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Am oberen Ende von Gydisdorf im Grindelwaldtale stand der reiche Bauernhof des Ulrich Amberger; etwas seitwärts oberhalb der Straße, die breit und ordentlich den Ort durchzieht, mitten auf einer saftigen grünen Wiese, die steil herunterfällt, und durch deren üppige Gräser ein schmales Rinnsal mit kühlem Rauschen herniedersprudelt. Vor dem hölzernen Hause, dessen Giebel mit Sprüchen und Schnitzwerk verziert war, breiteten zwei alte Ahornbäume ihre großblättrigen Kronen; in ihrem Schatten plätscherte der immerfließende Brunnen in den großen steinernen Trog. Auf der einfachen Holzbank neben der Haustür, zu der ein paar Steinstufen hinanführten, saß Barbara Amberger und flickte Kinderkleider.

Es war gegen Abend im Hochsommer; noch war die Sonne nicht hinter die Berge gegangen, sondern beleuchtete mit vollem Strahl die unendlich weiten Hänge voll grüner Weiden und Wiesen, mit den überall verstreuten braunen Höfen, Almen, Viehhütten und Heuschobern, das graue Gestein der gewaltigen Felsberge, die bläulichen Eismassen der zerschrundeten, zackigen Gletscher und den schimmernden Schnee der Firne und Grate. Es war ein wundervoller, weiter Blick, der sich vor Ulrich Ambergers Haustür dem Auge erschloß – aber sein schaffendes Weib schien keinen Sinn für die Schönheit zu haben, die sie selig und groß umgab.

Ihr Gesicht hatte einen bekümmerten, fast verdrossenen Ausdruck, und sie stichelte mit eigensinniger Emsigkeit und hartnäckiger Ausdauer an dem kleinen Höschen von braunem Loden, ohne ein einziges Mal aufzusehen.

Auf dem einen Teil der Wiese, der bereits gemäht war, spielten ihre drei Kinder – zwei Buben mit braunen, frischen Gesichtern und dichtem, dunklem Haupthaar, dem Erbteil der Mutter, und ein kleines Mädchen, um dessen rundes, rotwangiges Gesicht sich eine Fülle ungebändigter blonder Ringelhaare wellte. Sie jagten einander, griffen die blauen, roten und gelben Schmetterlinge, die im Sonnenlicht herumtaumelten, und warfen mit kleinen Steinchen nach Zielen, die sie niemals trafen.

Die Herbstsonnenglut wurde gemildert durch den frischen, starkwürzigen Duft, der von allen Seiten dem eben gemähten Gras oder dem bereits zu rauschigen Haufen getürmten Heu entströmte. Auf allen Almen waren die Leute mit Mähen und Breiten beschäftigt. Auch Ulrich Amberger war auf seine Wiesen jenseits des Tales, oben am Mettenberge, gestiegen, um die Knechte bei der Arbeit zu überwachen oder gar selbst mit Hand anzulegen. Er schämte sich dessen nicht, obschon er es nicht nötig hatte. Sein ungewöhnlich ausgedehnter Besitz machte es ihm erforderlich, Knechte und Mägde zu halten, und er hatte deren genug; bei den reichen Bauern drängen sich die armen Häusler um die Arbeit. Da er aber ein tätiger Mann war, genügte es ihm nicht, nur zuzusehen und zu befehlen, sondern es war ihm ein Bedürfnis, seine jugendliche Vollkraft in körperlicher Arbeit zu betätigen.

Barbara freute sich, wenn sie ihn bei solcher Arbeit wußte, obschon diese ihn stundenlang, ja oft den ganzen Tag von Hause fernhielt. Denn kam er abends zurück, so war er müde und spürte nicht Lust, andre Gänge zu machen, an die sie nur mit Zittern und schmerzhaftem Groll dachte.

Der Flicken auf dem Höschen saß fest. Barbara packte die Arbeit zusammen und ihre Bewegungen hatten etwas Gewaltsames dabei.

»Wozu müh' ich mich, all den Plunder zusammenzuhalten – ich allein kann's doch nicht,« murrte sie vor sich hin, und eine tiefe Falte erschien dabei in ihrem jungen Gesicht, grad zwischen den feinen, dunklen Augenbrauen. Dann ging sie ins Haus, und machte sich daran, das Abendbrot herzurichten. Sie stellte die Töpfe auf dem kleinen Herd zurecht, und machte das Feuer an, was sie sonst wohl der Magd überließ, aber die war heut mit ins Heu. Dann ging sie ins Zimmer, deckte ein sauberes, grobes Leinentuch über den viereckigen Holztisch, nahm vom Bord die bunten irdenen Teller, und stellte sie samt Gläsern und zinnernem Eßgerät zurecht. Dann stieg sie in den Keller, um einen Krug süßer Milch zu holen.

Als sie die steile Treppe wieder hinaufstieg, hörte sie auf dem Flur den festen Schritt ihres Mannes; unter Tausenden kannte sie ihn heraus, obschon er nicht der Einzige war, der schwere Nagelschuhe trug und einen wuchtigen Gang hatte; zu oft schon hatte ihr bei diesem Schritt das Herz gezittert, vor Freude, und öfter noch vor Angst.

Ulrich Amberger lehnte den Bergstock von braunem Weichselholz in die Ecke, hängte den Sonnenhut an die Wand und wischte sich mit dem Sacktuch den Schweiß von der breiten Stirn unter dem dicken Blondhaar. Er war ein schöngewachsener Mann von stattlicher Größe, schlank und kräftig, kein Lot Fleisch zuviel, die Muskeln von Stahl und das Gesicht voll Gesundheit. Die Augen darin hatten einen unsteten Blick.

»Guten Abend, Bärbeli,« sagte er heiter, und doch nicht ganz zwanglos; sie bemerkte es sofort und streifte ihn mit einem forschenden Blick; dabei hatten ihre dunklen Augen etwas Finsteres.

»Kommst ja so früh,« sagte sie, und blieb mit der gefüllten Milchkanne mitten auf dem schmalen Gange stehen, weil er ihr den Weg ins Wohnzimmer versperrte. »Hat wohl gar sehr geschafft mit der Arbeit droben?«

»Ei freilich. Ich hab' die Leut' noch zurückgelassen, daß sie die letzte Mahd noch breiten.«

»Und warum kommst nicht mit ihnen zusammen?« fragte sie; er wich dem graden Blick aus und sagte leichthin:

»Weil ich mit dem Uttdörfer eine Verabredung getroffen habe für den heutigen Abend.«

Sie entgegnete kein Wort. Wenn man nicht sah, wie sie trotz der gebräunten Haut erblaßte, hätte man meinen können, seine Verabredungen seien ihr das Gleichgiltigste.

»Gib Platz,« sagte sie dann eintönig, »daß ich den Krug ins Zimmer trage; er ist schwer.«

»So gib mir erst Antwort auf meinen Guten Abend,« sagte er und stellte sich breit vor sie hin. Er sah sie dabei an, als ob er sehr verliebt in sie und sehr stolz auf sie sei. Aber sie schlug die Augen nieder und rührte sich nicht.

»Geh, mach nicht solch finsteres Gesicht, Bärbeli,« rief er fröhlich, und wollte sie beim Kinn fassen. Aber sie wich zurück und ein scharfer Blick traf ihn pfeilschnell und flüchtig.

»Warum ist's finster?« fragte sie. »Es brauchte nicht so sein. Aber dein verliebtes Getue deckt vor meinen Augen deine Sünden nicht zu.«

Ulrich Amberger wandte sich hastig um, daß die Nägel seiner Sohlen tiefe Eindrücke auf der Diele hinterließen, und ging ohne ein weiteres Wort hinaus zu seinen spielenden Kindern. Erst als die Frau sie zum Essen rief, kam er mit ihnen herein.

Er sprach das Tischgebet. Barbara hatte das so eingeführt am ersten Tag ihrer Ehe, und sie hatten es beibehalten all die Jahre. Heut, als der Christusname von seinen Lippen fiel, zwang ihn plötzlich irgend etwas, zu seinem Weibe hinüberzublicken.

Barbara sah tiefgebeugten Hauptes auf ihre gefalteten Hände nieder; um ihre zusammengepreßten Lippen zuckte der Spott.

Ein böser Trotz erfüllte da des Mannes Herz. »Sie hält mich nicht mehr für wert, zu beten,« dachte er bei sich, sprach mit Nachdruck die frommen Worte zu Ende und setzte sich auf seinen Stuhl, daß es krachte. Barbara zuckte ineinander und tat, als habe sie nichts gemerkt.

Das Mahl ward schweigsam eingenommen. Der Bauer aß mit gesundem Hunger, die Frau wenig und zerstreut; die Kinder mit sichtlichem Wohlgefallen in das Vergnügen des Essens vertieft und ohne das schwüle Schweigen zwischen ihren Eltern zu empfinden. Als sie sich satt gegessen hatten, schickte der Vater sie hinaus.

»Tummelt euch noch ein wenig, daß ihr nicht mit dem vollen Magen in Schlaf kommt,« sagte er und schob sie zur Tür hinaus. Dann sah er, mitten im Zimmer stehend, der Frau zu, die den Tisch abzuräumen begann.

»Ich muß nun gehn, Barbara,« sagte er endlich. Sie antwortete nicht, sondern klapperte mit dem Geschirr.

»Gibst mir kein gutes Wort mit auf den Weg?« fragte er und seine Stimme klang ungewöhnlich weich.

»Auf den Weg auch noch gute Worte!« rief sie herb und wegwerfend und wirtschaftete weiter.

»Es könnt mich aber eher zurückziehen, so ein gutes Wort!« fuhr er geduldig, fast bittend fort.

»Was brauchst überhaupt erst zu gehn!« entgegnete sie achselzuckend. Er sah sie von oben bis unten an.

»Ich mein, ich könnt sogar hierbleiben, wenn du mich recht schön bitten tätst!« Sie warf ihm zwischen ihrer Geschäftigkeit einen schiechen Seitenblick zu.

»Auch noch bitten soll ich? Ich hab dich doch oft genug gebeten – es hat nichts genützt. – Ich bitt' nicht mehr.«

»Du hast nicht genug Ausdauer gehabt,« entgegnete er. »Du kennst meine Schwäche – du solltst mir helfen.«

»Ein ordentlicher Mann weiß allein, was er zu tun hat, und tut's von selber, ohne daß er sich von seinem Weib muß gängeln lassen. Ich will kein Gängelkind zum Mann. Geh – tu was du willst. Du mußt ja wissen, wo's hinaus führt.«

Immer noch stand der Bauer, als hoffe er, sie werde sich eines anderen besinnen. Als das nicht geschah, unterdrückte er einen Seufzer.

»Nun denn – gute Nacht,« sagte er, und streckte die Hand aus.

»Gute Nacht,« erwiderte sie kalt, ohne die Hand zu sehen. Er ließ sie hastig sinken und ging hinaus. Sobald sich die Tür hinter ihm schloß, ließ Barbara Teller und Näpfe stehen und lauschte ihm nach. Sie hörte ihn in die Kammer gehn, wo er sein Arbeitszeug mit einem besseren Rock vertauschte; es war schnell geschehen, und er kam mit eiligen Schritten wieder an der Tür vorbei, hinter der sie stand. Sie hoffte, er würde noch einmal hereinsehen; sie bereute fast ihre Schroffheit; sie glaubte, daß sie ihn jetzt würde bitten können, aber ihre Selbstbeherrschung reichte doch nicht so weit, daß sie ihm dazu nachging. So ließ sie ihn vorbei, zum Hause hinaus, und sah ihn mit wuchtigen Schritten den steilen Fußpfad über die Wiese hinuntersteigen, der Straße zu. Er sah sich nicht mehr um.

*

Die Sonne war längst hinunter; nur die letzte Dämmerung des Sommertages schwebte noch mit bläulich grauem Schein über dem Hochgebirge; das weite Tal lag in dunkle Schatten gehüllt, aus denen herauf die Lichter der menschlichen Wohnungen hell und freundlich blinkten. Am wolkenlosen Himmel tauchte ein Stern nach dem andern hervor; manche so hart am Rande der Schneefirne, als habe ein einsamer Wanderer sich dort oben ein winziges, wärmendes Feuer angezündet.

Ulrich Ambergers Hof lag still und dunkel. Die Kinder schliefen in ihren Betten, desgleichen die Hausmagd und der Knecht, der auf dem Hof eine Schlafstelle hatte, während die andern teils auf den Almen blieben, teils bei ihren Angehörigen wohnten. Aus dem Heuboden schlich eine weißbunte Katze ihrem nächtlichen Gewerbe nach; im Stall klirrten die zwei Kühe, die der Milch wegen hatten von der Alm zurückbleiben müssen, manchmal leise mit der Kette, wenn sie sich der selbst bei Nacht nicht ruhenden Stechfliegen zu erwehren trachteten.

Die Haustür stand weit offen, um die erfrischende Kühle einzulassen, die erquickend von den Bergen sank und duftend aus den Wiesen stieg. Auf der Schwelle saß Barbara, die Hände müßig im Schoß, und starrte trübselig und gedankenschwer in die Ferne.

Da drüben, gradeaus, schimmerten die Spitzen der Viescherhörner; der Sattel, der sie beide verband, war von einem weißen Schneeteppich bedeckt, der niemals schwand und niemals seine fleckenlose Reine verlor. Von da herunter senkten sich die ungeheuren Eis- und Schneemassen zu Tal, bis dahin, wo der Gletscher, immer schmaler werdend, auf mächtigen Sperrfelsen aufsitzt, aus denen sein wildes Kind, die brausende Lütschine, ungestüm hervorrauscht ins unbekannte Leben. Zur Rechten erhebt der Eiger seine dunkle Felsmasse trotzig zum Himmel empor – von seinen steilen Wänden ist der Schnee herabgeschmolzen, und nur um das breite Haupt noch trägt er einen Kranz von großen weißen Blumen. Zur Linken drängt sich vor die Eisfelder die trotzige Mettenbergwand, auf der des Ambergers Almen hängen; und weiterhin das Wetterhorn, wie ein gepanzerter Riese, der die Talwacht hält. Nirgends ein Ausblick zwischen den gewaltigen Mauern, die von allen Seiten den Talkessel umstarren. Und doch findet das Leid den Weg herein, und das Glück entschlüpft, um nimmer wiederzukehren.

Barbara wartet gar nicht mehr darauf, ob es wiederkehren möchte. Sie wartet nur auf ihren Mann mit einer stumpfsinnigen Geduld. Wo er ist, wie lange er ausbleibt, das weiß sie nicht. Sie weiß nur, daß der Uttdörfer ihn in irgend ein Wirtshaus gelockt hat, daß er da mit ihm trinkt und ihm das Geld abnimmt oder dafür sorgt, daß es andre tun. Der Uttdörfer ist der größte Tunichtgut im ganzen Grindelwald, leichtsinnig und liederlich, und hat immer Glück. Ulrich Amberger aber läßt sich verführen, er ist mit Leib und Seele bei allen Tollheiten, und hat immer Unglück.

Wie die unselige Freundschaft mit dem Uttdörfer angefangen hat, das weiß Barbara kaum; es kam, wie so etwas eben kommt. Sie wußte nur, daß seitdem der häusliche Friede gestört, ihres Mannes Laune veränderlich und sein Herz nicht immer offen war vor ihr.

Als ihre Vorstellungen und Bitten ihm gegenüber vergeblich blieben und nur mit leichtsinnigen Scherzen und beschwichtigendem Liebesgetändel abgetan wurden, erwog sie, ob sie einmal zum Uttdörfer gehen und ihm seinen gefährlichen Einfluß vorstellen solle. Aber sie sagte sich, daß das umsonst sei, daß sie nur Spott ernten würde. Sie war auch zu stolz, um sich zu demütigen, namentlich vor dem übermütigen, eingebildeten Uttdörfer, der sie nie für voll hatte ansehen wollen, weil sie als blutarmes Mädchen in den Hof hereingekommen war.

So verstummte sie trotzig und traurig, und wartete auf das Schicksal, wie es seinen Lauf nehmen würde, und jetzt nur auf ihren Mann.

Barbara war die Tochter einer armen Spitzenklöpplerin in Lauterbrunnen; mit viel Mühe und Entbehrungen, des Vaters durch einen gewaltsamen Tod in den Bergen frühzeitig beraubt, von ihrer einsamen, durch die Härten des Lebens niedergedrückten Mutter aufgezogen. Als achtzehnjähriges Mädchen war sie nach dem Grindelwald gekommen, im Sommer, wenn die Fremden das Hochtal scharenweise überziehen; da hatte sie an der Straße die Spitzen ausgeboten, die sie mit der Mutter an den langen dunklen Winterabenden verfertigt hatte. Da war dann der Ulrich Amberger vorübergekommen; erst zufällig und selten, dann öfter und absichtlich. Immer hatten seine jungen, fröhlichen Augen mit Wohlgefallen auf ihr geruht und sich ungern von ihr getrennt; und bald war in diese Augen noch ein ganz andrer, besonderer Ausdruck getreten. Er war bei ihr stehen geblieben und hatte mit ihr geplaudert, in sehr höflicher, respektvoller Weise, und hatte sich nicht darum gekümmert, daß die andern ihre Witze machten.

Eines Tages aber war er nach Lauterbrunnen hinübergestiegen, über die kleine Scheideck und die Wengernalp, und hatte der Mutter der Barbara gesagt, ihre Tochter dürfe nicht mehr an der Straße sitzen und Spitzen feilbieten, denn er wolle ihre Tochter heimführen als sein Weib in seinen väterlichen Hof, und er bäte um ihren mütterlichen Segen dazu.

Das war ein unerhörter Vorfall, daß ein reicher und unabhängiger Grindelwaldbauer ein armes, fremdes Mädchen heiraten wollte, das niemand je gekannt, und dessen Mutter mit Spitzenklöppeln ihr Leben fristete. Und das war ein unerhörtes Glück, daß so ein armes Mädel in einen reichen Hof hineinzog, ohne irgend welches Dazutun oder Draufanlegen, als allein um ihres hübschen braunen Gesichtes und um ihres unverdorbenen Herzens willen. Es gab viel spöttisches Gerede auf der einen Seite, viel Scheelsehen und Mißgunst auf der andern. Ulrich und Barbara kümmerten sich um beides nicht, dachten nur an ihre junge warme Liebe, machten eine kleine stille Hochzeit im Lauterbrunner Kirchlein, und zogen andern Tags nach dem Grindelwald. Ueber die Scheideck gingen sie zu Fuß, weil es da keinen Fahrweg gab. Nach Grund und Tal aber hatte sich der Amberger einen Wagen bestellt, und so fuhr er im schönsten Sonnenuntergang mit seiner jungen Frau hinauf nach Gydisdorf, und mancher, der ihm unterwegs begegnete, mochte ihn im stillen beneidet haben um das Glück in seinen Armen, wenn schon er vor den Leuten mitleidig die Achseln zuckte.

Auf dem Hofe des Ambergers war aber wirklich das Glück eingezogen mit der armen Barbara, solch ein Glück, daß es sie ganz ausfüllte, und sie zu keinem andern gingen, sondern ganz für sich lebten, als wären sie allein auf der Welt. Eine Weile ließ man sie gewähren; dann wurde man neugierig, und kam zu ihnen und besuchte sie, und lernte die Barbara kennen. Die tat nicht einmal besonders erfreut und geehrt über die Besuche, sondern es war eher anzusehen, als ob sie den Gästen eine Ehre erwiese, sie einzulassen. Was sie aber bei ihnen versah durch ihr überlegenes Wesen, das ward ausgeglichen dadurch, daß sie die beste Hausfrau und ordentlichste Bäuerin im ganzen Dorfe war, was bald jedermann sah und wußte, und wodurch sie sich die allgemeine Anerkennung in der ganzen Verwandtschaft und Freundschaft ihres Mannes erwarb. Wenn auch niemand so recht warm mit ihr wurde, so wagte doch keiner mehr, sie über die Achsel anzusehn, zumal der Ulrich wohl sofort denjenigen niedergeworfen hätte, der es wagen würde, ihr unehrerbietig zu begegnen. Sie selbst war freundlich gegen jedermann, und das Besondre, das sie an sich hatte, und das einen vertraulichen Ton nicht recht aufkommen lassen wollte, rechnete man ihrer besonderen Herkunft zu gut.

Nur der Uttdörfer hatte nicht aufgehört, kleine Feindseligkeiten zu treiben; nicht öffentlich mit Worten oder gar Handlungen – aber heimlich, mit verächtlichen Blicken und Redensarten hinter des Ulrich Rücken, mit dem er doch immer eine gute Kameradschaft hielt. Er mochte die Barbara nicht leiden, weil ihre graden Augen ihm unbequem waren, und weil ihr unbewußt hohes Gebühren ihn in seinem Bauernstolz kränkte. Ihr aber war es eben recht, daß er das Haus mied, denn sie kannte seinen unguten Ruf und hatte vom ersten Sehen an eine rätselhafte Scheu vor ihm, als müsse ihr durch ihn noch sehr viel Böses kommen.

Dieses unbekannte Böse fing nun an, feste Form und Gestalt anzunehmen. Der Uttdörfer verführte ihr den Mann, mit ihm seine unlauteren Wege zu wandeln; er stahl ihr den Frieden und die Sorglosigkeit vom häuslichen Herde. Warum hatte er sich grade den Ulrich dazu ausgesucht? Vielleicht, weil der am wenigsten widerstehen konnte; vielleicht, um sie zu ärgern und zu demütigen. Und doch – was hatte sie dem Uttdörfer getan?

Diesen Winter hatte es angefangen, und als sie hoffte, der Sommer mit seiner Arbeit werde dem Treiben ein Ende setzen, ward sie getäuscht. Natürlich – im Sommer ist der Durst noch größer, wie im Winter. Mehreremale war er ihr betrunken nach Hause gekommen. Da hatte sie die Achtung vor ihm verloren, und sich schweigend halbtot gegrämt, weil sie ihn doch so lieb hatte und sie so ein großes, weibliches Mitleid mit seiner Schwäche empfand. Aber das war das Schlimmste noch nicht; seinen Rausch schlief er aus – solange ging sie ihm aus dem Wege, und dann war er doppelt gut gegen sie, obschon sie es ihm nicht erwidern konnte.

Schlimmer war, daß er allemal Geld im Wirtshaus ließ, viel mehr, als einer mit dem größten Durst vertrinken konnte. Sie fragte, und er antwortete nicht. Da wußte sie, daß er Karten spielte. Im Frühjahr hatte er zehn fette Kalben auf dem Markt in Interlaken verkauft; der Uttdörfer war mitgewesen. Denselben Abend hatten sie drunten zusammengesessen, und der Amberger war sein ganzes Geld losgeworden. Als er mit leerem Beutel heimkam, gab es einen schrecklichen Auftritt; den ersten und einzigen, den die Barbara je heraufbeschworen hatte; es schauerte sie noch heute, wenn sie daran dachte, und sie vermied seitdem mit ängstlicher Scheu jede Wiederholung, obschon Veranlassung genug dazu gewesen wäre. Sie machte ihm keine Vorwürfe mehr und sie bat auch nicht mehr. Sie hatte einen Abscheu vor seinem Treiben und zog sich in trotzigem Stolz von ihm zurück, in ihren eigenen Gram. Er ging um sie herum mit einem bösen Gewissen, bemühte sich manchmal, zu tun, als sei nichts vorgefallen, und ging dann weiter seiner Wege, wenn sie ihn mit seinen ihm aus ehrlichem Herzen kommenden Zärtlichkeitsversuchen hartköpfig hatte ablaufen lassen.

Sie vertraute sich niemand an – am wenigsten ihrer Mutter. Die führte in Lauterbrunnen ihr zurückgezogenes Leben weiter, zehrte an dem Bewußtsein, die Tochter reich und glücklich zu wissen, war aber nur einmal, als die Barbara in die ersten Wochen kam, auf Besuch herübergekommen; sie passe nicht dahin, sie sei zu einfach und zu arm, meinte sie. Und Barbara kam auch selten zu ihr; der Weg war weit und schlecht, die kleinen Kinder und die viele Arbeit hielten sie ab – und zuletzt der Gram, mit dem sie ihrer Mutter nicht das Herz schwer machen wollte.

Den Uttdörfer grüßte sie nicht, wenn sie ihm auf der Straße begegnete. Ins Haus kam er ihr seit lange nicht mehr.

*

Ulrich Amberger war die Straße hinabgegangen, nach Grund ins Wirtshaus. Sein Herz war nicht ganz frei bei dem Gange. Er wußte, daß er seinem braven Weibe Kummer machte mit diesem Treiben; es war ein Unrecht an ihm selbst, an seinen Kindern, an seinem Hofe und an seinem ehrlichen Namen, der bislang immer unbescholten gewesen war, bis zum Ahn und Urahn und soweit man zurückrechnen konnte. Aber die böse Lust hatte Besitz ergriffen von seiner Seele. Erst hatte er leichtsinnig mit ihr getändelt – es treiben's ja viele so, und man ist ja nur kurze Zeit jung – nun war sie Herr über ihn geworden und knechtete ihn. Er war ein guter Mensch, aber er war schwach; und die Schwachen sollten der Gefahr ganz besonders vorsichtig aus dem Wege gehen.

Nun folgte er dem Zwange der Sünde, ohne darin die rechte Freudigkeit zu finden, die er erhofft hatte.

Der Uttdörfer saß schon am Wirtstisch, als Ulrich Amberger eintrat. Er war ein breitschultriger Mann in den Dreißigen, mit einem kräftigen, wohlgeformten, bartlosen Gesicht. Sein Mund zeigte zwei tadellose weiße Zahnreihen – ein wahres Raubtiergebiß – und seine Augen grüßten den Eintretenden mit unverschämter Fröhlichkeit.

»Seid ihr endlich zur Stelle, Uli!« rief er herausfordernd. »Dachte schon, die gestrenge Hausfrau hätt' euch am Schürzenbändel zurückgehalten!«

»Bei uns gibt's kein Schürzenbändel,« versetzte der Amberger ärgerlich, und hängte mit einer trotzigen Geberde den Hut an die Wand.

»Tut nur nicht so groß!« lachte der Uttdörfer, breit und laut. »Hat sich bis jetzt noch jeder von uns dagegen wehren müssen. Bei dem einen setzt's einen harten, bei dem andern einen leichten Kampf – je nachdem man's anfängt. Nur nicht nachlassen, nicht ermüden, das ist die Hauptsach'! – Und wenn ihr nicht vermüdet sondern am Ende die Oberhand behaltet – nun, so ist das auch ein wenig mein Verdienst, nicht wahr, Uli?« Er zwinkerte spottlustig mit den Augen nach dem Amberger hin. Den verdroß das Geschwätz, weil es ihm sein Gewissen erregte, und weil er seine Ehe nicht in der Wirtsstube bewitzeln lassen mochte. Er tat, als hörte er nichts, bestellte sich ein Maß Wein, und setzte sich zu den andern. Sie tranken, und dann griffen sie zu den Karten.

Der Zeiger an der Uhr mit dem holzgeschnitzten Gehäuse rückte vor; die niedrige Wirtsstube füllte sich mit Rauch, die Köpfe wurden heiß und schwer vom Wein und vom Spiel. Der Amberger strich einen Gewinnst nach dem andern ein, und der Rausch brachte sein Gewissen zum Schweigen.

»Wollt wohl heut den Abend wett machen, wo ihr die Kalben verspieltet!« rief der Uttdörfer mißmutig lachend. Verlieren tut eben keiner gern.

»'s wär nur gerecht so!« trumpfte der Amberger auf und schmetterte ein gutes Blatt auf den Tisch. Er wurde nicht gern an den Abend erinnert, der ihn um die beste Jahreseinnahme gebracht hatte.

Das Glück sprang hin und her. Als er alles, was er gewonnen, wieder drangegeben hatte, stand er auf.

»'s ist genug jetzt,« sagte er. »Mitternacht ist vorüber. Morgen muß man wieder früh ins Heu.« –

»'s Schürzenbändel ruckt!« kicherte höhnisch der Uttdörfer, und alle andern lachten. Der Amberger zuckte die Faust und seine Stirnadern schwollen.

»Geht zum Teufel mit euren Witzen!« rief er zornig. »Wer im Wirtshaus am meisten schreit, hat ja oft zu Haus am wenigsten zu sagen. Und lieber laß ich mir noch von meiner hübschen Barbara befehlen, als von eurer hutzligen Gred'!«

Das letzte brachte er leiser vor; er wollt keine Schlägerei heraufbeschwören. Der Uttdörfer hörte es auch nicht, weil er wieder unmäßig lachte.

»So geht in Gottes Namen!« rief er. »Wer weiß, was sonst euch noch nach Hause zieht; seid ja so ein kreuzbraver Ehemann!«

Dem Amberger trieb plötzlich ein unwiderstehliches Verlangen, etwas Ausgelassenes zu tun. Er bestellte noch ein Maß Wein – aber ein volles – und als es ihm gebracht wurde, hob er es hoch in der nicht mehr ganz sicheren Hand, daß ein paar rote Tropfen ihm über den Hemdsärmel liefen, und schrie:

»Ich trink auf euer gottloses Maul, Uttdörfer, daß euch nicht mal einer die Zähne drin einschlag'!« Dröhnendes Gelächter antwortete; der Amberger goß das ganze Maß auf einen Zug hinunter, zahlte die Zeche und ging hinaus, die Tür hastig hinter sich zuschlagend.

Draußen strich ihm die Nachtluft frisch und dunkel entgegen. Sie war nicht mehr imstande, die Hitze zu kühlen, die ihm in allen Pulsen hämmerte. Sein Gang war schwer und unsicher; er trat oft fehl, oder mußte stehen bleiben, um sich zu vergewissern, ob er auf dem rechten Wege sei. Er war nicht sinnlos betrunken, aber doch in jenem Zustande, wo man die Herrschaft über die Glieder und die Worte verliert. Ohne anderes zu denken, als daß er heut eben noch glimpflich davongekommen, und daß es sehr männlich von ihm gewesen sei, zur rechten Zeit aufzuhören, und sich von dem Uttdörfer nichts bieten zu lassen, fand er sich mühselig und langsam nach Hause. Wenn nur die Barbara schlief und ihn nicht kommen hörte! Zwar schalt sie nie mehr, aber ihr vernichtendes Gesicht, ihre stumme Verachtung waren ja viel schlimmer.

Aber Barbara schlief noch nicht; sie saß immer noch unter der offenen Haustür und starrte in die Nacht hinaus. Als sie durch die große Stille einen ungleichen, schwerfälligen Schritt unten auf der Straße klappen hörte, legte sie die Hände vor die Augen, krümmte sich ganz zusammen und stöhnte gequält. Dann stand sie auf – lauschte noch einmal auf den Schritt, der langsam näher kam, und huschte ins dunkle Haus. In der Wohnstube zündete sie ein Licht an, damit er nicht falle in der Dunkelheit. Dann ging sie in die Kammer, wo die Kinder schliefen, und schob den Riegel vor. Er kam heim – weiter wollte sie nichts wissen, nichts sehen. Sie mochte nicht bei ihm liegen, wenn er so zurückkehrte. Zu allem übrigen, was sie etwa erfahren mußte, war es am Morgen Zeit genug.

Ulrich Amberger kam ins Haus – die Tür ließ er offen, aber was schadete das, die Nacht war ohnehin bald vorbei – und ins Zimmer. Er ging ein paarmal hin und her, als suche er jemand. Dann rief er den Namen seines Weibes. Als keine Antwort kam, ging er an die Kammertür und versuchte zu öffnen; sie gab nicht nach. Nach wenigen Augenblicken blieb alles still; er hatte sich niedergelegt und war auch gleich eingeschlafen.

Zeitig um Sonnenaufgang kam Barbara heraus, um für den Knecht und die Magd die Frühsuppe anzustellen. Als sie durch das Zimmer ging, warf sie einen scheuen Blick in die Ecke, wo das große Bett stand. Der Amberger schlief noch fest und schwer; er lag quer über die Kissen geworfen und war nur unvollkommen entkleidet; sein Gesicht war gedunsen und hatte einen kläglichen Ausdruck.

Barbaras übernächtige Augen wurden sehr finster; sie ging schnell und leise weiter.

»Der Bauer schläft noch,« sagte sie zu den Leuten. »Geht ihr einstweilen allein und schafft ein Ordentliches, bis er nachsehen kommt.«

Die Magd wußte ganz genau, was vorging, wenn die Bäuerin ein solches Gesicht aufsetzte. Hinter ihrem Rücken schnitt sie dem Knecht, der noch an seinem Wecken kaute, eine vielsagende Fratze, die er verständnisvoll grinsend erwiderte. Barbara fühlte es, obschon sie es nicht sah. Ihr Herz zuckte, aber sie schwieg. Sie wußte, ihres Mannes Schande war vor den Hausleuten nicht mehr verborgen, und ihre Achtung litt darunter. Was aber sollte sie anders tun, als sich stellen, als wisse sie es nicht? Sie durfte es sonst nicht hingehen lassen, und würde es doch nicht ändern. –

Schon war der Schatten, den der Mettenberg über das Tal warf, um ein Merkliches zusammengeschrumpft, als der Bauer, gewaschen und angekleidet, heraus auf den Gang trat, wo Barbara allerlei häuslichen Kleinkram verrichtete. Sie sah nicht auf, als er näher kam.

»Gutenmorgen, Bärbeli,« sagte er freundlich. Sie antwortete undeutlich, und sah nur wieder mit so einem Seitenblick nach ihm hin. Er bückte sich über die sitzende Frau, als wolle er sie küssen. Sie wehrte ihn unsanft mit den Armen ab.

»Nun – was gibt's?« meinte er leichthin. »Bist du böse?«

»Nein. Aber du hast mir einen Ekel an dir beigebracht,« versetzte sie trocken. Er stutzte; dann lachte er ärgerlich.

»Du bist nicht gescheit,« sagte er.

»Ich bin wohl gescheit,« versetzte sie, erregt werdend. »Nur eine schlechte Dirne läßt sich von betrunkenen Mannsleuten küssen.«

»Ich bin nicht betrunken!«

»Du warst's aber; ich hab's gehört, und hab's gesehen, heute morgen noch. – Ich will nicht mit dir darüber streiten,« sprach sie wieder ruhiger weiter. »Du weißt, ich laß dich machen, wie du willst. Du mußt aber einsehen, daß das Folgen für mich hat.« Und als er neben ihr stand, und nicht antwortete, und nicht wußte, wie er die Sache nehmen sollte, fing sie noch einmal an, aber bedrückt und wie unter einem schweren Zwange:

»Da wir doch davon reden, Ulrich – ich wollt dich nur erinnern, daß ich Geld brauch. Die Rechnung beim Kaufmann ist seit Neujahr nicht bezahlt; und das Zeug für die Kinder und das notwendige Hausgerät – – ich hab vielleicht nicht genug zusammengehalten; ich hab mich, seit ich deine Frau bin, zu sehr gewöhnt, nicht jedes Geldstück erst dreimal umdrehen zu müssen, eh ich's weggab. Die knappe Zeit war eh' nicht Mode bei uns. Nun hast du seit Monaten nichts zur Wirtschaft gegeben. Ich erinner' nicht gern daran, Uli, glaub' mir's, denn ich denke mir, du wirst nichts zu geben haben. Aber auf irgend eine Art wirst du es doch wohl herschaffen müssen.«

Der Mann stand noch immer stumm und hörte mit gesenktem Haupt ihrer Rede zu. Er kam sich recht schlecht und erbärmlich vor, und die Tragweite seines Treibens trat ihm schreckhaft vor Augen. Die beste Jahreseinnahme, von der sie sonst die Notdurft des täglichen Lebens bestritten hatten, war verloren diesmal – natürlich machte sich der Mangel fühlbar, und es mußte Aushilfe geschafft werden. Vielleicht konnte er im Herbst einen guten Handel mit dem Vieh machen, und das Loch stopfen; und bis dahin – –

»Ja, ja, Bärbeli,« sagte er zerstreut. »Freilich, ich werd's schaffen. Du sollst nicht notleiden.«

»Es ist nicht um mich; es ist nur um das Gut, und um deinen Namen –«

Sie stockte, als falle ihr etwas Schlimmes ein, sah erschreckt auf, erhob sich und faßte den Bauern, der sich zum Gehen wandte, am Arm.

»Mann,« sagte sie, »versprich mir eins: geh nicht borgen!« An dem Zucken in seinem Gesicht sah sie, daß er eben das gewollt hatte; und dringlicher fuhr sie fort: »Das darfst du nicht tun! Das ist ein Schritt in den Abgrund und – und ein neuer Fleck auf unsere Hausehre. Lieber richt' ich mich noch eine Zeitlang ein. Vielleicht – wenn's nicht mehr geht – kannst ein Stück aus der Herde verkaufen. Aber borgen tu nicht! Das versprich mir!«

»'s wär nur um dich gewesen,« sagte er achselzuckend. »Mir ist's ja auch lieber, wenn ich's nicht brauch'!«

Das Herz wurde ihr nicht leichter durch seine Worte.

»Geh, ich bring dir das Frühstück hinein,« sagte sie eintönig. »Ich hab' schon gegessen. Und wenn d' fertig bist, so geh hinaus zu den Leuten – 's ist gut, sie sehen dich. Und luft' dich aus,« schloß sie bitter. »Einen guten Geruch hast nicht mitgebracht in Kleidern und Haaren!«

Eilig und schweigend verzehrte der Bauer, was sie ihm auftischte; dann machte er, daß er davon kam. Die Stimmung seines Weibes bedrückte ihn, weil er fühlte, daß er sie verschuldet und wohlverdient hatte. Es war der Barbara auch so schwer beizukommen seit einiger Zeit; sie tat spröde und stolz, und damit wußte er nichts anzufangen.

Er hatte noch nicht lange die Landstraße überschritten, um jenseits durch die Wiesen und unten über den brausenden Fluß, den schmalen Aufstieg zu seinen Almen zu gewinnen, als eben diese Straße heraus mit langsamen Schritten ein einsamer Wanderer kam. Er sah sich viel um, mit suchenden Blicken, als spähe er nach alten Bekannten oder lieben Erinnerungen. Da, wo der Fußweg nach dem Ambergerschen Hof sich abzweigte, stand er lange still, und sah mit weichen, fast zärtlichen Augen zu den braunen hölzernen Gebäuden hinauf. Dann begann er rüstig bergan zu steigen. Sein Schritt wurde immer schneller, als treibe ihn die Ungeduld der Freude.

Der Hof lag ganz in Sonnenglanz gehüllt; die heiße Luft flimmerte und blendete; kein menschliches Geschöpf war zu sehen. Der Mann war eben im Begriff, in den Schatten der offenen Tür zu treten; da besann er sich eines andern und ging durch die Gemüsebeete, in denen das üppigste Wachstum strotzte, ums Haus herum, als wisse er, daß es dort hinten, über die Treppe zur offenen Veranda, noch einen zweiten Ausgang habe. Auch hier war alles still; als er aber den Kopf hob, sah er über sich auf dem Laubengange eine junge Frau sitzen, die das Gesicht tief über eine Näharbeit gebückt hielt. Sie wandte ihm halb den Rücken zu und hörte sein Nahen nicht. Er sah nur die Linie ihrer schmalen Wange, bis zu der graden Stirn hinauf und zu dem weich gerundeten Kinn hinunter.

Als er den Fuß auf die Treppe setzte, knarrte die hölzerne Stufe und die Arbeitende wandte sich langsam um.

»Grüß Gott, Frau Schwägerin!« rief der Mann und winkte ihr fröhlich mit dem weichen Filzhut.

Barbara Amberger erhob sich zögernd, sich ihm dabei ganz zuwendend, legte das Nähzeug auf den Tisch und sah ihn fragend und unsicher an. Er kam unterdes vollends die Treppe herauf und hielt ihr vertraulich die Hand hin.

»Du kennst mich nicht mehr,« sprach er fröhlich, »und ich kann's dir nicht verübeln. Sieben Jahr sind's ja her, daß ihr mitsammen Hochzeit machtet – und das ist das letztemal geblieben, daß wir uns gesehen haben.«

»So bist du der Rainer –« sagte Barbara, und dann nahm sie seine Hand, immer noch zögernd, mit der stolzen Zurückhaltung, die nun einmal in ihrem Wesen lag. »Verändert hast du dich, mein ich!« Ueber sein Gesicht glitt – nicht eben ein Schatten, aber doch ein Ernst.

»Will's gern glauben! Damals zog ich hinaus als ein Jüngling – heut komm ich heim als ein Mann.«

»Und warum kommst heim?« fragte die Ambergerin.

»Warum? Weil's mich nicht mehr litt draußen – ich mußte die Heimat und die Berge einmal wiedersehen!«

»Und wirst dich noch gefallen in den Bergen, nachdem du die großen Städte hast kennen lernen?«

»O Frau – bist selbst eine Oberländerin, und kannst so fragen!« Seine Brust dehnte sich unter einem gewaltigen Atmen und sein ganzes Gesicht leuchtete auf.

Barbara starrte geistesabwesend hinein in dieses Gesicht. Er sah dem Ulrich ähnlich, Zug um Zug; und doch war etwas darin, daß jenem fehlte und das ihr gerade die Hauptsache dünkte: eine furchtlose Grobheit, Festigkeit und Klarheit. Aber sie war sich dessen noch nicht voll bewußt.

»Ich hab' einen Urlaub genommen auf einige Monate,« fuhr der Rainer fort. »Und ums rund herauszusagen – ich wollt euch fragen, ob ihr mir solange Herberg' geben könnt!«

»Aber gewiß,« entgegnete Barbara, ohne besondere Freude oder Bereitwilligkeit, als handle es sich nur um ein Selbstverständliches. »Es ist ja deines Vaters Dach und deines Bruders Haus!« Dann forderte sie ihn auf, niederzusitzen, und fragte, was sie ihm zur Labung nach dem heißen Wege bringen könne.

Sie ging ins Haus, das Gewünschte zu holen, während er sich die heiße Stirn trocknete. Wenn er sich verändert hatte – sie hatte es nicht minder. Damals hatte er nicht begriffen, was den Bruder zu der kleinen Spitzenverkäuferin hinzog, die fast kein Wort sprach und vor jedem Scherz zurückwich. Heute machte sie ihm einen ganz anderen Eindruck; er wußte noch nicht, ob er angenehm oder unangenehm war; jedenfalls aber war er stark; und er wunderte sich, wie der Ulrich hinter dem sanften, dazumal etwas nichtssagenden Gesicht so richtig den Charakter erkannt hatte.

Auch als sie wiederkam mit Milch, Brot und Käse, war sie nicht gesprächiger. Er bemerkte, daß etwas Finsteres in ihrem Antlitz lag.

»Du bist städtische Kost gewöhnt und mußt fürlieb nehmen, wie wir's haben,« sagte sie fast entschuldigend, als sie die einfachen Genüsse in blitzblanken Geschirren vor ihn hinstellte.

»Heimische Kost ist immer die beste,« sagte er, und begann kräftig zuzulangen. Sie setzte sich ihm gegenüber mit aufgestützten Armen, die nur bis zu den Ellbogen von dem weiten, gestärkten weißen Aermel bedeckt waren, und sah ihm ruhig und gleichgiltig zu. Dabei ließ sie sich abfragen, wie es ihnen in diesen sieben Jahren ergangen sei.

»Was macht der Uli? Wie schaut er aus?«

»Braun, kräftig. Sehr gesund.«

»Und ist er noch alleweil fröhlich, wie als wir noch junge Bursche miteinander waren?«

»O ja. Soviel dafür Raum ist.«

»Nun, Raum ist doch gewiß viel! Ich denk', es geht euch gut?«

»O ja.«

»Und was habt ihr für Kinder? Wo sind sie?«

»Sie tummeln sich irgendwo in den Hauswiesen. Es sind ihrer drei.«

»Zwei Buben und ein Maidlein, wenn ich recht behalten hab'?«

»Ja; der Alois, der ist sechs; und der Christen, der ist fünf; und die Mareili, die ist erst dreijährig.«

»Und sind sie alle gesund? Machen sie euch Freud?«

»O ja – Freud!« Barbaras beweglose Augen leuchteten flüchtig auf.

»Und die Wirtschaft ist auch immer gut gegangen?« Barbaras Gesicht wurde wieder düster.

»Wie's die Zeiten mit sich brachten. Der Hof ist in einer guten Ordnung von eurem Vater her.« Es freute ihn, daß sie das würdigen zu können schien, und er sah sie freundlich an.

»Und du – wie hast du dich gefunden, in die Arbeit des Bauernstandes? Wußtest zuvor nicht viel davon!«

»O – für mich war's ja wie der Himmel, nach dem armseligen Leben, das ich gewöhnt war. Und die Arbeit hat mich gesund und kräftig gemacht.«

»Und ihr habt euch alleweil lieb, der Uli und du?« Sie sah ihn groß an; in ihre Augen trat etwas Hochmütiges. Er bemerkte es.

»Mußt dich nicht wundern, daß ich so frag',« erklärte er gutmütig. »Man hört ja draußen soviel von Eheleuten, die mit der größten Lieb' zusammengehen, als müßten sie sonst sterben, und nach ein paar Jahren schon sinnen's auf nichts andres, als wie sie möchten wieder voneinander loskommen. Zumal bei euch beiden – nun, du weißt ja, man hat sich gewundert, wie zu einander passen möcht, was so unpaß zusammenkam!«

»Ja, ich weiß,« fiel sie hastig ein. »Ihr meintet, die arme Spitzenklöpplerin verunziere euren reichen Hof und eure bäuerliche Sippe –«

»Ich nicht,« unterbrach er lebhaft, und sah sie mit seinen graden Augen an. »Ich ganz gewiß nie. Ich hab' nur gezweifelt, wie du dich hineinleben möchtest.«

»Nun, darüber kannst du ruhig sein,« sagte sie kühl. »Und das übrige kannst du ja den Ulrich fragen.« Dann lenkte sie das Gespräch auf ihn und seine Erlebnisse »draußen«.

 

* * *


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