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Sie war aufgestanden und zu ihm getreten, und sah ihn ernst und freundlich an.

»Ja, ja,« nickte er zerstreut; er konnte noch nicht begreifen, was ihm widerfahren war. – Anna stand noch einen Augenblick unschlüssig – dann ging sie mit langsamen Schritten ins Haus. Ihm vor allen andern hätte sie einen solchen Augenblick ersparen mögen; nun konnte sie ihn nicht einmal trösten. Ehrenreich sah ihr trübsinnig nach, und in seinen blauen Augen schimmerte es feucht, »Wer mag es sein – – –«

Griseldis sah ihren Vater nicht mehr lebend.

Als sie einige Wochen, nachdem Annas Ruf sie erreicht, abends mit dem Fürsten eintraf, war der Graf wenige Stunden vorher sanft entschlummert. Ehrenreich und Anna hatten bei ihm gekniet, bis es vorüber war. Sein letzter Blick hatte die beiden umfaßt, die ihm die letzte Zeit seines Lebens mit treuer Kindesliebe verschönten – aber den Wunsch, der in diesem Blicke lag, nahm er unausgesprochen mit ins Grab.

Griseldis hatte lange Zeit stumm und tränenlos an des Vaters Leiche gestanden, und wenn sie dabei etwas empfunden, so hat es doch niemand gemerkt. Ihr Gesicht trug einen abweisenden Ausdruck, als sie aus dem Sterbezimmer kam, und behielt ihn bei auch in den folgenden Tagen. Niemand wagte ihr Trost oder Beileid auszusprechen.

Auch Anna Steinhofer, obschon sie wußte, daß Griseldis innerlich litt, schwieg. Sie kannte diesen strengen Zug um die schmalen Lippen und wußte, daß Fragen und Teilnehmen hier nicht am Platze war. Griseldis blieb für die nächsten Tage auf der Westernburg und teilte sich mit Anna in die nötigen Geschäfte. Das heißt, sie befahl, und Anna führte aus. Es fiel ihr nicht ein, Rücksicht darauf zu nehmen, daß Anna hier jahrelang unumschränkt und selbständig gewaltet hatte, sondern nahm ohne weiteres das Regiment an sich. Anna fühlte sich nicht verletzt dadurch; sie trug dem Charakter der Frau Rechnung, die sie in langem Zusammenleben kennen gelernt hatte, wie sich selber, und mit der sie nicht nutzlosen Streit anfangen wollte an der Leiche des Vaters. Ihre Rücksichtnahme war ein Ausdruck des Mitleids für Griseldis, von der sie wußte, daß sie im Banne ihrer eigenen unguten Leidenschaften unglücklich war, und die doch so viel zarte Schonung weder verstehen noch danken konnte. Und zu guter Letzt war Anna Steinhofer viel zu tiefinnerlich traurig, um äußeren Dingen irgendwelchen Wert beizulegen.

Ehrenreich biß die Zähne zusammen über die Willkür der einen, und schüttelte den Kopf zu der Unterwerfung der anderen. – Aber was Anna Steinhofer gut hieß, dem fügte er sich.

In einer geeigneten Stunde sagte sie der Fürstin, daß sie Willens sei, zu ihren Verwandten zurückzukehren, und bat sie, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann sie entbehrlich sein würde. Griseldis nahm die Sache von der geschäftlichen Seite.

»Bis mein Bruder hierher übersiedeln und den Besitz übernehmen kann, mögen noch einige Wochen vergehen. Es wird gut sein, wenn das Haus so lange nicht leer steht. Du könntest so lange noch hier bleiben und alles instand setzen, wie er es haben will. Es wird ohnehin noch allerlei zu ordnen geben. – Es wird recht einsam werden für ihn, setzte sie hinzu. Das beste wäre, er nähme sich bald eine Frau!« Anna war mit allem einverstanden. Ehrenreich wollte zwar aufbrausen und allerlei von unwürdiger Behandlung und Magdsdiensten reden – aber Anna sah ihn bittend an.

»Ich tue es gern,« sagte sie. Da sprach er nicht mehr davon.

An einem sonnenhellen Sonntage hatten sie den Grafen in der Waldkapelle auf dem Berge zur Ruhe gebracht. Das Trauergeleit hatte sich verlaufen. In der Burg war es leer und öde. Die vier, die allein zurückgeblieben, taten sich zusammen zu einem erquickenden Gang in der Abendstille. Die Sonne flimmerte scheidend durchs junge Buchengrün, Primeln und Anemonen blühten überall am Wegrande. Die Finken schmetterten ein seliges Lied, gelbe Falter taumelten durch die stille Abendluft. Es lag ein Feierabendglück über der Natur, wie es ein Herz, das noch mitten in seinen Kämpfen steht, mit unendlicher Sehnsucht nach Nähe füllt.

In ihren Trauerkleidern gingen sie langsam und schweigsam dahin durch Abendgold und Frühlingsgrün, auf schmalem Pfade am Waldrand entlang; zur Rechten die säulenschlanken Buchenstämme, zur Linken den steilen Hang ins Tal hinunter; ein rohes Holzgeländer lief am Wege entlang. Die Geschwister gingen voraus. Ehrenreich, den Annas Liebesdienste zum Nacheifern reizten, bemühte sich, der wortkargen Schwester Wärme zu geben oder zu entlocken – er erreichte nicht viel. Sie antwortete zerstreut, war immer anderer Meinung und ließ bittere Andeutungen fallen, die er nicht verstand. Denn wenn er seiner Schwester Leben auch nicht für glücklich hielt, so dachte er doch, sie wäre ganz zufrieden, und ahnte nicht, wie unglücklich es war.

Der Fürst und Anna folgten ihnen. Sie hatte das nicht hindern können, ohne Aufsehen zu machen. Sie waren noch schweigsamer, wie die Voranschreitenden, und bemühten sich nicht einmal, eine Unterhaltung anzuspinnen.

Des Mädchens Augen schweiften klar und traurig über das abendliche Tal hinaus. Das schwarze Gewand ließ sie noch blasser scheinen, wie sie war. Ihre lieblichen Züge drückten eine unendliche Wehmut aus. Das große Leid, das in ihrer Seele wohnte, hatte nicht vermocht, ihnen auch nur die geringste Härte oder Schärfe beizumischen. Sie trug in der einen Hand einen jungen Buchenzweig, den sie im Vorbeigehen gebrochen, und stützte die andere leicht in die Seite. Sie setzte gleichmäßig einen Fuß vor den andern und schien ganz zu vergessen, daß jemand neben ihr herging.

Der Fürst hatte eine Weile seinen Gedanken nachgehangen. Er trauerte aufrichtig um den Toten, den er liebgewonnen hatte, und fürchtete sich vor der Öde seines Heims, – denn sie mußten nun eine Weile auf dem Runkelstein bleiben – um der Trauer und verschiedener Geschäfte willen.

Jetzt fiel ihm die Schweigsamkeit seiner Begleiterin auf. Er sah sie an und beobachtete sie eine Weile – zum erstenmal im Leben eingehend und gründlich. Es fiel ihm dabei ein, daß Griseldis ihm von ihrem Fortgang gesprochen hatte.

»Anna,« sagte er. Sie schrak zusammen und er machte unwillkürlich eine Pause, ehe er fortfuhr:

»Griseldis hat mir erzählt, Ihr wolltet fort von hier?« Anna Steinhofer senkte den Kopf, ihre Lippen zuckten.

»Es liegt weniger an meinem Willen, als an den Verhältnissen,« sagte sie leise. Er musterte sie aufmerksam.

»Ich glaube, wenn es etwas mehr an Eurem Willen läge, könntet Ihr immer hier bleiben!«

»Was weiß mein Fürst davon!« sagte sie, und ein feines Rot stieg in ihr blasses Gesicht. Sie fühlte, daß er sie immer noch ansah.

»Ich weiß nichts,« sagte er, »ich vermute nur. Mein junger Schwager hat ein zu offenes Gemüt und zu ehrliche Augen, um ein Herzensgeheimnis zu hüten. Ich weiß nicht, ob er es vor Euch besser zu hüten verstand – ob er es Euch schon entdeckt hat.«

»Und wenn er es mir entdeckt hätte,« unterbrach sie schnell, »so könnte das an meinem Fortgehen nichts ändern.«

Es trat etwas wie Staunen in des Fürsten Gesicht.

»Aber, Anna,« sagte er, »es ist doch etwas unüberlegt, das Schicksal so einfach von der Hand zu weisen, wenn es Euch ein angenehmes Dasein und eine sorgenlose Zukunft bietet –«

»Es gab für mich dabei nichts zu überlegen,« sagte sie fest.

»Aber, Anna – Ihr seid eine Waise – Ehrenreich würde Euch auf Händen tragen –« er schwieg betroffen.

Anna warf den Kopf zurück, sekundenlang streifte ihn ein stolzes Leuchten ihrer Augen – dann sah sie von ihm fort.

»Ja, ich bin eine Waise,« sagte sie ruhig und erregt zugleich, »und wenn ich jetzt in die Welt hinausgehe, so bin ich allein und bettelarm. Aber Armut und Einsamkeit werden mich niemals vermögen, unredlich zu handeln. Niemals werde ich eines Menschen Glück aufs Spiel setzen, um mir ein behagliches Dasein und eine sorgenlose Zukunft zu sichern. Man soll nicht freien ohne Liebe, denn eine Ehe ohne Liebe ist ein Unglück und entwürdigt den, mit dem man sie schließt.«

Sie hatte sich hinreißen lassen und fühlte es nun; ihre Wangen brannten und sie ließ den Kopf wieder sinken.

Der Fürst schien noch nicht zu empfinden, daß sie sein eigenes Leben mit diesen Worten gemalt hatte; er sah sie immer noch an und träumerische Glückseligkeit überkam ihn – leise – leise.

»Ihr seid zu schroff, Anna. Ihr urteilt von Eurem idealen Standpunkt aus, an dem noch nicht die nüchterne Hand des Lebens rüttelte. Ich will hier nicht Leichtfertigkeit und kalte Berechnung verteidigen. Aber wenn man einander sonst herzlich wohlgesinnt ist – ich weiß, daß Ihr meinem Schwager wohlgesinnt seid – und alle äußeren Verhältnisse weisen darauf hin, so kann es doch eine gute und friedliche Ehe werden. Und wenn noch dazu der eine Teil eine treue Liebe hegt –«

»Mein Fürst,« unterbrach sie ihn eifrig, »das Glück der Ehe liegt nicht nur im Lieben, sondern ebensosehr im Geliebtwerden.«

»Für den andern Teil kann die Liebe kommen. Es wäre nicht das erstemal, daß das geschähe. Liebe erweckt Gegenliebe.«

»Nicht immer,« sagte Anna kurz. Sie dachte nur an sich.

Da kam ein schwerer Seufzer ans des Fürsten Brust.

»Ihr habt recht, Anna,« sagte er; ich will Euch nicht länger quälen. Ich dachte nur, ich könnte Euch vielleicht davor schützen, in der Übereilung zu tun, was Euch nachher gereuen möchte.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß meinen Weg und meine Pflicht – und danach muß ich handeln.«

»Was aber soll aus der Westernburg werden – ohne Euch?« fragte er, in einen leichteren Ton verfallend.

»Sie wird in alter Weise fortbestehen – auch ohne mich,« entgegnete sie mit einem matten Lächeln. »Niemand ist unersetzlich.«

»So versprecht mir wenigstens, ein häufiger Gast auf dem Runkelstein zu sein, solange Ihr noch in der Stadt weilt. Mein Haus steht Euch immer offen.«

Es war ihr unsäglich peinlich, daß er sie darum bat. –

»Ich weiß nicht,« sagte sie stockend und leise, »ob es Griseldis lieb wäre.«

Da sammelten sich Wetterwolken auf seiner Stirn.

»Wen ich einlade, der wird auch meinem Weibe willkommen sein,« sagte er scharf. »Überdies ist es ganz selbstverständlich, daß Ihr zu uns haltet, denn Ihr gehört zu uns.«

Anna schwieg; sie hielt es für ratsamer, nicht zu antworten. – Die seltsame Stimmung, die den Fürsten flüchtig beseligt, war verflogen. Düster setzte er seinen Weg fort.

Sie setzten sich zu dem einfachen Abendmahl unter der Linde, obschon es ziemlich kühl war. Sie hatten alle eine unbewußte Scheu, das herrenlose Haus zu betreten.

Mitten auf dem gedeckten Tisch stand ein Windlicht; die helle Flamme brannte flackernd und unruhig. Ein paarmal schon hatte der Fürst, der ihm am nächsten saß, mit den Augen geblinzelt und war ungemütlich hin und her gerückt. Anna Steinhofer warf einen forschenden Blick umher, und als sie sah, daß noch die letzte Spur des Abendrotes am Himmel hing und schwaches Tageslicht verbreitete, griff sie schweigend nach dem Licht, löschte es aus und stellte es neben sich auf den Sand.

»Was machst du denn?« fragte Griseldis – so gereizt, daß Anna zusammenfuhr und sie erschreckt anstarrte.

»Ich dachte – ich glaubte – die unruhige Flamme sei deinem Gemahl unangenehm« – brachte sie verwirrt hervor, wie ein auf verbotener Tat ertapptes Kind, und setzte nach einem jähen Aufatmen sicherer hinzu: »es ist ja auch noch ziemlich hell.«

»Was weißt du davon, was meinem Gemahl angenehm oder unangenehm ist,« entgegnete Griseldis mit kalter Gehässigkeit, »und was geht es dich an?«

Anna wurde blaß und rot, sie zitterte am ganzen Leibe, und war nicht imstande, ihre Erregung zu meistern.

Ehrenreich warf einen wütenden Blick auf seine Schwester.

Er sagte nichts, aber er dachte, daß sie sich solches Benehmen in des Grafen Gegenwart nicht erlaubt haben würde.

Der Fürst sah nur Anna an, und auch nur einen Augenblick.

»Ich danke Euch, liebe Anna,« sagte er laut und ruhig, »Ihr habt meine Gedanken erraten.« Dann aß er weiter. Griseldis legte klirrend Messer und Gabel auf den Tisch.

»Ich bin es nicht gewohnt, im Dunkeln zu essen,« sagte sie und lehnte sich in ihren Stuhl zurück.

Niemand unterbrach die peinliche Stille. Anna hatte Tränen in den Augen und wagte sich nicht zu rühren.

In des Fürsten Gesicht kämpften die widerstreitendsten Gefühle.

Endlich sagte er mit derselben eisernen Ruhe:

»Wenn Ihr mir nun noch eine zweite Gefälligkeit erweisen wollt, Anna, dann seid so gut und zündet das Licht wieder an.« Sie gehorchte sofort und schweigend. Ehrenreich schlug bereitwillig das Feuer dazu. Griseldis nahm Messer und Gabel wieder zur Hand. Sie konnte nicht ganz verbergen, daß sie sich schämte. Das wenigstens hatte der Fürst erreicht.

Es gelang nicht, die Unbefangenheit wieder herzustellen. Nach einer kleinen Weile, als das Mahl beendet war, sagte der Fürst zu seiner Gemahlin:

»Es wird Zeit für uns heimzukehren.«

»Ich habe beschlossen, fürs erste hier zu bleiben,« sagte sie mit möglichst viel gleichgültiger Bestimmtheit, aber mit einem unsicheren Blick auf ihren Gatten.

»So,« sagte er gelassen, »das hättest du mir eigentlich früher mitteilen sollen. Indes, es bleibt sich gleich – ich wünsche, daß du mich heute begleitest.«

Ein feindseliger Blick traf ihn.

»Ich habe hier noch zu tun!« sagte sie mit mühsam beherrschtem Ingrimm.

»Die Nacht wirst du zu deiner Arbeit doch nicht benutzen wollen,« warf er mit leisem Spott ein. »Und morgen früh können wir wiederkommen.«

Griseldis zuckte vor Ungeduld.

»Ich finde es nicht wohlanständig, wenn mein junger Bruder und das Mädchen sich hier allein überlassen bleiben,« sagte sie rücksichtslos und mit einem argwöhnischen Blick auf die beiden, denen bei ihren Worten eine rote Welle ins Gesicht schlug.

Karl Friedrichs Äugen sprühten Blitze; in seinen Schläfen lief das seine Geäder bläulich an. Aber er bezwang sich.

»Ich weiß,« sagte er sehr nachdrücklich, »daß es überall anständig zugeht, wo mein Schwager und Anna Steinhofer beteiligt sind.«

Ehrenreich schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück und erhob sich mit einer gewissen Heftigkeit.

»Ich finde es nicht schön,« sagte er, »daß wir am Begräbnistage unseres Vaters miteinander streiten.«

Er ging von den anderen fort an die Brüstung der Terrasse und sah mit verfinstertem Gesicht auf die wogenden Baumkronen hinunter. Der Fürst trat zu ihm und suchte seine Hand.

»Du hast recht, Schwager – verzeihe mir,«

Zögernd wandte sich Ehrenreich um und erschrak vor dem tiefen Seelenleid, das ihn aus des Fürsten unruhig glänzenden Augen ansah. In einem jähen Aufwallen von ahnendem Verständnis drückte er ihm wortlos und heftig die Hand.

Griseldis versuchte keinen weiteren Widerstand und folgte ihrem Fürsten und Herrn in trotzigem Schweigen. Ihre Miene weissagte nichts Gutes. Von Ehrenreich nahm sie nur flüchtig, von Anna gar keinen Abschied. Ehrenreich geleitete seine Geschwister zur Abfahrt in den Hof.

Anna Steinhofer blieb allein zurück in dem sinkenden Dunkel, bei dem flackernden Schein des Windlichts. Sie setzte sich auf den Stuhl, wo der Fürst gesessen, legte den Kopf auf den Tisch und weinte. – Das starke Mädchen hatte auch seine schwachen Stunden. – Sie hörte Ehrenreich nicht kommen. Er stand betroffen still, als er sie sah, und näherte sich dann leise, wie in Ehrfurcht vor ihren Tränen.

»Wenn ich doch gutmachen könnte, was sie dir angetan – heute und oft schon – aber du gibst mir ja nicht das Recht dazu!«

Sie erschrak nicht beim unerwarteten Klang seiner weichen, gedämpften Stimme; langsam richtete sie sich auf und trocknete ihre Augen.

»Ihr meint es gut, Junker – aber es gibt Nöte im Leben, da muß man sich ganz allein durchhelfen. Wir wollen nicht mehr daran denken.«

Sie besprachen noch einiges Notwendige – dann gingen sie auseinander.

Griseldis kam am anderen Tage nicht wieder und am folgenden auch nicht. Es blieb den beiden allein überlassen, zu ordnen, was noch zu ordnen war. Die mancherlei Arbeit, die sich fand, half ihnen über das Peinvolle dieses Zusammenseins hinweg. Sie bedauerten beide nicht, allein miteinander zu sein. Sie wußten, die Anwesenheit der Fürstin wäre ihnen ein Alp gewesen.

Am dritten Tage kehrte Ehrenreich zu seinem Regiment zurück. – Nun war Anna ganz allein und blieb allein mehrere Wochen lang – die ganze sonnige Rosenzeit hindurch. Die Rosen blühten sehr üppig in dem wohlgepflegten Burggarten – aber es war diesmal niemand, der sie pflückte. Anna fürchtete sich nicht in ihrer Einsamkeit. Sie hatte die alten Hausleute, mit deren mehreren sie zehn Jahre zusammen hier oben gelebt hatte und die ihr zum Teil blind ergeben waren – zum Teil mütterlich für sie sorgten. Ihrem wunden Gemüt taten Einsamkeit und Stille wohl.

Anna langweilte sich auch nicht. Sie benutzte die Zeit, um das geräumige und vielwinkelige Haus von oben bis unten zu putzen, zu reinigen und zu scheuern und zur Aufnahme seines neuen Herrn in Stand zu setzen. Sie nahm dabei einen langen, stillen Abschied von allen Räumen und Gegenständen, die ihr seit lange bekannt, lieb und wert geworden.

Einmal, im Anfang, mußte sie doch noch nach dem Runkelstein hinüber. Die Fürstin sollte Entscheidungen treffen über Sachen, die ihr zugefallen waren, und da sie nicht herüberkam, mußte sich Anna entschließen, zu ihr zu gehen. Es war ein kurzer Besuch und eine geschäftliche Unterredung, bei der Annas Kehle sich bis zur Schmerzhaftigkeit zuschnürte. Der Fürstin Kälte schnitt wie scharfes Eis in ihr armes, warmes Herz. Sie litt wie unter einer grausamen Strafe und hatte doch nichts verschuldet. Den Fürsten sah sie nicht.

Ehrenreich hatte seine Einkehr in das Haus seiner Väter auf einen Hochsommertag festgesetzt. Am Abend vorher verließ Anna zu Fuß die Westernburg, die ihr zehn Jahre lang eine Heimat gewesen war. Ihre Habseligkeiten hatte am Morgen ein Bretterwagen hinuntergeschafft. Sie wollte es nicht anders. Ehrenreich sollte bei seinem Einzug gleich alles so finden, wie es ihm bleiben würde. Die Haustür und das Hoftor hatte sie mit Eichenlaub umwinden lassen, und auf den Tisch des Wohnzimmers hatte sie einen großen Rosenstrauß gesetzt. Der Willkomm sollte ein freundlicher sein.

Dann nahm sie einen herzlichen Abschied von allen – von der Haushälterin und dem dicken Kastellan bis zum wirrhaarigen Pferdeburschen, wobei auf beiden Seiten viel Tränen flössen. Bis zum Tor gaben sie ihr das Geleit – dann schickte sie alle zurück. Sie wollte allein gehen.


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