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Der heilige Ochse oder der Triumph der Lüge

Im Lande der Pharaonen, wo das Brot übermäßig teuer war und es unglaublich viele Religionen gab, wo alles heilig war, nur nicht die Steuerzahler, wo der heilige Roßkäfer seine heiligen Dreckkugeln unter dem heiligen Schutz der heiligen Religionen zusammenrollte, in diesem Lande stand eines schönen Tages, als eben der heilige Nil seinen geheiligten Schlamm am Fuß der wehenden Palmbäume abgesetzt hatte, ein junger Fellah und schaute der freudevollen Beschäftigung zu, durch die der Stier Alexander im Begriff war, sein Geschlecht fortzupflanzen, ohne etwas von den dreißig Jahrhunderten zu wissen, die von der Spitze der Pyramiden ihre historischen Blicke auf seine Frühjahrsarbeit warfen.

Da erhebt sich am nördlichen Horizont plötzlich eine rote Sandwolke, und eine Reihe von Kamelköpfen steigt allmählich über der zitternden Wüstenfläche auf, nähert sich, nimmt an Größe zu, und der Fellah wirft sich angstvoll vor den drei Priestern des Osiris und ihrem geistlichen Gefolge zu Boden.

Die Priester steigen von den Kamelen, ohne dem auf dem Bauche liegenden Fellah die geringste Aufmerksamkeit zu schenken; denn der unbändige Stier hat die neugierigen Blicke der geistlichen Herren auf sich gezogen. Sie treten näher und untersuchen das feurige Tier von Kopf bis zu den Füßen, zwicken es in die Seiten, schauen ihm in den Mund, und plötzlich kommt ein Zittern über sie, sie fallen auf die Knie und stimmen einen Psalm an.

Als der Stier seine Pflicht gegen das kommende Geschlecht getan hatte, beschnupperte er seine unerwarteten Anbeter, worauf er sich umwendete und ihnen mit dem Schwanz sachte übers Gesicht strich.

Nachdem aber die guten Priester wieder glücklich auf die Füße gekommen waren, wendeten sie sich an den armen Fellah, der nicht mehr wußte, wie ihm war, und sprachen:

»Glücklicher Sterblicher! Unter deinen unreinen Händen hat die Sonne den Ochsen Apis geboren und aufwachsen lassen, die eintausendundsechzigste Inkarnation des Osiris.«

»Die Herren sollten ihn lieber Alexander nennen«, erwiderte der verblüffte Fellah.

»Schweig, du Erzrindvieh! Dein Stier hat das Zeichen des Monds auf der Stirn, er hat auch auf den Seiten das Zeichen und den Roßkäfer unter der Zunge. Er ist ein Sohn der Sonne.«

»Nein, sicher nicht, werte Herren, sein Vater war der Zuchtstier des Dorfes.«

»Hinweg mit dir, du Vogelscheuche!« schrien die Priester außer sich. »Von diesem Augenblick an gehört der Stier kraft des priesterlichen Gesetzes von Memphis nicht mehr dir.«

Vergebens suchte der arme Fellah Einwendungen gegen diesen Eingriff in das private Besitzrecht zu erheben. Die Priester taten ihr möglichstes, sein bescheidenes Auffassungsvermögen zu erleuchten, aber sie konnten ihm unmöglich begreiflich machen, daß der Stier ein Gott sei; zum Schlusse legten sie ihm unverbrüchliches Schweigen über die Herkunft des Tieres auf und waren dann nicht faul, es mit sich fortzuführen.

 

Der Tempel des Apis war von den Strahlen der Morgensonne beleuchtet und bot so einen unvergleichlichen Anblick dar, der auf die Uneingeweihten geheimnisvoll und überwältigend, auf die Eingeweihten aber, die seine in Wahrheit nichts bedeutenden Zeichen zu deuten verstanden, eher lächerlich wirkte.

Eine Schar Bauernfrauen hatte sich vor der großen Pforte versammelt und wartete auf den Augenblick, wo das Tor geöffnet und sie von ihren Milchkübeln befreit würden, die sie zum besten des sogenannten neugeborenen Gottes hergebracht hatten.

Endlich ertönte aus dem Innern des Tempels der düstere Klang eines Hornes, und an dem großen Tor öffnete sich eine kleine Luke. Die Kübel wurden von unsichtbaren Händen in Empfang genommen, dann schloß sich die Luke wieder.

Im Tempel selbst aber, im Allerheiligsten, stand der Stier Alexander in seiner Zelle und kaute an einem Bündel Heu, während er zu den niederen Priestern hinschielte, die eifrig damit beschäftigt waren, Butter zu bereiten zur Herstellung der Honigkuchen, die die Höheren Priester dem Gott Apis zu Ehren gütigst verzehren wollten.

»Die Milch fängt an schlechter zu werden«, bemerkte einer der Priester.

»Das macht der zunehmende Unglaube«, erwiderte ein anderer.

»Mach, daß du hier wegkommst, du Rindvieh!« schrie ein Dritter, der den Stier striegelte, indem er seinen Worten einen Fußtritt auf die Brust des andern folgen ließ.

»Es geht mit der Religion bergab«, sagte der erste wieder.

»Wenn die Geschäfte nicht mehr gehen, so soll sämtliche Religionen der Teufel holen!«

»Ja, aber jedenfalls braucht das Volk eine Religion! Und dann ebensogut die unsrige, wie eine andere.«

»Dreh dich um, Kerl!« ertönte es aufs neue von den Lippen des Stierwärters, der das Tier noch immer striegelte. »Morgen sollst du den lieben Gott spielen, dann kann der Teufel die ganze Gesellschaft holen.«

Die übrigen Priester brachen in ein schallendes Gelächter aus, in ein rückhaltloses, aufrichtiges Gelächter, wie nur eine erleuchtete Priesterschaft lachen kann.

Am nächsten Tage, an dem das Fest stattfinden sollte, wurde der Gott Apis, reich mit Girlanden und Blumenkränzen geschmückt sowie mit seidenen Bändern umwunden, unter dem Vortritt einer Schar von Kindern und Musikanten in festlichem Zug um den Tempel herumgeführt, um die Huldigungen des Volkes entgegenzunehmen.

Alles ging ausgezeichnet, und in der ersten halben Stunde störte nichts die Freude. Aber der tückische Zufall wollte es, daß der frühere Eigentümer des armen Alexander, getrieben aus lauter Sorge wegen der Steuern, am selben Morgen seine Kuh auf den Markt der Stadt geführt hatte, um sie zu verkaufen. Und diese Kuh stand noch dort, als der Festzug sich aus einer angrenzenden Straße heranwälzte und den Gatten an ihre Seite führte, von dem sie seit so vielen Monaten von Tisch und Bett getrennt war. Der Gatte aber, der nach seiner unfreiwilligen Strohwitwerschaft unglaubliche Kräfte in sich fühlte und jetzt durch den ganz besonderen Geruch seiner früheren Ehehälfte angezogen wurde, fiel, alle Pflichten, die seine Eigenschaft als Gott ihm auferlegte, vergessend, aus seiner Götterrolle, warf seine Wächter zu Boden und stürmte auf die Gattin zu.

Die Lage wurde ernst, sie mußte, wenn irgend möglich, gerettet werden. Zu allem Unglück für die Priester war die Freude des Fellah über die Wiederbegegnung mit seinem Stier viel zu groß, um ihr Einhalt zu gebieten, und der Fellah, der nicht mehr wußte, was er tat, fing an zu rufen:

»Ach, du mein armer Alexander, wie sehr hab ich dich vermißt!«

Die Priester jedoch wußten schon, wie sie sich dagegen verwahren wollten.

»Er lästert!« riefen sie. »Tod dem Tempelschänder!«

Der Fellah, der in der nächsten Minute von der rasenden Menge fast erschlagen worden wäre, wurde von der Polizei gepackt und vor Gericht geführt. Als man ihm dort befahl, die Wahrheit zu sagen, behauptete er noch immer steif und fest, der Ochse gehöre ihm, er habe unter dem Namen Alexander in seinem Dorf daheim als Zuchtstier gedient.

Aber es handelte sich jetzt nicht darum, Tatsachen festzustellen, der Fellah sollte sich nur gegen die Anklage verteidigen:

»Hast du diesen heiligen Ochsen gelästert, indem du ihn Alexander nanntest?«

»Natürlich hab ich ihn Alexander genannt, weil ...«

»Genug! Du hast ihn Alexander genannt.«

»Weil ... es ist die Wahrheit.«

»Man darf die Wahrheit nicht sagen.«

»Soll man dann lügen?«

»Man sagt nicht lügen; man bedient sich des Ausdruckes: die Ansichten anderer achten.«

»Welcher anderer?«

»Das wirst du doch wissen ... der Nächsten ... aller Menschen.«

»Wenn dem so ist, ehrwürdiger Richter, so geruhet meine Ansicht betreffs des Stiers zu achten und mich in Frieden zu lassen!«

»Aber, du Dummkopf, die andern, das bist doch nicht du!«

»Nein, ich verstehe, die andern, das sind alle, nur der Fellah nicht.«

»Bist du vielleicht hier, mich zu verhören? Geh deiner Wege, die Priester mögen nach ihrem Gutdünken mit dir verfahren!«

Im Tempel des Osiris angelangt, fand der Fellah den Hohenpriester für die Gründe empfänglicher, als er zu hoffen gewagt hätte.

Gewiß, es sei zweifellos der Stier Alexander, das wolle er nicht bestreiten, erklärte er, aber man dürfe es nicht sagen, weil ... nun kurzum ... da nun einmal der Staat auf stillschweigende Übereinkommen aufgebaut werde, sei es unbedingt notwendig, die Ansichten anderer zu achten.

Aber warum achte man denn dann um's Himmels willen die Ansichten eines Fellah nicht ebensogut, er sei doch im Verhältnis zu den übrigen Menschen auch ein anderer?

Der Oberpriester, ein ehrenwerter Mann mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, hatte die Spitzfindigkeiten satt, und die schlichte Auffassung des Fellah rührte ihn. Er hielt die Gelegenheit für günstig, Verbesserungen vorzuschlagen, und nachdem er sich mit seinen sämtlichen Amtsbrüdern beraten hatte, ließ er das Volk, das dichtgedrängt vor der Pforte stand, in die Vorhalle herein, legte sein Amtskleid ab und trat in einer bürgerlichen Tunika vor den Altar, um zu der Menge zu sprechen.

»Liebe Kinder!« begann er.

Aber unter der betroffenen Versammlung, die ihn nicht mehr erkannte, entstand eine Bewegung,

»Liebe Kinder!« rief der Hohepriester laut. »Die Stellung eines Mannes hängt nicht von seinen Kleidern ab. Seht ihr denn nicht, daß ich ›Osiris' Hoherpriester‹ bin?«

In der Menge erhob sich ein Gemurmel.

»Wohlan, liebe Kinder, die Stunde ist da, in der ihr in die heiligen Geheimnisse eingeweiht werden sollt. Fürchtet euch nicht! Ich bin auch nur ein armer Sterblicher wie ihr alle; um euch zu beruhigen, habe ich jetzt das bis auf die Füße herabfallende Gewand abgelegt. Ihr habt den Stier, das Sinnbild der allbefruchtenden Sonne, für den Gott selbst gehalten.«

Und sich an die Priester wendend, fuhr er fort:

»Zieht den Vorhang der Vorhalle zurück!«

Die Menge, die das Innere des Tempels noch nie gesehen hatte, warf sich vor der Sphinx und des Osiris Bildwerken, die zwischen den halboffenen Vorhängen schimmerten, auf die Knie.

Niemand wagte, dorthin zu sehen.

»Steht auf!« donnerte der Priester. »Steht auf! Und zieht den andern Vorhang jetzt auch zurück!«

Der Vorhang hob sich. Und vor den bestürzten Blicken des Volkes zeigte sich im Hintergrund des Tempels ein ganz gewöhnlicher Stall, und dort lag der heilige Ochse höchst behaglich wiederkäuend auf seinem Lager.

»Wir sehen hier den Stier Alexander vor uns!« rief der Priester. »Ihr glaubt, es sei ein Gott, und doch ist er nur ein armer Ochse. Nicht wahr, Fellah?«

Da brach mit einem Male ein furchtbares Geschrei los, und mitten in all dem betäubenden Lärm rief eine Frauenstimme:

»Tempelschänder! Herunter mit dem Lästerer, dem Lügner!«

Und ein paar Sekunden später hatten die Frauen den Hohenpriester erdrosselt, hinausgeschleppt und in einen Brunnen geworfen.

Und dem Fellah, der die heilige Lüge entweiht hatte, erging es ebenso.

Die Priester aber hielten es für das Richtigste, die Vorhänge herabzulassen und sich in das Allerheiligste zu flüchten, wo sie ihre heilige Viehzucht weiter betrieben und ihr Leben auch ferner der Anbetung dieses alleinseligmachenden Irrtums weihten.


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