August Strindberg
Am Meer
August Strindberg

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Siebentes Kapitel

An einem sonnenwarmen Sommertag sitzen der Inspektor und seine Jüngerin in dem hölzernen Pavillon, den er auf dem höchsten Kamm der Schäre, hart neben dem neu angelegten steinernen Grund zu dem Missionshause hat errichten lassen. Unten im Hafen liegt ein Schoner, der die verpaßten Baumaterialien löscht, die von dem Werkführer und seinen Arbeitern zusammengefügt werden. Es hat infolgedessen in der letzten Zeit ein ungewöhnliches Leben auf der Schäre geherrscht, und es sind schon kleine Scharmützel zwischen der Fischerbevölkerung und den städtischen Arbeitern vorgefallen, indem diese jene übermütig behandelt haben, was wiederum Anlaß zu einer Reihe von Versöhnungsfesten mit Trunkenheit und neuen Prügeleien, Attentaten auf Sittlichkeit und Eigentumsrecht gegeben hat. Sowohl der Inspektor wie auch die Kammerrätin haben deswegen zeitweise bereut, daß sie sich auf die Zivilisation der Bevölkerung eingelassen haben, da bereits die ersten Schritte so traurige Ergebnisse gezeitigt haben, um so mehr, als der nächtliche Lärm, das Singen und Schreien und die Klagen ihnen, die einzig und allein um Ruhe zu suchen hierher gereist waren, die Arbeit und den Frieden gestört haben. Der Inspektor, der sein ganzes Ansehen eingebüßt hat, nachdem er es eine Zeitlang unterließ, seine Autorität zu behaupten, konnte die Ordnung nicht wiederherstellen. Fräulein Maria hatte dahingegen mehr Glück in dieser Beziehung und verstand es, durch ein schneidiges Auftreten, durch ein gutes Wort hier und da den Sturm zu dämpfen. Da sie ihrer Schönheit und ihrem gewinnenden Wesen dies Ergebnis nicht zuschreiben wollte, bildete sie sich ein, im Besitz größerer Stärke und besseren Verstandes zu sein, als sie wirklich besaß, und hatte sich so in die Vorstellung über ihre ungewöhnlichen Seelenfähigkeiten hineingelebt, daß sie selbst jetzt, wo sie als Schülerin bei ihrem Lehrer saß, seine Lehren wie bekannte Sachen hinnahm, die sie mit mehr spöttischen als scharfsinnigen Bemerkungen eher zu korrigieren schien, als daß sie sich davon leiten ließ.

Die Mutter, die daneben saß und an einer Altardecke für das neue Missionshaus stickte, schien hin und wieder zu staunen über den durchdringenden Verstand der Tochter und ihre großen Kenntnisse, wenn sie den Lehrer mit einer einfältigen Frage zum Verstummen brachte.

»Sehen Sie nun, Fräulein Maria,« trug der Inspektor vor, der beständig in der trügerischen Hoffnung lebte, sie erziehen zu können. »Das ungebildete Auge hat eine Neigung, alles einseitig zu sehen, das unentwickelte Ohr, auf die gleiche Weise zu hören. Sie sehen hier um sich herum lauter Granitgestein, und der Maler wie der Dichter sehen dasselbe. Deswegen schildern und malen sie alles so monoton, deswegen finden sie die Schären so einförmig; betrachten Sie nun aber einmal diese geologisch Karte über die Gegend und werfen Sie dann einen Blick auf die Landschaft. Wir sitzen hier auf dem roten Gneis. Sehen Sie diese Scherbe, die Sie Granit nennen, wie reich abwechselnd ist sie zusammengefügt aus dem schwarzen Glimmerstein, dem weißen Quarz und dem rosenroten Feldspat.«

Er hatte die Probe von dem Steinhaufen genommen, den der Steinhauer aus der Klippe herausgesprengt und zwecks Verwendung bei Legung des Baugrundes gesammelt hatte.

»Und hier haben wir eine andere. Dies ist das, was man Eurit nennt. Sehen Sie, wie die Farben von Lachsrot zu Flintblau wechseln. Und hier haben wir weißen Marmor oder Urkalk.«

»Ist hier auch Marmor?« fragte das Fräulein und wurde plötzlich ganz aufmerksam bei der Erwähnung dieser Luxussteinart.

»Ja, hier ist Marmor, aber der ist auswendig grau, ohne es in Wirklichkeit zu sein. Wenn Sie genauer nachsehen, werden Sie auch finden, daß alle diese Flechtenarten einen unendlichen Farbenreichtum besitzen. Welche Skala von den feinsten Farben, von dem Tuschschwarz der Brandflechte durch das Aschgrau der Steinflechte zu dem Lederbraun der Schildflechte, dem Schmutziggrün der Ringflechte und dem gefleckten Kupfergrün der Lungenflechte sowie dem Eigelb der Wandflechte. Schauen Sie sich die Schären genauer an, die jetzt die Sonne beleuchtet, so werden Sie sehen, daß die Werder verschiedene Farben haben, und daß die Bevölkerung, die eine starke Beobachtungsgabe besitzt, ihnen sogar Namen nach der Farbenskala gegeben hat, die sie gekannt, ohne sich dessen bewußt zu sein. Sehen Sie, daß der Schwarzholm schwärzer ist als die andern, weil er aus der schwarzen Hornblende besteht, daß der Rotholm rot ist, weil er aus rotem Gneis gebildet ist, und daß die Weißschäre ihren Namen von dem reingespülten Eurit erhalten hat. Ist es nicht besser zu sagen weshalb, als zu wissen, daß es nun einmal so ist, und noch geringer ist es, nichts sehen zu können als Grau in Grau, so wie die Maler, die alle Schären mit einer Mischung von Schwarz und Weiß malen. Hören Sie jetzt das Brausen der Wellen, wie die Dichter summarisch diese Symphonie von Lauten nennen. Schließen Sie die Augen einen Moment, dann hören Sie besser, während ich diese Harmonie in einzelne Töne analysiere. Sie hören zuerst ein Brausen, das dem gleicht, das man in einem Maschinenraum vernimmt oder in einer großen Stadt. Das sind die Wassermassen, die gegeneinander schlagen. Dann hören Sie ein Zischen, das dadurch entsteht, daß die kleineren Wellen zu Schaum gequetscht werden; und jetzt ein Schaben, wie das des Messers gegen den Schleifstein: das Reiben der Welle gegen den Sand; ferner ein Rasseln, wie wenn man eine Kieskarre entleert: das ist die See, die die kleinen Steine gegen den Strand hinaufwirft; und hinterher etwas bullernd Dumpfes, wie wenn man mit der hohlen Hand gegen das Ohr schlägt, ein Laut, der entsteht, wenn die Welle die Luft vor sich her in etwas Hohles hineinpreßt; und dann schließlich dies Rummeln wie ein ferner Donner: das kommt von den großen Klippenblöcken, die gegen den Steinboden gerollt werden.«

»Ja, aber das ist ja sich die Natur zerstören!« rief das Fräulein aus.

»Das ist sich mit der Natur vertraut machen! Dies Wissen beruhigt mich, ich werde dadurch befreit von des Dichters halb verborgener Furcht vor dem Unbekannten, was nichts weiter ist als die Überreste aus der Dichterperiode des Wilden, wo man sich das Rätselvolle zu erklären suchte, aber nicht schnell genug eine Lösung finden konnte und deswegen notgedrungen zu Fabeln von Meerfrauen und Riesen griff. Aber jetzt gehen wir zu der Fischerei über, der aufgeholfen werden soll, und lassen vorläufig den Lachs liegen, um uns mit den neuen Strömlingsfangmethoden zu beschäftigen. In zwei Monaten beginnt die eigentliche Fischerei, und wenn ich mich nicht verrechnet habe, wird sie fehlschlagen.«

»Wie können Sie das von Ihrem Sofa aus prophezeien?« fragte das Fräulein mehr spöttisch als neugierig.

»Ich prophezeie das, weil ich – hier von meinem Sofa aus – gesehen habe, wie das Treibeis im Frühling den Boden von Tang und andern Algen, in die die Strömlinge hinaufgehen, um zu laichen, reingekratzt hat; ich sage es voraus mit der wissenschaftlichen Begründung, daß die kleinen Schaltiere – der Name tut nichts zur Sache –, von denen der Strömling lebt, von den Bänken ausgeblieben sind, nachdem der Tang weggekratzt war. Was soll man da tun? Ja, man soll die Fischerei auf tiefem Wasser versuchen! Wenn der Fisch nicht zu mir kommen will, muß ich zum Fisch kommen. Und deswegen müssen wir unser Glück mit Treibnetzen versuchen, die hinter dem Boot herschleppen. Das ist sehr einfach!«

»Das ist großartig!« rief Fräulein Maria aus.

»Es ist eine alte Erfindung,« wandte der Inspektor ein, »und keineswegs die meine! Aber nun wollen wir, als kluge Leute, doch an den Rückzug denken, denn wenn wir Strömling fangen, ihn aber nicht verkaufen, da man wieder angefangen hat, an der Westküste Hering zu fischen, so müssen wir etwas anderes in Bereitschaft haben.«

»Nämlich den Lachs!«

»Ja, den Lachs, der hier sein muß, wenn ich ihn auch nicht gesehen habe.«

»So weit sind wir vorhin auch gekommen, aber nun will ich wissen, wie Sie das wissen können.«

»Ich will alle Weitläufigkeiten vermeiden und in wenigen Worten den Grund angeben. Der Lachs wandert so wie Zugvögel.«

»Der Lachs ist ein Vogel?«

»Freilich, ein richtiger Zugvogel. Man findet ihn vor den norrländischen Flüssen, man hat ihn zwischen den nördlichen Schären ein paarmal gefangen, er wird vor Gotland und auf der ganzen Strecke südwärts gefangen, also muß er hier vorbeigehen. Jetzt soll es Ihre Aufgabe sein, ihn zu finden, indem Sie angeln. Haben Sie Lust zu einer Beschäftigung in Ihrer Eigenschaft als mein Assistent und mit Entgelt von meinem Gehalt?«

Das letztere kam ganz plötzlich, aber mit Berechnung, und verfehlte sein Ziel nicht.

»Ich soll Geld verdienen, Mutter!« rief Fräulein Maria in einem muntern Ton aus, der die wirkliche Freude verbergen sollte, die sie empfand.

»Aber,« fügte sie hinzu, »was wollen Sie denn tun?«

»Ich werde auf meinem Sofa liegen, und dann soll ich ja die Natur für Sie zerstören.«

»Was wollen Sie tun?« fragte die Mutter, die glaubte, daß sie sich verhört hatte.

»Ich soll eine italienische Landschaft für Fräulein Maria machen,« antwortete der Inspektor; »und nun verlasse ich Sie, meine Damen, um die Skizze zu entwerfen.«

Hierauf erhob er sich mit einem fröhlichen Gruß und ging an den Strand hinab.

»Ein sonderbarer Mensch«, sagte die Mutter, nachdem der Inspektor gegangen war.

»Ein ungewöhnlicher Mensch, auf alle Fälle,« entgegnete die Tochter; »aber ich glaube ganz bestimmt, daß er nicht recht klug ist. Grundsätze hat er jedoch und ist überhaupt ein liebenswürdiger Mann. Was sagst du zu ihm?«

»Gib mir mein Garnknäuel, mein Kind«, antwortete die Kammerrätin.

»Aber so sag doch etwas... magst du ihn, oder magst du ihn nicht?« wiederholte Maria.

Die Mutter antwortete nur mit einem halb betrübten, halb entsagenden Blick, der ausdrückte: ich weiß nichts.


Der Inspektor war indessen an den Hafen hinabgegangen und hatte ein Boot genommen, um nach den Schären hinauszurudern. Die Sommerwärme hatte nun einen Monat gewährt, so daß die Luft erhitzt war, aber das Treibeis kam noch immer von Norden, wo ein ungewöhnlich strenger Winter am Strande das Wasser bis auf den Grund gefroren hatte, und nun ging es in Form von Treibeis südwärts und kühlte die See ab, so daß die niederen Luftschichten eine größere Dichtigkeit bewahrten als die oberen. Die Brechung der Sonnenstrahlen durch diese Luftschichten verwandelte das Aussehen der Schären und hatte in den letzten Tagen die prachtvollsten Luftspiegelungen hervorgebracht. Diese Schauspiele hatten Anlaß zu langen Wortstreitereien zwischen dem Inspektor und den Damen gegeben, die die Fischer als die Kompetentesten herzugerufen hatten; sie hatten seit ihrer Kindheit diese Naturerscheinungen gesehen und sollten Schiedsrichter sein. Und als die rosenfarbenen Gneisklippen eines Morgens von der Strahlenbrechung gleichsam emporgestreckt wurden und auf Grund der verschiedenen Dichtigkeit der Luftschichten Form und Aussehen wie die Strandhöhen der Normandie annahmen, verfocht Fräulein Maria die Anschauung, daß es wirklich diese Kalksteinklippen seien, die infolge eines von der Wissenschaft noch nicht aufgeklärten Naturgesetzes sich hier drinnen in der Ostsee abspiegelten. Gleichzeitig vergrößerte die Strahlenbrechung das weiße Schäumen der Dünung gegen die Strandsteine in einem so ungeheuren Maßstab, daß es wirklich so aussah, als kreuze eine Flottille normannischer Fischerboote unter der Küste. Der Inspektor hatte sich vergebens bemüht, die Erscheinung auf die einzige richtige Weise zu erklären und dadurch das Übernatürliche wegzunehmen. Die Bevölkerung betrachtete nämlich das Phänomen als Vorboten bevorstehender Unglücksfälle, und dieser Glaube konnte lähmend auf ihre Unternehmungslust wirken. Er befand sich jetzt in einer solchen Lage, daß er als Hexenmeister auftreten mußte, um das Ohr der Bevölkerung zu gewinnen, und sich hinterher gezwungen sah, zu erklären, wie er es angestellt hatte, diese Zauberei zu bewirken.

Er hatte aus diesem Grund die Gläubigen gefragt, ob sie auch glauben würden, daß es eine Abspiegelung von Italien sei, die sie sähen, wenn ihnen eine italienische Landschaft vorgeführt würde; und als sie »Ja« antworteten, beschloß er, das Nützliche mit dem Ergötzlichen zu verbinden und mit Hilfe einiger kleiner Veränderungen die südländische Landschaft herzustellen, die er Fräulein Maria zum Geburtstag versprochen hatte, so daß sie bei der nächsten Luftspiegelung am Horizont aufsteigen konnte, durch das kolossale Vergrößerungsglas gesehen, das die verschiedenen mehr oder weniger dichten Luftspiegelungen schufen.

Im Boote sitzend, nahm er nun Svärdsholm durch sein dioptrisches Fernglas, dessen Linsen er bedeutend verstärkt hatte, aufs Korn. Es galt in erster Linie das Charakteristische der Formation, die schichtenförmig gelagerten Gesteinsarten hervortreten zu lassen. Diese Arbeit hatte die Natur zum Teil schon besorgt. Außerdem bedurfte er einer Pinie, einer Zypresse, eines Marmorpalastes und einer Terrasse mit am Spalier wachsenden Orangen.

Nachdem er den Umriß der Klippe beobachtet und abgezeichnet hatte, währte es nicht lange, bis er seinen Plan fertig hatte, und dann ging er mit seinem Boot, worin ein eiserner Spieß, ein Schiffskratzer, eine Rolle Zinkdraht und eine Kruke mit Ocker, ein Teerbesen, sowie Axt, Säge, Nägel und einige Dynamitpatronen aufgestapelt lagen, an die Schäre heran.

Nachdem er an Land gekommen war und seine Sachen ausgepackt hatte, kam er sich vor wie ein Robinson, der losgehen und den Kampf mit der Natur aufnehmen sollte, jedoch weit gewaltiger und siegessicherer als der Abenteurerheld der Knaben, weil er alle Hilfsmittel der Kultur mit sich führte. Er stellte eine Staffelei mit Landmesserbrett und Diopterlineal auf und ging dann an die Arbeit.

Die Klippenkuppe, deren rasierter Abhang glücklicherweise die sedimentären Lagerungen des Süden nachahmte, brauchte er nur abzukratzen, so daß sie von Flechtenarten befreit wurde, wo sich solche fanden; nur mußte er einige horizontale Linien, die dunkler waren als die Schichten, bestehen lassen. Dies war keine schwere Arbeit, und der Schiffskratzer fuhr über die glatte Fläche wie der Retouchierpinsel über die große Leinwand des Dekorationsmalers.

Zuweilen überkam ihn ein Ekel bei dem Gedanken, daß er Zeit und Kräfte mit solchen Kindereien vergeudete, aber die körperliche Anstrengung jagte ihm das Blut zu Kopf, so daß er alles in großem Stil sah, sich fühlte wie der Titan, der die Welt erstürmte, die Krähenfüße des Schöpfers verbesserte, an der Erdachse rüttelte, so daß der Süden ein wenig weiter nach Norden hinaufkam.

Als er fertig war mit dem Abstreifen der Klippenwand, deren Fläche nicht mehr als einige Meter lang zu sein brauchte, da sie durch die Luftschichten viele Male vergrößert werden würde, ging er zur Pinienfabrikation über. Auf dem Kamm der Klippe stand eine Gruppe niedriger Tannen, die zusammen wie ein Waldrand zu verschwimmen pflegten. Es galt nun, ein halbes Dutzend davon zu fällen, um diejenige, die sich, am besten von der Luft abhob, zu isolieren.

Die überflüssigen abzusägen, war die Arbeit einer halben Stunde.

Die Stehengebliebene war ein schlanker Baum, dessen ganze Kraft sich in dem Gipfel gesammelt hatte, weil die anderen Bäume, indem sie zu dicht an ihn heranwuchsen, die Zweigbildung am Stamm gehindert hatten. Aber nun mußte er mit der Axt die Krone so zustutzen, daß sie aussah wie das charakteristische Regenschirmgestell der Pinie mit dazugehörigen Stangen. Dies ging ganz leicht, als er aber hinterher sein Werk im Diopter untersuchte, sah er, daß der Stil nicht korrekt war, weswegen die Wipfelzweige mit Hilfe von Zinkdraht gebogen und die Seitenzweige mehr abwärts und geradeaus gerichtet werden mußten. Als die Pinie fertig war, trank er ein Glas Wein und sah sich nach Rohmaterialien für die Zypressen um. Diese fand er ganz selbstverständlich in Form von einigen kuppenförmig belaubten Wacholderbüschen, die er nur so auszuwählen brauchte, daß sie sich gut gegen die Luft abhoben, und dann der Axt und dem Messer das übrige überlassen konnte. Da sie aber reichlich hell waren, löste er Kienruß in einem Eimer Wasser auf und bespritzte sie damit, so daß sie die richtige Friedhoffarbe bekamen.

Als er nun sein Werk beschaute, wurde ihm ganz unheimlich zumute, er erinnerte sich dunkel der Geschichte von dem Mädchen, das auf das Brot trat, und wenn die weißen Möwen entsetzliche Schreie über seinem Kopf ausstießen, dachte er an die beiden schwarzen Raben, die vom Himmel kamen, um die Seele nach der Hölle zu bringen.

Nachdem er ein wenig ausgeruht hatte und das Blut wieder zum Gehirn zurückgekehrt war, lachte er über seine Arbeit und seine kindische Furcht. Wenn die Natur nicht ebenso schnell zu Werke gegangen war bei der Erschaffung der Arten, so war das sicher kein Mangel an Willen, sondern an Fähigkeit gewesen.

Nun kam die Reihe an den Marmorpalast; da das aber die Grundlage zu dem Ganzen war und er alles darauf Bezügliche daheim auf dem Sofa ersonnen hatte, war die Arbeit hiermit nicht schwieriger als das übrige.

Die Kalkschicht lag abgeschält, fertig, die Fassade zu bilden, freilich nur einige Quadratmeter groß, aber mehr war auch nicht erforderlich, und er brauchte nur den Eurit, der infolge von Verwitterung gerissen war, von dem Kalk zu lösen. Der eiserne Spieß erwies sich anfänglich ausreichend für diese Arbeit, weiter nach unten zu mußte er jedoch eine Dynamitpatrone in die Schlucht legen.

Als der Schuß abbrannte und die Scherben herabregneten, empfand er etwas von der Sehnsucht des Dichters, auf einmal alle die Munitionswagen der fahrenden Heere in einen Vulkan hinabzustürzen und die Menschheit von dem Schmerz und der Mühe der Entwicklung zu befreien.

Jetzt war indessen die Marmorfläche bloßgelegt, und die körnigen Kalksteinkristalle glitzerten wie Hutzucker im Sonnenschein. Mit Hilfe der mitgebrachten Farbentöpfe malte er dann einen unbehauenen groben Sockel und zeichnete zwei kleine viereckige Fenster ein. Darüber, oben auf den Klippenblock, stellte er zwei hölzerne Stützen auf, band eine Latte quer daran fest, so daß sie eine Pergola bildete. Nun brauchte er nur die klafterlangen Mehlbeerstengel in die Höhe zu heben und um das Skelett der Pergola zu flechten, dann war die Weinranke an ihrem Platz und hing in Festons herab.

Schließlich retuschierte er den Boden mit einer Kanne verdünnter Salzsäure, wodurch helle Schattierungen in dem grünen Gras hervorgebracht wurden, was Blumenflecke aus Gänseblümchen oder Schneeglöckchen vorstellen sollte, die er charakteristisch für die römische Campagna gefunden hatte, wenn der »zweite Frühling« im Oktober nach der Weinernte begann.

Und hiermit war seine Arbeit beendet.

Aber sie hatte sich doch bis zum Abend hingezogen. Damit das Wunder die gehörige Wirkung ausübte, fehlte indessen noch, daß er sein Eintreten voraussagen und am liebsten den Tag bestimmen konnte, an dem es sich zeigen würde. Er wußte, daß eine starke Wärme im südlichen Europa geherrscht hatte und daß man infolgedessen bald nördlichen Wind würde erwarten können. In der letzten Zeit war der Wind östlich gewesen, während gleichzeitig das Barometer über der Nordsee tiefgestanden hatte. Den Berichten nach lag bei Arholma Treibeis, und sobald der Wind nur ein paar Striche nach Norden drehte, mußte das Treibeis der Stromfurche folgen, die westlich um Aland herumgeht, wenn sich der Bottnische Meerbusen in die Ostsee entleert.

Konnte er nur an dem Abend des einen Tages Nordwind bekommen, so war er sicher, daß er ein paar Tage stehen bleiben würde, und da dieser Wind stets klares Wetter im Gefolge hat, würde er wenigstens am Tage vorher das Eintreten der Naturerscheinung voraussagen können. War er erst so weit gekommen, so wurde die Stundenangabe eine Nebensache, denn die Luftspiegelung zeigte sich im allgemeinen nur einige Stunden nach Sonnenaufgang, gewöhnlich zwischen zehn und zwölf Uhr.


Als er später in sein Zimmer trat, schloß er die Tür ab, um sich ungestört an seine Arbeit setzen zu können, an seine große Arbeit, die er vor zehn Jahren begonnen und die er zu vollenden hoffte, wenn er fünfzig sein würde; das war das Ziel seines Lebens, das ihn aufrechterhielt und das er keinem Menschen anvertraut hatte. Er genoß in Gedanken die Aussicht, ein paar Stunden für sich zu haben, denn in den Wochen, die seit der Ankunft der beiden Damen verstrichen, war er jeden Abend davon in Anspruch genommen gewesen, ihnen Gesellschaft zu leisten, und was eine Ruhe, ein Vergnügen sein sollte, war zu Zwang, zu Arbeit geworden. Er liebte das junge Mädchen und wollte mit ihr in der Ehe leben, in einer völligen Gemeinschaft, in der die Mußestunde zu Vertraulichkeit und Ruhe improvisiert wurde; dieser Halbheitszustand aber, während dessen er sich zu bestimmten Stunden einfinden und Unterhaltung machen sollte, er mochte dazu aufgelegt sein oder nicht, quälte ihn wie eine Art Dienstleistung. Sie hatte ihn völlig mit Beschlag belegt und ermüdete nie, die Empfangende zu sein, namentlich da er die Fähigkeit besaß, immer neu und unterhaltend zu sein, wohingegen er, der nie etwas dafür zurück erhielt, auf die Dauer das Bedürfnis empfinden mußte, sich zu erneuen. Aber wenn er sich dann zurückzog, wurde sie unruhig, nervös, und quälte ihn mit der Frage, ob sie zu aufdringlich sei, etwas, das er ja als wohlerzogener Mensch nicht mit Ja beantworten konnte.

Er öffnete jetzt seinen Manuskriptenschrank, in dem die Kartons geordnet lagen mit Notizen, kleinen Zetteln mit improvisierten Gedanken über seine Beobachtungen, auf halbe Bogen aufgekleistert wie ein Herbarium. Es war ihm eine Kurzweil, sie zu ordnen und wieder umzuordnen nach neuen Einteilungssystemen, um ausfindig zu machen, ob wirkliche Erscheinungen auf ebenso viele Arten eingeteilt werden konnten, wie das Gehirn es wollte, oder ob sie nur auf eine einzige, von der Natur vorbereitete Einteilungsgrundlage geordnet werden konnten, und ob die Natur dann wirklich nach einer an das Gesetz gebundenen Ordnung vorgegangen war. Diese Beschäftigung erregte bei ihm die Vorstellung, daß er der wahre Ordner des Chaos war, der das Licht von der Finsternis schied, und daß das Chaos erst aufhörte bei dem Erscheinen des sondernden Bewußtseinsorgans, da Licht und Finsternis in Wirklichkeit noch nicht voneinander abgeschieden waren. Er berauschte sich in diesem Gedanken, fühlte, wie sein Ich wuchs, wie die Gehirnzellen sich weiteten, ihre Schale sprengten, sich vermehrten und neue Vorstellungsarten bildeten, die einstmals als Gedanken auftreten, als Gärungskeime in die Gehirnmasse anderer fallen und Millionen, wenn nicht vor, so doch nach seinem Tode zu Treibbeeten für seinen Gedankensamen machen würden...

Es pochte an seine Tür, und mit einer erregten Stimme, als sei er in einer geheimen Zusammenkunft gestört worden, fragte er, wer da sei.

Es war ein Gruß von den Damen, mit der Frage, ob der Herr Inspektor nicht zu ihnen kommen wolle.

Er antwortete, indem er den Boten bat, zu grüßen und zu sagen, daß er heute abend keine Zeit habe, da er arbeiten müsse, falls seine Anwesenheit bei den Damen nicht unbedingt notwendig sei.

Dann blieb es eine Weile still. Da er indessen eine bestimmte Vermutung hatte, was folgen würde, so gab er die unterbrochene Arbeit auf und legte das Manuskript beiseite. Er war kaum hiermit fertig, als er die Schritte der Kammerrätin auf der Treppe hörte. Statt zu warten, bis sie anklopfte, öffnete er die Tür und fragte: »Fräulein Maria ist krank?«

Die Mutter stutzte, faßte sich jedoch sofort und bat den Inspektor, hinabzukommen und sich nach ihrer Tochter umzusehen, da es unmöglich sei, einen Arzt holen zu lassen.

Der Inspektor war nicht Mediziner, hatte aber ein wenig Pathologie und Therapie studiert, Beobachtungen an sich selbst und allen, die innerhalb seines Kreises erkrankt waren, gemacht, über die Natur der Krankheiten und der Heilmittel philosophiert und sich endlich eine Therapie zu eigenem Gebrauch zusammengestellt. Er versprach daher, in einer halben Stunde zu kommen und ein Heilmittel mitzubringen, als er hörte, daß die junge Dame in Krämpfen lag.

Es war nämlich nicht schwer für ihn gewesen, die Natur der Krankheit zu erraten. Da der erste Bote von keinem Krankheitsfall gesprochen hatte, mußte ein solcher später eingetroffen sein, eine Folge seiner Weigerung, die Einladung anzunehmen, also ein psychisches Unwohlsein, das er leicht erkannte und das unter der unbestimmten Bezeichnung Hysterie ging. Ein kleiner Druck auf den Willen, ein unerfüllter Wunsch, ein gekreuzter Plan, und die augenblickliche Folge ist eine vollständige Niedergeschlagenheit, während welcher die Seele bemüht ist, die Schmerzen auf den Körper zu verlegen, ohne jedoch imstande zu sein, sie zu begrenzen. Er hatte in der Lehre von der Kraft der Heilmittel neben dem Namen des Heilmittels und seiner Wirkung so oft kleine vorsichtige Bemerkungen gesehen wie: »auf eine noch unbekannte Weise« oder »dessen Wirkungsart völlig unbekannt ist«. Durch Beobachtungen und Nachdenken hatte er herauszufinden geglaubt, daß, gerade auf Einheit des Geistes und der Materie begründet, das Heilmittel zugleich chemisch-dynamisch und psychisch wirkte. Die Medizin einer neueren Zeit hatte das Heilmittel oder seine materielle Grundlage gestrichen und mit dem Hypnotismus eine rein psychische oder mit Diät und körperlichen Bewegungen eine vulgäre, oft schädlich mechanische Methode angenommen. Diese Übertreibungen hielt er für notwendige und nützliche Übergangsformen, obwohl die Versuche Opfer erfordert hatten, wie zum Beispiel wenn man nervöse Personen mit kaltem Wasser erregte, statt sie durch warme Bäder zu beruhigen, oder indem man schwache Patienten durch gewaltsame Spaziergänge in rauher Luft ermattete.

Er glaubte ausfindig gemacht zu haben, daß die altmodischen Heilmittel, populär ausgedrückt, noch als Anschauungsmaterial verwendet werden konnten, um Stimmungen zu wecken und zu verändern. Und so wie die verstopfenden Mittel ein Zusammenziehen des Magensackes bewirkten, riefen sie gleichzeitig eine Konzentrierung der zerstreuten Kräfte der Seele hervor, was der entnervte Trinker aus Erfahrung wußte, wenn er des Morgens das abgelaufene Uhrwerk mit einem Bittern aufzog.

Dies junge Mädchen fühlte sich körperlich krank, ohne es zu sein. Deswegen komponierte er nun eine Reihe von Heilmitteln, von denen das erste ein richtiges physisches Unwohlsein hervorrief, wodurch die Patientin mit Zwang von dem krankhaften Seelenzustand entfernt werden sollte, während dieser im Körper lokalisiert wurde. Mit diesem Zweck vor Augen entnahm er seiner Hausapotheke das widerlichste von allen Heilmitteln, Teufelsdreck, als dasjenige, das am besten ein Unwohlsein zu erregen vermochte; sie sollte hiervon eine so große Dosis bekommen, daß wirkliche Konvulsionen hervorgerufen würden, das heißt: ihre ganze Physik, von den Geruchs- und Geschmacksinnen geleitet, sollte sich empören gegen den für den Körper fremden Stoff und alle Funktionen der Seele in Bewegung setzen, um ihn zu entfernen. Dadurch wurden die eingebildeten Schmerzen vergessen, und es galt hinterher nur, allmählich Übergänge von der einen widerlichen Empfindung zu der andern in absteigender Skala hervorzurufen, bis endlich die Befreiung aus dem letzten Stadium durch eine aufsteigende Reihe kühlender, deckender, mildernder Mittel ein vollständiges Lustgefühl wieder erweckte, so wie nach überstandenen Beschwerlichkeiten und Gefahren, deren sich zu erinnern angenehm ist.

Nachdem er eine weiße Kaschmirjacke angezogen und ein cremefarbenes Tuch mit amethystfarbenen Rändern um den Hals geschlungen hatte, befestigte er zum erstenmal seit Ankunft der Damen sein goldenes Armband um das Handgelenk. Weswegen er dies alles tat, konnte er nicht sagen; es geschah unter dem Einfluß einer Stimmung, die er bei sich heraufbeschworen hatte, und stand in Verbindung mit dem Krankenlager, das er aufsuchen sollte. Und als er einen Blick in den Spiegel warf, ohne sein Gesicht zu beobachten, fühlte er, daß sein Äußeres geeignet war, einen milden, sympathischen Eindruck zu machen, etwas Ungewöhnliches mit sich bringend, das die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, ohne eine nervöse Person erregen zu können.

Dann sammelte er seine Gerätschaften wie ein Magiker, der Kunststücke machen soll, und begab sich auf den Weg.

Nachdem er in das Zimmer geführt worden war, sah er das Fräulein mit aufgelöstem Haar auf dem Sofa liegen, in einen persischen Schlafrock gehüllt. Die Augen waren unnatürlich groß und starrten den Eintretenden verächtlich an.

Der Inspektor fühlte sich einen Augenblick verlegen, aber auch nur einen Augenblick; dann ging er auf sie zu und ergriff ihre Hand.

»Wie befinden Sie sich, Fräulein Maria?« fragte er teilnehmend.

Sie starrte ihn an, als wolle sie in sein Inneres sehen, erwiderte aber nichts.

Er zog seine Uhr heraus und zählte die Pulsschläge:

»Sie haben Fieber.«

Dies war eine Unwahrheit, aber er mußte ihr Vertrauen gewinnen, das gehörte mit zur Kur.

Das Gesicht des Fräuleins veränderte auch sogleich den Ausdruck.

»Ob ich Fieber habe! Ach, ich verbrenne!«

Sie hatte jetzt Gelegenheit bekommen zu klagen, und die feindliche Stimmung gegen den Arzt hörte auf, so daß ein Kontakt zwischen der Patientin und ihm eintreten konnte.

»Wollen Sie versprechen, mir zu gehorchen, so werde ich Sie heilen«, fuhr der Inspektor fort, indem er seine Hand auf ihre Stirn legte.

Bei dem Wort »gehorchen« fühlte er, wie sich die Patientin zurückzog, als wolle sie durchaus nicht gehorchen, im selben Augenblick aber glitt das Armband unter der Manschette hervor, und dann hörte der Widerstand der eingebildeten Kranken auf.

»Machen Sie mit mir, was Sie wollen«, antwortete sie sanftmütig, während sie den Blick auf die goldene Schlange gerichtet hielt, die sie blendete und Furcht vor etwas Mystischem erregte.

»Ich bin, wie Sie wissen, nicht Arzt von Beruf, aber ich habe die Wissenschaft studiert und weiß so viel davon, wie bei dieser Gelegenheit erforderlich ist. Hier habe ich eine Medizin, die sehr unangenehm zu nehmen ist, aber sie pflegt unfehlbar zu sein. Ich bin kein Geheimniskrämer, ich will Ihnen deswegen sagen, woraus die Medizin besteht. Es ist Usafötida, das aus der Wurzel einer Pflanze bereitet wird, die in dem steinigen Arabien wächst.«

Bei dem Worte Arabien wurde die Patientin aufmerksam, es erregte möglicherweise den Gedanken an Wohlgerüche, die Lady Macbeth' stinkendes Verbrechen nicht übertäuben konnten...

Sie nahm deswegen den Löffel an und roch an dem Inhalt. Aber im selben Augenblick warf sie den Kopf zurück und rief:

»Ich kann nicht!«

Er legte den Arm kräftig, aber behutsam um ihren Nacken und führte ihr den Löffel noch einmal zu mit einem:

»Zeigen Sie jetzt, daß Sie ein artiges Kind sind!«

Darauf gab er ihr die Medizin ein, ohne daß sie Widerstand zu leisten vermochte.

Sie fiel in die Sofakissen zurück, und ihr Körper wand sich unter den Schmerzen des widerwärtigen Eindruckes, den das knoblauchriechende Harz hervorgebracht hatte; ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck von Grauen, als ob alles Häßliche und Widerliche in dieser Welt sich über ihr aufgehäuft habe. Mit flehender Stimme bat sie um Wasser, um sich von diesen Qualen zu befreien.

Wasser erhielt sie indessen nicht, sondern mußte sich niederlegen und sich auf Gnade und Ungnade den unangenehmen Folgen ergeben, die das Heilmittel hervorgerufen hatte.

Als er sie jetzt so von Ekel überwältigt sah, holte er Medizin Nummer zwei heraus.

»Jetzt, Fräulein Maria, ist die Wüstenwanderung in dem steinigen Arabien abgeschlossen, und nun wollen wir auf die Alpen hinauf und Bergluft trinken, gelb wie Sonnenschein, in der bitteren Wurzel des Enzian zusammengedrängt« – sagte der Inspektor mit einer ermunternden, männlichen Stimme.

Willenlos nahm sie den bittern Trank und zuckte zusammen, als habe man ein Messer in sie hineingejagt. Aber gleich darauf erhob sie sich mit sichtbaren Zeichen, daß ihre zerstreuten Kräfte zusammengezogen und die Energie zurückgekehrt war. Dies gewaltsame Mittel hatte den widerlichen Geschmack des ersten weggenommen, reizte aber die Bauchhäute durch seine Schärfe und erhöhte den Pulsschlag.

»Jetzt wollen wir das Feuer löschen, indem wir es zudecken«, fuhr der Inspektor fort. »Wir begeben uns jetzt an den Strand der Bretagne und holen Balsam aus der milden Caraghénalge. Fühlen Sie, wie weich sich der Schleim schützend über die angegriffenen Magenwände legt? Spüren Sie den Duft von dem Salz des Meeres?«

Eine stille Ruhe breitete sich über das erhitzte Gesicht der Patientin, und da der Arzt meinte, daß sie jetzt stark genug sei, um ihn anzuhören, begann er von den Küsten der Bretagne zu erzählen, von Segelfahrten auf dem Atlantischen Ozean, von dem Leben bei den Fischern in Quimper und von den Strandvögeljagden bei Sarzeau.

Sie folgte seiner Erzählung, schien jedoch noch ein wenig müde, weswegen er abbrach und ihr eine neue Dosis Medizin gab, eine Symphonie, wie er sie nannte, deren Grundtext die klassische Ruta war, bekannt als Weinwürze der Brautleute des Mittelalters, eine Mischung des himmlischen Angelika, der familienduftenden Krauseminze, mit einer leichten Andeutung von Benediktinerkraut, um die Frische zu erhalten, und ein klein wenig Wacholderöl, um von dem Walde reden zu können.

Er erteilte ihr gleichsam Massage mittels Stimmungen, entriß ihr die krankhaften Gedanken, indem er sie in der Phantasie von einem Ort zum anderen wandern, die ganze Alte und Neue Welt bereisen, Visionen von allen möglichen Landschaften und Völkerarten aufnehmen ließ. Als sie ihm müde schien, gab er ihr einen Löffel Zitronensaft mit Zucker, was kühlte und milderte, so daß sie, nachdem sie eine entsetzliche halbe Stunde durchgemacht hatte, die einfache Erfrischung als großen Genuß hinnahm, der sie zum Lächeln brachte.

»Kehren Sie sich jetzt nach der Wand herum,« befahl der Inspektor, »und tun Sie so, als schliefen Sie fünf Minuten, während ich hinausgehe und mit der Kammerrätin rede.«

Der Inspektor, der fühlte, daß seine Kräfte versagten, mußte in die frische Luft hinaus, um wieder zu sich zu kommen. Und er brauchte nur den Blick über den halbhellen nächtlichen Himmel, über das stahlblaue Meer schweifen zu lassen, dann die Augen zu schließen und zu versuchen, an nichts Bestimmtes zu denken, um zu merken, wie das in Unordnung geratene Gehirn sich gleichsam wieder zurechtlegte und seine vorwärtsschreitende Entwicklung fortsetzte.

Aber während er so halbschlafend stehen blieb, die Arme über der Brust gekreuzt, hörte er doch einen Gedanken vor dem Ohr sausen: Ein Kind von vierunddreißig Jahren!

Dann erwachte er und ging wieder ins Zimmer hinein.

Fräulein Maria saß auf dem Sofa, das aufgelöste Haar kokett über die Schultern geworfen und mit einem völlig gesunden und vergnügten Aussehen.

Der Inspektor entnahm seinem Korb jetzt eine Flasche Syrakuswein und ein Päckchen russischer Zigaretten.

»Jetzt sollen Sie so tun, als seien Sie gesund,« sagte er, »und als begegneten wir einander nach einer langen Reise. Darauf sollen Sie ein Glas süßen sizilianischen Weins trinken und eine Zigarette rauchen, denn das gehört mit zur Kur.«

Das Fräulein schien eine Anstrengung zu machen, um ihre Leiden zu verbergen, trank aber, während sie das Armband nicht aus den Augen ließ.

»Sie betrachten mein Armband?« unterbrach der Inspektor das Schweigen.

»Nein, das tat ich wirklich nicht«, leugnete das Fräulein.

»Ich erhielt es von einer Dame, die natürlich, da ich es nicht wieder abgeliefert habe, gestorben ist.«

»Haben Sie geliebt?« fragte das Fräulein mit einer stark zweifelnden Betonung.

»Ja, aber mit offenen Augen! Wenn man es sonst für lobenswert hält, seine Vernunft zu gebrauchen, warum sollte man sie da über Bord werfen, wenn man im Begriff ist, einen der wichtigsten Schritte im Leben zu tun?«

»Ach, man soll also berechnend in der Liebe sein?«

»Ganz unglaublich berechnend, wo es sich darum handelt, einen der wildesten Triebe loszulassen.«

»Triebe?«

»Triebe! Ja!«

»Sie glauben nicht an die Liebe?«

»Sie stellen Fragen, auf die es keine Antwort gibt! An Liebe glauben, so im allgemeinen, was meinen Sie damit? Es gibt eine Masse Arten von Liebe, die einander so entgegengesetzt sind wie Schwarz und Weiß. Man kann doch nicht an sie alle auf einmal glauben?«

»Aber die höchste Art?«

»Die intellektuelle! In drei Stockwerken so wie die englischen Häuser; ganz oben das Arbeitszimmer, darunter die Schlafstube, und die Küche im Keller.«

»Wie praktisch! Aber die große Liebe ist nicht berechnend; die habe ich mir als das Höchste vorgestellt, wie ein Sturm, ein Donnergetöse, einen Wasserfall.«

»Das heißt wie eine rohe, ungezähmte Naturkraft. So zeigt sie sich bei den Tieren und den niederen Menschenarten ...«

»Niederen? Sind denn nicht alle Menschen gleich?«

»Freilich! Alle Menschen sind gleich wie zwei Tropfen Wasser: Jünglinge und Greise, Männer und Frauen, Hottentotten und Franzosen! Freilich sind sie gleich! Sehen Sie nur uns beide an. Vollständig gleich, nur der Bart macht den Unterschied! Entschuldigen Sie, gnädiges Fräulein, jetzt sehe ich, daß Sie gesund sind, und nun verlasse ich Sie. Schlafen Sie wohl!«

Er hatte sich erhoben und seinen Hut genommen, im nächsten Augenblick aber stand das Fräulein bei ihm, seine beiden Hände von den ihren umschlossen, und mit demselben Blick, mit dem sie ihn das erstemal besiegt hatte, bat sie: »Bleiben Sie!«

Bei diesen brennenden Blicken, diesen Händedrücken empfand er etwas Ähnliches, was, wie er sich dachte, ein junges Mädchen empfinden würde, wenn sie unter dem Einfluß von eines Verführers leidenschaftlichen Angriffen stand. Er wurde verwirrt, und es regte sich bei ihm ein Gefühl gekränkter Scham, verletzter Männlichkeit. Er befreite seine Hände, zog sich zurück und sagte mit ruhiger Stimme, die infolge erkünstelter Kälte schneidend klang:

»Besinnen Sie sich!«

»Bleiben Sie, sonst suche ich Sie in Ihrem Zimmer auf!« lautete ihre erregte Entgegnung, die eine Drohung zu enthalten schien, die durchzuführen sie entschlossen war.

»Dann schließe ich meine Tür ab.«

»Sind Sie ein Mann?« klang dann mit einem harten Lachen die Herausforderung.

»Ja, und zwar in so hohem Maße, daß ich der Wählende und der Angreifer sein will; ich liebe es nicht, verführt zu werden.«

Darauf ging er und hörte hinter sich einen Lärm, wie wenn ein menschlicher Körper fällt und gegen Möbel stößt.

Als er hinausgekommen war, empfand er das Bedürfnis, umzukehren, denn infolge der geistigen Anstrengung befand er sich in einem Zustand von Schwäche, der ihn stark empfänglich für die Leiden anderer machte. Nachdem er aber einige Sekunden allein gewesen war und sich gesammelt hatte, so daß seine Kräfte zurückkehrten, fühlte er sich fest entschlossen, dies Verhältnis zu brechen, das einen Eingriff in sein ganzes geistiges Leben zu tun drohte. Er mußte beizeiten die Verbindung mit einer Frau abschneiden, die so deutlich zeigte, daß sie nur seinen Körper begehrte, während sie seine Seele, die er diesem leblosen Fleischbilde einzugießen suchte, zurückstieß. Sie schwelgte in dem Klang seiner Stimme, die Gedanken aber nahm sie nur entgegen, wenn sie ihr von unmittelbarem Nutzen waren. Er hatte sie oft dabei ertappt, daß sie die Linien seiner Figur betrachtete, und sie pflegte zuweilen gedankenlos seinen Oberarm zu umklammern, dessen schwellende Muskel unter dem weichen Tuch sichtbar war. Er erinnerte sich jetzt dieser vielen Herausforderungen beim Bade, auf Segelfahrten, beim Aufstieg in den Ausguckturm, den er nie besuchte, weil es seine Nerven in Unruhe versetzte, so ohne hinreichende Stütze auf einer Höhe zu stehen. Und nun heute abend, wo er diesen Ausbruch ungezähmter Mutterwut gesehen hatte, sah er mit Angst ein, daß diese Frau nicht zu der entwickelten Rasse gehörte, die ihre Liebe auf eine bestimmte Person individualisieren konnte, daß er für sie nur den unentbehrlichen Geschlechtsgegensatz im allgemeinen vertrat.

Er war an den Strand hinabgegangen, um sich abzukühlen, aber die Nacht war schwül. Das Meer hatte seinen Gang gehemmt, und im Nordwesten lag der Himmel schwach melonenfarben, im Osten aber ruhte die Nacht über dem Wasser. Die Strandklippen waren noch warm, und er setzte sich in einen der vielen Lehnstühle, die der Frost in den Fels gesprengt und die die Wellen glatt geschliffen hatten.

Das eben Erlebte zog an ihm vorüber, und jetzt, wo das Gemüt ruhiger geworden war, erblickte er das Ganze in einem andern Licht. Es war ja immer sein Traum gewesen, die Liebe einer Frau in dem Grade zu wecken, daß sie kriechend, bettelnd zu ihm kommen würde und sagen: ich liebe dich, würdige mich deiner Liebe! Es war ja die Ordnung der Natur, daß der Schwache sich dem Starken mit einem demütigen Sinn näherte, und nicht das Gegenteil, obwohl das letztere noch der Fall bei Menschen war, die in den Überresten abergläubischer Vorstellungen von einer mystischen Oberhoheit der Frau lebten, und zwar obwohl die Forschung dargelegt hatte, daß das Mystische nur Unklarheit war und die Oberhoheit nur eine Gedichtsammlung aus dem zusammengepreßten Begehren des Mannestriebes.

Jetzt war sie so gekommen, wie er es geträumt hatte: die von allen Vorurteilen befreite moderne Frau hatte die ganze glühende Natur ihres Innern offenbart, und er hatte sich zurückgezogen. Warum? War es vielleicht die Macht der Gewohnheit, die ihn noch beherrschte? Denn es war ja nichts Schamloses in ihrem Erguß, keine Spur von dem Anbieten der Dirne, keine unanständige Bewegung, keine freche Miene! Sie liebte ihn auf ihre Weise: was konnte er mehr verlangen? Mit einer solchen Liebe konnte er sich ihr ruhig anschließen, es waren sicher nicht viele, die sich rühmen konnten, ein solches Feuer entfacht zu haben. Aber er empfand keinen Stolz bei dem Gedanken, sie gewonnen zu haben, denn er kannte seinen eigenen Wert, er fühlte vielmehr eine drückende Verantwortung, von der er sich befreien wollte. Und deswegen mußte er fort von hier.

Borg saß nun da und bildete sich ein, daß er seine Sachen packe. Er sammelte die Kleinigkeiten vom Schreibtisch zusammen und sah die leere grüne Tischdecke, nahm die Lampe weg, die des Abends Licht verbreitet und am Tage mit Farben gestrahlt hatte. Es entstand ein leerer Raum. Er entkleidete die Wände ihrer Gemälde und Draperien, und die trübseligen, mathematischen Figuren traten wieder hervor. Er hob die Bücher von den Regalen herunter, und die entsetzliche Öde starrte ihm entgegen: Einförmigkeit, Nacktheit, Armut! Und dann kam die auf die Anstrengung folgende Müdigkeit, die Reiseangst mit ihrer lähmenden Wirkung, die Furcht vor dem Unbekannten, in das er nun hinausgeworfen werden sollte, das Entbehren des Gewohnten und ihrer Gesellschaft. Und er sah das junge Mädchen in ihrer kindlichen und doch majestätischen Schönheit, hörte ihre Klagen, sah ihre bleichenden Wangen, die ein anderer nach Verlauf einiger Zeit wieder erröten machen würde.

So hatte er alle Qualen der Trennung in einer ganzen Viertelstunde durchgemacht, die ihm stundenlang erschien, als er in der Halbdämmerung der Sommernacht eine weibliche Gestalt oben auf der Klippe sich von dem hellen Himmel abheben sah. Die prächtigen Umrisse, die er so gut kannte, nahmen noch edlere Verhältnisse an, gegen die bleichgelbe Luft gesehen, die ebensogut der Abschluß eines Sonnenunterganges wie der Anfang zu einem Sonnenaufgang sein konnte. Sie schien aus dem Zollhause zu kommen und nach jemand oder nach etwas zu suchen. Barhäuptig, das Haar noch lose auf die Schultern herabfallend, den Kopf in spähender Bewegung, schien sie plötzlich entdeckt zu haben, was sie suchte, und mit schnellen Schritten eilte sie an den Strand hinab, wo der Gesuchte unbeweglich saß, außerstande zu entfliehen, ohne Willen, sich zu erkennen zu geben. Und als sie zu ihm herankam, warf sie sich nieder, legte den Kopf in seinen Schoß und sprach wild, verschämt, flehend, als sei sie im Begriff, vor Scham zu vergehen, ohne ihrer Zunge Zwang antun zu können.

»Geh nicht von mir«, schluchzte sie. »Verachte mich, habe aber Barmherzigkeit! Liebe mich, liebe mich, wenn du nicht willst, daß ich dahin gehen soll, von wo ich nie mehr zurückkehren werde!«

Jetzt erwachte bei ihm der ganze mächtige Liebesdrang des Mannesalters. Als er aber die Frau zu seinen Füßen sah, erwachte auch zugleich des Mannes ererbtes Rittergefühl, das in der Gattin die Herrscherin sehen will, nicht die Sklavin, und er stand auf, hob sie empor, legte seinen Arm um ihre Taille und preßte sie an sich.

»An meiner Seite, Maria, nicht zu meinen Füßen«, sagte er. »Du liebst mich, denn du wußtest, daß ich dich liebe, und nun bist du mein für das ganze lange Leben! Du kommst nie lebend aus meinen Händen, hörst du! Und nun setze ich dich auf meinen Thron und gebe dir Macht über mich und mein Eigentum, meine Ehre und meine Arbeit; vergissest du aber, daß ich es bin, der dir die Macht verliehen, und mißbrauchst du sie oder überläßt du sie andern, so werde ich zum Tyrannen und stürze dich so tief, daß du nie wieder die Sonne wirst leuchten sehen. Aber das kannst du nicht, denn du liebst mich, nicht wahr, du liebst mich?«

Er hatte sie in den Bergstuhl niedergesetzt, war vor sie hingekniet und hatte den Kopf in ihren Schoß gelegt.

»Ich lege meinen Kopf in deinen Schoß,« fuhr er fort, »schneide mir aber nicht das Haar ab, während ich an deinem Busen schlafe; laß mich dich emporheben, ziehe mich nicht hinab; werde besser als ich es bin, denn das kannst du, weil ich dich vor der Berührung mit dem Schmutz und dem Elend der Welt schütze, gegen die ich kämpfen muß; adele dich mit den großen Eigenschaften, die mir abgehen, so werden wir zusammen ein vollendetes Ganzes.«

Seine Gefühle begannen die alte Farbe des Gedankens anzunehmen und drohten, den überspannten Zustand abzukühlen, in dem sie sich befand, weswegen sie ihn unterbrach, indem sie ihr glühendes Antlitz gegen das seine legte. Als er ihre Liebkosung nicht erwiderte, preßte sie einen brennenden Kuß auf seinen Mund.

»Du, Kind,« sagte sie, »wagst du nicht zu küssen, wenn niemand es sieht!«

Da sprang er auf, faßte sie um den Hals und küßte sie wieder und wieder auf die Kehle, bis sie sich losriß und sich aufrecht vor ihn hinstellte.

»Du bist ja ein richtiger kleiner Wilder!« schalt sie.

»Ja, der Wilde ist da, nimm dich in acht!« erwiderte er, und dann faßte er sie um die Taille und wanderte zusammen mit ihr durch den warmen Sand, der um ihre Füße flüsterte.

Die Luft war abgekühlt, und der Tau fiel. In der Ferne blitzten die Feuer, und von den seichten Stellen tönte das Bellen der Seehunde wie der Ruf Schiffbrüchiger.

Sie gingen wohl eine Stunde oder mehr und sprachen von der ersten Begegnung, von ihren geheimen Gedanken zu der oder der Zeit, von dem kommenden Winter, von Reisen ins Ausland; und währenddessen waren sie auf die Landzunge hinausgekommen, wo der Steinhaufen mit dem Kreuz stand zur Erinnerung an einen Schiffbruch und die Ertrunkenen.

Plötzlich sahen sie zwei Schatten dunkel erscheinen, davonschleichen und verschwinden.

»Das waren Vestman und die Schwägerin«, sagte Borg. »Pfui! Wenn ich ihr Mann wäre, ich würde sie ertränken!«

»Nicht ihn?« warf Maria schärfer hin, als sie beabsichtigte.

»Er ist nicht verheiratet,« erwiderte Borg kurz, »das ist der Unterschied.« Es entstand ein unbehagliches Schweigen, sie begannen nach Unterhaltungsstoffen zu suchen, und währenddessen flüsterten die Gedanken, die sich von der Verzauberung losgerissen hatten. Er sehnte sich schon zurück zu der Verzauberung, zu dem Rausch, der blendete, der Grau in Rosenrot verwandelte, der Piedestale errichtete, der gesprungenes Porzellan mit Goldrändern verzierte.

Da wandten sie an der Klippenwand um und traten den Rückweg an. Der Wind, der geschlafen hatte, begann jetzt ihnen entgegenzuwehen, und der zur Wirklichkeit erwachte Liebende fühlte in der Beklommenheit, wie kühl es lüftete. Das war der Nordwind, auf den er gewartet hatte, und den er jetzt als seinen Retter begrüßte. Denn da Marias Widerspruch in einer Lebensfrage gleichsam etwas in ihm zerbrochen hatte, so daß er merkte, ihr Wesen war an das seine nur angelötet, konnte nicht damit verschmolzen werden, falls er nicht zuerst allen Widerstand aufgab und sich ihr völlig ergab, so ergriff er jetzt die Gelegenheit, sich wieder aufzurichten, ohne sie niederzutreten.

»Warum haßt die Bevölkerung mich?« fragte er plötzlich.

»Weil du ihr überlegen bist«, entfuhr es ihr, ohne daß sie bemerkte, welch Bekenntnis sie ablegte.

»Das glaube ich nicht,« erwiderte er, »denn der Verstand der Leute reicht nicht so weit, daß sie meine Überlegenheit beurteilen können.«

»Ihr Haß kann sie blind machen.«

»Vorzüglich geantwortet! Sollte aber das Wunder ihre Augen öffnen können?«

»Vielleicht! Wenn das Wunder bange machte.«

»Nun, dann sollen sie das Wunderwerk haben! Morgen um zehn Uhr soll das Zeichen geschehen!«

»Welches?«

»Das, was ich dir versprochen habe!«

Maria sah ihm mit Verwunderung in das Gesicht, als glaube sie nicht, was er sagte. Dann wandte sie lachend ein:

»Aber wenn es nun trübes Wetter wird?«

»Das wird es nicht«, erwiderte der Inspektor bestimmt. »Da wir nun indessen so weit gekommen sind, daß wir von schönem Wetter sprechen, so können wir auch ein wenig daran denken, was deine Mutter hierzu sagen wird.«

»Da hinein mischt sie sich nicht«, lautete die augenblickliche Antwort.

»Sonderbar, daß eine Mutter sich nicht darum kümmern sollte, mit welchem Manne ihre Tochter im Begriff ist sich zu verheiraten, und wessen Namen sie tragen wird! Kann ihr das gleichgültig sein?«

»Jetzt gute Nacht!« unterbrach ihn Fräulein Maria und bot ihm den Mund zum Kusse. »Morgen früh kommst du und machst Visite! Nicht wahr?«

»Freilich,« antwortete er, »freilich!«

Dann ging sie.

Er aber blieb stehen und sah ihre ranke Gestalt sich von der jetzt schwefelgelben Luft abheben, während sie den Felshügel hinanstieg; und als sie oben angelangt war, wandte sie sich um und warf ihm eine Kußhand zu, und dann schien sie hinter dem Abhang zu versinken, bis er nur ihren Kopf mit dem aufgelösten Haar sah, das im Nordwind flatterte.


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