Rudolf Stürzer
Schwankende Gestalten
Rudolf Stürzer

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Die Schneckerlmadam

Im großen Hof standen die Frauen zusammen und erörterten verschiedene wichtige Probleme.

»Hab'n S' scho g'hört, da Hausmasterin ihr Annerl geht aa mit mit'n Umgang, i bin nur neugieri, was der ihr Muatter ihr anziagn wird!«

»No, i hab' g'hört, sie kriagt von da Hausfrau a weiß' Kladerl, das was ihr' Gustl vurigs Jahr ang'habt hat!«

»So, so! No, da muaß s' aber viel oschneid'n, denn die Gustl war ja schon vurigs Jahr um zwa Köpf größer als das Hausmastamadl . . ., aber i sag' halt, wer s' net tuan kann, der soll daham bleib'n, bei an Umgang soll a Kind urndli ausschaun.«

»No, mein Gott, a so a Kind waß das net, das hat sei Freud mit'n Mitgeh'n, und a jede glaubt, sie is die Schönste . . .«

»Da Schuastarin ihr Karl geht desmal als Schäferknabe, der wird guat ausschau'n mit sein Wasserschädl, a greans Seid'nhoserl hat s' eahm g'macht und an Schäferhuat hat s' eam kauft, sie is ganz narrisch in de Fehlgeburt . . .«

»Jessas, nur net regna soll's, sunst fliagt er ihr eh in jede Lack'n!«

»Na, na, regna derf's net, sunst is die ganze 156 Freud von die Kinder hin – i bitt' Ihna, was de schon treib'n, mei Fanni hat schon in aller Gottesfruah die Schneckerln eindrah'n woll'n!«

»I drah der mein' die Schneckerln no heut' ein. Ueber Nacht wird ihr der Kopf einbund'n, dann halten s' recht schön!«

»I nimm allerweil a Zuckerwasser, die Schneckerln halt'n dann viel besser.«

»No, i waß net, i nimm allerweil a g'stand'ns Bier, da bleib'n s' aa ganz schön, und die Haar kriag'n an Glanz und pick'n net so z'samm', wia beim Zuckerwasser.«

»I kann meiner Liesl kane Schneckerln mehr eindrah'n, die Haar san schon z' lang, i hab' ma vom Friseur die Lock'nhölzer ausg'lich'n – aber i nimm aa liaba a Bier.«

»Jetzt is ja wieder was Neuchs aufkumma, jetzt kriagt ma solche Wuckerln zum Schneckerleindrahn, i hab' g'hört, sie soll'n recht praktisch sein.«

»Hörn S' ma auf mit die neuchn Sach'n, mei selige Muatta hat ma alser Klana die Schneckerln mit Papierln eindraht, und sie war'n aa ganz schön, i kunnt mit die Wuckerln gar net umgeh'n.«

»Jessas, jetzt is aber Zeit, daß ma die Fratz'n herricht, nachn Nachtmahl hab' i dann ka Zeit mehr!«

157 Ein scharfstimmiger Chor rief die Namen vieler weiblicher Heiligen, und aus allen Ecken des großen Hofes flatterten deren Trägerinnen herbei.

»G'schwind geht's eini – mir werd'n jetzt Schneckerln eindrahn!«

»Jessas, Frau Katzmeier, Se san zu beneid'n, daß S' kane Madln und nur drei Buam hab'n, de geb'n do ka so a Arbeit wia die Mentscher . . .«

»Bild'n S' Ihna nur das net ein, Frau Schimek, bis i dena alle drei die Haar brennt hab', no dazua in da Fruah, wo ma an so an Tag eh net waß, wo am da Kopf steht – und das Aufpass'n, daß de Mistbuam net raff'n und in nix einitreten – da san die Madln do viel braver und geb'n mehr acht!«

»Na ja, jede Mutter hat halt ihr Kreuz!«

»Mein Mann hat ma 's ja eh guat g'mant, er hat g'sagt, i soll dena Raubersbuam die Haar fiesko schneid'n lass'n, aber, mein Gott, ma kann halt do net so sein, die Buam hab'n mit eahnare bratanen Haar aa a Freud, grad so wia die Madln mit ihre Schneckerln oder Lockerln . . .«

Dann wurde es still im großen Hof; hinter den Türen aber ging es an ein emsig Rüsten. Das Fleckner Katherl lief noch schnell mit einem kleinen Töpfchen zum Haustor hinaus. »Wo gehst denn 158 hin, Kathl?« fragte der Katzmeier Edi. »Um a Tropfbier, daß d' Schneckerln besser halt'n.«

Bei der Hausmeisterin sah eine kinderlose Nachbarin mit wehmütiger Anteilnahme der Schneckerldrehung zu. Annerls Braunhaar troff von Zuckerwasser; die einzelnen Strähne wurden um Papierwickel bis dicht an die Kopfhaut gedreht.

»Muatta, des reißt!«

»Laß' nur reiß'n, das muaß sein, sunst gengan s' d'r bei d'r Nacht wieder auf, und murg'n drah i dir s' net mehr ein! Mein Gott, wann i denk, wia mir mei Mutta no die Schneckerln eindraht hat, da hab' i kan Muckser mach'n derfn, da hat 's glei g'haßen: du bleibst daham! Aber die heutig'n Kinder san ja so viel wehleidi . . . halt di Fratz, sunst fangst ane! Was i mi plagt hab' mit dem Kladl, das war ihr viel z'lang, jetzt hab' i a Stückl von da Mitt'n aussagnumma, aber da siecht ma die Naht, i war schon ganz verzweifelt, aber da hat ma die Frau Nowak a rotschottisches Band geb'n von an alt'n Huat, da mach i halt jetzt a Schleif'n mit ana Masch'n – aber a bißl g'schoss'n is halt schon das Band . . .«

»Das macht nix, Frau Siedler, das bögln S' mit an nass'n Tuach aus, da wird's wieder ganz schön – das mach i immer mit meine Huatbandln.«

159 »Jessas, da muaß i jetzt wieder an Stagl hitz'n und i hab' ka Feuer mehr im Herd! No, es wird schon geh'n – und dann hab' i von d'r alt'n Baronin a Paar Bufferlstrümpf' kriagt, unt'n hab' i s' stopf'n müass'n, aber da san s' ja eh in die Schuach drinn, und die Röhr'n san no ganz schön, und das Kladl geht ja aa bis auf die halb'n Wadln owa, und die Schnürstieferln gengan ziemli hoch auffi – ganz schön wirst murg'n sein, und die andern soll'n si 's Mäul z'reiß'n, so viel s' woll'n.«

»I glaub', am schönst'n wird die Tinerl vom Kaufmann sein, die hat so a schönes blondes Haar, das hab'n s' ihr schon z' Mittag in lauter dünne Zöpferln g'flocht'n und fest mit Zuckerwasser ang'waschlt, wann s' dann murg'n die Zöpferln aufmach'n, geht das Haar wiar a Schirm ausananda und is ganz 'kraust . . .«

»Was de mit ihr'n Fratz'n treib'n, des is schon nimmer schön, das Kind is eh schon so eit'l und waß net, wia sa si drah'n soll . . ., aber die Schönste wird do unser Hausherrn-Gustl sein, die kriegt a plissiert's Batistkleiderl, i sag' Ihna, wia vom Zuckerbacher – und mit ihre schwarz'n Schneckerln und mit ihre schwarzen Guckerln – und a himmelblaue Schärp'n kriagt s' aa und an Kranz von Vergißmeinnicht . . ., na, na, das is schon was Liabs . . .«

160 »Jä, die Hausherr'n, de könna si no was spendier'n – i waß nur net, wo die Sedlatschek das Geld hernimmt, daß s' ihr'n Buam a greans Seid'nhoserl kaufen kann und an Schäferhuat . . .«

An dem langen Juniabend kamen nach und nach die Mädchen mit den Schneckerln vor die Türen. Zurückhaltend und mit gräßlichen mütterlichen Drohungen in den Ohren standen sie da und wagten die Köpfchen kaum zu wenden. Nur die Buben waren noch frei und unbedrückt, ausgenommen der kleine Karl, denn der hatte seinen Schäferhut auf und bohrte in der Nase, und sein Gesicht war marmoriert.

»Den Bu hat's kan Ruh geb'n, hat's so lang blazt, bis i ihm Hutl aufg'setzt hab', ise no ganz vawant und laßt si net owischn, er gibts den Hutl gar net mehr her . . .«

Der Katzmeier Fredl ging im Hof umher und musterte die Mädchen mit hohnvoller Geringschätzung. Da trat auch die Hausmeister-Annerl vor die Tür, den Kopf über und über mit Papierwickeln besät. Sie war steif vor Hochmut. Den Fredl maß sie mit Verachtung, als er sich vor ihr aufpflanzte. Der aber platzte hohnvoll los.

»Schneckerlmadam,
Hast kan Zwiefl daham!«

161 Der Annerl schoß das Blut in das sommersprossige Gesicht, aber noch drehte sie sich mit gerümpftem Näschen ab. Der Feind ließ jedoch nicht locker: »Schneckerlmadam, hast kan Zwiefl daham!« – er machte schier einen Canon daraus. Der Annerl stieg es heiß in die Augen und sie fauchte auf den Fredl los: »Lausbua, na wart, wannst kan Ruah gibst, i sag' 's meiner Muatta!«

»Sag' 's 'n Schüsserlgreisla, Gugascheckerl mit die Wuzlschneckerl!«

Da sauste über den Hof vom Vordertrakt her ein handfester Racheengel. Das war die Hausherrn-Gustl, erst zehnjährig, aber größer als der zwölfjährige Fredl, noch war ihr schwarzes Gelocke nicht in Bann getan, und ihre Tollkirschenaugen sprühten im Zornglanz. Der Fredl drehte sich erst um, als es schon zu spät war; mit einem Male flog ihm Feuer vor den Augen und die linke Wange fing zu brennen an. Dann hörte er eine bekannte, prächtige Altstimme: »Schamst di net, du Mistbua, die Madln sekiern, de dir nix tan hab'n? Schau daß d' weita kummst, sunst fangst no ane!«

Den andern Mädchen ward ganz feierlich zumute; der Schäferknabe gab das Nasenbohren auf, und Fredl's kleinere Brüder verzogen sich feige in den Hintergrund. Da regte sich in ihm das Männchen, er holte zum Gegenschlag aus, aber die Gustl 162 faßte seinen Arm, und wäre der Fredl nicht noch rechtzeitig zurückgesprungen, er hätte eine zweite Marke Hausherrn-Gustl ausgefaßt. Nun trat er den Rückzug an, Gustl legte um das leise weinende Annerl den Arm und träufelte Wonnebalsam in die wunde Seele: »Sei stad, Annerl, du derfst morg'n glei hinter der Muttergottes geh'n, i trag die Schleif'n und du gehst mit der Fischer Luiserl und mit der Preiner Pepi glei hinter mir, und wann i dann am Montag den Fredl d'rwisch, der kann si anschaun . . .«

Der Fredl schoß jedoch noch einen Partherpfeil ab; als er schon nahe dem Stiegenhaus war, gellte er über den Hof: »Schneckerlmadam, hast 'n Kittl voll Bram!« Und das war die schwerste Beleidigung. Die Gustl flitzte wie eine Viper nach hinten, aber der Fredl raste schon die Stiege hinauf.

Umgang! Vielhundert Kinderherzen schlagen schneller, und Bub und Mädel überkommt eine weihevolle Feierstimmung. Da statzen sie dahin, die Mädel mit gelösten Haaren, die einen ringellockig – das sind die mit den Schneckerln –, die andern langlockig, das sind die, deren Haar auf Lockenhölzern eingedreht wurde, und die andern mit langem Kraushaar, das sind die, deren Haar in dünne Zöpfe geflochten war. Bier und Zuckerwasser haben sich gleich bewährt. Alle in weißer Pracht, die 163 »besseren« mit himmelblauen Schärpen und Lackparisern an den Füßchen, Vergißmeinnichtkränze auf den Köpfchen. Und die Buben meist in Schwarz, mit gebrannten Haaren, etliche der kleineren in grünen Höschen, mit ebensofarbenen, gehäkelten Hosenträgern, obenauf grüne Atlashüte. Der des Sedlatschek-Karl sah etwas zerknüllt aus; er war erst nach hartem Kampfe als Siegespreis in der Mutter Hand geblieben. Und die Hausherrn-Gustl war die Schönste; blauschwarzes Gelocke umrahmte ihr frisches Bubengesicht, und mit ernster Würde trug sie eine Schleife der Madonnenstatue. Das plissierte Batistkleidchen wurde »viel bemerkt«, übrigens auch die rotschottische Schleife der Hausmeister-Katherl. Die Kaufmannsche fiel durch ein reich gefälbeltes Kaschmirkleidchen auf, während die Fischer-Louisl und die Preiner-Pepi in Moll mit Rüschen gingen.

Posaunengeschmetter und Paukenschlag, Blechmusik und Salven, Birkenbäumchen in die Randsteinritzen gesteckt, Gras und Blumen auf dem Pflaster, über allem Weihrauch, Kerzengeruch und Pulverdampf, ein Festtag ohnegleichen für die Kinderseelen.

Und als der Umgang aus war, ging die Hausherrn-Gustl mit dem weiblichen Klein- und 164 Halbwuchs ihres Vaterhauses heim; auf sie waren alle stolz, auch die Buben, nur der Katzmeier-Fredl nicht. Der sann auf Rache. Fünfzehn Jahre lang. Dann heiratete sie ihn. 165

 


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