Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Er lief mit dröhnenden Schritten im Zimmer umher, vergessend, wo er war. – Anna ging ihm nach und legte ihm leise die Hände auf den Arm. Er blieb stehen und sah sie an; sein Atem ging röchelnd.

»Ich mache dir keinen Vorwurf, ich erlaube mir kein Urteil. Ich habe soviel geweint um dich und wollte so gern, daß du glücklich seist. Aber nicht so – nicht so –ich kann nicht – es wäre kein Glück für uns beide. Griseldis würde immer zwischen uns stehen –«

Er lachte gellend auf.

»Darum habe ich mich von ihr scheiden lassen, damit sie nicht mehr zwischen uns steht. Daß sie mir nicht mehr im Wege sein kann, ist das einzige, was sie an der Trennung gekränkt hat. Es war nicht schön, was ich mit ihr durchgestritten habe, bis ich sie so weit hatte – eines anständigen Menschen nicht mehr würdig. Es ekelt mich, wenn ich daran denke. Nun sitzt sie auf der Westernburg, und wenn sie ihren Ärger überwunden hat, wird sie in die Welt zurückgehen und sich einen andern aussuchen, den sie unglücklich macht.«

Anna sah ganz verängstigt aus.

»Sprich nicht so schrecklich, du bist ja gar nicht so schlecht –«

Da packte er sie an den Schultern und sah ihr tief in die Augen.

»Nein, Anna, gewiß, ich bin nicht schlecht von Natur; ich bin wild, aber ich bin gut, und ich habe eine unendliche Sehnsucht nach Güte. Das Leben und – das Weib haben mich rasend gemacht, so daß ich Schlecht und Gut manchmal miteinander verwechsele. Und wenn das Leben mich jetzt noch einmal betrügt – wenn der letzte Einsatz meiner ganzen Kraft und meiner ganzen Liebe umsonst war – dann ist es aus mit mir; dann geht's um meine Seligkeit. Anna – Kind – Weib – Liebstes, Einziges, Letztes, was ich habe – läßt du mich hier stehen wie einen Bettler – schickst du mich fort in Nacht und Elend? Du liebst mich doch, Anna! Ich sehe es ja! Du würdest jetzt nicht weinen, wenn du mich nicht liebtest!«

Sie stand vor ihm mit gesenktem Haupt, ihre Tränen fielen auf seine blanken Stiefelspitzen. Sie wagte nicht ihn anzusehen, so sehr sie sich nach seinem Anblick sehnte, so lebhaft, ja geradezu schmerzhaft sie fühlte, wie er es wünschte, daß sie ihn ansähe – sie wagte es nicht,

»Anna – mein Gott, das ist ja eine unerträgliche Qual!« Seine Arme lagen schwer wie Blei auf ihren Schultern.

»Sag ja oder nein – sag nur überhaupt etwas! Sag ja, Anna, du bist ja doch mein nach deinem Herzen, deinem Sinn, nach ewigen Gesetzen. Auf ein wenig mehr kommt es ja gar nicht an.« Er näherte ihr immer mehr sein bleiches, erregtes Gesicht.

Da bekam sie Leben und wich zurück von ihm.

»Nein – nein – und wenn ich auf der Stelle sterben müßte – ich kann nicht. Es würde mir folgen wie Furien – es würde mein Glück vergiften und das deine dazu – ich würde mich ewig schuldig fühlen – denn wenn ich nicht gewesen wäre, so wäre das alles nicht gekommen –«

»Es wäre dennoch gekommen, auch ohne dich. Die Ehe zwischen Griseldis und mir konnte nie ein gutes Ende nehmen. Und außerdem bist du da, und kannst dich nicht aus der Welt hinausphilosophieren, in die Gott dich gesetzt hat. Und ob du auch jetzt bei deinem Nein verharrst, Griseldis kommt doch nicht mehr zu mir zurück, und unsere Liebe bleibt doch dieselbe. Nur, statt Glück zu stiften, stiftet sie noch weiteres Unglück.« Er drang auf sie ein mit allen Waffen der Vernunft, der Leidenschaft und der Liebe – sie blieb dabei, daß es ihr unmöglich sei, glücklich zu sein und glücklich zu machen, wo eine andere erst hatte verdrängt werden müssen.

Zuletzt lag sie in einer Sofaecke, und er kniete vor ihr, und während sie in halber Bewußtlosigkeit – wie um Verzeihung bittend – seine Hände streichelte und liebkoste, sagte er ihr, daß er nicht ohne sie dies Zimmer und dies Haus verlassen werde. Da ging ihr alles andere unter in entsetzlicher Angst.

»Du wirst nicht Gewalt anwenden,« sagte sie und richtete sich ganz steif auf; »du darfst nicht! nein, du wirst es nicht tun!«

Der stehende, furchterfüllte Ton schnitt ihm ins Herz.

»Nein – nein – fürchte dich nur nicht vor mir – das ist das Schrecklichste. Du wirst auch Gewalt nicht nötig machen – du wirst von selber kommen, Anna; nicht wahr, Anna?«

Aber sie barg das Gesicht in den Händen und blieb bei ihrem »Nein – ich kann nicht; wir wollen uns lieb behalten, wir können ja nicht anders – aber mehr nicht – mehr nicht!«

Da stand er auf, er hatte genug gebettelt; mehr konnte er nicht ertragen.

»Ist das dein wohlüberlegter Entschluß?«

»Ja,« sagte sie und sah ihn ängstlich an.

»Gut, dann wären wir nun fertig. Es ist ja wohl auch am besten, wenn jeder sich das Leben nach seinem Geschmack einrichtet, ohne auf den andern Rücksicht zu nehmen. Aber ich komme spät zur Einsicht. Nun – ich wünsche dir Glück, Anna.« Er bückte sich nach seinem Mantel und zog ihn sorgsam an, als sei das augenblicklich das Wichtigste. Dann griff er nach der Mütze.

Da stand sie vor ihm.

»Was willst du tun?« fragte sie stockend.

Er sah sie kalt abweisend an und setzte die Mütze auf.

»Was fragst du danach?« entgegnete er hohnvoll, »wir haben nichts mehr miteinander zu teilen.« Er wollte gehen – sie hielt ihn fest.

»Karl Friedrich – zürne mir nicht – du weißt –«

»Ja, ich weiß, du liebst mich, und bist nicht imstande ein Vorurteil zu überwinden. Aber ich weiß ein Mittel, das alles überwinden hilft – auch diese Erfahrung. Sei unbesorgt um mich.« Er schritt zur Tür. Sie verstand ihn nicht ganz; fürchterliche Ahnungen stiegen in ihr auf.

»Karl Friedrich – ich beschwöre dich –!« Die Tür fiel zu; er war fort. Sie hörte seinen Schritt über den Gang und die Treppe hinunterklirren – ferner und immer ferner. Nun hörte sie nichts mehr. Und da, in der beängstigenden Stille um sie her, in der nur die brennenden Kerzen leise knisterten, erschien ihr plötzlich ihr Tun in einem anderen Licht, die Last einer furchtbaren Verantwortung legte sich ihr auf die Seele. Der Blick kalter Entschlossenheit, mit dem er sie zuletzt angesehen, verfolgte sie mit bannender Gewalt, wohin sie sich wandte. Was tat er nun? Wie hatte er doch gesagt: es geht um meine Seligkeit. Karl Friedrich war zu allem fähig, wenn er so sprach, wenn er so aussah. Und wenn er nun hinging und tat sich ein Leid an? wenn er aus dem Leben schied in dieser friedlosen, unversöhnten, verbitterten Stimmung, mit dem ungeklärten Wirrwar seiner Erlebnisse und Gefühle – durch ein Verbrechen – so hatte sie seine Seele auf dem Gewissen. Und wenn er es nicht tat, sondern blieb leben und würde ein wilder, schlechter Mensch – und gewiß, das würde er werden – so trug wieder nur sie die Schuld daran.

Und blitzartig stand er vor ihrem Geiste, wie er sein konnte: gut und weich und milde; berufen Großes zu leisten, vermöge seiner Willenskraft und Lebensfülle, mit dem Schicksal versühnt, glücklich und dankbar. Und sie sagte sich, daß es ihr vergönnt sein könne, solches aus ihm zu machen; daß das edelste und herrlichste Frauenlos ihr zufallen könne – und daß sie es verschmäht habe, nur weil sie nicht über ihre kleinlichen Bedenken hinweg konnte. Und was waren diese Bedenken wert angesichts dessen, was auf dem Spiele stand! An dem Geschehenen war doch nichts mehr zu ändern – vorwärts mußte sie – so oder so. Und wenn sie Schuld auf Schuld auf ihre arme Seele lud – wenn sie seine Seele damit retten konnte, so mochte die ihre – Gott verzeih' ihr den Frevel – verloren gehen.

Wie ein Steinbild hatte sie gestanden, während ihr all diese Gedanken durch den Kopf schossen. Nun stürzte sie plötzlich zur Tür und hinaus. Auf dem Gang riefen die Kinder nach ihr – sie hörte nicht darauf. Sie stürzte hinaus in die Winterkälte, ohne Tuch und mit bloßem Kopf – in blinder Hast die Straße hinunter, aufs Geratewohl in irgend einer Richtung. Mit fieberhaft gespannten Nerven lauschte und spähte sie hinaus in die Dunkelheit. Die Sterne funkelten am Himmel, hier und da brannte eine trübe Öllampe. Frischer Schnee dämpfte jeden Schritt; leere, schreckliche Stille ringsum in der abendlichen Stadt. Weit unten rauschten die Wogen des Rheins gegen die beeisten Ufer. Das Wasser! Anna stand still und schlug eine andere Richtung ein zum Fluß hinunter. Sie lief und lief, Straßen auf, Straßen ab. Einige Vorübergehende standen erstaunt still; sie starrte sie an mit brennenden, forschenden Augen und stürzte vorbei.

»Ach Gott! ach Gott! laß mich ihn finden!«

Die Straßen traten zurück; sie war in die Allee geraten, die am Fluß entlang führte, zum Nachbarort. Unschlüssig hielt sie inne. Nein – so fand sie ihn nicht; sie mußte es anders anfangen. Sie wollte umkehren. Da – kam da nicht ein leiser, klirrender Ton durch den Schnee, wie von Reitersporen.

Anna preßte die Hände auf das hämmernde Herz. Es gab ja so viel Reitersmänner in der Stadt. Aber sie schaute und schaute, als sollten ihr die Augen aus dem Kopf treten.

Da, zwanzig Schritt vor ihr, bewegte sich etwas Dunkles unter den kahlen Bäumen hin. Sie sah deutlich eine große weiße Feder auf und ab schwanken. Nun blitzte es flüchtig auf unten im Schnee.

Anna stieß einen Schrei aus und stürzte der dahinschreitenden Gestalt nach. – Karl Friedrich hörte den Schrei und stand still; er hörte Schritte und wandte sich um; er konnte eben noch die Arme ausbreiten, um das Weib aufzufangen, das halb besinnungslos hineintaumelte. Ihre Arme schlangen sich mit würgender Gewalt um seinen Hals; alles an ihr zitterte und zuckte.

»Ich war wahnsinnig – ich war unmenschlich. Ich will bei dir bleiben! Ich will nie mehr fort – nie mehr!«

Sie warf ihre Überzeugung, ihre Seelenruhe hin, um seiner Seele willen. Es war ihr alles ganz gleichgültig, ihr irdisches und ihr ewiges Wohl – wenn sie ihn nur retten konnte.

Er war so erstaunt und so erschüttert, daß er lange die Sprache nicht fand. Und dann waren es nur abgerissene, stammelnde, glühende Liebesworte. Sie nahm sie begierig auf, wie um sich zu betäuben. Sie sog sie förmlich ein in ihr zermartertes Gemüt. Sie wühlte ihr Gesicht in seinen Pelz und ihre Hände in sein Haar, und klammerte sich an ihn an, als müsse sie ihn schützen vor feindlichen Mächten, ihn decken mit ihrem eigenen Leibe.

»Anna – Anna –« sagte er leise, ganz überwältigt durch ihren leidenschaftlichen Ungestüm. »Weißt du, was ich tun wollte, Anna? ich wollte hinausgehen bis in den Wald, und da wollte ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen.« Sie schauderte.

»Ich wußte es – ich wußte es – darum bin ich dir nachgerannt!«

»Du hast mir zum zweitenmal das Leben gerettet.«

Sie bog den Kopf zurück und sah im Zwielicht zu ihm auf, und er sah ihre Augen leuchten in wildem Entzücken.

»Ja, ich will dich retten, und gälte es meine Seligkeit.«

Was war aus ihr geworden – wo war ihre Ruhe, ihre sanfte Stille!

Karl Friedrich konnte es nicht fassen, daß so viel leidenschaftliche Glut ihm gehören sollte – ihm schon gehört hatte jahrelang.

»Anna,« flüsterte er an ihrem Ohr, »Anna, wirst du dich auch nie mehr fürchten?« Sie lachte nur in trunkener Seligkeit.

»Und wird es dir auch niemals leid werden?«

»Nie – solange es dich gut und glücklich macht.« Sie gingen zusammen nach Hause. Sie sprachen nicht viel miteinander, aber ihr Schweigen war beredt genug. Sein Arm lag um ihre Schulter; er hatte ihr seinen Pelz umgehängt, sie lehnte an ihm und ließ sich halb von ihm tragen und schloß die Augen dabei. Er sah auf ihr verklärtes und doch von so viel Leid zeugendes Gesicht, das jetzt ohne den verführerischen Glanz der tiefen Augen engelhaft fromm, lieblich und demütig war.

Als Anna das Haus wieder betrat, war ihr, als käme sie aus dem Paradies auf die Erde zurück.

Man hatte sie vermißt – gesucht. Sie gab mit kurzen Worten die Erklärung. Nun brach der Jubelsturm los. Der Prinz war ihr Prinz – wie kam sie zu einem wirklichen Prinzen! es war doch kein Märchen? Aber Anna schickte alle fort und zu Bett und vertröstete sie auf morgen.

Sie saß allein mit dem Fürsten im Wohnzimmer und wartete auf die Rückkehr derer, denen sie diente. Sie vergaßen Essen und Trinken, und küßten sich und redeten miteinander von ernsten, traurigen Dingen und von ihrer Liebe, die alles wieder gutmachen sollte. Und Anna fand, daß solche Liebe jeden, auch den höchsten Preis wert sei; am meisten den Preis der eigenen Persönlichkeit. Die halbe Nacht verging ihnen wie eine halbe Stunde. Ihre Seelen verloren sich ineinander und sie vergaßen, daß sie auch irdische Menschen waren, und waren doch vollkommen zufrieden. Das ist der Prüfstein der Liebe.

Die endlich Heimkehrenden fanden sich nur langsam darein, daß aus dem Mädchen, das ihnen bis heute gedient, plötzlich eine Fürstenbraut geworden war. Sie vernahmen die ganze Geschichte wie ein merkwürdiges Märchen und gaben Anna Steinhofer unter diesen Verhältnissen sofort frei. Sie hätten sich gescheut, auch nur noch den geringsten Dienst von ihr zu verlangen, die sich nun selbst bedienen lassen konnte.

Am zweitfolgenden Tage wurden sie in der Domkirche der rheinischen Stadt getraut. Mit rätselhafter Geschwindigkeit war für Anna ein weißes Brautkleid fertig geschafft worden, Karl Friedrich wollte, daß sie bis auf die letzte Kleinigkeit fürstlich aussehen sollte. Es gab zwar keine Aussteuer, keine Wäsche- und Silbertruhen; keine Hochzeitsgesellschaft und kein Festgelage. Das Notwendigste gab Anna Steinhofers freundliche Herrin; sie zog ihr das Hochzeitskleid an, schmückte sie mit Kranz und Schleier, und begleitete sie zur Kirche. Sie hätte ihnen gern ein Festmahl hergerichtet, aber dazu war keine Zeit.

Der Fürst wollte noch am selben Tage mit seinem Weibe weiter in die Welt hinein. Nicht nach Hause. Ungestört wollten sie glücklich sein, ungestört von häßlichen Erinnerungen, neugierigen Gesichtern, lästigen Fragern.

Anna war es' recht so. Es war ihr alles recht, was er tat und sagte. Ihre blinde Hingabe an ihn kannte keine Grenzen. Sie schien sich ganz und gar losgelöst zu haben von ihrer Persönlichkeit und lebte nur noch in ihm weiter. Jede Minute, die sie voneinander trennte, war ihr verloren. Sie fürchtete sich fast vor der intensiven Gewalt ihres Empfindens. Sie tauchte ein und unter in den berauschenden Wogen ihrer Liebeswonne, um nur nichts anderes zu hören.

Und doch konnte sie das nicht verhindern.

Sie vergaß Erde und Himmel in des Geliebten Armen und wenn sie aus dem seligen Traum erwachte, fand sie sich in einer Hölle wieder.

Sie hatte sich gar wohl gekannt.

Griseldis hieß das Gespenst, das ihr den Glückstrank vergiftete.

Griseldis hieß die Angst, die ihr plötzlich mitten im seligsten Taumel das Herz umkrallte, daß es stille stand vor Schreck. Griseldis hieß der Schatten, der neben ihr ging und stand, wenn sie an Karl Friedrichs Seite schritt, und auf seinen Knien saß, und mit drohendem Vorwurfe sagte: das ist mein Platz.

Griseldis hießen die bösen Träume, die sie aus dem Schlafe schreckten, der böse Zauber, der in Karl Friedrichs Küsse einen Stachel, in seine Liebesworte ein richtendes Schwert legte.

Sie war elend und friedlos, wie sie es nie gewesen. Aber sie sagte es nicht, sie ließ es sich nicht merken.

Sie behandelte den Teil ihrer Seele, der solche Qualen litt, mit schonungsloser, kalter Grausamkeit. Nur der andere Teil, der ihm galt und ihm nötig war, hatte Daseinsberechtigung in ihren Augen. Je mehr sie einsah, daß ihr Besitz und ihre Liebe ihm fruchtbarer Tau und blühender Segen war, um so fanatischer wurde sie in dem Bestreben, sich aufzuopfern. Sie nährte ihn mit ihrem Lebenssaft und die Qual wurde zur Wonne. – So können Himmelsglück und Höllenleid wohnen in einer Brust.

Karl Friedrich ahnte nichts von alledem. Er war glücklich und dankbar – dankbar von Herzensgrund, Zehn Jahre hatten ihn die Furien häuslichen Elends umgetrieben – nun konnte er ruhen. Nur der Müdgehetzte weiß, was Ruhe ist. Jahrelang war das Böse, Wilde, Gewaltsame in ihm gereizt worden, er hatte sich mit Stacheln gepanzert gegen sich und das Leben, er war rauh, hart und lasterhaft geworden – wie man wird, wenn man am irdischen Glück verzweifelt und von einem höheren Glück nichts weiß. Er hatte Entschädigung gesucht für sein verfehltes Dasein, rücksichtslos genommen, was er begehrte, rücksichtslos beiseite gestoßen, was ihm im Wege war. Nur eins war ihm geblieben in der Verhärtung und Verwilderung seines Gemütes – die Sehnsucht nach dem Guten, nach Liebe und Glück – nach etwas, das er nicht nennen konnte, weil er es nie gekannt.

Im Augenblick der höchsten Not, als er an der Pforte des Todes die furchtbarste Verzweiflung einer glaubens- und hoffnungslosen Seele durchgemacht hatte, in wenig Augenblicken eine ganze Hölle durchwandern mußte, da war ihm die verkörperte Erfüllung seiner Sehnsucht erschienen und hatte ihn gerettet. In glaubensfroher Zuversicht hatte er sich errungen und erstritten, was ihm Bürgschaft und Gewähr des Guten im Himmel und auf Erden dünkte.


 << zurück weiter >>