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Es war, als könne sie nichts anderes denken noch reden. Er biß die Zähne aufeinander, aber er gab ihr den Weg frei. Es war eine Hoheit in ihr, die ihn zum Gehorsam zwang.

»Anna, hast du nicht ein einziges Wort für mich!« tönte es stehend hinter ihr, als sie an der Schwelle stand. Sie blieb stehen und sah sich um wie nach einem verlorenen Paradiese.

»Ich kann nicht – jetzt nicht. – Ein anderes Mal.«

Als sie hinaus war, bereute sie diese letzten drei Worte, die ihm eine Hoffnung ließen, die er nicht haben durfte. Aber sie konnte das Gesprochene nicht mehr ungesprochen machen.

Der heutige Heimweg im Frühlingssonnenschein war viel schrecklicher als jener vor vier Wochen in der Winternacht.

Die Gedanken, die sie bisher siegreich von sich gewiesen, waren Wirklichkeit geworden und als große Gefahr in ihr Leben getreten. Sie brauchte Waffen dazu, die stärker waren als sie selbst.

Drüben jenseits des Wassers lag die Westernburg; vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte Ehrenreichs Werbung angenommen – damals schon; vielleicht hätte sie ihn lieben und den anderen vergessen gelernt. Sie hätte ihm folgen sollen, als er kam, wie alles in ihr zusammenbrach; es hätte sie vor diesem heutigen Tage retten können. – Aber nein – es wäre doch nicht besser gewesen; es wäre eine Lüge gewesen, und sie erlebte ja, was bei solchen Lügen herauskam. Und zuletzt wäre es eine Feigheit gewesen, und Ehrenreich stand ihr zu hoch, um ihn für ihre Sicherstellung zu mißbrauchen. Und endlich – ihr Herz wand sich unter dieser Einsicht – es hätte sie am Ende doch nicht vor Karl Friedrichs Rücksichtslosigkeit geschützt. – Nein, sie wollte sich allein schützen und retten, was noch zu retten war. Aber wie – wie –

Sie konnte nicht denken. Wo seine Lippen sie berührt, brannte es sie wie Feuer, und wo seine Hände sie gehalten, drückte es sie wie Kettengewichte. Seine Hände – die Hände, mit denen er einen Augenblick früher Griseldis geschlagen hatte.

Sie konnte nicht denken – nur fühlen. Und was sie fühlte, war die Hölle.

Der Fürst ahnte nicht, was er angerichtet hatte. Er hätte nie begriffen, daß Anna sich erniedrigt und vernichtet fühlte, wo ihn die Erinnerung noch vor Seligkeit erzittern machte. Er hatte keinen anderen Wunsch und keinen anderen Willen mehr, als frei zu werden von dem Weibe, von dem wie von einem Eisberge eine lähmende Kälte in sein ganzes Leben strömte, und Anna zu gewinnen. Was hatte er gewonnen durch das jahrelange Bekämpfen einer heimlichen Sehnsucht, – durch das Ertragen eines unwürdigen Daseins? – Nichts. – Nur die Erkenntnis, daß beim Ertragen und Entsagen nichts heraus kam, daß es eine nutzlose Selbstquälerei war, unter deren schmerzendem Druck alle guten Triebe und Anlagen verkümmerten und verhärteten.

Jetzt wolle er gewinnen, erringen und genießen.

Als Anna ihn verlassen, ging er, um Griseldis zu suchen. Sie hatte sich in ihr Schlafzimmer eingeschlossen. Aber es gab keine Schranken mehr für ihn. Mit der Riesenkraft der höchsten seelischen Erregung drückte er die schwache Tür krachend ein, und stand vor der Entsetzten wie ein richtender Gott, drohend, furchtbar und eisenfest. Ohne Vorrede und schonende Einleitung sagte er ihr, daß sie sich trennen müßten.

»Du hast mich belogen und betrogen von Anfang an; dein Sinn stand nach meinem Rang und meinen Reichtümern. Du wolltest geehrt und angesehen sein – darum heiratetest du mich. Ich aber wollte geliebt und glücklich sein – darum freite ich dich. – Du kamst auf deine Rechnung – ich nicht. Du hast nie ein Herz für mich gehabt; hast vielleicht überhaupt keins. Du konntest nicht einmal Liebe heucheln. Als wir verlobt waren, hielt ich deine Kälte für mädchenhafte Torheit. Als wir uns heirateten, lernte ich dich besser kennen. Zehn Jahre lang habe ich es ertragen – ein elendes Leben. Zehn Jahre lang bin ich lebendig begraben gewesen – nicht nur zehn Stunden. Erst habe ich gehofft, es könnte noch besser werden, der Stein könne sich erweichen. Als ich sah, daß ich vergeblich hoffte, bemühte ich mich zu entsagen. Aber ich sehe nicht ein, warum ich immerwährend entsagen soll, wo ich es besser haben kann, warum ich unter deinem Betrug ein Leben lang leiden soll. Du hast ein Verbrechen an mir begangen, aber nun soll dem ein Ende gemacht werden. Es ist ganz sinnlos, das noch länger zu ertragen. Du hast zehn Jahre lang deinen Willen gehabt, während ich gehungert und gefroren habe. Du bist mir eine Entschädigung schuldig. Ich verlange sie von dir als mein gutes Recht. Geh und gib mich frei. Nimm dir von meinen Reichtümern mit, soviel du willst, ich kann sie entbehren – aber geh – morgen – heute – gleich – je eher, je besser.«

Das sagte er ihr mit vielen Unterbrechungen, oft von Erregung übermannt – mit nahezu roher Rücksichtslosigkeit. Daß sie nicht ein einziges Mal versuchte ihn zu unterbrechen, machte ihn rasend.

Als er endlich schwieg, ging ein häßliches Lachen über ihr verzerrtes Gesicht.

»Hat dich diese ganze Rede Anna Steinhofer gelehrt?«

Er zuckte zusammen bei diesem Natterbiß; fast hätte er wieder die Hand gegen sie erhoben. Aber er bezwang sich.

»Was ich heut' empfinde und rede, hast du selbst mich gelehrt in zehnjähriger Schule. Nimm es als die Frucht deiner Arbeit an meiner Seele. Und nun antworte – wann wirst du gehen!«

Da stand sie auf und trat kampfbereit vor ihn hin.

»Ich werde nicht gehen,« sagte sie fest und hart. »Ich werde bleiben. Nicht aus Liebe, und nicht weil mir in deiner Nähe wohl ist. Zehn Jahre lang hast du mich geknechtet und gemißhandelt – jetzt ist meine Rache gekommen. Ich werde bleiben, weil ich nicht will, daß du glücklich bist; weil ich nicht will, daß Anna Steinhofer da als Herrin steht, wo ich – Sklavin war. Darum werde ich bleiben und nicht gehen,«

Sie schloß mit triumphierender Miene und einem bösen, kalten Blick. Sie glaubte ihm damit das Ärgste angetan zu haben.

Seine Augen aber glitten über sie hin mit eisiger Verachtung.

»So werde ich dich zwingen,« sagte er und verließ ruhig und gleichmütig das Gemach.

Zwei Tage nach diesen Ereignissen verließ Anna Steinhofer das Haus ihres Oheims, ohne den Fürsten noch einmal gesehen zu haben. Sie ging nach dem Rhein, wo sie in einer großen Familie passende Stellung und Beschäftigung gefunden hatte. Niemand fragte sie um die Gründe ihres Handelns; aber darin, daß niemand, nicht einmal ihre nächsten Verwandten, sie in ihrem Tun zu hindern suchten, lag schweigendes Verstehen und Anerkennen. Anna hatte nicht das Bedürfnis, sich zu irgend jemand auszusprechen. Ihr Schmerz war viel zu tief und innerlich, und helfen mußte sie sich doch allein. Still und zielbewußt ging sie ihren Weg; sie arbeitete vom Morgen bis zum Abend, um Herr ihrer Gedanken zu werden; es war oft viel zu viel für ihre erschütterten, zerquälten Nerven; aber sie fühlte eine wahre Genugtuung darin, sich für andere aufzuopfern. Diese Empfindung steigerte sich so, daß sie ernstlich den Vorsatz faßte, Krankenpflegerin zu werden.

Man liebte Anna in ihrem neuen Wirkungskreise; das einzige, was man an ihr auszusetzen hatte, war, daß sie nicht lachen konnte. Und dann erzählte sie so gar nichts aus ihrem Leben. Es mußte wohl sehr viel Trauriges darin enthalten sein. Arme Waise –! Aber das alles steigerte das Interesse, das Mitleid und die Liebe.

Ja, sie ging äußerlich still und zielbewußt ihres Weges – aber innerlich zehrte sie sich auf in Sehnsucht und Angst.

Da schrieb man ihr eines Tages von zu Hause, ganz am Schluß eines langen Briefes, wie man ein nebensächliches Ereignis erwähnt:

»Der Fürst hat sich von seiner Gattin getrennt. Seit mehreren Wochen war sie schon nach der Westernburg zu ihrem Bruder zurückgekehrt. Jetzt sind sie rechtlich und öffentlich geschieden. Mau spricht sehr viel davon und die Teilnahme ist auf des Fürsten Seite. Man hat sie nie gemocht, und ihr Bruder mag böse Tage mit ihr haben.«

Von nun an fühlte sich Anna von einer steten Gefahr umgeben. Sie mußte ihre ganze Energie aufbieten, um ihre täglichen Pflichten zu erfüllen. Die innere Angst nahm zu. Sie fühlte sich mitschuldig an dem, was geschehen, sie fühlte den Haß des verstoßenen Weibes in ihrem Herzen brennen. Dabei war ihr immer, als höre sie des Fürsten Schritt hinter sich her – als streckten sich seine Arme nach ihr aus, um sie zu fassen – zu zermalmen. Es war eine solche Höllenpein, daß sie es als Erlösung begrüßte, als endlich das eintrat, was sie am meisten fürchtete.

Eines Abends – etwa ein Jahr nach den Ereignissen in der Runkelsteiner Totengruft – sagte man ihr, es sei jemand im Hof, der sie zu sprechen wünsche; er käme aus ihrer Heimat. Sie wußte sofort, daß es der Fürst war.

Sie saß umgeben von den Kindern des Hauses am prasselnden Kaminfeuer, lehrte sie sticken und stricken und erzählte ihnen ein Märchen dabei. Die Eltern waren zu einer Abendgesellschaft gegangen. Als das Mädchen ihr den Gast meldete, versagte ihr einen Augenblick der Atem. Dann konnte sie ganz ruhig sagen:

»Führe ihn in das Empfangszimmer, ich komme gleich.«

Dann erhob sie sich langsam und legte mit zitternden Fingern Buch und Arbeit fort. – Die Kinder bedauerten das unterbrochene Märchen. Dann interessierten sie sich ungeheuer für den namenlosen Besuch. Das eine sah durchs Schlüsselloch, als er draußen über den Gang geführt wurde, bis er hinter der Ecke verschwand. Ganz aufgeregt wandte es sich zu den Geschwistern zurück und verkündete:

»Er sieht aus wie ein Prinz; er trägt hohe Stiefeln mit silbernen Sporen und einen kostbaren Pelz. Er ist furchtbar groß und schlank und ich glaube, er ist wunderschön.«

Anna Steinhofer küßte das plaudernde Kind zerstreut auf die Locken und ging hinaus.

»Seid artig und fleißig,« sagte sie schon im Gehen. »Ich bin bald wieder bei euch.« – Aber sie mußten lange warten.

Im Empfangszimmer brannten zwei Armleuchter und die vergoldeten Rahmen, Tischkanten und Stuhllehnen des kostbaren Raumes funkelten. Anna trat wie ein Schatten in das lustige Blitzen und blinzelte mit den Augen.

Ja, er sah wirklich aus wie ein Prinz. Er war ja auch ein Prinz. Der Fuchspelz mit dem bronzefarbenen Samtbezug hing ihm lose über die Schulter und ließ den dunkelroten Seidenrock mit Gold- und Farbenstickerei sehen. Die weißen Lederhosen steckten in hohen Stulpstiefeln, und wirklich, er trug Silbersporen. Die Pelzmütze mit der Reiherfeder lag neben ihm auf der marmornen Tischplatte. Er stützte eine Hand in die Seite und stand da in einer siegatmenden Stellung, wie ein Feldherr, wie ein verwöhntes Glückskind.

Anna Steinhofer in ihrer nonnenhaft einfachen Tracht ging der Anblick seiner strahlenden Erscheinung, das selig sorglose Leuchten seiner Augen wie ein Schwert durch die Seele.

Zuerst konnten beide das rechte Wort nicht finden. Sie waren ganz in ihren gegenseitigen Anblick versunken – der eine voll Wonne, – die andere voll Weh. Karl Friedrich sprach zuerst.

»Du bist vor mir geflohen – und ich hinderte es nicht. Ich wußte, ich würde dich finden, wenn es Zeit wäre. Ich hatte noch manches zu tun. Nun bin ich fertig. Mein Haus ist bereit, dich aufzunehmen – mein Herz war es schon lange. Komm, Anna!«

Er trat einen Schritt vor; der Pelzmantel glitt ihm von der Schulter und fiel auf den Teppich; die Silbersporen klirrten und klangen aneinander. Er stand vor ihr in seiner strahlenden, männlichen Schöne, in seiner echt fürstlichen Hoheit, im Selbstbewußtsein des Erfolges, des Sieges und des Glücks. Abgefallen von ihm die düsteren Schatten einer elenden Zeit – untergegangen in dem seligen Licht neuer Hoffnung.

Aber Anna Steinhofer kam nicht. Sie stand stolz und traurig da und sah ihn verständnislos an.

Seine Augen flammten ungeduldig.

»Anna!« drängte er. Da schüttelte sie den Kopf.

»So nicht,« sagte sie dumpf.

Er ließ die Arme sinken – nun seinerseits verständnislos.

»Aber was willst du denn?«

Sie sah unruhig zu ihm auf.

»Ich glaube,« begann sie schüchtern, »du irrst dich in mir. Ich kann nicht tun, was du von mir verlangst.«

Sie zitterte unter den Blitzen seiner drohenden Leidenschaft.

»Was verlange ich denn, das du nicht tun könntest? Nichts Unrechtmäßiges, nichts Ungebührliches. Weißt du nicht, was geschehen ist, seit du fortgingst?«

»Ja – ich weiß alles.« »Nun? warum zögerst du noch? Ich habe dem jammervollen Lügendasein ein Ende gemacht, habe alles aus dem Wege geräumt. Ich bin frei. Nicht nur äußerlich – ich habe mich auch von dem inneren Elend frei gemacht, mein Herz ist geschmückt für das neue Glück wie eine Kirche zu Pfingsten – und du zögerst noch? Ich komme und bitte dich: werde mein Weib in Ehren und Ansehen und zu unfaßbarer Seligkeit – und du stehst mir fremd und kalt gegenüber? Was soll das heißen, Anna? Anna – liebst du mich nicht mehr?«

Er stürzte auf sie zu wie ein gereizter Löwe und ergriff ihre Hände. Die zügellose Wildheit kam schon wieder über ihn. Sie schlug die Augen nieder und er sah, wie ihre Lippen zitterten.

»Es ist unmöglich. Hab Erbarmen mit mir – ich kann nicht die Stelle derer einnehmen, die um meinetwillen verstoßen ward – aus deinem Hause und aus deinem Herzen.«

Karl Friedrich wurde ganz fahl im Gesicht und ließ ihre Hände fahren.

»Hast du den Verstand verloren, Anna?«

Sie schwieg.

Und nun begann er zu rasen. Er sprach von seinem ehelichen Elend mit einer Offenheit und in Ausdrücken, wie er noch zu keinem davon gesprochen. Von seiner blinden Liebe im Anfang, wie sie erloschen sei an seines Weibes Kälte und sich endlich zu glühendem Haß entzündet. Von seiner vergifteten Jugend, von dem Lügenelend, darunter er gelitten und gegen das die endliche offene Feindschaft noch Wohltat war. »Und nicht allein, daß ich bis über die Ohren im Elend steckte – ich sah das Glück so nah, daß ich's mit Händen greifen konnte, und stand zu allem andern jahrelange Sehnsucht aus. Ich habe dich geliebt, Anna, seit jenem Tage, wo du mir sagtest, daß du die Westernburg verlassen müssest. Wie ein Verzweifelnder habe ich dich geliebt, wie ein Ertrinkender; fünf lange Jahre. Liegt denn ein Sinn darin, daß ich das noch länger ertragen sollte? Daß ich mich moralisch zu Tode schinden ließ? Willst du mir noch einen Vorwurf daraus machen, daß ich einen Bund löste, der ein täglich sich erneuerndes Unrecht in Totschlag und Unzucht war?

»Du hättest mir das früher sagen sollen – dann hätte ich schneller ein Ende gemacht – schneller und anders.«


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