, und seiner Schar sodann
Gebeut er, daß sie nicht ihn mehr bestreite:
Laßt ab mit eurem Schwert von diesem Mann!
Denn er ist mehr mein Feind, als Feind von allen;
Auch bin ich ihm durch alte Schuld verfallen.
 
6.
Du magst allein, du magst begleitet kommen,
Versetzt Argant; nimm deinen Vorteil wahr.
Mag dir Gewühl, mag Einsamkeit dir frommen;
Mich trennt von dir nicht Nachteil noch Gefahr.
So wird der Kampf geboten und genommen,
Einträchtig geht hinab das wilde Paar,
Mit ihm der Haß; und selbst im Kampfgefilde
Macht jetzt der Grimm den Feind zum Feindesschilde.
 
7.
Groß ist die Ehrbegier, groß nach des rauhen
Cirkassers Blut die Sehnsucht in Tankred;
Nie glaubt er seinen Durst gestillt zu schauen,
Wenn nur ein einz'ger Tropfen ihm entgeht.
Er deckt ihn mit dem Schild, und: Nicht gehauen!
Gebeut er dem, den er von fern erspäht,
Und weiß dem Feinde sichre Bahn zu schaffen
Hin durch der Freund' erzürnte Siegerwaffen.
 
8.
Die Stadt verlassend ziehn sie mit geschwinden,
Rastlosen Schritten an den Zelten fort,
So lange bis durch tausend Schlangenwinden
Ihr Pfad sie führt zu abgelegnem Ort,
Wo sie ein Thal voll düstrer Schatten finden,
Von Hügeln dicht umringt, als wäre dort
Vielleicht ein Schauplatz, oder man gedächte
Dort Jagden anzustellen und Gefechte.
 
9.
Hier stehn sie beide still; doch wie im Schwanken
Kehrt sich Argant zu jener Stadt voll Harm.
Schildlos sieht ihn Tankred, und ohne Wanken
Wirft er sogleich auch seinen Schild vom Arm.
Dann fragt er ihn: Was stehst du in Gedanken?
Macht dir vielleicht die letzte Stunde warm?
Hat diese Sorge jetzt dich eingenommen,
So ist die Furcht zur Unzeit dir gekommen.
 
10.
Argant versetzt: Ich denke dieser alten,
Berühmten Stadt, Judäas Königin,
Die jetzt erliegt, obwohl ich sie zu halten
So lange schon umsonst geschäftig bin;
Dann daß mich Gott bestimmt, dein Haupt zu spalten,
Ist meiner Rach' ein ärmlicher Gewinn.
Er schweigt; mit Vorsicht schreiten sie zum Werke,
Denn jeder kennt nun schon des andern Stärke.
 
11.
Leicht ist Tankred und schnell, wie mit Gefieder
Sein Fuß versehn, gelenkig seine Hand;
Doch übertrifft an Größ' und an der Glieder
Gedrungner Kraft bei weitem ihn Argant.
Tankred zieht sich zusammen, beugt sich nieder
Und unterläuft den Feind rasch und gewandt,
Fängt auf mit seinem Schwert das Schwert des Heiden
Und weiß geschickt die Hiebe zu vermeiden.
 
12.
Argant, ihm gleich an Kunst, an Art entgegen,
Grad' aufgerichtet läßt, so weit er kann,
Den großen Arm sich immer vorwärts legen
Und sucht das Eisen nicht, er sucht den Mann.
Wie jener allzeit späht nach neuen Wegen,
Lenkt dieser stets sein Schwert zum Antlitz an,
Und drohend wacht er, daß der Feind verstohlen
Nicht möge nahn und plötzlich überholen.
 
13.
So kämpfen wohl auf ebner Meeresweite,
Da weder Süd noch Ost aufregt die Flut,
Zwei Schiff' ungleicher Art in gleichem Streite,
Kommt Größe dem, und Schnelle dem zu gut.
Dies dreht und wendet sich von Seit' auf Seite,
Greift vorn und hinten an; doch jenes ruht,
Und wann das leichtre Schiff zu dreist geworden,
Droht's ihm mit tiefem Sturz von hohen Borden.
 
14.
Indem Tankred eindringt mit zu viel Hitze,
Das Schwert abwendend, das er vor sich sieht,
Schwingt rasch Argant den Stahl und führt die Spitze
Aufs Aug' ihm zu, daß er zurück sich zieht.
Nun haut der Heide zu und, schnell wie Blitze,
Eh' jener völlig seinem Schwert entflieht,
Trifft er die Seit' und ruft, da dies gelungen:
Der Fechter ist durch Fechterkunst bezwungen!
 
15.
Tankred, dem Zorn und Scham das Herz zerstechen,
Schlägt nun die alte Vorsicht aus dem Sinn
Und hält – so mächtig drängt's ihn, sich zu rächen –
Schon für Verlust des spätern Siegs Gewinn.
Nur mit dem Schwert antwortet er dem Frechen
Und lenkt es zum Visier des Feindes hin.
Argant wehrt ab; allein entschloßner Dinge
Kommt schon Tankred bis auf die halbe Klinge.
 
16.
Schnell tritt er vor mit seinem linken Fuße,
Die Linke packt den rechten Arm mit Macht,
Indes das Schwert der Rechten sonder Muße
Die rechte Seit' ihm greulich bluten macht.
Dem Sieger, spricht er, wird zum Gegengruße
Dies vom besiegten Fechter dargebracht.
Der Heide knirscht; doch alles Drehn und Rütteln
Kann nicht die Hand von seinem Arme schütteln.
 
17.
Am Ende läßt er hangen an der Kette
Sein gutes Schwert und packt den Welschen an.
Dasselbe thut Tankred, und in die Wette
Drängt machtvoll und umschlingt der Mann den Mann.
Nicht kräft'ger hob vom heißen Sandesbette
Alcides einst den Riesen himmelan,
Als diese jetzt in fest verschränkten Ringen
Mit nerv'gem Arm sich wechselweis' umschlingen.
 
18.
Das Paar, sich drehend, rüttelnd bis zum Wanken,
Drückt mit der Seit' in einem Nu den Sand.
Argant hat – sei's der Kunst, dem Glück zu danken –
Die rechte frei, gepreßt die linke Hand;
Allein der Arm, der nötigste dem Franken
Im Kampfe, liegt ihm unten festgebannt.
Drum, daß er nicht durch Fahr und Nachteil büße,
Macht er sich los und springt auf seine Füße.
 
19.
Argant kommt später auf; ihn trifft von oben
Ein mächt'ger Hieb, eh' er sich ganz erhebt.
Doch wie die Fichte, wenn des Ostwinds Toben
Sie auch gebeugt, gleich in die Höhe strebt,
So hat auch ihn schon seine Kraft erhoben,
Da die Gefahr am nächsten ihn umschwebt.
Von neuem nun wird einzuhaun begonnen,
Und, was die Kunst verliert, durch Wut gewonnen.
 
20.
Des Franken Blut entfließt auf manchem Wege,
Doch dem Argant entströmt gewalt'ge Flut.
Mit seiner Kraft wird auch der Grimm schon träge,
Wie, wann ihr Nahrung fehlt, der Flamme Glut.
Schon sieht Tankred, wie immer mattre Schläge
Der Arm vollführt, entkräftet, ohne Blut;
Sein edles Herz entäußert sich vom Grimme,
Er tritt zurück und spricht mit sanfter Stimme:
 
21.
Ergib dich, tapfrer Held; erkenne heute
Mich oder Glück als Sieger im Gefecht;
Denn nicht Triumph begehr' ich oder Beute,
Noch wahr' ich mir auf dich ein einzig Recht. –
Furchtbarer nun als je weckt' und erneute
Argant die ganze Wutkraft ungeschwächt.
Er rief: Du prahlst, als sei der Sieg dir eigen?
Zu prüfen wagst du den Argant als Feigen?
 
22.
Gebrauche nur dein Glück; nichts schafft mir Bangen,
Und ungestraft bleibt deine Thorheit nicht. –
Der Fackel gleich, die, eh' sie ausgegangen,
Auflodert und erlischt mit hellerm Licht,
Ersetzt Argant durch Grimm und Rachverlangen,
Was ihm an Blut und Gliederkraft gebricht,
Und will die nahe Stunde des Verderbens
Verklären durch den Glanz ruhmwürd'gen Sterbens.
 
23.
Mit beiden Händen, jetzt zum Haun verbunden,
Senkt er das Schwert mit doppelter Gewalt,
Schlägt fort den Stahl, den er im Weg gefunden,
Haut in die Schulter, fährt ohn' Aufenthalt
Von Ripp' auf Rippe so, daß vielen Wunden
Nach einem Schlag des Franken Blut entwallt.
Bangt nicht Tankred, so schuf Natur nicht bänglich
Sein kühnes Herz, dem Zagen unzugänglich.
 
24.
Zum zweitenmal haut nun der Heide wieder,
Doch Zorn und Kräfte sind umsonst verwandt;
Denn aufmerksam entzieht Tankred die Glieder
Dem mächt'gen Hieb und weicht schnell und gewandt.
Du fielst, Argant, durch eigne Schwerkraft nieder
Auf dein Gesicht, und jede Rettung schwand;
Du fielst durch dich, noch glücklich über alles,
Daß keiner sonst den Ruhm hat deines Falles.
 
25.
Die Wunden öffnen durch des Falls Beschwerde
Sich weiter noch; wild strömt das Blut hervor.
Er stemmt die Link' und hebt noch mit Gebärde
Des Widerkampfs sich auf das Knie empor.
Ergib' dich! ruft Tankred; und ohne Fährde
Schlägt er ihm huldreich neuen Frieden vor.
Doch tückisch stößt Argant des Schwertes Spitze
Ihm in die Fers' und droht mit toller Hitze.
 
26.
Da kann Tankred dem Zorn nicht widerstreben:
So, ruft er, lohnst du mein Erbarmen mir?
Er säumt nicht länger, ihm den Tod zu geben,
Und stößt das Schwert ihm zweimal durchs Visier.
Argant verschied; sein Tod war wie sein Leben,
Und sterbend droht er noch voll Rachbegier.
Ergrimmung, Furchtbarkeit und stolzes Höhnen
Sprach aus dem letzten Blick, den letzten Tönen.
 
27.
Nun steckt Tankred das Schwert an seine Seite
Und danket Gott, der ihm Triumph erlaubt.
Doch aller Kraft nach diesem blut'gen Streite
Fühlt sich der Sieger durch den Sieg beraubt,
So daß er kaum für solches Weges Weite
Die wen'ge Stärke noch genügend glaubt.
Doch bricht er auf und schleppt auf vor'gem Wege
Die matten Schritte fort langsam und träge.
 
28.
Er bringt nicht weit die kraftberaubten Glieder,
Und durch den Zwang tritt Schwachheit mehr hervor;
Drum setzt er sich und senkt die Wange nieder
Auf seine Hand, sie selbst ein schwankend Rohr.
Was er gewahrt, kreist vor ihm hin und wieder,
Und schon verhüllt den Tag ein dunkler Flor.
Besinnung weicht, und schwer ist zu erkennen,
Wer Sieger jetzt und wer besiegt zu nennen.
 
29.
Indes im Einzelkampf sich aufzureiben
Der Helden Haß entbrennt zu heißer Glut,
Verfolgt der Sieger Grimm mit wildem Treiben
Durch die erstürmte Stadt die schuld'ge Brut.
O wer vermag den Anblick zu beschreiben?
Wer stellt dies Rasen, diese tolle Wut
Mit Zügen dar? Wer kann in Wort und Bildern
Dies gräßlich jammervolle Schauspiel schildern?
 
30.
Graun überall! Rings stellen wild erhaben
Sich Haufen, Berge sich von Leibern dar;
Auf Toten Wunde; Sieche, schon begraben
Von unbegrabner Toten dichter Schar.
Hier bange Mütter fliehend, ihre Knaben
Ans Herz gedrückt, mit wild zerstreutem Haar;
Dort raubbeladne Plündrer, mit Frohlocken
Jungfrauen nach sich schleppend bei den Locken.
 
31.
Doch an den Hügeln, die gen Westen schauen,
Wo man gewahrt den Tempel hoch und hehr,
Dort rennt mit Blut bedeckt, gefolgt von Grauen,
Der Held Rinald und jagt der Heiden Heer.
Der Edelmüt'ge läßt sein Schwert nur hauen,
Wo ein bewaffnet Haupt sich stellt zur Wehr.
Kein Helm, kein Schild, der Sicherheit verschaffe!
Wehrlosigkeit ist hier die einz'ge Waffe.
 
32.
Nur gegen Eisen braucht der Held das Eisen,
Und er verschmäht der Waffenlosen Mord;
Die nicht mit Stahl, mit Mut bewehrt sich weisen,
Jagt schon der Blick, die Donnerstimme fort.
Er strebt nur nach des Ruhmes höchsten Preisen,
Verachtet hier, droht da und tötet dort.
Ungleich gefährdet fliehn vor seinem Schwerte
Mit gleicher Hast Bewehrt' und Unbewehrte.
 
33.
Vorhin schon samt der waffenlosen Bande
Schloß sich der Kühnsten nicht geringer Zug
Im Tempel ein, der noch trotz manchem Brande
Und manchem Bau des Stifters Namen trug,
Des Salomo. Er war im frühern Stande
An Zedern, Gold und Marmor reich genug;
Jetzt minder prächtig zwar, doch wider Stürme
Beschützt durch Eisenthor' und hohe Türme.
 
34.
Als nun der große Held im Kampfestoben
Hierher gelangt zum weiten, hohen Bau,
Sieht er die Pforten rings versperrt, und droben
Die Zinne beut viel Wehrgerät zur Schau.
Er hebt den grausen Blick; zweimal von oben
Bis auf den Grund durchspäht er ihn genau,
Wo Eingang sei; und zweimal gleicherweise
Umrennt er ihn mit flücht'ger Sohl' im Kreise.
 
35.
Wie wann ein Räuberwolf in nächt'ger Stunde
Um wohl verschloßne Hürden streift und spürt,
Und ihm des Hungers Qual bei trocknem Schlunde
Den angebornen Haß noch reizt und schürt,
So späht Rinald, ob zu des Tempels Runde
Kein Eingang, eben oder steil, ihn führt.
Am Ende bleibt er stehn, und auf der Zinne
Harrt alles ängstlich, daß der Sturm beginne.
 
36.
Beiseite lag – wozu man hier am Orte
Ihn auch bewahrt – ein ungeheurer Ast;
Kein Schiff, das jemals aus dem reichen Porte
Liguriens lief, trug einen stärkern Mast.
Den packt Rinald und trägt ihn nach der Pforte
Mit jener Hand, der leicht ist jede Last.
Er legt den Balken ein gleich einem Speere
Und rennt hinan mit ganzer Stärk' und Schwere.
 
37.
Nicht hält der Marmor aus, nicht die Metalle
Den harten Stoß, des Wiederstoßes Macht.
Die Angeln springen ab mit lautem Schalle,
Der Riegel bricht, die Pforte stürzt und kracht.
So wirkt kein Widder am bestürmten Walle,
So kein Geschütz, laut donnernd in der Schlacht.
Schnell durch die Oeffnung strömt die Schar der Krieger,
Gleich einer Wasserflut, und folgt dem Sieger.
 
38.
Vom Mordgemetzel rinnt das Blut in Bächen
Durch jenes hohe Haus, einst Gottes Haus.
Gerechtigkeit, je länger du die Frechen
Zu strafen säumst, je schwerer brichst du aus!
Verborgen weckst du selbst, um dich zu rächen,
In mild geschaffnen Herzen Wut und Graus;
Und waschen muß mit seines Blutes Welle
Der Heide jetzt die oft entweihte Stelle.
 
39.
Indes hat Soliman, der mannlich-feste,
Zum großen Turme Davids sich gewandt.
Hier sammelt er der Scharen Ueberreste,
Und jeder Zugang wird dem Feind verrannt.
Auch Aladin eilt nun zu dieser Feste,
Und jener spricht, sobald er ihn erkannt:
Komm, edler König, komm und schütze droben
Auf fester Burg dich vor des Sturmes Toben.
 
40.
Dort findest du vor wilder Schwerter Schauern
Der Wohlfahrt und des Reiches sichre Wehr.
Weh, ruft der König, weh, daß diese Mauern
Zu Grunde gehn durch der Barbaren Heer;
Nicht länger wird mein Reich, mein Leben dauern;
Gelebt, geherrscht! Nicht leb' und herrsch' ich mehr.
Wir waren, sprich! Uns alle reißt zu Grunde
Der letzte Tag, die unwendbare Stunde.
 
41.
Doch voll Verdruß gibt Soliman ihm wieder:
Wohin, o Herr, entschwand dein alter Mut?
Stürz' auch das Schicksal unsre Throne nieder,
Uns bleibt der Fürstenwert, der in uns ruht.
Erhole jetzt die vielgequälten Glieder
Von aller Mühsal dort in sichrer Hut.
Er spricht's, und durch die wohlbewachte Pforte
Führt er den König ein zum festen Orte.
 
42.
Die Eisenkeul' ergreift er nimmer träge
Mit jeder Faust; das Schwert wird eingesteckt.
So steht der kühne Mann am engen Wege,
Den er mit Macht vor Feindesangriff deckt.
Wohl waren tödlich die gewalt'gen Schläge,
Und wer nicht umkommt, wird doch hingestreckt.
Schon fliehen alle fort mit Angstgeheule
Beim ersten Nahn der fürchterlichen Keule.
 
43.
Da sieh! von einer tapfern Schar begleitet
Zieht Raimund von Toulouse kühn heran.
Der Alte naht dem Schreckensort und schreitet
Trotz den gewalt'gen Streichen dicht hinan.
Er haut zuerst, allein die Klinge gleitet;
Doch nicht vergebens haut ihn Soliman.
Er trifft die Stirn, und nieder stürzt der Arme
Rücklings, bleich, schlotternd, mit gespreizten Armen.
 
44.
Nun endlich kehrt in die Besiegten wieder
Der Mut zurück, der längst von hinnen schied;
Und von den Siegern stürzt ein Teil danieder
Am Thor der Burg, indes der andre flieht.
Doch Soliman, der die erstarrten Glieder
Des Grafen jetzt zu seinen Füßen sieht,
Ruft seinen Ritter zu: Tragt in die Schranken
Und nehmt gefangen dieses Haupt der Franken!
 
45.
Sie nahen sich, den Auftrag zu vollbringen,
Doch sehn sie bald, es wird so leicht nicht sein;
Denn alle Krieger des Gefallnen dringen
Zum Schutz heran in mutigem Verein.
Unbänd'ge Wut und treue Liebe ringen
In wildem Kampf; auch ist ihr Ziel nicht klein.
Freiheit und Leben solches Haupts der Scharen
Will man hier rauben, will man dort bewahren.
 
46.
Doch hätte Soliman von Zorn durchdrungen
Am Ende wohl die Rachbegier gestillt;
Denn wo er seiner Keule Kraft geschwungen,
Da hilft kein starker Helm, kein Doppelschild,
Wär' ihm nicht neuer Widerstand entsprungen.
Von zweien Seiten naht sich rasch und wild
Zu gleicher Zeit ein drohend Ungewitter:
Der Oberfeldherr und der große Ritter.
 
47.
Gleichwie ein Hirt, wann ihn die Winde schrecken,
Des Donners Hall, der roten Blitze Glut,
Und tausend Wolken ihm den Tag verstecken,
Die Herde wegtreibt von der offnen Hut,
Um irgend einen Schutzort zu entdecken,
Wo er sie sichre vor des Himmels Wut,
Und mit Geschrei und mit dem Stab sie leitet,
Und hinter allen als der letzte schreitet,
 
48.
So treibt der Heidenfürst, vom Ueberfalle
Des unwendbaren Sturms belehrt sofort,
Da rings der Himmel dröhnt vom grausen Schalle,
Und Waffen ziehn heran von da und dort,
Als Wächter vor sich her die Scharen alle
Zum großen Turm und bleibt zuletzt am Ort.
Er geht zuletzt und weichet den Gefahren
So, daß sich Mut und Vorsicht offenbaren.
 
49.
Doch kaum mit Not ist er hineingegangen
Und schließt das Thor mit großer Mühe nur;
Denn schon erscheint Rinald, bricht sonder Bangen
Die Schranken durch und sucht des Sultans Spur.
Den zu besiegen, treibt ihn sein Verlangen,
Dem keiner gleicht; auch spornet ihn sein Schwur.
Denn nicht vergaß er, daß er jüngst geschworen,
Den Mörder Suenos rächend zu durchbohren.
 
50.
Wohl hätte gleich an die unnehmbarn Zinnen
Die nie bezwungne Rechte sich getraut,
So daß vielleicht der Sultan selbst da drinnen
Nicht Schutz vor seinem Schickungsfeinde schaut,
Doch Gottfried heißt den Rückzug jetzt beginnen,
Weil Dunkel schon den Horizont umgraut.
Er wählt die Stadt zur Wohnung und will sorgen,
Den Angriff zu erneun am neuen Morgen.
 
51.
Zu seinem Volke spricht er froh und heiter:
Begünstigt hat der Herr die Christen sehr.
Das Hauptwerk ist geschehn; nur wenig weiter
Bleibt uns zu thun und nichts zu fürchten mehr.
Den Turm, der Heiden letzte Hoffnungscheiter,
Bestürme morgen unser ganzes Heer.
Jetzt treibe Mitleid euch zu andern Werken,
Die Schwachen, die Verwundeten zu stärken.
 
52.
Geht, pfleget derer, die mit blut'gen Wunden
Erringen uns dies Vaterland gewollt;
Dies ziemet mehr den Kämpfern, die verbunden
Mit Christus sind, als Durst nach Rach' und Sold.
Zu viel, zu viel ward heut des Mords gefunden,
Zu viel bei manchen der Begier nach Gold.
Doch nicht mehr soll man plündern, nicht mehr rasen;
Dies sei verkündet bei Drommetenblasen.
 
53.
Er schweigt und geht, um seinen Freund zu schauen,
In dem der Wunde Schmerz noch heftig glüht.
Doch auch der Sultan spricht nun mit Vertrauen
Und drängt den Schmerz zurück in sein Gemüt:
Bleibt unbesiegt, Gefährten, trotz der rauhen
Abkehr des Glücks, solange Hoffnung blüht;
Denn mit dem Schein der Furchtbarkeit beladen,
Doch wahrhaft minder groß ist unser Schaden.
 
54.
Dem Feinde sind nur Mauern untergeben,
Nur niedres Volk; die Stadt bezwang er nicht:
Denn sie besteht in ihres Königs Leben,
In eurer Brust, in eures Arms Gewicht.
Der König lebt, und seine Besten leben;
Dies feste Schloß ist unsre Zuversicht.
Mag auch der Feind die leere Stadt besiegen:
Fruchtloser Sieg! Er wird zuletzt erliegen.
 
55.
Erliegen wird er, mir raubt nichts den Glauben;
Denn dieses Volk, im Glück voll Uebermut,
Wird jeden Raub und Mord sich nun erlauben,
Sich überlassen schändlich schnöder Glut.
Und zwischen Unzucht, zwischen Mord und Rauben
Wird leicht vertilgt die hassenswerte Brut,
Wenn der Aegypter Heer beim frechen Spiele
Sie überfällt; und schon ist's nah dem Ziele.
 
56.
Wir unterdes, wie's uns beliebt, bestreiten
Mit Steinen rings die Hochgebäud' im Ort;
Und alle Wege, die zum Grabe leiten,
Nimmt unser Wurfgeschütz den Feinden fort.
So sucht er Trost den Schwachen zu bereiten
Und weckt den Armen Hoffnung durch sein Wort. –
Indes man hier nun solche Ding' erfahren,
Durchstreift Vafrin zahllos bewehrte Scharen.
 
57.
Bestimmt, im Feindesheer sich umzuschauen,
Zog fort Vafrin, indem die Sonne schwand,
Und ritt allein durch einsam öde Gauen
Bei Nacht dahin, vermummt und unerkannt.
Noch sah er nicht im Ost den Morgen grauen,
Als er sich schon bei Askalon befand;
Und als die Sonne strahlt' im Mittagslichte,
Hatt' er bereits das Lager im Gesichte.
 
58.
Er sieht unzähl'ge Zelt' und drauf die Menge
Der Wimpel, gelb, blau, purpurn überall.
Mißhäll'ger Sprachen hört er solch Gemenge,
So viele Pauken, Hörner, Kriegsmetall
Und der Kamel' und Elefanten Klänge,
Vereinigt mit des Wieherns mut'gem Schall,
Daß er im stillen sagt: In diesen Landen
Sind Asien jetzt und Afrika vorhanden.
 
59.
Er nimmt zuerst die Lage, das Gehege
Von Wall und Graben um die Zelte wahr.
Dann sucht er nicht geheime, krumme Stege,
Noch birgt sich vor des Volkes häuf'ger Schar:
Durchs Hauptthor tritt er ein auf gradem Wege,
Fragt bald, antwortet bald, stets frei und klar;
Und wie in Frag' und Antwort rasch, verschlagen,
Ist er von Ansehn keck und ohne Zagen.
 
60.
Aufmerksam nun durchstreift er Plätz' und Gassen
Und sucht von Zelt zu Zelt sich umzusehn,
Um dort auf Krieger, Ross' und Wehr zu passen
Und Ordnung, Zucht und Namen zu erspähn.
Allein er denkt noch Größres aufzufassen,
Selbst das Geheimste darf ihm nicht entgehn;
Und ihm gelingt's durch schlaues Drehn und Winden
Zugang sogar zum Hauptgezelt zu finden.
 
61.
Er sah umspürend einen Riß im Zelte,
Der Blick und Stimme frei ließ durch die Wand
Und jenen innern Teil dem Aug' erhellte,
Wo das Gemach des Fürsten sich befand;
So daß ein Lauscher, der davor sich stellte,
Leicht die Geheimnisse des Herrn verstand.
Vafrin blickt durch und lauscht hier still verborgen,
Als müss' er für des Zelts Ausbeßrung sorgen.
 
62.
Der Feldherr steht bewaffnet wie zum Streite
Im Purpurmantel, doch des Helmes bar.
Er stützt sich auf den Speer; in ein'ger Weite
Harrt mit dem Helm und Schild ein Knappenpaar.
Ein Mann mit rauhem Blick ist ihm zur Seite,
Groß, stark gebaut, von Ansehn ein Barbar.
Vafrin horcht auf, kein Laut geht ihm verloren,
Denn Gottfrieds Name dringt zu seinen Ohren.
 
63.
Der Feldherr fragt: Und was du übernommen,
Gottfried zu töten, ist es sicher schon?
Ja, spricht der fremde Mann, das ist's vollkommen;
Als Sieger nah' ich oder nie dem Thron.
Ich will zuvor den Mitverschwornen kommen,
Und ich verlange keinen andern Lohn,
Als daß ich in Kairo die Trophäen
Aufrichten mag, mit diesem Wort versehen:
 
64.
Dem Frankenfeldherrn, der in Asien wilde
Verwüstung trieb, nahm Ormond diese Wehr,
Als er sein Leben nahm im Kampfgefilde,
Und hing zum ew'gen Denkmal sie hierher. –
Nicht unbelohnt läßt unsres Königs Milde
Die große That, spricht Emiren nunmehr.
Du wirst gewiß, was du begehrt, erlangen,
Doch auch noch andern, reichen Lohn empfangen.
 
65.
Laß nur die falschen Waffen schnell vollenden,
Denn bald wird der Entscheidungskampf gewagt.
Sie sind bereit, spricht jener. Also enden
Sie das Gespräch, und nichts wird mehr gesagt.
Vafrin erstaunt; doch wie er auch zu wenden
Die wicht'ge Kunde sucht, wie oft er fragt:
Was für Verschwörung? Was für falsche Waffen?
Kein Sinnen kann ihm volles Licht verschaffen.
 
66.
Er geht hinweg, gequält von diesen Sorgen,
Und überläßt sich nicht des Schlafs Gewalt.
Doch als nun jede Fahn' am frühen Morgen
Zum Weiterziehn gelöst im Winde wallt:
Da folgt auch er im Heereszug verborgen
Und macht hernach auch mit den Scharen Halt
Und schleicht von Zelt zu Zelt, ob ihm gelinge
Etwas zu hören, das mehr Licht ihm bringe.
 
67.
Er sucht und sieht Armiden herrlich prunken,
Umringt von ihrer Fraun und Ritter Schar.
Einsam und seufzend in sich selbst versunken
Sitzt sie und sinnt und nimmt nichts andres wahr.
Die Wang' ist auf die weiße Hand gesunken,
Zur Erde schaut der holden Sterne Paar.
Er weiß nicht, ob sie weint; doch wohl sich feuchten
Sieht er ihr Aug' und Perlen in ihm leuchten.
 
68.
Genüber sitzt Adrast, sie starr betrachtend,
Kein Auge wendend und kaum atmend schier;
So hängt er ihr am Angesicht, nur trachtend
Zu weiden seine hungrige Begier.
Doch Tissaphern, bald zürnend und bald schmachtend,
Schaut wechselnd bald nach ihm und bald nach ihr;
Und in dem stets bewegten Antlitz malen
Sich jetzt der Wut und jetzt der Liebe Qualen.
 
69.
Auch Altamor wird hier gewahrt; umfangen
Vom Frauenkreise sitzt er etwas fern
Und läßt nicht frei umschweifen sein Verlangen,
Doch lenkt er schlau den gier'gen Augenstern.
Der Blick schielt nach der Hand, der nach den Wangen;
Manchmal auch späht er nach verborgnerm Kern
Und dringt hinein, wo unvorsicht'ge Hülle
Geheimen Weg entdeckt zur schönsten Fülle.
 
70.
Den Blick beginnt Armida zu erheben,
Und Heitre kehrt zurück auf ihr Gesicht,
Indem durch Wolken, die ihr Aug' umweben,
Dem Blitze gleich ein sanftes Lächeln bricht:
Ich darf mich, spricht sie, nicht dem Schmerz ergeben,
Bedenk' ich, Ritter, was eu'r Mut verspricht;
Denn mich zu rächen ist nun eure Sache,
Und süß ist Zorn in Hoffnung naher Rache.
 
71.
Erheitre, spricht Adrast mit Selbstvertrauen,
Die trübe Stirn und mildre deine Pein;
Denn schleunig soll, von seinem Rumpf gehauen,
Rinaldos Haupt zu deinen Füßen sein.
Doch willst du lieber ihn gefangen schauen,
Soll dir auch das mein Rächerarm verleihn.
So schwör' ich dir. Der andre hört mit Schmerzen,
Doch schweigt er still und nagt sich ab im Herzen.
 
72.
Was aber, spricht sie, wirst du, Herr, mir sagen?
Und kehrt den holden Blick auf Tissaphern.
Ich bin zu träg', um mit ihm wettzujagen,
Spricht er verstellt, und werde nur von fern
Dem furchtbar tapfern Mann zu folgen wagen. –
Und so verletzt er ihn bis auf den Kern.
Da spricht Adrast: Mit Recht thut auf Erreichung
Der Freund Verzicht und scheuet die Vergleichung.
 
73.
Doch jener läßt sein stolzes Haupt sich wiegen
Und spricht: O wäre jetzt mein Wille frei,
Dürft' ich als Herr mit diesem Schwerte kriegen,
Bald würd's erhellen, wer der Trägste sei.
Dem Himmel beb' ich und der Liebe Siegen;
Nicht, Wilder, dir, noch deiner Prahlerei.
Er schweigt. Adrast steht auf, um ihn zu fodern;
Sie aber eilt und hemmt des Streits Entlodern:
 
74.
Warum, o Ritter! nehmt ihr mir die Gaben,
Die ihr geschenkt zu wiederholter Frist?
Ihr seid ja meine Kämpfer, und begraben
In diesem Wort sei jeder wilde Zwist.
Wer zürnt, zürnt mir; ich soll Beleid'gung haben,
Wenn ihr beleidigt, wie ihr beide wißt.
So spricht sie und vereint als Herr und Meister
Hier unterm Eisenjoch unein'ge Geister.
 
75.
Vafrin ist da und horcht mit leisen Ohren,
Merkt sich die Wahrheit und verläßt den Ort,
Um auszuspähn, wozu man sich verschworen;
Doch alles schweigt, und er erfährt kein Wort.
Selbst ungestüme Fragen sind verloren;
Die Schwierigkeit reißt sein Verlangen fort,
Und lieber will er endlich hier erblassen,
Als dies Geheimnis unentschleiert lassen.
 
76.
Wohl tausend Künste hat er aufgeboten
Und tausend Listen schlau genug verwandt;
Doch bleiben Art und Waffen der gedrohten
Verschwörung ihm noch immer unbekannt.
Am Ende nun löst alle Zweifelsknoten –
Was ihm unmöglich blieb – des Zufalls Hand,
So daß ihm deutlich und bestimmt erhellte,
Was für ein Netz man seinem Feldherrn stellte.
 
77.
Er war zum Ritterkreis zurückgegangen,
Der um die feindlich Liebende sich schließt;
Hier hofft er eh'r zum Zwecke zu gelangen,
Weil hier so große Schar zusammenfließt.
Nun sucht er eine Zwiesprach' anzufangen
Mit einem Fräulein, das er sich erkiest.
Er naht sich ihr mit leichtem, freiem Wesen,
Als sei er längst mit ihr vertraut gewesen.
 
78.
Wohl möcht' auch ich, spricht er mit munterm Necken,
Mich einer Schönen zum Verfechter weihn;
Rinaldo oder Gottfried hinzustrecken,
Soll meinem Schwert nur leichte Sache sein.
Begehre nur, kann dies dir Lust erwecken,
Ein feindlich Haupt, und es ist sicher dein.
So fängt er an und denkt mit diesen Dingen
Bald das Gespräch vom Scherz auf Ernst zu bringen.
 
79.
Allein er lacht dabei, und zwar mit Mienen,
Die ihm im Lachen eigentümlich sind.
Ein andres Fräulein war indes erschienen,
Hört und betrachtet ihn und spricht geschwind:
Nur mir allein sollst du als Kämpe dienen
Und nicht bereun, daß du um mich geminnt.
Gewiß, dich rauben will ich einer jeden
Und jetzt mit dir als meinem Ritter reden.
 
80.
Sie führt' ihn fort und sprach mit leisem Laute:
Ich kenne dich, und du auch mich, Vafrin.
Der schlaue Knapp', obwohl ihm herzlich graute,
Versetzte lächelnd, ohne zu verziehn:
Ich wüßte nicht, daß ich dich jemals schaute,
Und du bist wert, den Blick auf dich zu ziehn.
Doch weiß ich dies, daß mit gar anderm Namen,
Als du mir gibst, die Leute mich benamen.
 
81.
Ich stamme von Bisertas sand'gen Weiten;
Mein Vater heißt Lesbin, Almansor ich.
Toscaner, spricht sie, schon von alten Zeiten
Kenn' ich dich ja; verlaß dich ganz auf mich.
Du darfst mir traun; ich will dich freundlich leiten,
Und selbst mein Leben wag' ich gern für dich.
Erminia bin ich, Fürstin einst, doch Sklavin
Tankreds hernach und deine Nebensklavin.
 
82.
Zwei frohe Mond' in meinen süßen Banden
Hast du mit Huld erfüllt des Wächters Pflicht
Und freundlich mir gedient und beigestanden.
Ich bin's, ich bin es selbst; o zweifle nicht!
Vafrin beschaute sie; die Zweifel schwanden,
Und er erkannt' ihr liebliches Gesicht.
Wohl darfst du, fuhr sie fort, mir sicher trauen;
Ich schwör's bei Sonn' und Himmel, die uns schauen!
 
83.
Ja, kehrst du heim – das ist mein einzig Streben –
So bringe mich zurück zur süßen Haft;
Denn in der bittern Freiheit hier entschweben
Mir Tage trüb' und Nächte grausenhaft.
Und hast du wohl auf Kundschaft dich begeben,
So wird dir jetzt ein seltnes Glück verschafft;
Du sollst durch mich Verschwörungen erkunden,
Und was du sonst wohl schwerlich ausgefunden.
 
84.
So redet sie. Er schaut sie an mit Schweigen;
Armidens Trug schwebt warnend ihm hervor.
Ein Weib ist schwatzhaft, Ränke sind ihm eigen;
Bald will's, bald nicht: wer traut, der ist ein Thor.
So sinnt er lang'. Ich will den Weg dir zeigen,
Spricht er zuletzt, hast du zu fliehen vor.
Dies wollen wir einander fest geloben;
Das andre sei auf beßre Zeit verschoben.
 
85.
Sie setzen fest, beginnen soll die Reise
Eh' sich das Heer entfernt von diesem Ort.
Vafrin geht weg; und zu dem andern Kreise
Kehrt sie zurück und bleibt ein Weilchen dort.
Sie scherzt zum Schein und spricht auf muntre Weise
Von ihrem neuen Freund; dann geht sie fort
Und findet jenen an bestimmter Stelle;
Und beide reiten fort in aller Schnelle.
 
86.
Schon waren sie allein und ohne Störung,
Nachdem das letzte Heidenzelt verschwand;
Da sagt Vafrin: Nun gib dem Wunsch Erhörung
Und sprich, wie man dem Feldherrn Netze spannt.
Und das Gewirk der schändlichen Verschwörung
Entwickelt sie ihm jetzt mit sichrer Hand:
Acht Krieger sind's, erzählt sie, und von diesen
Wird Ormond als der Tapferste gepriesen.
 
87.
Die nun –ob Haß, ob Ingrimm sie bewehre –
Verschworen sich, und dies ist ihre List:
Am Tag der Schlacht, da zwei gewalt'ge Heere
Um Asiens Reich auskämpfen ihren Zwist,
Trägt diese Schar nach Frankenart die Wehre,
Bezeichnet mit dem Kreuz; und jeder ist,
Wie Gottfrieds Wache stets sich unterscheidet
Durch Weiß und Gold, in gleiche Tracht gekleidet.
 
88.
Doch jeder trägt auf seinem Helm ein Zeichen,
Das seinem Volk als Heiden ihn entdeckt.
Und wann sich nun die beiden Heer' erreichen
Im Handgemeng', dann werden sie versteckt
Des Helden Brust mit ihrem Stahl umschleichen,
Durch seiner Wache Tracht und Schein gedeckt.
Auch werden sie mit Gift die Schwerter netzen,
Um jede Wund' ihm tödlich zu versetzen.
 
89.
Und weil der Heide wußt', ich müsse kennen
Brauch, Waffen, Oberkleid bei euerm Heer,
Mußt' ich die Tracht und die Bezeichnung nennen
Und ward gepreßt zu Diensten voll Beschwer.
Dies ist der Grund, vom Lager mich zu trennen;
Entfliehen will ich herrischem Begehr.
Denn immer war es Abscheu mir und Schrecken,
Mit irgend einem Trug mich zu beflecken.
 
90.
Dies ist der Grund; doch auch noch andre waren – –
Sie schweigt, und Röte färbt ihr Angesicht.
Ihr Auge sinkt; gern möchte sie bewahren
Das letzte Wort, das sie nur leise spricht.
Allein Vafrin begierig, zu erfahren,
Was sie aus Scham zu sagen unterbricht,
Versetzt: Weshalb, Kleinmüt'ge, noch dich scheuen,
Die wahren Gründe zu gestehn dem Treuen?
 
91.
Ein Seufzer quoll hervor, und zitternd, blöde,
Mit dumpfem Tone sprach sie dieses Wort:
O schlechtbewahrte Scham, unzeit'ge, schnöde,
Entfliehe nun; hier ist für dich kein Ort!
Warum noch bergen willst du, fruchtlos Spröde,
Mit deiner Glut der Liebe Glut hinfort?
Vorhin, da ziemt' Erwägung wohl der Zücht'gen,
Nicht jetzo mehr der Irrenden und Flücht'gen.
 
92.
Dann fuhr sie fort: In jener Nacht, dem Lande,
Das mich gebar und mir so schmerzenreich,
Verlor ich mehr, als schien: doch nicht im Brande
Des Kampfes, erst hernach traf mich der Streich.
Leicht ist des Reichs Verlust; ich, mit dem Stande
Der Fürstlichkeit, verlor mich selbst zugleich,
Verlor, um nie es wieder zu gewinnen,
Mein thörichtes Gemüt mit Herz und Sinnen.
 
93.
Vafrin, du weißt, als ich beim Sturm der Deinen
Sah Raub und Mord durch alle Gassen ziehn,
Da wandt' ich mich an deinen Herrn und meinen,
Der jetzt bewehrt in meinem Schloß erschien,
Und warf mich vor ihn hin und rief mit Weinen:
Siegreicher Held, Schutz, Rettung mir verliehn!
Nicht um mein Leben fleh' ich: deine Güte
Bewahre nur der Jungfrau Ehr' und Blüte.
 
94.
Er aber harrte nicht, bis mein Gestöhne
Geendet sei, und reichte mir die Hand
Und sprach: Dein Schützer will ich sein, o Schöne!
Du hast dich nicht umsonst an mich gewandt.
So sanft, so lieblich klangen seine Töne,
Daß ich sie tief in meiner Brust empfand.
Ein süßes Etwas schlich zum Herzensgrunde
Und ward, ich weiß nicht wie, dort Brand und Wunde.
 
95.
Er sah mich oft und goß mit mildem Streben
Des Trostes Balsam auf mein Leid herab.
In voller Freiheit, sprach er, sollst du leben,
Und schlug von meinen Schätzen alles ab.
Weh mir! Jetzt raubt' er erst, und schien zu geben,
Entriß mich mir, indem er mir mich gab.
Er gab zurück, was leichter zu verschmerzen,
Und nahm für sich das Reich in meinem Herzen.
 
96.
Die Liebe birgt sich schlecht. Oft legt' ich Fragen
Nach ihm dir vor voll sehnlicher Begier.
Du sahst den Wurm an meinem Herzen nagen:
Du liebst, Erminia, sagtest du zu mir.
Zwar leugnet' ich; doch wahrer als mein Sagen
Bezeugten Seufzer meine Liebe dir.
Mein Blick, vielleicht an Mundes Statt, bekannte
Die heiße Glut, die mir im Herzen brannte.
 
97.
Unselig Schweigen! Warum nicht begehrte
Ich damals Arzenei für meine Not,
Wenn ich der Sehnsucht freien Lauf gewährte
Hernach, als keine Hilfe mehr sich bot?
Ich reiste fort mit dem verborgnen Schwerte
In meiner Brust und glaubte nah den Tod.
Doch endlich sucht' ich Mittel, mich zu retten,
Und Liebe sprengt' entzwei der Ehre Ketten;
 
98.
So, daß ich nicht ihm nachzuziehn mich scheute,
Denn heilen konnte mich, der mich verletzt.
Allein von einer Schar hartherz'ger Leute
Ward unterwegs mir grausam nachgesetzt,
Und fast schon war ich der Verfolger Beute;
Doch eine Wildnis schützte mich zuletzt,
Wo ich in stillem, ländlichem Vereine
Als Hirtin lebt' und Bürgerin der Haine.
 
99.
Doch bald erwacht' aufs neue das Verlangen,
Das kurze Zeit durch Furcht bewältigt war;
Noch einmal sucht' ich zu ihm zu gelangen
Und kam aufs neu' in ähnliche Gefahr.
Entfliehen konnt' ich nicht; ich sah mit Bangen
Zu nah, zu schnell die raubbegier'ge Schar.
Aegypt'sche Krieger waren's, die mich fingen
Und dann mit ihrem Raub nach Gaza gingen.
 
100.
Dem Feldherrn ward ich zum Geschenk gegeben
Und überzeugt' ihn bald von meinem Stand.
Man ließ geehrt und ungekränkt mich leben,
Solang' ich bei Armiden mich befand.
So ward ich mehrmals andern untergeben
Und wieder frei; sieh da, was ich bestand!
Doch trotz so mancher Haft, so mancher Rettung
Fühl' ich doch stets der ersten Band' Umkettung.
 
101.
O wenn nur er, der mit so festen Stricken
Mein Herz umschlang, unlösbar jeder Kraft,
Nur er nicht spricht: Hinweg aus meinen Blicken,
Unstätes Mädchen! und mich von sich schafft.
Mög' er vielmehr durch Güte mich erquicken,
Mir wieder aufthun die geliebte Haft!
So spricht Erminia, und auf solche Weise
Verbringen sie bei Tag und Nacht die Reise.
 
102.
Vafrin verläßt die zu betretnen Stege,
Durch kürzern oder sichrern Pfad bestimmt.
Schon nah der Stadt in einem Thalgehege,
Als gegen West die Sonne niederklimmt,
Sehn sie auf einmal Blut auf ihrem Wege
Und einen Krieger, der im Blute schwimmt,
Den ganzen Pfad mit seinem Leibe deckend,
Das Antlitz himmelwärts und tot noch schreckend.
 
103.
Am Waffenschmuck, am fremden Kriegsgewande
Ward kund der Heid', und weiter zog Vafrin.
Ein andrer lag nicht weit davon im Sande,
Des Aeußres bald auffallend ihm erschien.
Er sprach zu sich: Der ist vom Frankenlande.
Bedenklich macht die schwarze Kleidung ihn.
Er springt vom Roß, sein Angesicht zu fragen,
Und ruft: Weh mir! Hier liegt Tankred erschlagen!
 
104.
Die Unglücksel'ge war zurückgeblieben
Und schaute noch den grausen Krieger an,
Als dieser Ton, vom Schmerz hervorgetrieben,
Ihr Herz durchbohrt, wie wenn' ein Pfeil gethan.
Sie sprengt im Flug beim Namen ihres Lieben
Gleich einer Trunknen, Rasenden heran.
Sein bleich Gesicht, die liebliche Gebärde,
Sie sieht's – und steigt nicht, nein, sie stürzt vom Pferde,
 
105.
Und läßt mit Schluchzen und Gestöhn unendlich
Der Thränen Flut auf ihn herniedertaun:
Zu welcher Zeit führt mich ein unabwendlich
Geschick hierher? O Anblick voller Graun!
Nach langer Frist, Tankred, find' ich dich endlich;
Ich schaue dich, und du kannst mich nicht schaun!
Kannst mich nicht schaun, obwohl ich dich umwinde:
Bist ewig mir geraubt, da ich dich finde!
 
106.
Unselige, weh mir! Das dacht' ich immer:
Du meinem Aug' ein Schrecken je einmal?
Und jetzt – o deckte Blindheit mich auf immer,
Daß ich nicht schaute dieses Anblicks Qual!
Weh mir! Wo ist des Auges Flammenschimmer,
So mild und lieblich? Wo sein holder Strahl?
Wohin entfloh der Purpur dieser Wangen?
Wohin entwich der Brauen heitres Prangen?
 
107.
Doch muß mein Herz auch dem Erblichnen frönen.
Geliebter Geist, verweilest du noch hier,
Siehst meine Zähren, hörst mein ängstlich Stöhnen:
Vergib den Raub verwegener Begier!
Ja, kalte Küsse raub' ich noch dem schönen
Erblaßten Mund, hofft' ich auch wärmre mir;
Damit, wann ich die bleichen Lippen küsse,
Der Tod sein Recht zum Teil verlieren müsse.
 
108.
Mitleid'ger Mund, der lebend oft mein Leiden
Getröstet hat durch milden Worts Erguß,
Vergönne mir auch jetzt vor meinem Scheiden
Den letzten Trost in einem süßen Kuß!
Du hättest, war ich einst nicht zu bescheiden,
Gegeben wohl, was ich nun rauben muß.
Laß meinen Mund sich auf dich nieder tauchen
Und meine Seel' in deine Lippen hauchen!
 
109.
Empfange meinen Geist, und von der Schwelle,
Die er betritt, send' ihn dem deinen nach!
Sie spricht's und seufzt, und durch der Augen Quelle
Scheint sie dahin zu fließen wie ein Bach.
Er nun, erweckt von der lebend'gen Welle,
Eröffnet halb die Lippen leis' und schwach;
Er öffnet sie und mischt ein mattes Stöhnen
Geschloßnen Auges zum Geseufz der Schönen.
 
110.
Die Jungfrau hört den leisen Seufzer hallen,
Und milder Trost dringt an ihr Herz hinan.
Sie ruft: Blick' auf, Tankred! Nimm mit Gefallen
Dies Leichenopfer meiner Thränen an!
Ich will mit dir die lange Strecke wallen;
Blick' auf! Ich will mit dir den Tod empfahn.
O sieh mich an! Halt ein im raschen Gange!
Dies ist die letzte Gunst, die ich verlange.
 
111.
Er schlägt die Augen auf und schließt sie wieder,
Matt und verstört; sie klagt aufs neu' ihr Leid.
Noch, spricht Vafrin, liegt er nicht ganz danieder;
Erst helfen wir, zu klagen ist noch Zeit.
Und nun entwaffnet er die matten Glieder,
Wozu auch sie die Hand mit Zittern leiht.
Dann untersucht verständig sie die Wunden
Und hofft zuletzt, er werde noch gesunden.
 
112.
Es war ihr leicht, des Übels Grund zu finden,
Der nur in Kraft- und Blutverlust bestand;
Allein sie hat, die Wunden zu verbinden,
Den Schleier nur hier in so ödem Sand.
Doch Liebe zeigt ihr ungewohnte Binden
Und lehret neue Kunst der frommen Hand.
Sie macht mit ihrem Haar die Wunden trocken
Und braucht als Band die abgeschnittnen Locken;
 
113.
Denn für so viele Wunden zum Verbande
G'nügt bald der kurze, dünne Schleier nicht.
Diptam und Krokus fehlten hier zu Lande,
Doch kennt sie Worte, magisch, voll Gesicht.
Schon wirft er ab des Todesschlummers Bande,
Schon regt er frei der Augen holdes Licht
Und sieht den Knappen und ein Weib zugegen
In fremder Tracht, beschäftigt, ihn zu pflegen.
 
114.
Er fragt: Vafrin, wie bist du hergekommen?
Und wer, mitleid'ge Pflegerin, bist du?
Erminia seufzt, von Freud' und Furcht entglommen,
Und sanftes Rot deckt ihre Wangen zu.
Vor allem, spricht sie, wird dir Kunde kommen;
Jetzt als dein Arzt gebiet' ich Still' und Ruh'.
Denk' auf Belohnung, du genesest wieder:
Dann legt sie auf den Schoß sein Haupt danieder.
 
115.
Jetzt sinnt Vafrin, wie er Tankred beizeiten
Ins Lager bringe, vor Beginn der Nacht;
Und sieh! es kommt ein Trupp daher vom weiten,
Der bald als seines Herrn sich kenntlich macht.
Als jener ging, um mit Argant zu streiten,
Stand dieser Haufen bei ihm in der Schlacht;
Auf sein Gebot war er zurückgeblieben
Und sucht' ihn jetzt, von Sorgen angetrieben.
 
116.
Noch viele gingen aus, nach ihm zu schauen,
Doch ihn zu finden glückt nur dieser Schar.
Sie bieten ihm, um einen Sitz zu bauen,
Die eigenen Arm' als Stütz' und Sessel dar.
Nun spricht Tankred: Bleibt hier auf offnen Auen
Argant, ein Mahl dem Raben und dem Aar?
Ha nein, bei Gott! Nie werd' ich das erlauben,
Nicht ihn des Grabes, noch des Ruhms berauben.
 
117.
Ich kriege nicht mit blutlos stummen Leichen.
Er starb als Held, von keiner Furcht bedroht;
Und wohl gebührt ihm jenes Ehrenzeichen,
Das einz'ge, das uns übrig läßt der Tod. –
So, während viel' ihm ihren Beistand reichen,
Trägt man den Feind ihm nach auf sein Gebot.
Vafrin gesellt der Jungfrau sich als Hüter,
So wie ein Mann bewacht die teursten Güter.
 
118.
Nicht in mein Zelt – wird von Tankred entschieden –
Tragt mich vielmehr zur Königsstadt hinan;
Denn trifft vielleicht, was jeden trifft hienieden,
Mein schwaches Sein, so will ich's dort empfahn.
Der Ort, wo der Unsterbliche verschieden,
Kann wohl erleichtern mir des Himmels Bahn;
Und herrlich wird's die fromme Sehnsucht laben,
Das Ziel der Pilgerschaft erreicht zu haben.
 
119.
Er spricht's; sie tragen ihn zur Stadt und heben
Aufs Lager ihn, wo er in Schlummer fällt.
Vafrin verschafft der Jungfrau gleich daneben
Ein stilles Haus, wie er's für schicklich hält.
Dann eilt er, sich zum Feldherrn zu begeben,
Und alsobald gibt ihm Gehör der Held,
Obwohl er jetzt zum nahen großen Schlage
Entwürf' und Pläne wägt auf ernster Wage.
 
120.
Hier sitzt der Oberfeldherr auf dem Bette,
In welchem Raimund schwach und leidend ruht,
Und ringsumher die glorreich edle Kette
Der Ersten an Verstand und Heldenmut;
Doch keiner, der den Mund geöffnet hätte,
Indes Vafrin dem Feldherrn Meldung thut.
Herr, sprach der Knapp', ich ging, wie du befohlen,
Zum Heidenheer, um Kundschaft einzuholen.
 
121.
Doch fordre nicht, daß ich von diesen Scharen
Dir nennen soll die unzählbare Zahl.
Ich sah bedeckt vom Zuge der Barbaren
Die Ebnen weit umher und Berg und Thal;
Sah nackt das Land, wo sie gelagert waren,
Und trocken Flüss' und Quellen allzumal.
Denn keine Flut, die ihren Durst bezwänge,
Und Syriens Ernte g'nügt nicht solcher Menge.
 
122.
Allein dies Heere, das Fußvolk wie die Reiter,
Ist meistens unnütz und ohn' alle Macht.
Es hält nicht Reih' und Glied, folgt nicht dem Leiter,
Kämpft ohne Schwert von fern nur in der Schlacht.
Nur wen'ge sind erlesne, gute Streiter,
Die Persiens Banner in das Feld gebracht.
Doch muß man die für besser noch erkennen,
Die sich Unsterbliche des Königs nennen.
 
123.
Unsterblich heißt die Schar, weil am Bestande
Der vollen Zahl niemals ein einz'ger fehlt;
Denn leert ein Platz sich in der tapfern Bande,
So wird alsbald ein neuer Mann gewählt.
Der Fellherr, Emiren, der an Verstande
Und Tapferkeit kaum seinesgleichen zählt,
Hat seines Herrn Geheiß, vor allen Dingen
Durch jede Kunst zur Feldschlacht dich zu bringen.
 
124.
Auch zweifl' ich nicht, daß man der Feindesscharen
Annäh'rung hier am andern Tag erfährt.
Doch du, Rinald, mußt wohl dein Haupt bewahren,
Das mancher Held des Heidenvolks begehrt.
Die Tapfersten, Berühmt'stem der Barbaren,
Sie wetzen wider dich so Zorn wie Schwert,
Weil dem, der dich hinabschickt zu den Toten,
Armida selber sich zum Lohn geboten.
 
125.
Der Herr von Samarkand ist unter ihnen,
Fürst Altamor, an Mut und Adel reich.
Alsdann der Ries' Adrast; zuerst beschienen
Vom Strahl Aurorens wird sein fernes Reich.
Ein Elefant muß ihm zum Rosse dienen,
So wenig ist er andern Menschen gleich;
Und Tissaphern, den als den größten Helden
Einstimm'gen Lauts des Rufes Zungen melden.
 
126.
So spricht er, und Rinald im Innern gärend
Glüht im Gesicht, sein Aug' ist Flamm' und Brand;
Schon um sich her das Schlachtgewühl begehrend,
Faßt er sich nicht und findet kaum mehr Stand.
Jetzt spricht der Knappe, zu Bouillon sich kehrend:
Geringes, Herr, ward dir bisher bekannt;
Das Wichtigste laß mich zuletzt dir sagen:
Mit Judaswaffen denkt man dich zu schlagen.
 
127.
Nun meldet er genau und ohne Lücke,
Was er vom Bunde der Verschwornen weiß:
Das Gift, die Waffen, der Verkleidung Tücke,
Ormonds Gerühm' und den versprochnen Preis.
Man fragt, er gibt Bescheid auf alle Stücke,
Und kurzes Schweigen folgt im Fürstenkreis.
Dann ruft der Feldherr in der Ratsvereinung
Den Raimund auf: Nun sag' uns deine Meinung!
 
128.
Und er: ich rate nicht, wie erst beschlossen,
Den Turm zu stürmen, wann der Tag erwacht;
Doch werd' er rings mit einer Schar umschlossen,
Die jeden Ausfall schier unmöglich macht.
Ausruhen mögen jetzt die Kriegsgenossen
Und Kräfte sammeln zu der größern Schlacht.
Dann sinne du, ob's besser sei, zu schalten
Mit freiem Schwert, ob zögernd hinzuhalten.
 
129.
Allein was ich zuerst von dir begehre,
Ist: für dein eignes Wohl besorgt zu sein.
Nur du gibst Sieg und Herrschaft unserm Heere;
Wer lenkt und sichert es als du allein?
Drum, daß die Tracht der List nicht Schutz gewähre,
Laß neue Zeichen deiner Schar verleihn;
So wird der Trug dadurch sich dir entdecken,
Wodurch er eben meint sich zu verstecken.
 
130.
Der Feldherr spricht: Wie ich dich stets erfunden,
Wohlwollend, klug, wirst du auch jetzt gesehn.
Doch jenes, was dein Zweifel noch gebunden,
Sei so gelöst: Zum Angriff soll es gehn.
Die Heerschar, die den Osten überwunden,
Soll nicht umzäunt von Wall und Mauer stehn;
Das Frevlervolk soll unsre Stärke schauen
Im freisten Tageslicht, auf freien Augen.
 
131.
Schon vor dem Ruf der Siege wird es beben,
Geschweige vor der Sieger Angesicht,
Vor ihrem Schwert; und sein bewältigt Streben
Wird nur verstärken unsrer Macht Gewicht.
Der Turm, und sollt' er bald sich nicht ergeben,
Wird leicht erstürmt, wenn Beistand ihm gebricht.
Hier schweigt der Feldherr und verläßt den Grafen,
Weil der Gestirne Fall ihm winkt zum Schlafen.

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