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Vollblut

Draußen vor dem Gartenzaun stand ein gewaltiger Hagebuttenstrauch mit seinen unzähligen Zweigen, die sich wie Florettklingen aus geschmiedetem Stahl biegen ließen, über und über voll mit roten Hagebutten.

Von seiner bescheidenen Ecke aus konnte er einen Blick in die Anpflanzungen des Gärtners werfen. Da standen auch Rosensträucher, aber von einer ganz anderen Art.

Kleine, erbärmliche Sträucher, nicht höher als eine Gießkanne. Und einige von diesen gebrechlichen Geschöpfen waren durch den Frost, der sie gerade beim Ansetzen der Früchte getroffen hatte, ganz schwarz geworden, andere, und zwar die meisten, waren unfruchtbar, von einer allzu feinen Rasse, um Zeugungskraft zu haben, und so gab es nur halb aufblühende Knospen und halbreife Früchte. Der Hagebuttenstrauch hatte alle im Sommer beobachtet, wie sie sich mit ihren roten, gelben oder weißen Prachtblüten auf den Beeten brüsteten. Nein, wie sie jetzt die Köpfe hängen ließen und schlaff und elend aussahen! Der Gärtner war durchaus nicht erfreut, als er diese hochwohlgeborenen Geschöpfe dastehen sah wie ein Häuflein Elend.

»Pfui, diese blutlosen Dinger! Da muß unbedingt für frisches Blut gesorgt werden.«

Nach diesen Worten trat der Gärtner an den wilden Strauch, pflückte Hagebutten und säte sie in ein Beet.

Der alte Strauch fühlte sich sehr geschmeichelt, daß er so wohlerzogene Kinder hatte, und freute sich schon im voraus über das beneidenswerte Los, das ihrer wartete, weil sie nun im Kampf ums Dasein vor allen ernstlichen Sorgen bewahrt sein würden.

Sobald das Frühjahr kommt, beginnen die jungen Hagebuttenschößlinge lustig zu wachsen, fett und rosig infolge der herrlichen Kost, die der Garten ihnen bot. Die Mutter betrachtet sie voll Stolz, die wilden Geschwisterchen aber draußen auf dem sandigen Boden zwischen Feldsteinen sehen sie mit einem gewissen Neid an.

Zwei Sommer lang wachsen sie ganz frei und ungebunden, und ihre Stämme schießen kerzengerade in die Höhe wie spanische Rohre.

Im dritten Frühjahr besucht der Gärtner seine Pflanzschule. Er gräbt mit einem Spaten sämtliche Hagebuttensträucher aus und wirft die schwachen auf einen Haufen, wo sie unter den Stichen der Sonne mit blutenden Wurzeln liegen bleiben und sterben müssen. Die kräftigen schlägt er in Stroh ein, um sie zum Bahnhof zu schaffen, zwei nur behält er und pflanzt sie sofort in ein Beet.

Nach diesem Blutbad, das der mütterliche Strauch mit klopfendem Herzen angesehen hat, zieht der Gärtner sein Messer hervor und schneidet eine der jungen Pflanzen dicht über dem Erdboden ab, so daß nichts mehr von ihr zu sehen ist, die andere aber stutzt er gleich oberhalb der Verästelung, so daß nur ein ganz kahler Büschel übrig bleibt, Als das geschehen ist, pfropft er auf den ersten wilden Rosenstrauch ein Auge dicht unter der Erdoberfläche, an dem andern eines ganz oben an der Spitze.

Mit der Zeit wachsen die Wunden zusammen. Der Saft steigt durch die kräftige Arbeit der Wurzeln immer höher, die Knospen schwellen und brechen auf, und die Schmarotzerzweige freuen sich ihres neuen Daseins auf Kosten der Unglücklichen, die sie »mit ihrem Blut ernähren«. Überdies steht der Gärtner mit seinem Messer beständig auf der Lauer, um sie zu beschneiden, wenn sie ihrer unbändigen Natur die Zügel schießen lassen wollen.

»Seid ihr jetzt zufrieden, ihr unglücklichen Kinder, nachdem ihr in so vornehme Gesellschaft gekommen seid?« ruft die Mutter verzweifelt. »Habt ihr genug von der Ehre, solche Taugenichtse auf dem Rücken zu tragen, die unfähig sind, ihre Jungen selbst zu machen?«

Und die Geschwister höhnen:

»Man unterhält sich gut in der vornehmen Gesellschaft, nicht wahr?« Ein richtiger Besenstiel bist du! Und schaut nur erst den andern an – der hat sein Licht gar unter den Scheffel gestellt!«

Und unter der Erde stößt eine schwache Stimme den Angstschrei hervor:

»Du Edelmann da droben! Ich muß hier unten arbeiten, ohne die Sonne zu sehen, du aber verzehrst meine Säfte und heimst die Ehre ein. Laß mich los, dann sollst du sehen, wer Sieger sein wird!«

Aber der Gärtner ist immer mit seinem Messer bei der Hand. Sobald er einen »unechten« Schößling erblickt, schneidet er ihn ab. Die »echten« Schößlinge hingegen wachsen und breiten ihre blühenden Zweige im Sonnenschein aus, und die Frauen trippeln im Gänsemarsch durch den Garten und stoßen leise Rufe der Bewunderung über die Rosen aus.

Es ist nun Juli geworden. Der Gärtner läßt sich nicht sehen. Man hört den Sand nicht mehr unter seinen Holzschuhen knirschen. Auch am folgenden Tag findet er sich nicht ein und sein Messer ebenfalls nicht. Die Fensterläden seiner Wohnung bleiben geschlossen, aber ein Geruch von Arzneien dringt heraus, so oft der Arzt hineingelassen wird.

Der Gärtner ist krank.

»Jetzt haben wir gewonnenes Spiel!« rufen die unterdrückten wilden Rosenstämmchen. »Jetzt ist die Stunde gekommen für den Kampf um Gleichheit ohne Messer!«

»Die Stunde der Rache meint ihr wohl?« entgegnen die Edelleute.

»Oder die der Ehrenrettung, wenn euch das lieber ist!«

Und die wilden Schößlinge recken sich gewaltig. Sie arbeiten Tag und Nacht, sie treiben, kriechen weiter, wachsen in die Höhe, wachsen, bis sie schließlich den »echten« das Licht wegnehmen und selbst das verzehren, was ihre eifrige Arbeit denen eingebracht hat; und die Edelleute, die auf zu schmale Kost gesetzt sind, fangen an abzusterben.

»Nieder mit den Blutsaugern! Nieder mit ihrer Messerherrschaft!«

Und da die Blutsauger sich nicht selbst ernähren können, gehen sie aus Mangel an Nahrung zugrunde. Ihre Blätter vertrocknen, von den lebenskräftigen Arbeitern erstickt, ihre Knospen verwelken, und ihre Zweige sind mit Raupen übersät, die sie auffressen, wie einst die Läuse den Kindermörder und Tyrannen Herodes.

Die Hagebuttensträuche schwelgen in Lebensfreude und bedecken sich über und über mit Blüten, mit einfachen, aber kräftigen, die alles haben, was den andern fehlte. Sie feiern Hochzeit im Sonnenschein und Mondenlicht, sie empfangen Besuche von Goldkäfern und Schmetterlingen, und ihre kleinen Leiber schwellen an; da – eines schönen Tages – werden die Fensterläden an der Wohnung wieder geöffnet, der Arzneigeruch hört auf, und der Sand knirscht aufs neue unter den Holzschuhen des Gärtners, der wie immer mit seinem Messer daherkommt.

»Ha, solche Verräter!« ruft er aus. »Sie haben sich gerächt, sie haben die armen Rosen ermordet!«

»Sie haben nur von ihrem Recht, zu leben, Gebrauch gemacht, sie haben ihr eigenes Brot gegessen und die armen Rosen sicher nicht ermordet, sondern sie haben, mit oder gegen ihren Willen, den Tod der reichen Mörder hervorgerufen, und dies alles ohne Messer.«

Also murmelte der unglückliche Hagebuttenstrauch, der sich durch einen einzigen Schnitt des Messers abermals in seinen unterirdischen Keller versetzt fand, wo ihm jetzt nichts anderes übrig bleibt, als auf die nächste Erkrankung des Gärtners oder, noch besser, auf die Abschaffung der Messerherrschaft zu warten.


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