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IV.

Am anderen Morgen erwachte Eva sehr früh durch einen Sonnenstrahl, der über ihr Kissen glitt. Das passierte doch sonst nicht, im Schlafzimmer gab es keine Morgensonne?

Verwundert schaute sie um sich. Mit einem Male kam ihr die Erinnerung an den gestrigen Abend zurück, und furchtsam, tief errötend, drehte sie den Kopf zur Seite. Ein fröhliches Lachen begrüsste sie und Hans' leuchtende Augen suchten die ihren.

»Nun, Evchen, gut geschlafen? Ich sehe dir schon eine Weile zu. Alle möglichen Regungen waren auf deinem lieben Gesicht zu lesen, nur noch nicht die richtige bis jetzt. Weisst du nicht, dass wir ausmachten, nur froh zu sein, froh und glücklich, solange wir uns noch sehen. Ja?«

Und er lachte fröhlich und half ihr sich zurechtfinden in dem ungewohnt Neuen, erinnerte sie daran, wie sie gestern abend soupiert hätten zusammen; »wie ein richtiges junges Ehepaar.« – Auf dem Tisch stand noch alles mögliche Geschirr, die Reste des von ihm zusammengeholten kleinen Soupers, alte geschliffene Weingläser, Obst und Blumen mitten drin in buntem Durcheinander.

Die beiden hatten noch manche Stunde beisammen gesessen, immer nicht fertig werdend mit erzählen und wieder erzählen, von Küssen, Lachen und Scherzen unterbrochen, bis Eva fast die Augen zugefallen waren und er sie sorgsam wie ein Kind ausgekleidet und zu Bett gebracht hatte, sie ganz umhüllend mit seiner grossen, warmen, jugendfrischen Liebe und Zärtlichkeit. Da war die Leidenschaft gekommen mit ihren heissen Wogen, und sie waren über ihnen zusammengeschlagen und hatten sie versenkt in ein unendliches Meer von Glück, von alles vergessender Seligkeit.

Und nun heute?

Als hätte seine Stimme all die noch schlummernden Erinnerungen in ihr ausgelöst, rückte sie plötzlich hart von ihm fort und barg ihr Gesicht in den Händen. Eine Glutwelle lief ihr über den ganzen Körper, sie stöhnte dumpf.

Er küsste sie zärtlich auf den Nacken, wo die blonden Härchen sich in einen leichten Flaum verloren. Leise strich er mit den Lippen darüber hin.

»Aber, Evchen, sei doch vernünftig, kleines Dummchen!«

Sie zuckte zusammen und wühlte sich tiefer in die Kissen.

»Ja, Kind, tut es dir denn auf einmal leid? Bereust du, dass du bei mir geblieben bist? War es denn nicht schön? ... wunderschön? unser ganzes Beisammensein? ... Sieh, Liebling, du musst nun nicht kleinlich sein. Nur das nicht! Ich weiss ja alles, was dir jetzt durch den Sinn geht. Aber es ist nicht dein eigenes, tiefinnerstes Fühlen und Denken ... nein, nein, – es sind fremde, anerzogene, ungesunde Urteile, unberechtigte Scham und Reue. – Du musst ganz gross sein, ganz nur du. Nur du, wie ich auch nur ich bin, – zwei Menschen, die sich gegenseitig brauchen, – die beide gleicherweise geben und nehmen, was eben nur sie, gerade sie sich geben können: ihr grösstes, heiligstes, natürliches Recht. – – Aber dann hinterher auch nicht zurückblicken, auf der Höhe bleiben ohne Schwindel und Angst, tapfer frei und stolz dafür eintreten. – Verstehst du mich?«

Das Mädchen hatte sich aufgerichtet. Das klang so ganz anders als alles, was sie bisher gehört. Ganz anders, als was ihr die Stimmen im Innern zuflüsterten, gegen die sie sich auflehnte und wehrte in verzweifeltem Kampf, unter die sie sich nicht beugen wollte und konnte, denen sie aber auch nichts entgegenzustellen wusste.

Unberührt von Leidenschaften war sie aufgewachsen. Es war so einfach zu leben, gut und böse waren streng getrennte Wege, zwischen denen sie sich noch immer zurechtgefunden hatte, wenn es ihr auch oft schwer dünkte, gut zu sein. Durch ihre einsamen Studien war ihr wohl ein Bild des Lebens und Werdens aller Kreatur aufgegangen, eine Ahnung der Grösse und Bedeutung des wechselseitigen Wirkens und Zusammenlebens alles Geborenen. Aber nie hatte sie sich persönlich eins mit dem allen gefühlt. Es war ihr alles wie ausser ihr stehend erschienen, fern und fremd, gleichsam unter anderen Gesetzen, anderen Himmeln lebend. Und nun war sie mit einem Male mitten drin. Auch sie gehörte zum grossen ganzen, war ein Teil davon ...

Wie erlöst atmete sie auf. Und wie der Mann an ihrer Seite das sah, wie er merkte, dass sie ihn verstand, ihm folgte, ja ihm vorauseilte in Gedanken, glücklich und befreit von seinen Worten, ging er weiter und immer weiter und gab ihr mehr von seinem Denken und Fühlen. In begeisterten Worten malte er ihr den neuen freien Menschen, – nicht Mann noch Weib, – der auf sich selbst gestellt, für sich allein nur einsteht, für seine Bedürfnisse sorgt in tätiger, froher Arbeit, die Folgen seiner frei gewollten Taten auf sich nimmt, sie willig trägt ohne Klagen und Jammern, der, wenn er gefehlt, selbst wieder gut zu machen sich bestrebt, der das Gute tut um des Guten willen, der nicht auf Lohn hofft, keine Strafe fürchtet, der sich seine Gesetze selber macht, da er allein fühlt, was für ihn gut und böse, dessen Ende kein Tod, nur ein Auflösen in tausend Atome, eine Rückkehr zur ewigen Natur, um im unendlichen Kreislauf des nimmer sterbenden Lebens wiederzukehren in nie verbrauchter, schaffender Kraft.

Begeistert hörte sie ihm zu, strahlend hingen ihre Blicke an den seinen. Sie kam sich wie geheiligt und geweiht vor. Eine Freudigkeit und Kraft kam über sie unter seinen Worten. So wollte sie auch sein. Nicht mehr klein und ängstlich, – frei, stolz und gross.

Der Raum wurde ihr zu eng, sie sehnte sich hinaus. Es war zuviel des Neuen auf sie eingestürmt in der kurzen Spanne Zeit. Sie hatte keine Ruhe mehr, konnte nicht träg liegen bleiben.

»Weisst du, Hans, wir wollen rasch aufstehen und eine Stunde spazierengehen. Sieh, wie wundervoll die Sonne zu uns hereinscheint! Als wüsste sie, dass wir zusammengehören. Wir wollen zu ihr hinaus, einmal zusammen hinaus!«

Er war gern dabei, und nach einer kleinen halben Stunde gingen sie in den morgenleeren Strassen dahin, dem nahen Flusse zu. Sie gingen Arm in Arm, als verstände sich das von selbst. Der Gedanke, dass sie jemand sehen könnte, kam ihnen nicht.

Sie schritten über die Brücke zum anderen Ufer. Dort führte längs des Flusses ein schmaler Weg hin. Kaum bot er zwei Menschen Raum. Zu beiden Seiten stand kurzes, braunes Gras, an dem der Tau in kleinen Tropfen hing. Die ersten Sonnenstrahlen spiegelten sich in ihnen, es war ein Funkeln und Glitzern, wie von unzähligen Brillanten. Zur Seite rauschten die Wellen ihr beredtes, altes Lied, während der Wald jenseits des Wassers sich in feierlichem Schweigen vom lichten Himmel abhob, als habe er ein Geheimnis zu hüten, das tief drinnen hinter seinem dunklen, eintönigen Graugrün schlummerte.

An seinem Rande lag eine kleine Wirtschaft. Ein alter Fischer, der eben seine Netze nachsah, ruderte sie hinüber. Kein Mensch war zu sehen; die Tische waren schief gestellt, des gestrigen Regens wegen, die Stühle daran gelehnt. Auf dem Boden lagen welke Blätter verstreut und wirbelten umher im leisen Wind, der vom Wasser heraufkam. Aber der Sand des Bodens war vollständig trocken. Auf dem einzigen Tisch, der in der Sonne stand, hatte sich eine lärmende Spatzenschar niedergelassen, glättete sich die Federn, putzte sich, zankte, schwatzte und hackte sich schreiend, als wollten sie sich gegenseitig den Garaus machen; zwischendurch beschäftigten sie sich wieder friedlich mit ihrer Morgentoilette, als sei nichts vorgefallen.

.

Amüsiert schauten Hans und Eva eine Weile zu. Dann kam die Wirtin, eine hübsche, junge Frau, mit Wischtuch und Decke und verscheuchte die ungebetenen Gäste. Sie entschuldigte sich, bei dem kühlen Morgen hätte sie nicht auf so frühen Besuch gerechnet, es wäre aber alles gleich in Ordnung und die gnädige Frau sollte schon mit dem Kaffee zufrieden sein.

Bald sassen beide an dem einladend gedeckten Tisch. Der Gang in der frischen Luft hatte ihren Appetit geweckt, und es schmeckte ihnen herrlich. Aber als träte damit die reale Welt wieder mehr in den Vordergrund, wurden sie ernst und nachdenklich. Er konnte den Blick nicht von der lieben Gestalt an seiner Seite lassen und bestürmte das junge Mädchen mit Bitten, sie solle alles hinter sich lassen und gleich heute mit ihm nach Paris kommen. Er hatte nur wenig Geschäftliches zu erledigen, wollte nur den kleinen Rest seiner mütterlichen Erbschaft noch erheben. Mit dieser und dem Erlös seiner letzten Bilder dachte er sich ein Atelier einzurichten. Was für ihn langte, das würde auch für sie reichen. Und in leuchtenden Farben schilderte er ihr das Zusammenleben.

»Bist du denn gar nicht zu erweichen? Auch heute nicht?«

Sie schüttelte den Kopf. Nein, nein, das konnte sie nicht.

»Ich bin dir so dankbar für alles, was du mir gegeben hast, Hans. Ich bin ja so reich nun, – ich fühle solches Glück, solchen Frieden trotz allem. – Aber damit muss es genug sein, das muss ausreichen für das ganze Leben. Tue mir die Liebe und bitte mich nicht um mehr. Um alles in der Welt willen, quäle mich nicht, ich kann nicht!«

Er redete ihr nicht länger zu, er wusste in diesem einen Punkt gab sie nicht nach. Und er ehrte ihr Gefühl, wollte sie nicht gegen ihren Willen veranlassen mit ihm zu ziehen, so schwer ihm auch der Verzicht wurde. – Frei sollte sie sein in ihrem Entschluss, dessen Folgen sie ja auch zu tragen hatte, sie allein. Wenn er dann auch bei ihr war, es war doch so manches, was sie allein in ihrem Innern durchzukämpfen hatte, wo er ihr mit aller seiner Liebe nicht hätte helfen können.

Aber das Herz blutete ihm, wenn er daran dachte, sie zurückzulassen, sie, die sein war, einem anderen abzutreten. Ihm, ihm allein gehörte sie. Und er sollte fern von ihr sein für alle Zeit? Er ertrug den Gedanken nicht.

Eva sah ihn an. Sie fühlte, was ihn quälte, wusste, dass jedes längere Beisammensein ihnen das Herz schwerer und schwerer machte. Nun der Gedanke ans Scheiden einmal wie ein drohendes Gespenst zwischen ihnen aufgetaucht war, war es besser, bald ein Ende zu machen, das Unvermeidliche nicht länger hinauszuschieben. Sie hatten sich doch keine Minute trüben wollen, froh und licht sollte die Erinnerung vor ihrer Seele stehen.

Sie sah nach der Uhr. »Ich muss nun nach Hause, – bitte komm.«

Er zahlte rasch der verwunderten Wirtin, die gar nicht verstand, warum die fröhlichen jungen Herrschaften mit einem Male so still waren und so schnell fortwollten. Ob ihnen denn der Kaffee nicht geschmeckt? Es sei wohl am Ende doch zu kalt, die Gnädige würde sich doch nicht verkühlt haben? Und mit einem freundlichen Blick streifte sie Eva, die in dem einfachen Lodenkostüm und dem kleinen Hütchen, den sie des gestrigen Wetters wegen aufgesetzt, allerdings wie eine junge Frau aussah.

Der Rückweg führte durch den Wald. Es war feucht und kühl unter den hohen Bäumen, kahl und nüchtern sahen sie in der Nähe aus. In regelmässigen Abständen reihten sich die braunen Stämme aneinander, eintönig, reizlos. Eva fröstelte. Wenn doch der Abschied schon überstanden und sie zu Hause wäre ... Zu Hause, ohne dass sie jemand sah und hörte ... Stumm gingen sie nebeneinander, bang ihren Gedanken nachhängend.

»Eva, versprich mir eins. Zur Beruhigung. Wenn du mich je brauchen solltest, wenn es dir zu schwer wird, was du auf dich nehmen willst, dann ruf mich. Ich komme, wo ich auch bin. Willst du?«

Sie nickte. Er nahm seine Karte, schrieb einige Zeilen darauf und reichte sie ihr:

»Hier unter dieser Adresse kannst du mich immer erreichen, es wird mir sofort nachgeschickt. Also schreibe mir, versprich es.«

»Ja, Hans! Aber ich hoffe, es ist nicht nötig. Ich will deiner wert sein, ich werde fertig werden mit allem, mit allem ... Ich will ... will mir Mühe geben ... will stark sein. Die Erinnerung an dich soll mir helfen.«

Tränen traten ihr in die Augen, ihre Stimme zitterte. Sie reichte ihm beide Hände: »Und nun leb wohl, Hans, mein Hans! Mein Glück!«

Er wollte sie noch einmal an sich ziehen, wollte sie nicht lassen, – aber sie riss sich los und eilte wie gejagt davon.

Atemlos kam sie an dem kleinen Häuschen in der stillen Strasse an. Der Professor schlief noch, das Mädchen klapperte in der Küche mit Geschirr und hörte ihr Kommen nicht. Lautlos schlich sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Gott sei dank, dass Fanny nicht da war. Sie war allein, allein mit ihrem Glück und ihrem Weh, mit ihren tausend wirbelnden seligen und quälenden Gedanken.


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