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Barbara hatte seit dem vorgestrigen Mittag in Herzensunruhe und sorgenvollen Gedanken gelebt. Welcher von beiden würde die Oberhand gewinnen beim Ulrich, der Rainer oder der Uttdörfer?

Sie hatte ihren Mann vor dem heutigen Mittag nicht zurückerwartet, und die Zeit mit ihrer täglichen Arbeit hingebracht, so gut es ging. Sich die Einsamkeit mit Besuchen bei dieser oder jener Nachbarin zu verkürzen, war nie ihre Art gewesen; zu mal in den letzten Monaten nicht, wo ihr Herz schwer war, und wo sie sich ihres Mannes schämte vor den andern. – Gestern abend war Margred Uttdörfer heraufgekommen und gegen ihre Gewohnheit lange geblieben. Das war eine merkwürdige Frau, die Margred. Man sollte meinen, sie verabscheue ihren Mann und bliebe bei ihm nur aus Christentum und vielleicht um der Kinder willen. Und doch war es Barbara gestern abend, wo sie Margred genauer beachtet hatte, zur Gewißheit geworden, daß sie eine schmerzende, heiße und heimliche Liebe zu ihrem Manne im Herzen trug. Nun – wohl ihr. Es ist immer gut, wenn die Liebe sich nicht beirren läßt; zusammenbleiben muß man ja doch, und mit Liebe trägt man leichter, was doch getragen sein muß.

Barbara dachte auch jetzt an das alles, als sie in der Küche am Herd stand und nach dem Essen sah. Und sie überlegte: wenn der Ulrich jetzt nach Hause käme mit so einem Gesicht, wie damals im Frühling, und ihr das Geld, was sie nötig brauchte, nicht brachte, ob sie dann wohl imstande sein würde wie Margred, ein freundliches Gesicht zu machen, und sich zu freuen, wenn er sie küßte? –

Und über solchen Gedanken kam Ulrich herein, just um die Mittagsstunde. Als er sie durch die offene Küchentür stehen sah, ging er auf sie zu. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, weil er das Licht im Rücken hatte; aber daß er gleich zu ihr kam, dünkte sie ein gutes Zeichen.

»Gutentag, Bärbeli,« sagte er mit ein wenig müder Stimme. »Wie ist dir's unterdes gegangen?« Er reichte ihr die Hand hin; aber seltsam – er küßte sie nicht. Fürchtete er, daß sie ihm abermals ausweichen würde? – Sie strengte ihre Nase an, aber sie konnte heute nichts bemerken; der lange Gang durch die frische Luft hatte seine Schuldigkeit getan. Langsam legte sie ihre Hand in die seine und sah ihn prüfend an dabei.

»Es ist nichts besonderes vorgefallen,« sagte sie. »Und du? Hast du ein gutes Geschäft gemacht?«

»Ja; das Vieh ist verkauft; alles.« Dabei tat er, als bemerke er ihren suchenden Blick nicht, und trat an den Herd.

»Was kochst denn gutes? Ich hab' einen gewaltigen Hunger, weißt!«

Daß er Hunger hat, ist auch ein gutes Zeichen, dachte Barbara, und nahm die Deckel von den Töpfen, daß der Duft der Speckbohnen und des Lammfleisches ihm lieblich in die Nase stieg.

»Hast ja heut was draufgehen lassen,« sagte er.

»Nun ja – nach deinem langen Gange – und ich dacht', du tätst am Ende den Rainer mitbringen?«

»Ich bot's ihm an,« beantwortete Ulrich die halbe Frage. »Aber er schlug mir's ab. Er ist auch gleich unten im Dorf den Waldweg hinaufgegangen.«

Wieder sah sie ihn an, genau und ängstlich. Er war so seltsam, so ganz anders als sonst –. Nun zog er ein weißes Päckchen aus der Rocktasche.

»Das haben wir dir mitgebracht,« sagte er und wickelte aus. »Das heißt, eigentlich dankst du's nur dem Rainer: der hat's ausgesucht und eingehandelt; ich – ich hatt's vergessen, Bärbeli!« Dabei entfaltete er das Tuch, legte die glänzende Seide, schön zipfelig gefaltet, um ihre Schultern über das weiße Hemdzeug, knüpfte es ihr über dem Busen lose zusammen, und sah sie an, liebevoll und betrübt, als bitte er ihr ab, was er ihr gestand.

Barbara freute sich über das Geschenk; aber wie er es ihr gab und wie er dabei aussah, machte sie ganz beklommen, und sie konnte ihre Freude nicht recht äußern.

»Wenn einer von euch dran dachte, genügt's ja –« meinte sie. Und plötzlich mußte sie die Arme um ihn legen und ihm einen Kuß geben. Da drückte er sie heftig an sich, mit einem großen Seufzer, und küßte sie auch. Und dann stieß er sie heftig von sich und lief fort, so daß sie völlig verstört war. –

Bei Tisch sprach er wenig und Barbara wagte nicht, in ihn zu dringen, sondern verfiel ihrerseits in ein bedrücktes Schweigen. Und dann ging er hinaus, in die Ställe und wer weiß wohin, und kam erst gegen Abend wieder.

Als alles im Haus zur Ruh' und nur noch der Bauer und seine Frau auf waren, konnt' sich Barbara nicht länger halten. Sie saßen beide am Tisch bei der Lampe. Er rauchte seine Pfeife und sie hatte den Strickstrumpf in der Hand, tat aber nichts daran.

»Uli –« begann sie stockend und schüchtern – »wie ist's denn nun mit der Einnahme – fällt etwas ab für mich? Du weißt – mir tät's schon lange not. Ich hab' immer noch Ausstände beim Kaufmann. Und die Kinder brauchen neues Zeug zum Winter –« Sie sah gar nicht auf aus lauter Angst vor der Antwort, und so merkte sie nicht, wie Ulrichs Gesicht sich verfärbte und umwölkte.

»Es wär mir lieb, wenn's noch Zeit hätte,« sagte er. »Der erste Oktober ist vor der Tür – ich muß dem Gesinde seinen Lohn zahlen – und die öffentlichen Abgaben sind fällig –«

»Ja – aber das kann doch längst nicht alles aufzehren –«

»Ich hab' auch noch Löcher zu stopfen, vom Frühjahr her –« Nun sah Barbara auf.

»Ja – davon hast mir ja nie ein Wort gesagt! Und ich denk', du hast einmal was verkauft – im Sommer – zum wenigsten hatt'st du die Absicht –«

»Nun ja doch, ich hab's ja auch getan!«

»Und trotzdem –« Sie wagte nicht weiter zu fragen.

»Der Händler hat mir nicht gleich alles gezahlt gestern.« Bei der Lüge wurde dem Ulrich heiß und kalt; er fühlte, daß Barbara ihm nicht glaubte.

»Aber das ist ja noch nie gewesen –« sagte sie. »Hast dich denn wenigstens versichert, daß es ein ehrlicher Mann ist, der dir's nicht schuldig bleibt?« Ulrich Amberger schwieg.

»Uli! sag' mir doch die Wahrheit!«

»Nun ja denn – daß du's weißt, gleich auf einmal –« Er sprang auf und sah sie herausfordernd an. »Ich bring' so gut wie nichts nach Hause und hab' auch von keinem mehr etwas einzufordern. Ich hab's verwürfelt und vertrunken, wie vorm halben Jahr; genau so. – Und nun kannst mich schelten, soviel du willst. Ich hab' Geduld, es anzuhören.«

Aber sie schalt nicht. Sie legte das Gesicht in die Hände und gab keinen Laut von sich. Ulrich fand das schlimmer, als wenn sie ihm mit den härtesten Namen belegt hätte. Er rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und blies große Rauchwolken um sich. – Endlich hob Barbara das Gesicht wieder empor, und sah ihn wehleidig an.

»Willst du uns denn ganz und gar zu Grunde richten, Uli?« Der klagende Ton traf ihn im tiefsten Herzen.

»Nein, Barbara, bei Gott, ich will's nicht! Und es soll nun auch anders werden. Ganz gewiß. Der andre – der Uttdörfer, mein' ich – soll mich nun gewiß nicht wieder verführen. Ich hab' genug von ihm.«

Also richtig – der war's wieder gewesen. Und ganz besonders schlimm mußt' er's getrieben haben, daß Ulrich »genug von ihm« hatte. Sie mochte indessen nicht fragen. Es war so ungewohnt, daß Ulrich in solcher Weise über sein Tun sprach, und es freute sie so und regte so große Hoffnungen in ihr an, daß sie ihm die gute Stimmung nicht mit lästigen Fragen verderben mochte. –

Aber zum Hoffen gehört Geduld, und für Barbara gehörte ganz besonders viel Geduld dazu.

Waren Ulrichs Vorsätze gut, so war seine Laune ganz besonders schlecht. Das kam, weil er Sorgen hatte; Sorgen, die ihm bisher gänzlich unbekannt geblieben waren. Er brauchte Geld und wußte nicht, wo er's hernehmen sollte; und daß er das nicht wußte, war seine eigne, unverzeihliche Schuld.

»Du mußt den Rainer bitten, dir zu borgen,« sagte Barbara, mit der er davon sprach. Ulrich fuhr unwillig auf.

»Nein – das kann ich nicht; den zu allerletzt –«

»So will ich es tun!« rief sie freudig, in der Meinung, es komme ihn schwer an, als der Aeltere dem Jüngeren seine Not einzugestehen. Da wurde Ulrich ordentlich heftig.

»Das wirst du nicht!« rief er. »Hörst du! ich verbiete es dir! Das sind überhaupt meine Sachen, da hast du nichts zu tun dabei!« Sein Inneres empörte sich bei dem Gedanken, daß Rainer ihm helfen könne. Zum Teil war es falsche Scham; zum Teil übertriebenes Zartgefühl. Rainer sollte das Geld hergeben, das der Uttdörfer ihm abgenommen – der Uttdörfer, der ihm die Braut gestohlen! Dem einen die Braut – dem andern das Geld. Nein, Rainer sollte und durfte nichts damit zu tun haben.

Barbara war erschreckt und geärgert durch sein aufbegehrendes Wesen. Sie verstand das alles nicht.

»Nun – so sieh du selber zu,« sagte sie finster.

Aber bei allem Nachdenken fand der Bauer keinen Ausweg. Nachts schlief er schlecht, und bei der Arbeit war er mißmutig. Das Gesinde fuhr er hart an.

In diesen Tagen wurde das Vieh eingetrieben, denn der Schnee fiel häufiger, und blieb auf den Almen tagelang liegen. Auf dem Abstieg stürzte eine junge Färse über einen glatten Felsen und brach das Genick. Ulrich machte dem Knecht, dem er die Schuld beimaß, einen heftigen Auftritt und jagte ihn im Zorn aus dem Dienst. Darüber wurde Barbara sehr aufgebracht, denn der Knecht war so lange, wie sie selber auf dem Hofe, und sie hielt ihn für den besten. Unglück könne jeder haben, meinte sie, und wenn das dumme Vieh auf dem Wege, den es schon so und so oft zurückgelegt, einen Fehltritt tue, so sei niemanden, als dem Vieh selber, die Schuld beizumessen. Ulrich rief heftig dagegen, sie verstehe das nicht, sie sei gar nicht dabeigewesen. Und als es sich die Magd, die dabei stand, nun gar einfallen ließ, mitzureden, gab er ihr eine Ohrfeige, daß sie heulend davonlief, und am Abend der Bäuerin den Dienst aufsagte.

Drei Tage darauf war der erste Oktober. Die beiden Entlassenen kamen um ihr Lohn ein und es war kein Geld im Hause. Der Knecht ließ sich bereit finden, zu warten. Die Magd drohte zu klagen. Sie hatte bereits auf einem andern Hofe Arbeit gefunden und Barbara war überzeugt, daß sie es an bösem Leumund nicht fehlen lassen würde.

»Komm in zwei Wochen wieder,« sagte sie; »dann soll dir dein Recht werden. Der Bauer hat's Geld just nicht liegen.« Daß er es in zwei Wochen haben würde, war nicht anzunehmen; aber sie wußte nicht, wie sie das Mädchen los werden sollte.

»Er ist doch auf dem Markt gewesen und hat's Vieh verkauft,« entgegnete es patzig. »Da muß er doch Geld haben!«

»Ich werd' den Bauer rufen, daß er dich hinauswirft, unverschämte Dirne!« fuhr die Frau zornig auf, daß die Magd es für ratsam hielt, mit einem höhnischen Grinsen einstweilen gutwillig zu gehen.

Am Nachmittage dieses üblen Tages war Rainer in Grund beim Schlächter gewesen, und hatte ihm zwei Kälber gebracht. Auch er hatte das Vieh von der Alm heruntergeholt, und die jungen Tiere waren ihm zuviel im Stall, gaben außerdem ein gut Stück Geld, das er eben brauchen konnte. Auf dem Heimweg fiel es ihm ein, beim Bruder vorzusprechen, den er seit dem Markt nicht mehr gesehen hatte. Der Ulrich war fort; niemand wußte ihm zu sagen, wohin. Die Kinder, die am Brunnen spielten, sagten ihm, daß die Mutter im Garten sei. So ging er dahin.

Sie schnitt die Kohlköpfe ab, schälte die losen Blätter herunter und schichtete die Köpfe zu einem großen Haufen, um sie dann in den Keller zu schaffen, für den Winter. Sie machte ein erschrecklich finstres und verzweifeltes Gesicht. Als sie den Schwager erblickte, wischte sie die Hand an der Schürze ab, und streckte sie ihm hin.

»Läßt dich ja gar nicht mehr sehen –« sagte sie trübe. Sie war ganz überzeugt, daß er sich mit dem Bruder gezankt habe.

»Ich hab' meine Arbeit gehabt dieser Tage, mit dem Vieh,« sagte er. »Und meinen Kohl müßt' ich wohl auch einbringen,« fuhr er fort, ihre Beschäftigung betrachtend. »Du könnt'st einmal kommen und mir helfen, Schwägerin! Mit dem Grünzeug kenn' ich mich nicht aus.« Sie blieb stumm, schnitt und schälte weiter.

»Wo ist denn dein Mann?« fragte er.

»Ich weiß nicht. Wenn er im Aerger davonläuft, sagt er mir nicht wohin.« Sie kniff die Lippen zusammen und dabei schnitt sie sich in den Finger, daß sie laut aufschrie.

»Zeig' her,« sagte er und nahm ihr das Messer aus der Hand. »Du mußt nicht so wütig drauf los schneiden. Ist's schlimm?«

Sie schüttelte heftig den Kopf und versuchte, mit der Schürze das rinnende Blut zu stillen.

»Du wischt die Erde in die Wunde,« sagte Rainer. »Das tut nicht gut. Komm an den Brunnen – wasch' dir's ab.«

Mechanisch folgte sie seiner Weisung und hielt die verletzte Hand unter den kühlenden Wasserstrahl.

»Was hat's denn für Aerger gegeben?« fragte er dabei. Sie erzählte in abgerissenen Sätzen, von der toten Färse, von dem fortgejagten Knecht, von der aufsässigen Magd. Derweil hörte das Blut auf zu fließen.

»Ich möcht in die Stube gehen und mir ein Läppchen umbinden,« sagte sie. »Vielleicht kommst du mit herein.«

In der großen Truhe suchte sie nach altem Linnen, schnitt sich einen Verband zurecht und legte ihn um die verletzte Stelle. Dann gab sie Rainer ein baumwollenes Fädchen.

»Sei so gut und bind' mir's fest,« sagte sie und hielt ihm die Hand hin. Er tat's, aber er stellte sich ein wenig ungeschickt dabei an, und es dauerte lange, bis er zustande kam. Es lag wohl daran, daß er ihr ein paarmal in das Gesicht sah, das ihm so nahe war.

»Du siehst schlecht aus, Barbara,« bemerkte er. Sie zuckte mit den Lidern, und da er grade mit dem Knoten fertig war, sagte sie hastig:

»Ich möcht wieder hinaus – ich muß heut noch fertig werden mit dem Kohlschneiden.«

»Warum eilt das so?« fragte er. »Und warum tust du's allein?«

»Ich hab' dir ja gesagt, die Magd ist fort!«

»Wann kommt denn eine neue?«

»Ich hab' mich noch nach keiner umgetan. Ich dacht', es könnt' auch so gehen, für den Winter.«

»Könnt'st du nicht eine von den Heumägden im Haus behalten? Es gibt gewiß eine, die gern auch für den Winter einen Dienst nähme.«

»Mag sein – aber ich sag' dir ja, es kann auch so gehen.«

»Warum willst du dich allein quälen, mit all der groben Arbeit?« Sie stand an den Tisch gelehnt, sie blickte finster zu Boden. Sie wußte nicht – sollte sie's sagen oder nicht. Er mußte es ja wissen – er war ja mit ihm in Interlaken gewesen –

»Rainer,« rief sie aus ihren Gedanken heraus, »hätt'st du es nicht verhindern können!«

»Was meinst du?« fragte er erstaunt; denn er dachte nicht so weit zurück.

»Du bist doch mitgewesen, in Interlaken, um den Uli vor schlechter Gesellschaft zu schützen!« sagte sie vorwurfsvoll. Ach so – ja, nun verstand er.

»Ich hab's nicht vermocht, Bärbeli.«

Es war das erste Mal, daß er sie so nannte. Er sprach den Namen so eigen aus, voll Liebe und Mitgefühl, und so – fast wie eine Mutter. Ihr trotziger Schmerz brach ineinander und löste sich in Tränen auf.

»Ich weiß, du kannst nicht helfen – ach Gott, Rainer, aber du mußt helfen! Habt ihr euch veruneinigt, daß du solange nicht hier warst?« schloß sie scheu.

»Nein, veruneinigt haben wir uns nicht. Aber es ist dem Uli nicht recht, wenn ich ihm dreinred', und – ja, schau, Bärbeli – zwingen kann ich ihn doch nicht!« Er sagte es so schonend wie möglich; das Herz tat ihm weh um sie. Weiß Gott, er hätte ihr gern geholfen! Sie hatte die herabhängenden Hände gefaltet; er glaubte, ihre verzweifelten Gedanken sehen zu können.

»Die Leut' haben ihren Lohn nicht ausgezahlt bekommen,« sagte sie. »Ich muß mich schämen vor dem eignen Hausgesinde.«

Darnach war es lange still im Zimmer. Endlich sagte Rainer:

»Uli wird halt ein Stück Vieh verkaufen müssen.«

»Ja, gewiß, das wird er müssen. Aber was ist das für eine Wirtschaft, wenn der Bauer das Vieh verschleudern muß, damit er zu leben hat! Er weiß das selber sehr gut; und darum wird er sich so bald nicht dazu entschließen können –«

Rainer fühlte sich der Schwägerin gegenüber heut beklommen, so daß er kein Trostwort fand; er fühlte wohl auch, daß es nicht auf einen weichen Boden fallen würde. Ihre dumpfe, stolze Traurigkeit machte es schwer, zu helfen und zu trösten.

»Soll ich dir eine Magd herunterschicken?« fragte er. »Ich behelfe mich ganz gut ohne sie –« Aber sie wehrte ihm ab.

»Laß nur; es ist schon besser, ich mach's allein. Arbeit ist mir auch lieb; sie ist das einzige – –« Weiter kam sie nicht; sie wandte sich zur Tür. »Ich muß nun wirklich gehen,« sagte sie.

Er ließ sie, und folgte ihr nicht. Ein Gedanke beschäftigte ihn –

Am Brunnen spielten noch immer die Kinder. Er rief das Mareili zu sich heran, hob es auf den Arm und streichelte das blonde Kraushaar. Auch die Knaben umringten ihn; aber er schien es heut auf die Kleine abgesehen zu haben.

»Möcht'st den Ohm Rainer ein Stück Wegs begleiten?« fragte er. Natürlich wollte sie, und die Knaben wollten auch. Aber er schickte sie zu ihrem unterbrochenen Spiel zurück.

»Ihr kommt ein andermal. Heut will ich nur's Mareili.« Das Kind auf dem Arm, verließ er den Hof. Draußen, auf dem Wiesensteige, setzte er sie nieder; mit dem dicken Fäustchen einen seiner Finger umklammernd, trippelte sie geschäftig neben ihm her, dabei in kindlichem Kauderwelsch unaufhörlich plaudernd.

Als sie etwa hundert Schritt gestiegen waren, blieb Rainer stehn.

»Find'st dich allein zurück?« fragte er das Kind.

»Da!« sagte es und zeigte rückwärts hinunter auf das elterliche Hausdach. »Mareili kann über die Wiese laufen.«

»Wohl,« sagte Rainer. »So lauf', und geh' zur Mutter, und gib ihr das.« Er griff in die Tasche, wo das Geld steckte, was ihm soeben der Schlächter für die beiden Kälber gegeben hatte. Es waren vier blanke Goldstücke. Dann nahm er aus einer andern Tasche ein Stück Papier und wickelte es fest darum.

»Mach' die Hand auf,« sagte er, und drückte dem Kind das winzige Päckchen hinein; die kleinen dicken Finger schlossen sich krampfhaft fest. »So, nun halt's hübsch fest, verlier's nicht und gib's gleich ab. Lauf!«

Mareili nickte vergnügt im Vollgefühl des wichtigen Auftrages und trabte in ihrem roten Röckchen munter die Wiese hinab. Rainer blieb noch stehen und sah ihr nach, bis sie um die Hausecke verschwunden war; dann stieg er schnell weiter. Er war ganz rot geworden. –

Barbara stand längst wieder auf ihrem Kohlbeet. Sie war noch trauriger, als vorhin. Sie schämte sich, daß sie den Schwager so unhöflich hatte stehen lassen; und doch wär sie nicht imstande gewesen, noch länger mit ihm zu sprechen. Wenn er's ihr übel genommen hatte, so würde er's auch wieder vergessen.

Da kam vom Hofe her Mareili angetappelt, mit sehr wichtiger Miene und weit abgestrecktem, festgeschlossenem Fäustchen.

»Du, Muttele, das schickt der Ohm Rainer!« rief sie, als sie nahe herangekommen war, und hielt das Fäustchen hoch. Barbara machte ein verwundertes Gesicht.

»Ist der Ohm denn noch bei euch?« Mareili kopfschüttelte.

»Ohm Rainer ist da hinauf!« sagte sie, mit dem freien Händchen nach dem Holderhof weisend. »Mareili ist ein Stück mitgewesen, und Ohm Rainer hat Mareili das gegeben, fürs Muttele.«

Barbara öffnete die kleine Faust und hielt das rätselhafte Päckchen lange zögernd in der Hand. Dann wickelte sie es auf, ebenso zögernd. Eine dunkle Blutwelle stieg ihr ins Gesicht. Sie starrte auf die blanken Goldstücke, bis ihr die Augen übergingen. Dann wickelte sie alle wieder ein und versteckte sie in ihrem Mieder. Und dann fing sie an zu weinen, wie sie lange nicht geweint hatte, mitten zwischen ihren Kohlköpfen, in ihrem Elend und in ihrer großen Einsamkeit.

Mareili war längst wieder fortgesprungen. Nachdem sie ihren Auftrag ausgerichtet, kümmerte sie das Weitere nicht mehr.

*

Ulrich Amberger verkaufte eine Kuh aus dem Stalle. Irgendwie mußte das Geld, das er für den Augenblick so nötig brauchte, geschafft werden. Der Händler, der sie ihm abgenommen, führte sie durch das ganze Dorf, und jeder, der fragte, erfuhr, woher sie kam. Alsobald wußte man, daß der Amberger Vieh verkaufe, weil er Geld brauchte.

Ulrich selbst ging am Abend desselben Tages ins Wirtshaus, um seinen Aerger hinunterzuspülen.

Als er fort war, machte sich auch Barbara zum Ausgehen fertig. Sie nahm ein Tuch um, warf noch einen Blick auf ihre bereits schlafenden Kinder, und stieg hinauf nach dem Holderhof.

Der Herbstabend war hell und kühl. Die Mondscheibe stand rund und glänzend am Himmel; die Viescherhörner mit ihren tiefhängenden Eismassen schimmerten weich und silbermatt am dunklen Himmel. Auch der Eiger und das Wetterhorn waren weiß beschneit, und ein kalter Atem schien von da herunter zu wehen in das dunkle Tal. Die völlige Stille und das weiche Licht taten Barbara gut.

Vor ihr lag der dunkle Wald, und im Holderhof leuchtete ein Fenster. Aber als sie das Haus betrat, erfuhr sie, der Bauer sei ausgegangen. Sie war enttäuscht; was sie sagen wollte, konnte sie durch keinen andern ausrichten lassen; so mußte sie unverrichteter Sache wieder umkehren.

Sie ging sehr langsam; die mondhelle Landschaft zu ihren Füßen und die Reihe der heiligen Berge ringsum am Himmel waren so schön anzusehen – und zu Hause versäumte sie nichts.

Auf halbem Wege kam ihr jemand entgegen, in dem sie beim Näherkommen den Rainer erkannte. Sie blieb stehen und das Herz begann ihr ängstlich zu klopfen wegen dem, das sie sagen wollte. Nun erkannte auch er sie.

»Grüß dich Gott, Schwägerin!« rief er freundlich. »Was machst denn du hier draußen, zu halber Nacht? Ich bin eben bei euch gewesen, traf aber niemand zu Hause.«

»Und ich war bei dir,« sagte Barbara, »und traf auch niemand.«

»Bei mir? Ja, was wollt'st du denn bei mir?«

»Ich wollt' dir dein Geld zurückgeben, das du mir durchs Mareili geschickt hast. Ich weiß, du hast's gut gemeint, und ich dank' dir von Herzensgrund, 's hat mir wohlgetan. Aber behalten kann ich's nicht.« Sie zog das Päckchen aus der Tasche; es war noch in dasselbe Papier gewickelt, darin sie es bekommen.

»Warum kannst du's nicht behalten?« fragte er.

»Ich hab' nichts ausgegeben; ich hab' keine Ursach', mir was borgen oder gar schenken zu lassen. Ich weiß auch, daß es dem Uli nicht lieb sein würde. Ich kann von keinem andern Geld nehmen als von ihm.«

»Aber ich denke, er hat – nichts –«

»Er hat heut eine Kuh verkauft. Das reicht fürs erste. – Und nun nimm dein Geld zurück, und sei mir nicht böse, Rainer.«

Er nahm es und steckte es ein. Er war ganz geschlagen.

»Ich hab' dir so gern ein wenig helfen wollen,« sagte er.

»Ich weiß; und du kannst versichert sein, es hat dich mir noch lieber gemacht, als sonst schon.«

Sie standen nebeneinander, den hohen Bergen zugekehrt, ein jedes in seine Gedanken versunken. Nur einmal fragte Rainer, wo der Ulrich hin sei.

»Hinunter –« sagte sie; und er wußte Bescheid. Und nach einer Weile seufzte Barbara, lehnte sich ein wenig an ihn an und sprach:

»'s könnt' so schön sein in der Welt! Wenn man all die Sterne sieht, sollt' man meinen, es müßt' nur lauter Frieden geben. Und dabei ist's Leben so voll Unfried' und Not, und grad wenn man meint, nun sei's am schönsten, nun habe man das Glück sicher – dann kommt gewiß irgend etwas!«

Rainer Amberger legte seinen Arm lose um die Schultern der Frau, wie um sie zu schützen oder seinen Worten mehr Nachdruck zu geben.

»Es wird wohl so sein müssen,« sagte er, »damit wir die Erde nicht zu lieb gewinnen. Aber verzagen dürfen wir nicht, Barbara. Da oben über den Sternen, da ist Frieden, und wenn wir's recht anfassen und recht darum bitten, so kommt er auch zu uns herunter. Und wenn ich die weißen Berg' ansehe, dann ist's mir immer, als müßt' mir von ihnen die Hilfe kommen in jeder Not – wie's ja schon im Bibelbuch geschrieben steht –«

»Ach, das sind andre Berge,« entgegnete sie kleinlaut; »Berge, die wir nie zu sehen bekommen –«

»Doch, wir werden sie sehen; wir werden sogar einmal hinaufkommen, ganz gewiß, ganz gewiß. Und die Berge hier unten, die sind wie ein Vorbild jener anderen Berge; und wenn ich sie ansehe, so in der heiligen Abendstille, wie eben jetzt, dann dünkt mich, ich sehe den Herrgott hinschreiten, und seine Hand ausstrecken über das Tal – wie zum Segen.«

Seine schlichten Worte, denen man's anhörte, daß sie aus einem schlichten und aufrichtigen Herzen kamen, machten ihr einen wunderbar beruhigenden Eindruck. Sie sann nach und sah zu den Bergen empor, und es war ihr, als spüre sie etwas von jenem Segen. Und dann sah sie zu dem Manne auf.

»Rainer,« sagte sie, »in dieser Stunde hast du mir viel mehr geholfen, als du mit all deinem Gelde gekonnt hätt'st. Du hast mich wieder daran erinnert, daß man zu den Bergen emporschauen muß. Ich hatt's eine Zeitlang vergessen. Ich will's nun wieder tun.«

In diesem Augenblick hörten sie Schritte. Auf einem schmalen Pfade, der den ihren kreuzte, sahen sie einen Mann daherkommen. Es war der Uttdörfer. Er bog in den Weg ein, auf dem sie standen, nur wenige Schritte oberwärts, und nahm die Richtung an ihnen vorbei zu Tal. Sie traten zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Er sah ihnen frech ins Gesicht und tat, als kenne er sie nicht. Dicht vor ihnen stand er still, als wolle er sie anreden; dann erschrak er oder tat doch so, lüftete den Hut und sprach:

»Ach – ihr seid's. Ich meinte, es sei ein Liebespaar. – Ich hab's ein wenig eilig – ihr verzeiht!« Und fort war er.

Barbara hatte eine Empfindung, als sei der Böse an ihr vorbeigehuscht.

»Das war nicht gut, daß er uns hier traf, Rainer,« sagte sie bedrückt.

»Warum nicht gar, Bärbeli!« rief er fröhlich. »Was sollt' er uns Böses nachsagen! Und nun komm', erlaub' mir, daß ich dich heimgeleite.«

Unterdessen war Anselm Uttdörfer weiter geeilt. Er lachte ein paarmal vergnügt vor sich hin; sein Herz war voll Schadenfreude. Rainer Amberger – der tugendhafte Mann, der jeden über die Achseln ansah, der nicht ebenso heilig tat wie er – nun hatte er ihn erkannt! Und die ebenso tugendstolze Ambergerin – nun freilich, die beiden Tugendhaften paßten zusammen! Haha! Das gab einen Spaß!

Im ersten Augenblick hatte er geglaubt, es sei der Ulrich, obschon es ihm lächerlich vorkam, daß der sollte mit der eignen Frau im Mondschein einherspazieren. Aber dann erkannte er bald, daß es der andre war. Und wenn die Brüder sich so ähnlich sähen, wie ein Ei dem andern – er würde sie immer auseinanderkennen.

Sein Weg ging ins Wirtshaus. Er freute sich schon darauf, denen da seine Geschichte aufzutischen; verblümt natürlich; nur, damit sie recht neugierig würden und sich noch viel Schlimmeres dächten.

Er traf es noch besser, als er gehofft hatte; denn am Wirtstisch saß Ulrich Amberger. Da fiel dem Uttdörfer etwas neues ein. Er tat höchst erstaunt, trat auf jenen zu und sprach:

»Ihr seid hier? – Meiner Treu', dann hab' ich mich versehen; dann muß es der Rainer gewesen sein!«

»Wieso? Was meint ihr?« fragte Ulrich, der ein keineswegs freundliches Gesicht machte und den Ankömmling kaum grüßte.

»Nun,« berichtete der Uttdörfer sehr gut gelaunt, indem er den Hut an den Haken hing, und sich dann krachend auf einen Stuhl zu den Uebrigen setzte, »ich hatte einen Gang gemacht auf meinen Achterhof am Hertenbühl, und wie ich herunterkomm' über den Hang hinter eurem Hofe, seh' ich zwei am Wege stehen, nun – wie man eben nur steht, wenn man sich sehr gut – kennt. Ich erkenn' bald eure Frau und euch selbst, wie ich mir einbilde; denk' aber, ihr seid da in einer zärtlichen Laune, und will nicht stören, sondern lauf' schnell vorüber. Und nun ich euch hier treffe – ja, schneller als ich könnt ihr doch nicht heruntergelaufen sein! Und darum ist es doch wahrscheinlich der Rainer gewesen!« Er hustete, spuckte, bestellte sich ein Maß Wein und warf den andern lustige Redensarten zu.

Ulrich war verstummt. Er konnte gar nicht begreifen, was der Uttdörfer ihm da erzählte; nicht nur ihm, sondern auch allen andern, soviel ihrer dabei saßen. Es war sicher nur die reine Niedertracht von ihm –

»Ja, die reine Niedertracht,« murrte er vor sich hin. Uttdörfer hörte es.

»Nun, so schlimm braucht' ihr es doch nicht gleich nehmen!« sagte er, Ulrichs Worten absichtlich eine andere Deutung gebend. »Es ist doch sehr erfreulich für den Mann, wenn die Frau sich mit dem Bruder gut steht. Und wenn man die Frau so oft allein läßt –«

»Wer hat die Schuld, daß ich sie oft allein laß!« fuhr Ulrich auf.

»Nun, das steht doch ganz bei euch,« sagte Uttdörfer breit und wohlgefällig. »Ich meinte nur, wenn man die Frau so oft allein läßt, kann man sich ja keinen besseren Schutz wünschen, als so einen rechtschaffenen, tugendhaften Bruder!«

Ulrich wußte nicht, ob der andre im Hohn oder im Ernst spreche; hielt es aber für klüger, das letztere anzunehmen.

»Da habt ihr sehr recht,« sagte er, »und es freut mich, daß ihr dieser Meinung seid. Im übrigen wißt ihr, daß ich meine häuslichen Angelegenheiten nicht im Wirtshaus besprechen mag.«

Damit war die Sache erledigt.

An diesem Abend betrank sich Ulrich Amberger nicht, obschon er es sich heut zum erstenmal geradezu vorgenommen hatte. Er ging auch früher nach Hause, als sonst. Der Uttdörfer hat ihm eine Schlange ans Herz gesetzt, deren Biß ihm das Blut vergiftete. Er schämte sich der Gedanken, die er hatte, und konnte sie doch nicht loswerden. Sie erhärteten sich nicht zum Verdacht – zu einem solchen hatte er keine Veranlassung, soviel er auch nachdachte. Aber sie malten ihm tausend Bilder, deren Anschauen seinen ganzen Menschen in gefährlichen Aufruhr brachte.

In seinem Hause war noch Licht. Als er ziemlich hastig die Wohnstube betrat, saß Barbara am Tisch und las in einem dicken Buche, in dem er sofort die alte Hausbibel erkannte. Der Anblick machte ihn verlegen. Er hatte anderes erwartet.

Auch die Frau schien verlegen, schob das Buch ein wenig zur Seite und erhob sich zögernd. Dabei sah sie ihm zaghaft und unsicher an.

»Komm ich dir zu früh?« fragte er herausfordernd.

»Nein, gar nicht,« sagte sie; »ich hab' dich freilich noch nicht erwartet –« setzte sie halb fragend hinzu. Er sah das Buch an, und sah seine Frau an; dann fragte er gerade drauf los:

»Was hast du heute abend mit dem Rainer draußen am Berge zu schaffen gehabt?«

Sie sah ihn erschrocken an und wurde dunkelrot. Ulrich meinte, das Herz würde ihm zerspringen.

»Antworte!« herrschte er sie an. Seine Heftigkeit jagte ihr ein Zittern durch alle Glieder; aber sie schlug die Augen nicht nieder, wie Schuldbewußte zu tun pflegen, sondern sah ihn immer starrer an.

»Das hat dir der Uttdörfer gesagt!« stammelte sie.

»Wer es mir gesagt hat, ist gleich,« entgegnete er hart. »Ich will eine Antwort auf meine Frage.«

»Ich hab' den Rainer da zufällig getroffen,« sagte sie.

»Zufällig – was heißt das!«

»Ich war hinausgegangen, und als ich zurückkam, war der Rainer bei uns gewesen und hatte dich besuchen wollen, und da er niemanden zu Hause getroffen, wollt' er heimwärts steigen, und dabei trafen wir uns.« Er sah sie streng an.

»Und dann – was hattet ihr dann miteinander zu reden? Ich hab' gehört, ihr hättet beieinander gestanden wie – wie – – kurz und gut, was hattet ihr zu reden?«

Nun zum erstenmal schlug sie die Augen nieder.

»Rainer hat mich daran erinnert, daß ich meine Augen aufheben muß zu den Bergen, von – denen – uns – Hilfe kommt.« Er war verdutzt; er wußte nicht, was er davon denken sollte.

»Und darum liest du wohl jetzt in der Bibel?« höhnte er.

»Ja,« sagte sie einfach.

»An dem Rainer ist ein Pfaffe verloren gegangen,« lachte Ulrich ärgerlich. »Das hab' ich schon einmal gemerkt.« Weiter wußte er vorerst nichts zu sagen. Er fing an, sein Zeug auszuziehen, und ging dabei heftig im Zimmer auf und ab. Barbara legte die Bibel fort und sagte auch nichts. Alles, was sie hätte sagen können und mögen, würde den Mann nur reizen. Betrunken war er nicht, das hatte sie gleich gemerkt. Aber es saß ihm eine andre Aufregung im Blut, die war fast noch schlimmer. Aus irgend einem Grunde konnt' sie sich nicht entschließen, zu Bett zu gehen, obschon es spät genug dazu war.

»Du sagtest, du seist hinausgegangen,« hub Ulrich wieder an. »Wo hatt'st du denn hingewollt?«

Barbara erzitterte im Innern. Das – nein, das konnt' sie ihm nicht sagen!

»Ich war halt so allein –« stotterte sie.

»Ich frag' dich nicht, warum, sondern wohin,« rief er heftig. Sie wand sich hin und her vor Angst. Aber lügen – nein, lügen konnt' sie nicht.

»Nach dem Holderhof,« sagte sie. Er fuhr auf wie bei einem Schuß.

»So – und was wollt'st du denn da!?«

»Ich wollt' dem Rainer das Geld zurückgeben.« Es kam eine Art Trotz über sie. Mocht es nun werden, wie es wollte.

»Das Geld? Was für ein Geld?«

»Was er mir durchs Mareili geschickt hatte.«

»Durchs Mareili? Wie soll ich das verstehen?«

Kurz und eintönig erzählte sie den Zusammenhang.

»Ich hatt' bisher keine Gelegenheit, es ihm wiederzugeben,« schloß sie. »Behalten wollt' ich's aber keinen Tag länger.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich nicht nötig hab', mir was schenken zu lassen, wo du was fortwirfst,« entgegnete sie, durch sein Verhör allmählig hart werdend. »Und weil der Rainer sich nicht für uns berauben soll. Und weil ich wußte, daß es dir nicht angenehm sein würde.«

»Nicht angenehm!« brauste er auf. »Ja, und wie kommt denn der Rainer dazu! Wenn du ihm nicht beständig in den Ohren lägst mit deinen Klagen –«

»Was du in Interlaken getan hast, weiß der Rainer auch ohne mich,« unterbrach sie kalt. »Und was daraus folgen muß, kann er sich denken – auch ohne mich. Und wenn ich ihm ja einmal mein Herz ausschütte, so ist er der Nächste dazu, und kein Mensch kann mir's verdenken oder verbieten.«

»Ich verbiet' dir's!« rief er aufgeregt. Sie zuckte die Achseln und antwortete nicht.

»Hast du mich verstanden, Barbara!« rief er noch lauter. Da drehte sie sich um, stellte sich ihm mit verschränkten Armen gegenüber und blitzte ihn feindselig an.

»Ja, ich hab's verstanden. Und ich hab' auch weiter verstanden, daß du dir einen schmutzigen Verdacht hast einflößen lassen von dem Spitzbuben, der dir mit seiner Niedertracht Glück und Geld und Ehre und Gewissen stiehlt. Und ich sage dir, daß ich mir nichts daraus mache und mich nicht daran kehre, weil ich dich verachte!«

»Barbara!« schrie er auf. Er stürzte ihr entgegen, als wollte er sie schlagen. Sie wich nicht vor ihm zurück; kerzengerade, steif und blaß stand sie da, bereit den Schlag zu empfangen. Da ließ er den Arm sinken. Sie hatte ja ganz recht: was jetzt zwischen ihnen vorging, daran war ja auch nur der Uttdörfer schuld. Wenn der ihm nicht so hämisch hinterbracht hätte –

»Such' dir wenigstens eine andere Zeit aus, als die Nachtzeit, wenn du spazieren gehst,« brummte er ärgerlich. Dann ging er in trotzigem Schweigen zu Bett.

Barbara konnte sich lange nicht entschließen, das gleiche zu tun. Ein Widerwille faßte sie bei dem Gedanken, und zugleich eine unklare Sehnsucht, sich dem Manne in die Arme zu legen und ihm Herz an Herz zu beweisen, daß der Uttdörfer niederträchtig gelogen habe. Aber sie war zu stolz für solche Beweise. Glaubte er nicht ohnedem an sie, so mochte er's eben bleiben lassen.

Schließlich legte sie sich doch; möglichst weit von ihm, und ganz still und regungslos lag sie, daß er denken konnte, sie sei eingeschlafen. Bis er plötzlich fühlte, daß ihr ganzer Körper vor unterdrücktem Weinen bebte. Da erschrak er –

»Bärbeli –« flüsterte er und streckte die Hand nach ihr aus. Sie rührte sich nicht. Da kam er näher an sie heran.

»Bärbeli – wein' doch nicht. Ich hör ja, daß du weinst! Nimm's doch nicht so schwer! Ich seh' ja ein, daß ich Unrecht getan hab' – ich bitt' dir's ab! Bärbeli, sag' doch, was weinst denn so sehr!«

Sie rührte sich immer noch nicht. Da drehte er sie gewaltsam zu sich herum.

»Bärbeli – willst mir nicht verzeihen? Hast mich nicht mehr lieb?« Da wallte es noch einmal auf in ihr. Sie hatte ja doch immer so viel Liebe für ihn gehabt. Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und streichelte ihn.

Ulrich Ambergers Kopf aber sank plötzlich auf die Brust seines Weibes, und ein jähes Aufschluchzen erschütterte auch seinen Körper.

Sie verziehen einander. Aber was sie sich Böses gesagt hatten in dieser Stunde, war nie wieder ganz auszulöschen aus ihrem Herzen und aus ihrem Leben.

*

Der Winter legte seinen weißen Königsmantel über die Berge. Alle Schluchten und Täler füllte die schimmernde Last. Der Verkehr stockte; nur hie und da suchte ein wanderlustiger Fremder über vereiste Firne und Joche den beschwerlichen Weg.

Gydisdorf versank in einen friedlichen Schlaf. Alle Geräusche des Lebens klangen gedämpft durch den dicken weichen Teppich, der Wiesen und Höfe deckte, und hallten verloren durch die unendliche Stille.

Auch der Pfad, der vom Holderhof herunter zum Amberger Hofe führte, war tief verschneit. Lief einmal eine Fußspur darüber hin, so war sie am andern Morgen wieder verweht und verlöscht.

Ulrich Amberger fand den Weg zu seines Bruders Haus nicht mehr. Scham, Schuldgefühl und Mißtrauen versperrten ihn ihm.

Ja, er schämte sich seines wüsten Treibens und seiner Willensschwäche, die ihn von dem Laster sich loszureißen hinderte, vor dem Bruder, der dieses Laster haßte und solche Schwäche nicht kannte. Er sah ein, daß jener ein Recht hätte, ihm Vorwürfe zu machen und sich verächtlich von ihm abzuwenden; und weil er es dazu nicht kommen lassen wollte, mied er seine Gesellschaft.

Er sah weiter ein, daß es ein Verstoß gegen die brüderliche Liebe und eine Nichtachtung ihres innigen Verhältnisses war, wenn er kameradschaftlichen Umgang hatte mit einem, der dem einzigen Bruder hinterrücks und feige einen großen Schmerz zugefügt, an seinem Jugendglück einen gemeinen Diebstahl begangen hatte. Und doch konnte er sich von diesem Umgang nicht losreißen. Das Laster des Trunkes, dem er sich immer völliger ergab, führte ihn diesem Umgang immer völliger in die Arme. Seine Kameradschaft mit dem Uttdörfer gewann je länger je mehr den Anstrich einer versteckten Feindschaft, die an ihren Ketten rüttelt und nicht wagt, offen hervorzutreten. Sie war ihm erwachsen aus einem instinktiven, innerlichen Widerwillen gegen den wüsten Gesellen; aus der Kenntnis dessen, was er dem Rainer angetan, und aus der Macht, die er über ihn selber allmählich gewonnen; diese Macht aber war das Geld.

Er schuldete dem Uttdörfer von Interlaken her eine ansehnliche Summe und er wußte nicht, wie er sie ihm zurückzahlen sollte, ohne seinen Besitz anzugreifen. Er mußte ihn bei guter Laune erhalten, denn er wußte, Uttdörfer würde die erste Gelegenheit, die es ihm wünschenswert machte, dem Bauer einen Tort anzutun, benutzen, um seine Schuld einzufordern.

Er hätte das alles dem Rainer sagen können; Rainer hätte ihm gewiß geholfen, und er hätte einen reinen Tisch machen können zwischen sich und dem Uttdörfer und wäre das Gewicht losgeworden, das ihn langsam immer völliger in die Tiefe zog. Aber er konnte sich zu dieser Demütigung nicht entschließen. Und weil er nicht schuldbewußt den Blick senken wollte vor des Bruders blauen Augen, die ihn traurig und fragend seine dunklen Wege gehen sahen, vermied er es mit ihm zusammen zu kommen.

Und endlich war es das Mißtrauen, das wie eine trennende Dornenhecke zwischen ihm und dem Bruder aufwuchs, und ihm den Weg zu ihm versperrte. Das Mißtrauen, zu dem der Uttdörfer in höhnischer Nichtswürdigkeit die verderbliche Saat in das Herz gestreut hatte. Zuerst hatte es ihn empört, daß jener mit versteckten Anspielungen den Bruder bei ihm zu verdächtigen gewagt hatte, und sein ursprüngliches Gefühl war gewesen: er freut sich, daß er dem Rainer, der ihn verachtet, der von oben auf ihn herabsieht, und vor dem er ein unsauberes Gewissen hat, eins auswischen kann. Um dieses Auswischen, darin seine niedrige Natur so recht zum Austrag kam, hätte er ihn in der ersten Entrüstung am liebsten durchgeprügelt, und hätte es auch getan – wenn es nicht eben der Uttdörfer gewesen wäre. Nun nagte an ihm der peinigende Vorwurf: Du hast es mit angehört, daß in hämischer Weise eine schändliche Verleumdung ausgesprochen wurde gegen einen Menschen, der dir nahe steht, der dir in Liebe verbunden ist, und du hast dazu still geschwiegen.

War es die Strafe für solch kraftloses Stillschweigen, für solch wehrloses Aufnehmen der giftigen Saat, daß sie nun keimte und Wurzel faßte in seinem Herzen?

Was Barbara ihm gesagt hatte an jenem Abend, das glaubte er; das konnte alles wahr sein; doch das war kein Gegenbeweis, keine Entkräftung der in ihm erwachten Bedenken. Rainer hatte ihr Geld zustecken wollen, hatte sie an den himmlischen Vater erinnert – um ihr zu helfen. Gegen wen? Gegen ihn, Ulrich, ihren Mann, seinem Bruder. Jemandem helfen und beistehen gegen einen andern, das heißt soviel, als ihn gegen diesen andern aufhetzen, dachte Ulrich. Und dann kam der bittre Gedanke, der ihn vor sich selbst verschämt und trotzig verstummen machte: es war seine eigene Schuld, daß Barbara Hilfe brauchte und sie bei einem andern suchen ging. Wenn er ihr nicht Anlaß zum Klagen gäbe, so würde sie dem Rainer nichts zu klagen haben; und wenn sie dem Rainer nichts zu klagen hätte, so würde er sie nicht zu trösten brauchen. Was aber daraus kommt, wenn Frauen sich von Männern, die nicht ihre Männer sind, trösten lassen – das weiß man. Dazu braucht man nichts zu tun, das braucht man nicht zu wollen; das kommt von selber.

Ulrich konnte seinen Bruder nicht mehr ansehen, ohne daß solche Gedanken in ihm aufstiegen, die er nicht mehr bannen konnte, obschon er sich über sie ärgerte und sich ihrer schämte. Und das war es zum dritten, was ihn Rainers Gesellschaft meiden ließ.

Ueber das, was er durch den Uttdörfer erfahren, hatte Ulrich mit dem Bruder nicht gesprochen. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte es getan, es hätte die Luft gereinigt und den Himmel brüderlicher Liebe geklärt. Aber er tat es nicht. – Auch Barbara tat es nicht. Eher hätte sie sich die Zunge abgebissen, ehe sie ihm so etwas erzählte, das ihn beleidigen und sie bloßstellen mußte, und das so unsinnig war bei ihrem guten und reinen Verhältnis zueinander. – Ulrich kam auch der Frau gegenüber nicht wieder auf dieses Gespräch zurück, dessen er sich schließlich schämte. Der ganze Vorfall schien ausgelöscht und vergessen, und lebte doch heimlich und verderblich weiter in seinem Innern.

Scham, Schuldgefühl und Mißtrauen, dazu die drückenden Geldsorgen und die verderblichen, Leib und Geist zerrüttenden Folgen des Trunkes untergruben seine Seelenruhe und seinen Hausfrieden, zerstörten seine gute Laune und seine Gesundheit und machten aus ihm binnen kurzem einen andern Menschen.

Sein Wesen ward heftig und unwirsch; sein heitres Auge scheu und blöde. Sein frisches Gesicht war bald krankhaft blaß, bald unnatürlich rot, und von einer ungesunden Gedunsenheit. Tags über saß er untätig im Hause herum, oder er schalt mit den Knechten im Stall; oder er lief draußen umher auf abgelegenen Wegen, wo er niemanden begegnete. Abends ging er ins Wirtshaus. Wen er da traf und was er trieb, sagte er nicht. Fast immer war er betrunken, wenn er zurückkam; oft bis in den nächsten Vormittag hinein. Einmal war er die ganze Nacht ausgeblieben; wo er sie zugebracht, erfuhr Barbara nicht.

Auch aus ihr ward eine andre. War sie schon sonst sehr häuslich gewesen, so ließ sie sich nun überhaupt nicht mehr sehen. Notwendige Gänge mußte ihr der Alois besorgen, und wenn der es nicht konnte, bat sie den Rainer. Sie mochte sich vor keinem Menschen sehen lassen. Ihres Mannes Schande war ja vor dem ganzen Dorf offenbar, sicher sprach man davon in jedem Herd und vor jeder Haustür. Und sie war dieses Mannes Frau.

Ihr Ekel vor ihm mehrte sich. Sie begann ihn zu verachten, und in dieser Verachtung erlosch die Liebe. Hätte sie Mitleid mit ihm haben können – aber sie war keine von den weichen Naturen, die das große Mitleid mit der Schuld erst recht befähigt, zu verzeihen und zu retten. Und weil sie dieses Mitleid nicht hatte und nicht fand, zog sie sich von ihm zurück in hoffnungslosem Schmerz, wo sie ihm hätte nachgehen können in suchender Liebe.

Sie schalt nicht; sie klagte nicht mehr. Auch zum Rainer nicht. Sie verstummte völlig und arbeitete mit finstrem, verzweifeltem Gesicht vom Morgen bis zum Abend, als könne sie auf diese Weise gut machen, was Ulrich versäumte. Sie ertrug auch die Untätigkeit nicht, mit dem nagenden Gram im Herzen. Am meisten aber grämte sie sich über das verlorene Eheglück.

Der Bauer mied sie, soviel er konnte. Ihr stolzes, stummes Gesicht reizte ihn, weil es ihn vernichtete.

Und wo er zu einem Beisammensein mit ihr gezwungen war, tat er wie das leibhaftige böse Gewissen ihr gegenüber, oder er war heftig und aufbegehrend. Sie schien das eine zu übersehen; das andre ertrug sie mit stumpfer Ergebung.

Tag und Nacht sann Rainer darüber nach, wie er den Lauf des Unglücks in seines Bruders Hause aufhalten könne. Dem Bruder selber war nicht mehr beizukommen; er wich ihm aus oder fuhr ihn an – jenachdem. Auf den Holderhof kam er nicht mehr, und wenn Rainer zu ihm hinunterging, traf er ihn meist nicht an.

Wenn er dann bei der Barbara saß, war es auch nicht mehr so wie sonst. Sie war bitter und wortkarg, und wenn er reden wollte von dem, was auf ihnen lastete, so verstummte sie ganz oder fing von anderem an. Er merkte bald, sie wollte nicht davon sprechen; und weil er glaubte, es sei aus Rücksicht gegen ihren Mann, hob dies Schweigen sie nur noch in seiner Achtung und Zuneigung.

Sie sagte auch nie mehr: Du mußt helfen. Sie schien sich darein gefunden zu haben, daß er nicht helfen könne, ebensowenig wie irgend ein anderer.

Weil sie aber doch nicht stundenlang schweigend nebeneinander hersitzen konnten, und weil er den Eindruck gewann, daß sein Kommen ihr nicht mehr so lieb sei wie in früheren Tagen, wurden auch seine Besuche immer seltener.

Einmal in der frühen Winterdämmerung kam wieder die Margred zum Amberger Hof herauf, nachdem sie viele Wochen sich nicht hatte sehen lassen. Sie trat in die Stube, in der Barbara am Tisch saß und flickte. Alois schrieb auf der Schiefertafel seine Schulaufgaben und die Kleinen, auf der Diele hockend, spielten mit allerlei Gerät, das ihnen der Ohm Rainer geschnitzt hatte. Draußen schneite es. Margreds Tuch war weiß bepudert, und an ihren Schuhen backte der Schnee in feuchten Klumpen.

»Guten Abend, Ambergerin,« sagte sie. »Man könnt' meinen, ihr wär't gestorben! Man sieht ja gar nichts mehr von euch!« Sie nahm das große Tuch ab. Ihre Wangen waren gerötet von der kalten Luft, was ihr ein frisches, jugendliches Aussehen verlieh.

Barbara erhob sich ziemlich schwerfällig und konnte nicht ganz verbergen, daß der Gast ihr ungelegen kam. Ihr Haß gegen den Uttdörfer erstreckte sich nachgerade auf alles, was mit ihm zusammenhing; also auch auf seine Frau.

Margred fühlte, daß sie nicht willkommen war; tat aber nicht dergleichen. Sie besah die Kinder, sprach dies und das Nebensächliche und setzte sich endlich unaufgefordert an den Tisch.

»Mein Mann ist nicht zu Hause –« sagte Barbara. die noch unschlüssig stehen geblieben war, ohne recht zu wissen, warum sie es sagte.

»Ich weiß,« entgegnete Margred ruhig. »Er hat den meinen abgeholt; sie sind zusammen nach Burglauenen ins Wirtshaus.«

»So – also der Gletschwirt genügt ihnen nicht mehr –« stieß Barbara bitter heraus, dadurch verratend, daß sie von dem Ziel der heutigen Wanderung nichts gewußt habe.

»'s ist halt eine Abwechslung,« sagte Margred ebenso ruhig. Barbara wollte auffahren; besann sich aber und schwieg.

»Wo die Männer soviel aus sind, sollten wir Frauen einander besser Gesellschaft leisten,« fuhr Margred fort.

»Ich verspür' keine Lust zum Ausgehen.«

»Nun ja – ihr habt ja euren Schwager!« Barbara sah auf. In ihren finstren Augen drohte es –

»Was meint ihr damit?«

»Nun, der Anselm sagt, wenn Euer Mann fort sei, komme der Rainer, und leiste euch Gesellschaft; und darum könne euer Mann getrost fortgehen, und darum gehe er auch.«

Barbara reckte sich in ihrer ganzen Größe auf. Ihre Augen funkelten.

»Glaubt ihr das?!«

»Nein, ich glaub's nicht,« sagte Margred mit ganz ruhiger Stimme.

»Das ist euer Glück. Ich hätte euch sonst augenblicklich die Tür gewiesen – für immer!«

Margred lächelte nur zu diesem stolzen Eifer.

»Von eurem Schwager glaubt niemand etwas Schlechtes oder Unrechtes,« sagte sie. »Und wenn der Anselm so etwas sagt, so ist es nur, weil er ihn nicht leiden mag.«

»Und warum mag er ihn nicht leiden?«

»Das sind Sachen – von früher her. Das ist nun einmal so.« Sie war ein wenig verlegen geworden, raffte sich aber schnell auf und fuhr fort: »Ich wollt' euch nur sagen, wenn auch das mit dem Schwager nicht wahr ist – Schuld habt ihr doch, wenn euer Mann soviel ausgeht!« Barbara wurde rot vor Unwillen.

»Was geht's euch an! Ich hab' euch nicht um eure Meinung gefragt. Wir sind nicht so befreundet, daß ich mit euch darüber sprechen möchte!«

Das war deutlich genug. Aber Margred ließ sich nicht irre machen.

»Ich weiß, und ich bitt' euch um Vergebung, wenn ich mich dennoch einmische. Seht, Ambergerin,« fuhr sie fort, rückte ein wenig näher gegen Barbara, die sich inzwischen auch gesetzt hatte, und dämpfte ihre Stimme, der Kinder wegen, »ich bin ja in einer ähnlichen Lage, wie ihr. – Mein Mann ist auch viel aus – und ich dachte, ich könnt' euch einen Rat geben –«

»Befolgt eure Ratschläge erst an euch selber!«

»Ich wollt' euch sagen: ihr müßt den Mann nicht richten und verdammen um seine Schwäche, und ihm ein finsteres Gesicht zeigen, wenn er heimkommt – das macht ihm das Haus eng und er eilt wieder hinaus sobald es angeht. Ihr müßt gut zu ihm sein, und ihn lieben, auch wenn er gefehlt hat. Ihr müßt ihn halten und zurückziehen mit eurer Liebe –«

»Warum denn tut ihr das nicht!« unterbrach Barbara mit bitterem Hohn. Margred errötete und schlug die Augen nieder.

»Ich tu' es wohl,« sagte sie leise. »Ich liebe ihn trotz allem; ich war es nicht imstande, ihm ein böses Wort zu sagen –«

»Weil ihr euch fürchtet!«

»Nein, nicht darum. Sondern weil er mir so leid tut, wenn er in so einem Zustand nach Hause kommt; weil er ja gar nicht weiß, wie schrecklich das ist und wie ihm das schadet –«

»Und wenn er euch schlägt –«

»So halt' ich still, denn wollt' ich mich wehren, so würd's nur schlimmer.«

»Und wenn er sich herumtreibt,« fragte Barbara grausam weiter, »und euch mit andern betrügt –«

»So denk' ich: er wird schon wieder zu mir zurückkehren, weil ich für ihn ja doch besser bin, als die schlechten Dirnen, und bin ihm um so williger, wenn er's verlangt –«

Barbara wandte sich ab, wie im Ekel.

»Das ist verächtlich,« sagte sie.

»Das ist nur Liebe,« entgegnete Margred.

»Wenn's Liebe ist – so verdient er sie nicht,« sagte Barbara hart.

»Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen.«

»Und wozu denn, meint ihr, braucht er sie? Wißt ihr überhaupt, ob er sie verlangt?«

»Ob er sie verlangt, weiß ich nicht. Daß er sie braucht, ist mir gewiß. Wozu hätt' mich denn Gott auserlesen, seine Frau zu sein – ich war für einen andern bestimmt, und bin endlich doch die Seine geworden – wozu grade mich, die ich diese Lieb' zu ihm im Herzen trag', als damit ich diese Lieb' für ihn nütze? Und ich bin gewiß, sie wird ihn zurückziehen auf den guten Weg, den er verlassen hat. Wenn ich nur ausharre – so kann's nicht fehlen. Ich bet' alle Tage für ihn, mit meiner ganzen Lieb'. Wozu hätt' denn der liebe Gott verheißen, Gebete zu erhören, und uns geboten zu lieben, fast auf jeder Seit' in der Bibel?«

Margreds Augen leuchteten in frommer Begeisterung. Barbara konnte das nicht begreifen.

»Ekelt's euch denn nicht vor eurem Manne, wenn er betrunken heimkommt?« fragte sie, fast neugierig.

»O ja, freilich,« gestand Margred. »Aber dann kommt das Mitleid, und dann überwind' ich's.« Barbara stützte den Kopf in die Hand. Dann seufzte sie ungeduldig auf.

»Wenn eure Lieb' solange Zeit braucht, um zum Ziele zu kommen – woher wollt ihr wissen, daß ich keine hab? wer sagt euch, daß sie nicht längst schon im stillen arbeitete, umsonst, wie die eurige?«

»Das seh' ich an eurem Gesicht und das hör' ich an euren Worten, wenn ihr über das alles sprecht. Zudem, glaub' ich, hätt' eure Lieb' eine leichtere Arbeit als meine. Es ist erst seit kurzem, daß euer Mann solche Wege geht; wenn ihr recht angefaßt hättet, von Anfang an –«

»Und wer hat ihn auf diese Wege gebracht?« fuhr Barbara auf. »Wer hat ihn verführt, und verführt ihn noch alle Tage –«

»Ich weiß, daß das mein Mann ist,« sagte Margred. »Und darum komm' ich ja eben.« Barbara sah sie verblüfft an.

»Ihr sollt den eurigen hindern, soviel mit dem Meinen zu gehen. Es ist dem Anselm nicht gut; er findet einen zu willigen Genossen an ihm –«

»So hindert lieber den eurigen, wenn ihr's vermögt! Ihr – ihr vermögt's nicht! Nun – ich vermag's auch nicht. Und darum wird es wohl so bleiben müssen, wie es ist. – Ich hab' nicht euer Mitleid und eure Liebe und eure Zuversicht,« fuhr sie wehmütig fort. »Aber ich beneid' euch darum. Wenn's auch nicht nützt – es macht die Last doch leichter.«

»O, es nützt auch!« rief Margred. »Nicht gleich – aber mit der Zeit. – Und von nun an werd' ich auch für euren Mann beten,« schloß sie, und neigte in frommer Scham den Kopf. – Barbara stand vor einem Rätsel. Sie begriff das alles nicht.

Da tat sich abermals die Tür auf. Rainer trat über die Schwelle.

Und plötzlich fiel ihr ein, daß Rainer ihr schon einmal etwas Aehnliches gesagt hatte, wie jetzt eben die Margred: sie müsse mit ihrer Liebe den Mann zurückziehen von seinem bösen Wege. – Ueber alledem vergaß sie, den Schwager zu begrüßen, und sah nur gedankenlos auf ihn hin.

Margred Uttdörfer war sehr rot geworden und in ihre stillen, traurigen Augen kam eine sichtbare Unruhe. Sie stand von ihrem Stuhle auf und wußte nicht, ob sie ihm entgegengehen sollte. Außer in der Kirche und einmal von weitem auf der Straße hatte sie ihn noch nicht gesehen; gesprochen noch gar nicht. Nun war der Augenblick gekommen, der sich doch nicht immer vermeiden ließ.

Rainer erleichterte es ihr. Er tat ein paar Schritte ins Zimmer und hielt ihr die Hand hin.

»Guten Abend, Uttdörferin,« sagte er einfach. Er spürte kaum eine tiefere Bewegung dabei. Er hatte die alten Geschichten überwunden, – und was er dem Manne nicht verzeihen konnte – der Frau trug er es nicht nach. Sie hatte nicht anders gekonnt.

Margreds vielgeprüftes Herz wallte auf vor Scham und Dank. Die Erinnerungen kamen ihr zu stark zurück bei seinem Anblick. Die Bewegung, mit der sie ihre Hand in die seine legte, hatte etwas Feierliches.

Dann wandte sich Rainer zu Barbara, und während er mit ihr sprach, verwandte Margred kein Auge von ihm. Der »Sonnenmensch«, wie sie ihn genannt, hatte gehalten, was er versprach. Ein Mann war er geworden mit Kraft in den Gliedern und mit Mut in den Augen – ja, und mit Sonne, wenn auch Schatten der Sorge den hellen Schein jetzt dämpften. Wie eine Stütze in jeder Not sah er aus, und wie eine Stärkung für jede Schwäche. Wer den zum Freunde hatte, der war wohl daran. Das wußte sie, die ihn kennen gelernt hatte in seiner fröhlichsten Jugendblüte, und vor allem in jener einen unvergeßlichen Stunde, die ihm das Aergste brachte, was ein Mädchen dem Manne, der es liebt, antun kann. Wie er diese Stunde und sich selbst darin überwunden hatte, das vergaß sie ihm nie. Es band sie an ihn, obschon es sie von ihm trennte.

Rainer redete auf seine Schwägerin ein – was er sprach, hatte Margred über ihren Gedanken nicht gehört – aber sie begriff nicht, daß Barbaras Gesicht immer die gleiche Finsternis behielt. Wenn ihr einmal jemand so zuredete – wie würde das ihrem Mut aufhelfen! – Sie seufzte leise und strich mit der Hand über die Augen, die ihr naß geworden waren. Dann ging sie und nahm das Tuch um; sie wollte gehen; sie konnte nicht an einem Tische sitzen mit dem Manne, an dem sie so schlecht gehandelt hatte; sie verdiente es nicht; sie konnte heute noch nicht an ihn denken, ohne zu erröten. Aber doch – wenn es wieder so käme, wenn sie alles noch einmal zu durchleben hätte, sie würde es wieder ebenso machen.

»Gute Nacht, Bäuerin,« sagte sie. »Ich möcht nun gehen.« Barbara sah erstaunt auf, und versuchte vergebens, sie noch zu längerem Bleiben zu bewegen; sie hätte es gerne gesehen, denn seit dem heutigen Abend fühlte sie eine Art Freundschaft für die Frau, gemischt mit uneingestandener Bewunderung. Aber Margred blieb dabei, sie müsse fort.

»Gute Nacht, Amberger,« sagte sie zu diesem. Dabei wickelte sie die Hände in das Umschlagtuch; er sollte nicht denken, daß sie eine Hand von ihm erwarte; einmal hatte er sie ihr gegeben – das war genug.

Rainer sah ihr in das schmale Gesicht, in die sanften Augen, als wolle er mit diesem einen Blick ergründen, was aus ihr geworden sei. Sein Herz blieb ganz ruhig dabei. Wie ist es doch wunderbar, daß man einmal so eng zusammen gehört hat, und dann so völlig, so weit auseinander kommt –

»Gute Nacht,« sprach er aus tiefen Gedanken heraus.

»Ich geleite euch vors Haus,« sagte Barbara und öffnete der Frau die Tür. »Ihr hättet noch bleiben sollen,« fuhr sie draußen fort. »Der Rainer kann einen Menschen so aufheitern und erquicken – 's hätte euch gut getan! Aber freilich – ihr braucht's nicht so nötig. Ihr habt eure Lieb' –«

»Ja – habt ihr denn keine Lieb' mehr?« fragte Margred, hielt Barbaras Hand fest und sah sie besorgt an.

Barbara senkte den Kopf und schwieg.

»Dann ja dann nützt euch kein Aufheitern. Dann helfe euch Gott! Arme Frau! –«

Immer noch hielt sie die Hand fest; es war, als wollte sie noch etwas sagen; aber sie tat's nicht. Leise, wie ein Schatten, huschte sie zur Haustür hinaus.

Als sie fort war, hob Barbara langsam, in schwerem Sinnen den Kopf. – Draußen funkelte der sternenhelle Winterabend. Wie schön, wie fröhlich und friedlich hatte das sonst immer ausgesehen! Nun fühlte sie nur die Kälte, die Stille, die Leere. Sonst hatte es sie gestimmt wie zum Singen und Beten – jetzt hätte sie am liebsten geweint. Aber das ging nicht. Drinnen im Zimmer war ja der Rainer – Sie preßte die Hand aufs Herz, damit es stille schweige, und ging hinein.

Er spielte mit den Kindern; ließ Christen und Mareili auf seinen Knien reiten und pfiff ihnen dazu ein lustiges Stücklein. Barbara stand mit unterschlagenen Armen dabei und sah zu bis es zu Ende war.

»Weißt, Rainer,« sagte sie dann, ohne ihre Stellung zu ändern, »die Uttdörferin ist eine, vor der muß man Respekt haben!«

»Warum?« fragte er. Sie erzählte es ihm in Kürze.

»Mit solch einer Liebe hätt' sie wahrlich einen Besseren verdient,« schloß sie; »einen, wie du bist!« fügte sie unwillkürlich hinzu.

»Vielleicht ist sie gerade wegen dieser Liebe dem Uttdörfer gegeben worden. Die Schlimmsten brauchen die meiste Liebe und die meiste Geduld. Und diese Liebe ist ja ein Glück für sie. Davonlaufen geht doch nicht –«

»Ja, ein Glück,« sagte Barbara düster. »Ich beneid' sie drum.«

»Hast du denn dies Glück nicht?«

Zum zweitenmal an diesem Abend trat die große Gewissensfrage an sie heran und offenbarte ihr, was sie bislang nicht hatte sehen wollen. Und wieder, wie vorhin, ließ sie den Kopf tief sinken und schwieg.

Da stand der Rainer auf, und trat dicht vor sie hin. Seine blauen Augen waren sehr ernst, beinahe streng.

»Barbara, hast du deinen Mann nicht mehr lieb?«

Sie antwortete nicht; sie schüttelte nur ganz unmerklich den Kopf. Da legten sich Rainers Hände schwer auf ihre Schultern.

»Barbara,« sagte er, »wenn du dein Herz vom Uli zurückziehst, jetzt, wo er's am nötigsten hat, dann – bist du nicht, wofür ich dich gehalten hab'. Dann bist du keine gute Frau.«

Sie sah auf; sie wollte etwas sagen. Das Wort erstarb auf ihren Lippen. Ganz blaß sah Rainer aus, und ganz kummervoll. Er nahm seinen Hut und ging schweigend zur Tür.

Eine rauhe Angst griff ihr ans Herz.

»Rainer!« rief sie ihm mit erstickter Stimme nach. »Rainer! Du wirst mir doch nicht davongehen –«

Er hörte nicht mehr; er sah sich nicht mehr um. Er ging hinaus und die Tür fiel hinter ihm zu.

Da setzte sie sich an den Tisch, legte den Kopf in die Hände und weinte bitterlich. Und das Mareili, erschreckt durch der Mutter Schluchzen, machte ein ängstliches Gesicht, verzog das Mäulchen und weinte mit.

 

* * *


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