Rudolf Stürzer
Schwankende Gestalten
Rudolf Stürzer

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Der Schwül

»Es is ganz guat, wann d'r Mensch seiner Natur hie und da an Stoß gibt«, sagte Herr Mayerhofer und bekam dann immer einen Schwül. In diesen Zustand kann jeder geraten, der nur acht Viertel Wein verträgt und zehn trinkt. Damit ist vielleicht das Sachliche des Schwüls, keineswegs aber auch das Wesentliche dargetan. Letzteres wirkt sich individuell aus, es kann also die Angelegenheit Mayerhofer auch nur als Einzelfall gewertet werden, schon deshalb, weil dabei elf Viertel in Frage stehen.

Im allgemeinen kann man drei Stadien des Schwüls feststellen; das erste äußert sich in einem freien Bekennermute der Menschheit gegenüber, das zweite in einer sanften Erotik und das dritte in einer kohlhaasischen Rechtsucht, die von Laien gemeinhin für Streitsucht gehalten und demgemäß behandelt wird.

Nachdem nun Herr Mayerhofer fast jeden Samstag seiner Natur einen Stoß versetzte, machte er auch regelmäßig diese drei Stadien durch. Das letzte Mal regte das erste Stadium ein Uebelwollender an.

»Hörst, is d'r net lad um das Geld, was d' da vasaufst? Dei Alte kunnt's besser brauch'n.«

4 »Des geht kan Mensch'n was an, i bin a Qualifizierter und vadien so viel, daß i ma no allerweil de paar Viertln vagunna kann – und mei Alte is da ganz aus 'n G'spül! I bin ja net so blöd wie es und bin vaheirat, na, mei Liaba, i hab' ka Alte, sondern a Lebensgefährtin, vastand'n – und das is a feiner Unterschied, des steht!«

»Des is a Blödsinn, dahalt'n muaßt sie grad so, wia wannst mit ihr vaheirat warst!«

»Was sie braucht, des kriagt s', und wann i will, aa no was d'rüber, aber Vurschrift gibt's da kane, und schon gar net a G'friß mach'n oda gar an Murra schlag'n, wia wann s' a Frau war, sunst fliagt s' außi, und weil s' des waß, is s' aa ganz schön stad! Daß des jetzt mit d'r Lebensgefährtin eing'führt is, des is schon dulli, kann i euch sag'n, a jeda is blöd, wann er heirat, da hängt er und kann si net rühr'n, muaß die Gröscherln sauba oführ'n, und a jed's Vierterl wird eahm vurg'rieb'n, und wann er amal a andre anschaut, is die Alte glei da mit 'n Standal oda mit 'n Reiß'n – na, na, mei Liaba, a Lebensgefährtin is das Höchste, was 's gibt! Wannst willst, bist vaheirat, und wannst net willst, aa net; des kannst dir einricht'n nach dein Gusto, und an Murra gibt's da net, mei Liaba! ›Was? Red'n willst 5 was? Wer hat da was z'red'n, i oda du? Stad sein – oda!‹ Siehgst, a so kann i daham red'n – aber es net, es müaßts schön kusch'n, da gibt's ka Außidrahn, weil's dann blech'n müaßt's, oda die Alte geht euch überhaupt net vom G'nack! Na, mei Liaba, i brauch' aa ka Dispenseh', i hab' mei Lebensgefährtin, und sunst brauch' i nix!«

Das war nach dem neunten Viertel; als Herr Mayerhofer vor dem zehnten sich für kurze Zeit entfernte, gossen die Freunde davon die Hälfte in ihre Gläser und ergänzten das Fehlende mit Wasser.

»Der hat ja schon sein' Dampf, der g'spürt nix mehr«, versicherte einer, aber Herr Mayerhofer »g'spürte« doch etwas.

»Was für a Saumag'n hat ma da a Wasser einig'schütt'?«

»Aber des bild'st d'r nur ein!«

»I bild ma gar nix ein, da is a Wasser einikumma!«

Er trank den Stutzen halb leer und spuckte, als hätte er Sägespäne geschlürft. »Natürli is a Wasser drin! I g'spür's immer mehr! Wer des tan hat, zahlt des Viert'l! So was friß i net! Des Viert'l muaß zahlt werd'n oda . . ., also, was is 's?«

»Aber ja, nur ka Aufregung net, es wird schon zahlt werd'n – aber jetzt geh' ham und gib 6 Obacht, daß d'r beim Hamgeh'n net wieder wer auf d' Händ' steigt, wia 's letztemal . . .«

»I geh' ham, wann i will, und jetzt erst recht net, es mit euch're blöd'n G'spaß! Jetzt hab' i so an grauslich'n Wasserg'schmack'n im Mäul, daß i no a Viert'l trink'n muaß!« Und weil sich der grausliche Wassergeschmack auch nach dem zehnten Viertel nicht verzog, mußte Herr Mayerhofer noch ein elftes trinken. Nach diesem empfand er dann einen machtvollen Drang ins Freie, nebstbei aber auch eine Art Ruhebedürfnis.

So stieg er wahllos in die Elektrische und erlebte da vorerst einen kleinen Verdruß.

»Marrandanna, wia der Kast'n wag'lt, da kann ma ja gar net herauß'n steh'n, da beißt ma si ja die Zungen o oder es fall'n am d' Aug'n außa! Daß die Kommune aa nix anderst waß, als so klane Beiwäg'n z' bau'n, de hupf'n ja wia die Heuschreck'n; wann i da no länger steh', wird ma net guat. Ah was, i geh' eini!«

Er ging in das enge Innere, setzte sich auf einen Platz beim Fenster und gab sich einem tiefen Nachsinnen über die Unzulänglichkeit der Wiener Verkehrsmittel hin; dann musterte er sein Gegenüber und war mit ihm zufrieden, denn es war ein junges Mädchen, rundlich und vollbusig, just wie es Herr Mayerhofer gern hatte. Das Mädchen sah 7 aber nicht auf ihn her, sondern zum Fenster hinaus. Nun trat der Schwül in das zweite Stadium und löste im Herzen seines Opfers eine sanfte Erotik aus.

»Net allerweil außi schau'n, Fräul'n, schaun S' amal mi aa an!«

Das Mädchen unterdrückte ein aufsteigendes Lachen und sah noch angestrengter zum Fenster hinaus. Herr Mayerhofer war überzeugt, daß dies nur ein schlaues Markieren des bereits für ihn erwachten Interesses sein sollte, und das verpflichtete ihn wieder den andern Fahrtgenossen gegenüber zur Diskretion.

»Hab'n S' schon recht, Fräul'n, schau'n S' nur außi, wer waß, wo der Wiglwaglkast'n hinfahrt – beut'ln tuat er net schlecht, was? Is Ihna aa schon net guat? Se schau'n schon a bisserl blaß aus . . .«

Das wirkte. »Aber nein, mir is gar net schlecht, i wüßt net, warum i blaß sein sollt'.« Und sie kramte aus ihrem Täschchen ein Spiegelchen heraus, prüfte ihr Gesichtchen und zupfte die Haare unter dem Hütchen zurecht. Da war es um Herrn Mayerhofer ganz geschehen.

»Jessas, a Bubikopf! Ah, so was Liab's! Fräul'n, i kann Ihna nur sag'n, der Bubikopf steht Ihna großartig! Ana jed'n steht da Bubikopf net, aber bei Ihna kann i nur sag'n: 8 großartig! Mir g'fallt net bald so a Bubikopf, die meist'n schau'n damit aus, wia die g'scheert'n Uhudln, daß ma wegschau'n muaß, wann ma net lach'n will, aber Ihna steht er großartig! So was Liab's hab' i schon lang net g'sehg'n, i hab' bis jetzt so an Bubikopf net anschau'n könna, i hab' allerweil g'sagt: Schad' um die schönen Haar' von de Madl'n, weil die Haar' ja das Schönste bei an Mad'l san – na ja, das Haar net allani, so man i des wieder net, aber a schön's Haar is halt was Schön's, aber a Bubikopf is was Grauslich's, wann er ana net steht –, aber Ihna steht er großartig, des hab' i schon amal g'sagt, und i sag's no amal: großartig, mehr kann i net sag'n! Meiner Alt'n tät i 's net rat'n, wann sa si ihre Wiedln a so stutz'n liaßat, aber i hab' ja gar ka Alte, i bin no z'hab'n – aber Sie werd'n mi net mög'n . . .«

Das Mädchen glühte unter den Lobkaskaden ihres Gegenübers, fühlte sich aber doch nicht sonderlich angeregt und sah hartnäckig zum Fenster hinaus. Einige Fahrtgenossen lachten – nur einer sah bitterböse drein; er saß neben Herrn Mayerhofer, und neben ihm stand seine Gattin, hochmütig, abweisend und sichtlich verdrießlich.

Herr Mayerhofer wandte sich nun an den sauertöpfischen Nachbarn.

»Na, was sag'n Se? Hab' i net recht? Ana 9 jed'n steht da Bubikopf net, aber dera Fräul'n . . .«

»Lass'n S' mich in Ruh' mit Ihnan blöd'n G'schwätz!«

»Ah na, des is gar net blöd, gel'n S' ja, Fräul'n? A jeda Bubikopf haßt nix, aber da Ihnare, der g'fallt ma! Dem Herrn da g'fallt er sicher aa, aber weil die Frau da is . . .«

»Sind S' ruhig! Wie kommt man denn dazu, daß man sich da von Ihnen anöd'n lass'n muß?«

»Aber san S' net harb, liaba Herr, wann S' allani da warat'n, sagat'n S' aa, daß dera Fräul'n da Bubikopf sehr guat steht; des kenn i schon, wann i aa net vaheirat bin, i hab' Gott sei Dank nur a . . .«

»Ich sag' Ihnen jetzt zum letztenmal: Sind Sie ruhig und belästigen S' mi net! I fahr' net auf der Elektrisch'n, daß i Ihner G'schwätz anhör'n soll – i hab' auf was anders z' denk'n als auf Ihnare Dummheit'n!«

»A Bubikopf is gar ka Dummheit net, bei dera Fräul'n schon gar net, denn dera steht er großarti – Ihnara Frau stundat er net so guat, de hat z' wenig Haar' dazua . . .«

»Herr Schaffner! Was ist denn? Muß man sich das gefallen lassen! Ich bitt' Sie, schaff'n S' mir a Ruh'!«

10 »Benehmen Sie sich anständig und belästigen Sie keinen Fahrgast nicht«, mahnt der Schaffner mit mildem Ernst. Doch Herr Mayerhofer glaubt ihm nicht.

»Sehr guat! Wem belästige i denn? Wann i sag', dera Fräul'n steht da Bubikopf sehr guat, so is des anfach wahr, des müass'n S' do selber sag'n – und daß dera Frau da Bubikopf net guat steht, des is do aa wahr, net? Also, wem belästige i denn?«

»Also sind S' nur ruhig und hör'n S' mit dem Bubikopf schon einmal auf«, mahnt der Schaffner und teilt neue Fahrscheine aus.

Jetzt trat der Schwül in das dritte Stadium.

»Ah, da schauts her! Jetzt derfat ma in dera patscherten Tramway schon nimmer sag'n, was am g'fallt und was am net g'fallt! Wann mir der Bubikopf von dera Fräul'n g'fallt, so geht das kan Mensch'n was an, und da derf ma aa ka Schaffner was sag'n! I hab' mei Kart'n zahlt wia jeder andare, i kann hinfahr'n wo i will, und i brauch' net ausz'steig'n, wann ana an Grant hat, weil sei Alte mit is und er kan Bubikopf anschau'n derf! I möcht' do sehg'n, ob i net sag'n derf, daß der Bubi . . .«

»Ruhig! I will a Ruh' hab'n! Schaffner! Machen S' Ordnung!«

11 »Was soll er denn für a Urdnung mach'n? Is bei mir was net in Urdnung, han? Der Bubikopf von dera Fräul'n is dulli – wann er Ihna net g'fallt, kann i nix mach'n, hätt'n S' halt Ihna Alte daham lass'n . . .«

»Herr Schaffner! Verschaff'n S' mir a Ruh'!«

»Herr, benehmen Sie sich anständig, sonst müßt ich Sie aus dem Wagen weisen!« mahnt der Schaffner mit unterstrichener Würde und teilt gleich wieder Fahrscheine aus.

»Red' i denn was? Sag' i was Unrechts? Is dera Fräul'n ihr Bubikopf net schön? Mir g'fallt er, und das geht neamd nix an! Wer net zuahör'n will, soll aussteig'n – aber net i, i fahr', so lang's mi g'freut und so lang i will, – des war schon 's Höchste, wann i da außi müassat, weil an a Bubikopf net g'fallt und weil si sei Alte kan mach'n kann!«

»Ja, das werd'n wir gleich seh'n! Herr Schaffner, jetzt endlich muß a Ruh werd'n!«

»Also Herr, kommen Sie da heraus auf die Plattform, die Luft wird Ihnen gut tun, kumman S' außa!« Der Schaffner wirbt liebenswürdig, aber Herr Mayerhofer winkt ab.

»Aber gengan S', zu was brauch i a Luft, i hab' da Luft gnua! Sehg'n S' denn net, daß der Herr da nur auf mein Platz spitzt, weil er aa dera 12 Fräul'n ihr'n Bubikopf sehg'n möcht'; so siecht er 'n nur von da Seit'n, aber von vurn is er viel schöner! Er traut si nur net vur seiner Alt'n . . .«

»Kumman S' außa, Se mach'n ma da z'viel Wirb'l; kumman S' nur außa!«

»Wer? I? Hör'n S', geb'n S' acht, daß i net lach'n muaß!«

»Da is gar nix zum lach'n, kumman S' außa!«

Der Herr mit dem düsteren Gemüte unterstützt den Schaffner.

»Jawohl, hinaus mit Ihnen! Ma fahrt do net, daß ma si von an jed'n B'soffenen . . .«

»Wo is der B'soffane? Se Herr, des sag'n Se mir net no amal! Jetzt müaß'n Se außi, mit samt Ihnara Alt'n . . .«

»Nix mehr red'n und außa!« kommandiert der Schaffner.

»Wir werd'n schon sehg'n, wer außi muß!«, prophezeit der Herr mit dem düsteren Gemüte; »I bleib da sitzen und schau ma die Fräul'n an«, stellt Herr Mayerhofer fest.

Der Zug hält; ein Wachmann erscheint im Wagen. Der Düstere zeigt sofort auf seinen Nachbarn: »Da is er, Herr Wachmann, da is er!«

»Ich fordere Sie auf, den Wagen zu verlassen!«

»Wer schafft Ihna des?«

13 »Das geht Sie gar nichts an, verlassen Sie den Wagen!«

»Des müaß'n S' ma erst erklär'n, warum?«

»Ich hab' Ihnen gar nix zum erklär'n, ich fordere Sie zum letzt'nmal auf: verlass'n Sie den Wag'n!«

»Bevur i net waß, warum, geh i net – oda der Herr geht aa, er hat mi an B'soffanan g'haß'n des brauch i ma do . . .«

»Im Namen des Gesetzes . . .!

Unter zahlreicher Mitwirkung »wird« Herr Mayerhofer ausgestiegen. Eine Menschenmenge umgibt ihn. Aus ihr heraus schreit er: »Sehg'n S', was i g'sagt hab', jetzt sitzt er bei dera Fräul'n wisawih – drum hab' i außi müaß'n!« Und in das offene Fenster des Wagens ruft er noch: »Se Herr mit da sauer'n Milz, geb'n S' acht, Ihna Alte sitzt daneb'n!« – Dann wird er abgeführt. 15

 


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