Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Etwas über ein Jahr war vergangen. Langsam hatten sich die Tage zu Wochen und Monden gereiht. Langsam aber unaufhaltsam. Und dabei schien es Eva jetzt im Rückblick darauf, als hätte die Zeit Flügel gehabt, als wäre es erst gestern gewesen, dass sie so einsam und verzagt am Boden gelegen und geweint als wollte ihr das Herz brechen, als ob erst wenige Tage vergangen, seit sie so verzweifelte an all ihrem Wollen und Können. Sie konnte stolz sein, wenn sie hinblickte auf das, was sie bisher erreicht. Es kam ihr wie ein Traum vor, sie fürchtete immer, dass eines Tages beim Aufwachen alles wieder verschwunden wäre wie im Märchen. Und doch war es kein Traum. Alles das, was sie umgab, hatte sie in ehrlicher, nimmer ruhender Arbeit sich erworben.

Mit eiserner Energie hatte sich Eva aufgerafft nach jener entscheidenden Unterredung mit ihrem Schwager. Sie hatte nichts unversucht gelassen, um Arbeit zu bekommen. Auf alle Bureaux und Theateragenturen, in alle Redaktionen, überall hin war sie persönlich gegangen, wo sie nur die leiseste Hoffnung hatte, Beschäftigung zu finden. All ihre Schüchternheit hatte sie überwinden müssen, hatte sich gewappnet gegen dreiste Blicke und Bemerkungen, war nimmer müde, immer gefällig, freundlich und zuvorkommend gewesen, und hatte sich so einen immer grösseren und grösseren Kundenkreis verschafft. Bald wusste sie kaum mehr, wie alle Arbeit bewältigen.

Die Wohnung in der Marienstrasse hatte sie jetzt allein inne. In dem einen grossen Zimmer nach der Strasse hinaus arbeiteten mehrere junge Mädchen, die Schreibmaschinen klapperten unaufhörlich den ganzen Tag, das Telephon klingelte, es war ein fortwährendes Kommen und Gehen. Eva selbst arbeitete den Tag über in dem kleinen Zimmer, das sie früher zum Schlafen benutzt, sie sah nur noch die Arbeiten durch, korrigierte sie und leitete das Ganze.

Sie hatte kaum einen Augenblick Ruhe, ihre einzige Erholung waren die Nachmittage von fünf ab, wo sie ganz ihrem Kinde lebte und die Abende, die sie meist bei Wolfs zubrachte. Ihr Schicksal hatte sich in deren Bekanntenkreise herumgesprochen und überall herrschte die grösste Sympathie und Achtung für das tapfere kleine Mädchen, das so sicher und fest seinen Weg ging und so Unglaubliches in kurzer Zeit geleistet hatte.

Ab und zu huschte Eva auch am Tage über den Korridor nach den beiden Zimmern, die nach hinten auf einen für Berliner Verhältnisse grossen, grünen Garten sahen. Es war ihr Wohn- und Schlafzimmer, in dem ihr die Kleine jederzeit jubelnd die Aermchen entgegenstreckte. Mit wenig Mitteln hatte Eva ihr kleines Reich einfach und gediegen eingerichtet. Was noch fehlte machte ihr keine Sorge, das wusste sie, kam noch mit der Zeit. Sie war ja immer noch am Anfang, sie musste viel ins Geschäft stecken und doch warf es schon mehr ab, als sie je in ihren kühnsten Träumen erwartet hatte.

Trotzdem war sie nicht so recht froh. Oft konnte sie lange die Kleine ansehen, die gross und kräftig und bildhübsch, geworden war und immer unverkennbarere Aehnlichkeiten mit Hans zeigte.

Sie kämpfte lange schon mit sich. Hatte sie ein Recht, dem Vater das Kind vorzuenthalten, das doch so deutlich seine Züge trug? Sie wies den Gedanken lange von sich, sie glaubte, es wäre nur ihre Sehnsucht nach ihm, die ihr diese Frage eingab, und sie wollte sich doch nicht von ihren persönlichen Wünschen hierbei beeinflussen lassen.

Jetzt konnte sie endlich frei vor ihn hintreten, – was sie gefehlt, das hatte sie gebüsst, indem sie diese ersten beiden schweren Jahre sich ohne ihn beholfen hatte, indem sie sich nicht das so bequeme Recht angemasst hatte, alle Folgen auf seine Schultern zu laden. Die Strafe, die sie sich als Sühne für Illners Ende auferlegt, sie hatte sie gebüsst. Ein Mehr war nicht nötig. Nun trat sie wieder in ihre Rechte, sie und ihr Leben, gegen das sie auch heilige Pflichten hatte, und er, von dem sie wusste, dass er sich in Sehnsucht nach ihr verzehrte.

Sie hatte nichts von ihm gehört in der langen Zeit. Er hatte wohl keine Ahnung von allem, was sich ereignet, und wenn er auch etwas gehört, wenn er an sie geschrieben, so war der Brief als unbestellbar zurückgekommen. Von niemanden hatte er ihre Adresse erfahren können, denn in der Heimat war sie totgeschwiegen. Sie wusste, ihr Name wurde dort nicht genannt, und wenn es doch geschah, so nur flüsternd in den intimen Kaffees oder Kränzchen, mit vielsagenden Blicken und Achselzucken und mit den horrendesten Erzählungen und vagsten Vermutungen zugleich.

Aber sie, sie hatte ja die Adresse, unter der sie ihn immer erreichen konnte.

Sie hielt es nun, da sie den Entschluss gefasst, auch nicht eine Minute länger aus. Mit fliegender Hand schrieb sie ihm, sich überstürzend, alle Ereignisse der letzten Jahre. Alles was sie gefühlt und gedacht, wie sie gerungen und gestrebt und wie es jetzt um sie stände. Sie schrieb mit keinem Wort: Komm zu uns! Sie wollte seinen Entschluss nicht beeinflussen, auch er sollte frei sein ihr gegenüber.

Als der Brief zur Post war, kam eine tiefe Ruhe über sie. Kein Warten, kein Hangen und Bangen, sie war seiner so sicher, es war ja alles so selbstverständlich.

.

Zwei Tage darauf hielt sie eine Depesche in der Hand: »Ich reise umgehend ab. Bin glückselig. Hans.«

Und sie schämte sich der Tränen nicht, die ihr in die Augen traten. Sie wusste, nun war sie auf der Höhe angelangt und ihr wurde so froh und leicht zu Mute, dass sie die Mühen und Lasten des Aufstiegs vergass, vergass alles, was hinter ihr

Nun war er da, der Feiertag ihres Lebens, ihrer Liebe. Frei und gross konnte sie dem geliebten Manne entgegentreten, ihm würdig vollwertig zur Seite stehen. Und sie hob strahlend das Kind vom Boden, küsste es andächtig auf die Stirn und flüsterte:

»Er und du, ihr habt mir geholfen. Ich danke euch!«

*


 << zurück