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Vorwort des Verfassers

Vielleicht ist es gut, zur Erklärung voranzuschicken, daß der Gegenstand der Abhandlungen, die in diesem Buche veröffentlicht werden, weder vom Standpunkt des Philosophen noch von dem des Gelehrten behandelt worden ist. Der Verfasser ist in einer Familie aufgewachsen, wo Texte aus den Upanischaden Die Upanischaden (skr. upaniṣad Geheimlehre) sind die ältesten Denkmäler der indischen Spekulation und der religiösen Mystik überhaupt. Sie behandeln, zumeist in legendenhafter Einkleidung und dialogischer Form, die tiefsten Fragen der Metaphysik mit einer sehr eigenartigen Mischung von mythologischer Phantastik, spielender Symbolik und philosophischem Tiefsinn. Sie werden zur heiligen Schrift, zur »Offenbarung« gerechnet und sind die jüngste Stufe der vedischen Literatur, nach den uralten Liedern und den umfangreichen prosaischen Anweisungen zur Opferkunst (den brāhmana's), aus denen sie herausgewachsen sind. Sie stammen, dem Hauptbestande nach, aus vorbuddhistischer Zeit, und die ältesten und wertvollsten (aus denen die meisten Zitate dieses Bandes entnommen sind) mögen in die Zeit von etwa 1000 bis 800 vor Chr. zurückreichen. Alle Upanischaden, die für den deutschen Leser irgend in Betracht kommen, sind vereinigt in dem klassischen Übersetzungswerk: Sechzig Upanischads des Veda, aus dem Sanskrit übersetzt von Paul Deussen. 2. Aufl. Leipzig, 1905. [Anm. d. Übers.] zum täglichen Gottesdienst verwandt wurden. Auch hatte er das Vorbild seines Vaters Debendranath Tagore, der Erneuerer und Organisator des von Ram Mohun Roy gegründeten Brāhma Samādsch, der »theistischen Kirche Indiens«, ein echter Religiöser und Weiser im indischen Sinne, dem das Volk den Beinamen Maharschi (»der große Seher«) gab. S. The Autobiography of Maharshi Devendranath Tagore. Translated from the original Bengali by Satyendranath Tagore and Indira Devi. London 1914. [Anm. d. Übers.] vor Augen, der all die Jahre seines langen Lebens in engster Gemeinschaft mit Gott lebte, ohne dabei seine Pflichten gegen die Welt zu vernachlässigen oder den menschlichen Dingen weniger warme Teilnahme zu schenken. So darf er hoffen, daß abendländische Leser in diesen Abhandlungen Gelegenheit finden, mit dem alten Geist Indiens in Berührung zu kommen, wie er sich in unsern heiligen Schriften offenbart und sich auch im heutigen Leben wirksam erweist.

Alle großen Kundgebungen des menschlichen Geistes sind nicht nach dem Buchstaben zu verstehen; sie können erst richtig beurteilt werden, wenn wir ihre lebendige Wirkung im Laufe der Geschichte sehen. Wir erfassen den wahren Sinn des Christentums erst, wenn wir es in seiner heutigen lebendigen Gestalt beobachten, wie sehr sich diese auch, selbst in wesentlichen Zügen, vom Christentum der früheren Zeiten unterscheiden mag.

Für abendländische Gelehrte scheinen die großen religiösen Schriften Indiens nur historisches und archäologisches Interesse zu haben. Aber für uns haben sie lebendige Bedeutung, und wir können nicht umhin zu glauben, daß sie diese Bedeutung verlieren, wenn man sie in etikettierten Glaskästen ausstellt, als einbalsamierte Musterexemplare menschlichen Denkens und Trachtens, die man für alle Zeiten sorgfältig in den Mumienbinden der Gelehrsamkeit aufbewahrt.

Der tiefe Sinn der lebendigen Worte, die der Ausdruck der Erfahrungen großer Herzen sind, kann nie durch irgendeine noch so scharf- oder feinsinnige logische Erklärung erschöpft werden. Solche Worte erhalten erst ihre Deutung durch eine endlose Reihe von Einzelleben, und je mehr sich ihr Sinn uns enthüllt, je mehr empfinden wir ihre geheimnisvolle Tiefe. Für mich waren die Verse der Upanischaden und die Lehren Buddhas Erscheinungsformen des Geistes und daher mit unendlichem Lebenswachstum begabt, und ich habe in meinem Leben und in meiner Lehre von ihnen Gebrauch gemacht, in der Überzeugung, daß sie für mich wie für andre mit einem individuellen Sinn erfüllt sind und zu ihrer Bestätigung meines persönlichen Zeugnisses bedürfen.

Ich darf vielleicht noch hinzufügen, daß diese Abhandlungen in zusammenhängender Darstellung Gedanken enthalten, die bengalischen Vorträgen entnommen sind, wie ich sie meinen Schülern in der von mir gegründeten Schule in Bolpur zu halten pflege, und ich habe hier und da Übersetzungen aus diesen von meinen Freunden Babu Satish Chandra Roy und Babu Ajit Kumar Chakravarti benutzt. Die sechste dieser Abhandlungen, »die Selbstverwirklichung durch Handeln«, ist die Übersetzung meines bengalischen Vortrags über »Karmayoga« von meinem Neffen, Babu Surendra Nath Tagore.

Ich benutze diese Gelegenheit, um Herrn Prof. James H. Woods von der Harvard-Universität meinen Dank auszusprechen für seine freundliche Anerkennung, die mich dazu ermutigte, diese Reihe von Aufsätzen zum Abschluß zu bringen und in der Harvard Universität vorzutragen. Auch möchte ich Herrn Ernest Rhys danken für die freundliche Bereitwilligkeit, mit der er mich beriet und mir bei der Durchsicht des Buches und beim Lesen der Korrektur half.

Noch ein Wort über die Aussprache von Sādhanā; Der Akzent ist auf die erste Silbe zu legen, die langen Vokal hat.


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