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Griseldis hatte ihn schlecht gemacht – Anna machte ihn wieder gut. Der Gedanke lag ihm fern, daß er trotz Griseldis hätte gut sein können. Er war ein Mann der Tatsachen und der Wirklichkeiten, der handgreiflichen Realitäten. Grübeln und Klügeln lag nicht in seiner Natur. Er empfand leidenschaftlich, dachte einfach, ging gerade vorwärts und handelte durchschlagend.

Er nahm Anna und das Wunderleben mit ihr an wie ein Himmelsgeschenk; es wäre ihm Sünde gewesen, es aus selbstquälerischen Gründen nicht anzunehmen. Er blühte auf wie eine Pflanze, die nach langer Dürre Regen bekommt. Seine Härte schmolz dahin an den Sonnenstrahlen des Glücks, die wilden Stürme seiner Leidenschaft legten sich in seinem sanften Wesen. Das Feuer seiner aufbegehrenden Heftigkeit klärte sich in eine Flamme ernsten, festen Willens, der das Gute wollte. Es war, als wenn man ein böswillig vernachlässigtes Gartenbeet vom Unkraut befreit. Nun erst wird der gute Grund frei, und die Rosen, die kümmerten und kränkelten, schießen auf und tragen Blüten andächtiger Dankbarkeit. – Gut ist, was mir selbst hilft gut zu sein.

Karl Friedrich dachte gar nicht mehr an die Vergangenheit, er lebte nur für die Gegenwart und für die Zukunft. Was mit Griseldis zusammenhing, war ausgelöscht wie ein schlimmer Traum. Wie eine Krankheit, davon er genesen war. Wer ihn sah und hörte, konnte nicht begreifen, daß er jemals anders gewesen sei als gut, weich und glücklich.

Anna sagte ihm nichts von ihrem friedlosen Zweifeln; sie wußte, er würde sie nicht verstehen, es würde nur sein Glück trüben. Er hatte ja doch ein Recht, endlich glücklich zu sein. Die Schuld hatte doch bei Griseldis gelegen zum größten Teil.

Sie sah das Gute in ihm wachsen und blühen und gedeihen, und sie sah, daß es für ihn das Rechte so war.

Mehr dachte sie nicht nach; sich selbst hatte sie aufgegeben – sich Gottes Hand überliefert, auf Gnade und Ungnade, in Demut, und Blindheit.

»Führe es hinaus – wie du willst. Wenn ich nicht den rechten Weg ging – so strafe es an mir und nicht an ihm. Ich sah für mich nur noch die Aufgabe, seine Seele zu retten. Diese Aufgabe wenigstens will ich erfüllen – ihr meine ungeteilte Kraft opfern. Dann habe ich doch wenigstens ein Ganzes vollbracht im Leben.«

Zwischendurch gab es doch auch Augenblicke reinen Glückes. Das war, wenn sie fühlte, daß sie der Erfüllung ihrer Aufgabe näher kam.

Als sie nach Jahresfrist auf dem Runkelstein eingezogen, geräuschlos und, einfach, als wäre es seit Urzeiten nicht anders gewesen, hatte Griseldis einem anderen ihre Hand gereicht und war in eine der großen, glänzenden Städte im Lande gezogen.

Da schien es, als solle Anna Ruhe finden. Griseldis hatte sich also getröstet; ihr Lebensmut war nicht untergraben. Sie freute sich vielleicht ihrer Freiheit und war glücklich auf ihre Weise. Sie hatte vielleicht einen gefunden, mit dem sie besser leben konnte, als mit Karl Friedrich.

Bald darauf führte auch Graf Ehrenreich eine junge Frau in sein vereinsamtes Heim und lebte mit ihr in stillem, anspruchslosem Glück, wie es einfachen treuen Naturen so eigen ist.

Das Leben war für alle in ruhige, friedliche Bahnen gelenkt. Immer mehr kehrte der Friede auch in Annas Seele ein. Ihr Dasein war eine schüchtern zagende Glückseligkeit in dem strahlenden, fruchtbringenden Sommertag, zu dem sich des Fürsten Leben gestaltete. Und wieder verstrich ein Jahr.

Da kam die Kunde, Griseldis habe einem Knaben das Leben gegeben und sei am Tage darauf gestorben.

Wehmütig blickte Karl Friedrich auf das Blatt Papier, das ihm die Nachricht gebracht.

»Arme Frau!« sagte er. »Vielleicht hätte sie nun glücklich werden können. Sie hatte ein kaltes Herz – die Mutterliebe hätte es vielleicht erwärmt. Sie war schuld an ihrem Unglück – aber ich glaube, sie war außerdem sehr unglücklich durch sich selber!«

Anna sagte gar nichts; sie war in allen Fugen erschüttert. Die alte Angst und Friedlosigkeit kam wieder über sie.

Sie wurde so schreckhaft, daß sie sich nicht im Dunkeln allein über den Gang traute. Sie sah verstört und erregt aus. Sie konnte sich nicht genug tun in leidenschaftlichen Zärtlichkeiten für den Gatten und Geliebten. Ohne jede Veranlassung stürzte sie oft in seine Arme und umklammerte ihn in wortlosem Ungestüm. Dann zuckte sie jäh zusammen und machte sich rauh von ihm los.

Sie hielt es bei keiner Beschäftigung aus und verbrachte ihre Zeit in aufreibender Unruhe.

Ihr Zustand konnte Karl Friedrich nicht verborgen bleiben. Er ängstigte ihn, je weniger er ihn verstand. Anna bemühte sich, seine Aufmerksamkeit abzulenken. Sie nahm sich in seiner Gegenwart übermenschlich zusammen, um ruhig und heiter zu scheinen, und erschöpfte ihre Kräfte dadurch noch mehr. Das sonderbarste war, daß sie selbst keine Erklärung für ihren Zustand wußte; sie hatte nur immerfort Angst – wahnsinnige, peinigende Angst, und konnte das Bild der sterbenden Griseldis, wie ihre erregte Phantasie es ihr vormalte, nicht loswerden.

Karl Friedrich meinte endlich, Abwechselung werde ihr gut tun. Andere Luft – neue Eindrücke, die den Gedanken eine andere Richtung gaben. Er schlug ihr vor, eine Reise zu machen. Mit unerwarteter Lebhaftigkeit stimmte sie zu. Sie konnte den Aufbruch kaum erwarten – am liebsten wäre es ihr gleich heute gewesen.

Aber ein paar Tage mußten doch noch vergehen, ehe alle Vorbereitungen getroffen waren und der Fürst seine Angelegenheiten so geordnet hatte, daß sie ihn eine Weile entbehren konnten.

Nun war alles fertig. Morgen in der Frühe sollte es fortgehen. Anna war von einer fieberhaft freudigen Erregung. Es verletzte ihn fast, daß sie so gern das Haus verließ, wo sie ein so märchenhaftes, unirdisch reines Glück genossen hatten. Aber wenn er sie ansah, vergaß er alles andere über der Sorge, daß sie ernstlich krank sein könne. Wenn er sie fragte, schüttelte sie den Kopf, lächelte und küßte ihn. Es lag etwas beängstigend Heißes, Gewaltsames in ihrer Zärtlichkeit. Ihre Farbe wechselte zwischen bläulicher Blässe und fiebriger Röte; ihre Hände waren entweder heiß und trocken oder schneekalt.

Am Abend vor der Abreise lag Karl Friedrich in der kleinen Schloßkapelle lange auf den Knien und betete heiß und inbrünstig um das Leben seines Weibes.

Dann senkte sich eine gewisse, fröhliche Zuversicht in sein Herz; als er Anna zur Gutenacht auf die krankhaft leuchtenden Augen küßte, wußte er, daß nun alles gut werden müsse, und schlief mit guten, friedlichen Gedanken ein.

Aber mitten in der Nacht weckte ihn ein erschütternder Angstschrei aus traumlosem Schlaf. Er war noch kaum Herr seiner Sinne, als sich Annas Arme in wahrer Todesangst um seinen Hals schlangen und er ihren rasenden Herzschlag an seiner Brust fühlte.

»Rette mich, rette mich!« stöhnte sie dicht an seinem Ohr. »Sie war da – sie will mich holen – gib mich nicht fort – ich will bei dir bleiben, ich will nicht fort – will nicht – will nicht!«

Grauenvolles Ahnen ergriff ihn.

»Liebling – Anna –« bemühte er sich sie unter Liebkosungen zu beruhigen – »komm zu dir, du hast geträumt –«

»Nein, nein,« rief sie hastig, »es war kein Traum – sie war hier – an meinem Bett hat sie gestanden – mich angefaßt – mitnehmen wollte sie mich – ich sollte nicht sein, wo sie hingehörte – da – da –«

Sie richtete sich in seinen Armen halb auf, und ohne ihn loszulassen, starrte sie mit entsetzensdunkeln Augen ins Leere.

»Da – da –,« die Zähne schlugen ihr aufeinander.

Karl Friedrichs Haar begann sich zu sträuben. Er schüttelte sie gewaltsam. »Anna – wach doch auf – Anna!« Da löste sie den einen Arm von seinem Halse und zeigte mit dem Finger auf den schmalen Streifen Mondlicht, der durch einen Spalt im Fenstervorhang hereinfiel. Ihr Oberkörper bäumte sich auf und bog sich zurück.

»Siehst du sie nicht? Sie kommt wieder! Sie will mich in den Sarg legen – in deinen Sarg! O, schick sie fort!« flehte sie in herzzerreißenden Tönen; »sie soll mich nicht haben. Hörst du? Geliebter – siehst du nicht –«

Ihre Stimme drückte ein schnell gesteigertes Entsetzen aus. »Griseldis!« schrie sie gellend auf und fiel steif und leblos hintenüber. – –

Von der Abreise war nicht mehr die Rede. Anna lag in wilden Fieberphantasien, in denen sich das furchtbare Gesicht, das sie in der Nacht gehabt haben mußte, schwächer oder deutlicher fortspann. Sie wehrte sich immerfort gegen jemand, der sie mitnehmen wollte, und flehte in den herzzerreißendsten Tönen ihre Umgebung an, es nicht zuzulassen. Und doch konnte es niemand verhindern.

Der Fürst sah, daß das Kleinod seines Lebens die Beute einer tückischen Macht wurde, gegen die seine ganze Liebe wehrlos war.

Sechs Tage hielt das wütende Fieber an. Sechs Tage lang kannte sie ihn nicht. Am siebenten Tage kam sie noch einmal zu sich.

Zum Schatten abgemagert, lag sie erschöpft und matt in ihren Kissen und blickte aus tiefliegenden Augen verwundert und traurig umher. Aber sie sprach nicht, sie war schwach und teilnahmlos und lag meist in einem lautlosen Halbschlaf.

Gegen Abend rührte sie sich.

Der Fürst, der ganz in sich versunken an ihrem Bett gesessen hatte, fuhr auf. Er begegnete ihrem klaren Blick, der voll verklärter Liebe auf ihn gerichtet war.

Es war der erdentrückte Blick einer Sterbenden.

»Mein Geliebter, lieber, bester Schatz!« hauchte sie kaum hörbar. »Ich wollte dir nur Glück bringen – nun muß ich dir weh tun!«

Er machte eine abwehrende Bewegung – er konnte nicht sprechen.

»Wir können so oft nicht, wie wir wohl möchten. Wir fangen es falsch an. Wir verstehen das Leben nicht und was es von uns will –«

Sie machte eine kleine Pause.

»Wenn wir das Beste wollten und doch irrten, oder es nicht zu Ende führen konnten, dann sollen wir uns nicht fürchten, sondern glauben.«

Er nahm ihr die geflüsterten Worte sehnsüchtig von den Lippen.

»Weißt du – es gibt ein Wort – ein Wort – ich habe nie gewagt zu glauben, es sei auch für mich. Es heißt: Ihr ward viel vergeben, denn sie hat viel geliebt. – Jetzt weiß ich – das Wort ist auch für uns beide.«

»O Anna – du – was soll dir vergeben werden – du hast dich geopfert – du hast nie an dich gedacht – und ich dachte immer nur an mich – ich habe nicht gesehen, was du heimlich gelitten hast –«

»Um dich zu leiden, war Seligkeit,« sagte sie, und in ihren Augen lag sie schon, die schlackenlose Seligkeit. »Ich weiß nicht, warum das alles so ist – aber ich werde es bald wissen.«

Als die Sonne unterging, starb sie; sie ruhte in seinem Arm und ihre Augen sahen ihn an, bis sie erloschen.

Er aber wollte es nicht glauben. Er saß an ihrem Sterbebette Tag und Nacht und wartete, bald in zuversichtlichem Glauben, bald in verzweifelnder Sehnsucht, daß sie wieder erwachen möchte.

Er saß an ihrem Sarge in der finsteren Gruft, die ganze lange Nacht, die dem Begräbnis folgte, und lauschte mit herzklopfender Spannung, ob nicht ein Wunder geschehen möchte – wie einst ihm geschah.

Es blieb still bei den Toten. Sie kam nicht wieder. Als der fahle Morgen frostig zur offenen Tür hereinsah, stand er auf. Er mußte sich entschließen, zu den Lebenden zurückzugehen – allein.

Er trat auf die Schwelle. Es war noch still im Walde.

Die Singvögel waren noch nicht wiedergekommen.

Blaßblau schimmerte das Firmament durch die kahlen Äste. Ab und zu fiel ein großer Tautropfen von den braunen Zweiglein auf das morsche Laub des vorigen Herbstes herunter. Unter dem Laub aber keimte schon wieder das neue Leben. Graubraune, festgeschlossene Leberblumenknöspchen sahen schüchtern hervor, ob es schon Zeit sei. O ja – es war Zeit! Wenige Wochen noch, und der Frühling ist da mit seiner wonnevollen Glückseligkeit. Wenige Wochen noch, und die Finken schmettern über der Gruft, und die Blumen blühen rechts und links am Wege. Wenige Wochen noch und man wird vergessen haben, daß eine große Liebe und ein großes Glück in diesen Sarg gelegt wurden, und daß die Kronen der Runkelsteiner Waldbäume zusammenrauschten über einem Mannesleben, das sich und seinen Kummer für immer darin verbarg.

Und der Fürst überschritt die Schwelle und zog zögernd hinter sich die Türe zu. Er drehte den Schlüssel im Schloß – knackend schnappte es ein.

Ein schmerzhafter Schreck durchzuckte ihn. So knackte das Schloß der Türe, die Griseldis vor ihm verschloß, als sie hohnvoll triumphierend sagte: »So, nun geh zu deinem Liebchen!«

Ein Schauder schüttelte ihn – vor seinen Augen schwebte ein Schatten vorüber, und in seinen Ohren klang es wie ein fernes Spottgelächter.

»Griseldis!« flüsterte er erbleichend.


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