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An ein Kind.

Ruhend noch tut Arm der Liebe gleichst du einer Lotosblume,
Die, auf heil'ger Flut sich wiegend, Göttern dient zum Heiligthume;
Von der Gottheit Hauch durchdrungen und durchglüht von ihrem Licht,
Ahnest du in deiner Unschuld deiner Unschuld Schönheit nicht.

Ach, wie lange wird es währen, bis der schöne Traum vergangen?
Heimlich ringeln nah und näher der Verführung bunte Schlangen,
Und mit schmeichlerischer Windung schlingen enger sie den Ring,
Und sie flüstern und sie locken, bis der Himmelstraum verging.

Dann mit glatten, klugen Worten suchen sie dich zu berücken,
Von dem Baume der Erkenntniß die verbotne Frucht zu pflücken;
Und du kostest von den Früchten, und du hast dich selbst erkannt –
Aber ach! nur zu erkennen, daß die Unschuld dir entschwand.

Und du fühlst dich Gott entfremdet, irrest fort auf eignen Bahnen,
Doch vom fernen Himmel bleibt dir immer noch ein heimlich Ahnen,
Das sich wie ein bittrer Tropfen in den Freudenbecher mischt,
Den die Welt auf üpp'ger Tafel dir als Lockung aufgetischt.

Nirgends findest du Genüge. Aus der Ahnung keimt Verlangen
Nach den Tagen, wo du ruhtest von der Liebe Arm umfangen,
Nach den sel'gen Himmelsträumen – doch der Himmel ist dir fern,
Und es steht die Sünde drohend zwischen dir und deinem Herrn.

Aber Gott ist ja die Liebe, zürnet nicht dem reu'gen Kinde,
Sendet einen Strahl der Gnade in die bange Nacht der Sünde.
Leuchtend steht das Kreuz erhoben, mit dem Dornenkranz gekrönt
Trägt's den Sohn, durch den der Vater mit sich selbst die Welt versöhnt.

Und die Liebe ruft vom Kreuze: »Gib, o gib dich mir zu eigen,
Laß in deiner Seele Tiefen mich erlösend niedersteigen,
Laß dich ganz von mir durchdringen, ganz von meinem Geist durchwehn,
Und verklärt sollst du die Tage deiner Kindheit wiedersehn.«

Und erfüllt von Furcht und Hoffnung hörst du die Verheißungsworte,
Und du öffnest dem Erlöser gläubig deines Herzens Pforte,
Und verklärt zum Gotteskinde trägt er dich in Gottes Schoos,
Aus der Kindheit in die Kindheit; so erfülle sich dein Loos.

*


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