Rudolf Stürzer
Schwankende Gestalten
Rudolf Stürzer

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Das liebe Hunderl

»Ja, da schau her, das liebe Hunderl! Ja geh, Hunderl, was willst denn? I bin ja net dein Herrl – wo is 's Herrl? Wo is 's Frauerl? Ja, mein lieb's Hunderl, was soll i denn mit dir mach'n? Beißkorb hast kan, da kannst ja no g'fangt werd'n! Hast di verlauf'n, gel ja? Ja, wem g'hörst denn nur? Das is ja schreckli', du arm's Hunderl . . .«

Das Hunderl sprang an Herrn Biemannsberger hinauf, wedelte mit dem Schweif, kläffte im höchsten Diskant und bezeugte so freudigste Anhänglichkeit. Herr Biemannsberger aber war von stattlichem Leibesumfang und konnte sich nur mäßig nach vorn beugen, die Hände fuhren daher auch nur zwei Spannen hoch ober dem Hundekopfe schmeichelnd durch die Luft. Steht jedoch in der Michelbeuerngasse ein dicker Mann, an dem ein Hund hinaufspringt, so ist das kein alltägliches Ereignis.

Bald darauf stand viel Volk um Herrn Biemannsberger herum und lauschte seinen Ausführungen.

»I hab' ka Ahnung, wem das Hunderl g'hört, i kumm von der Eisengass'n außa, auf amal rennt er mir zua und tuat, als wann er mi schon lang kennat, schau'n S' nur her, was er treibt – was soll i denn mach'n mit eahm?«

166 »Aber lass'n S' 'hn renna, des is a Kalfakta, der rennt an jed'n nach – der is seine Leut' auskumma, des siecht ma schon, er hat ja kan Beißkorb, wann S' woll'n, geht er aa mit mir . . .«, der Berater schnalzt mit den Lippen und reibt den Daumen am Zeigefinger, aber das Hunderl würdigt ihn keines Blickes, es tanzt um den dicken Freund, duckt sich und versucht mit Sprüngen die schmeichelnde Hand zu erreichen. »Na, na, des is ka Kalfakta, i muaß wahrscheinli sein Herrl ähnli' schau'n oder er g'spürt, daß i a Hundefreund bin! I nehmat 'hn gern mit ham, aber mei Alte is seit der Gripp' so viel nervös, mir hab'n unsern Dackl und den Foxl weggeb'n müass'n – – also i derf mit kan Hund hamkumma . . .«

»Führn S' 'hn auf die Polizei«, rät ein andrer, aber da erhebt sich weiblicherseits heftiger Widerspruch: »Jessas, nur net auf die Polizei! Wissen S', was de sag'n auf der Wachstub'n? De sag'n: Mir hab'n ka Tierzucht – fahr'n S' o mit dem Viech – ja, das hab'n s' amal zu mir g'sagt, wia i an Kinigl hintrag'n hab', den i g'fund'n hab', der war aus an Schrebergart'n auskumma . . . Ja, Freud' hab'n s' kane, wann ma a Viech bringt, schon gar net mit an Hund, was soll'n s' aber aa mit eahm mach'n. Den geb'n s' allerweil glei zum Wasenmaster oder in Tierschutzverein, na, auf die 167 Polizei gengan S' net, da können S' no Scherereien hab'n.«

»Ja, aber was soll i denn mach'n, mitnehma kann i 'hn net, und er geht net mehr von meiner Seit'n! Gengan S', san S' so guat, und schau'n S' amal auf das Halsbandl, vielleicht is da die Adreß d'rauf, i kann mi net buck'n . . .«

Etliche bemühen sich, in Sichtweite zum Halsband zu gelangen, aber das Hunderl wehrt jeden Annäherungsversuch mit giftigem Gebelfer ab.

»No, da sehgn S' 's jetzt selber, was des für a Mistviech is, den Hund möcht' i net g'schenkt, seine Leut' werd'n schon g'wußt hab'n, warum s' 'hn außig'schmiss'n hab'n, wann S' den z'ruckbringa, könnan S' no Grobheiten hab'n!«

Aber da regt sich in Herrn Biemannsberger stolze Freude: »Ah na, sehgn S', an jeden geht er do net zua – gel Hunderl, nur mi hast gern? Ja, mei' liab's Hunderl, brav bist, brav bist . . .«, und die Hände fahren wieder wie segnend durch die Luft.

»No, der g'hört schon Ihna, a so a Rass' hab' i überhaupt no gar net g'sehgn, des is ka Pintsch und ka Spitz und ka Schnauzl, des is die höchste Mischung von Michlbeuern!«

»Jessas, des is ja d'r Schnucki – ja Schnucki, wia kummst denn du da her? Na wart', du 168 schlimm's Hunderl, du wirst es krieg'n, wannst z' Haus' kummst!«

Aus dem dichten Kreise der Umstehenden trat eine ältere Frau heraus, und Schnucki wedelte ihr freundlich zu.

»Na, Gott sei Dank, Se kennan den Hund? Ja, wem g'hört er denn, wo is er denn z' Haus'?« In Herrn Biemannsbergers Freude mischte sich auch schon der Schmerz der baldigen Trennung.

»Ja, wissen S', der Hund g'hört ana alten Dame, die wohnt in Pötzleinsdorf, das dritte oder vierte Haus nach der Kirch'n, wiss'n S', i hab' durt in der Näh' a Bedienung, i kenn' den Hund sehr guat.«

»In Pötzleinsdorf? Ja, wia kumm' i denn da außi – in die Elektrische lass'n s' mi ja net eini mit dem Hund . . .«

»No, nehman S' Ihna halt a Auto oder a Wagerl! Wann S' schon so a Hundefreund san, muaß er Ihna aa des Geld wert sein!«

»Hör'n S', wia red'n denn Se? Der Herr hat ganz recht, wann er a Hundefreund is, wer ka Herz für a Viech hat, der hat aa kans für an Mensch'n! Des arme Hunderl kann do nix dafür, daß 's jetzt da in Michlbeuern is . . .«

»A Mandl is, jetzt is halt die Zeit – bei die Hund gibt's halt no ka Sitt'npolizei – aber 169 vielleicht nimmt 'hn die Frau mit, wann s' wieder ins Bedienen außigeht!«

»Na, i kann ihn leider net mitnehma, mei Mann leid't kan Hund im Haus, mir hab'n nämli Hend'ln, de jaugt a so a Hund immer umananda, dann leg'n s' net – und dann kann i jetzt aa net mehr außi geh'n, da kummat i z' spat z'ruck, da is glei der Verdruß firti – am besten is schon, der Herr führt 'hn außi, er kann ja dann mit der Tramway leicht z'ruckfahr'n und is no am Abend wieder daham . . .«

Herr Biemannsberger kämpft mit einem schweren Entschluß, dann befreit ein tiefer Seufzer seine breite Brust. »Also guat, i mach' den Weg, i bin eh asthmatisch und soll Bewegung mach'n, aber i hab' an damisch kurz'n At'm, i wir vielleicht ka Luft kriag'n, wann i so weit geh . . .«

»Na, wann S' guat antauchen, san S' in dreiviert'l Stund' draußt.«

»A freili, anderthalb Stund' san's guat von da . . .«

»Uebrigens san ja auf der Pötzleinsdorfer Allee Bankerln zum Ausrast'n, wann Ihna d' Luft ausgeht . . .«

»Es is a schön's Geh'n nach Pötzleinsdorf – und eina können S' ja fahr'n . . .«

Herr Biemannsberger ging; Schnucki sprang 170 voran und alle Augenblicke war er in Gefahr, sich wieder zu verlaufen. Noch folgte er den Lockrufen seines Beschützers, aber einmal mußte dieser schier im Laufschritt hinter ihm her und fand für den Lockruf nicht mehr die nötige Luft. Da kaufte Herr Biemannsberger bei einem Sattler eine Leine. Heiß brannte die Nachmittagssonne hernieder, Schweiß troff von des Hundeführers Stirn, aber Pötzleinsdorf war noch weit. Herr Biemannsberger mußte etliche Stationen machen, trank die dazugehörigen Achtel Gespritzte, die ihm den Schweiß erst recht heraustrieben. Schnucki wurde ungeduldig, zerrte an der Leine und erschwerte so noch die Marschleistung des Asthmatikers.

»Ja, mein liebes Hunderl, i bin schon ganz z'rwackt, kan trockenen Fad'n hab' i mehr an mein' Körper – und mei Alte wird so net schlecht schimpf'n – reiß net a so, Schnucki, i kann net schneller geh'n, i kriag ka Luft!«

In Pötzleinsdorf zählte Herr Biemannsberger die Häuser nach der Kirche ab. In dreien fragte er, ob hier nicht ein Hund abgehe. Niemand wußte oder wollte etwas von Schnucki wissen. Es wollte ihn auch niemand haben. Noch ein Trost glomm auf in später Stunde.

»Vielleicht schau'n S' noch in die Villa dort vorn, da hab' i schon öfter so a Hunderl g'sehgn.«

171 Herr Biemannsberger schleppte sich zu der Villa. Nach längerem Läuten erschien eine Dame, hinter ihr scholl wütendes Bellen. »Nein, der Hund gehört nicht mir, ich hab' ja meinen Flixy – nun ja, das Hunderl schaut meinem ein bissel ähnlich, aber meiner ist ein echter Airedale, Ihrer ist keine Rasse – dabehalten soll ich ihn? Aber fällt mir gar nicht ein, mein Flixy möcht' ihn ja zerreißen, nein, nein, bedauere – empfehl' mich . . .«

Und Herr Biemannsberger stand im Abenddämmer mit seinem lieben Hunderl auf der Pötzleinsdorfer Straße. Er ließ die Leine los und sprach: »Jetzt geh' halt nur schön allein z' Haus', i kann di net mehr umazahr'n, i fahr' jetzt mit d'r Elektrisch'n . . .«

Er wollte Schnucki verlassen, aber dieser wich nicht von seiner Seite, winselte und schmeichelte und lief heulend hinter seinem treulosen Menschenfreunde bis zur Straßenbahn. Herrn Biemannsberger brach das Herz. Ein schüchterner Versuch, den Schaffner für eine Mitfahrt Schnuckis zu gewinnen, wurde schroff abgewiesen. Ebenso scheiterten andere Versuche, das liebe Hunderl anzubringen – niemand wollte Schnucki haben. Auch ein letztes Mittel versagte; auf der Wachstube wurde Herrn Biemannsberger bedeutet, er müsse den Hund auf der Wachstube des Fundortes abgeben.

172 »Waßt, Schnucki, du bist schon a recht's Mistviech, meiner Seel', des muaß i jetzt schon selber sag'n. Jetzt kann i wieder den ganz'n Weg mit dir hamhatsch'n. Aber wann i die alte Fee dergleng, de mi da außag'sprengt hat, dera sag' i mei Manung! Was i meiner Alt'n sag', waß i no net, aber was sie sagt, des hör' i jetzt schon.«

Der Schatten einer sanften Maiennacht lag auf dem Michelbeuerngrund, als Herr Biemannsberger die Eisengasse herabschritt, hinter ihm Schnucki mit gesenktem Kopfe und schleifender Leine. Herr Biemannsberger wandelte wie in einem Dämmerzustande; er kam an einem Herrn vorbei, der gerade ein Haustor aufsperrte; er hörte einen schrillen Pfiff, dann die Worte: »Struppi, gehst her da, na wart', du krauperter Pintsch, i wir d'r geb'n, umastrabanz'n; marsch hinein!«

Bevor sich Herr Biemannsberger wenden konnte, rasselte auch schon wieder der Schlüssel im Schlosse und das liebe Hunderl war verschwunden.

Todmüde lehnte sich Herr Biemannsberger an die Mauer. »Also grad ums Eck umi is des Mistviech daham, und i hatsch mit eahm nach Pötzleinsdorf und wieder z'ruck. Des derf i ja gar kan Mensch'n erzähl'n – und meiner Alt'n schon gar net. No Servus, no Servus!« 173

 


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