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9. Kapitel: Der spätere Buddhismus

Vor allem gilt es, den Begriff des späteren Buddhismus, um den es sich in der folgenden Skizze handeln soll, etwas einzuschränken. Wir haben im fünften Kapitel den älteren Buddhismus betrachtet, wie er sich in dem in der Pālisprache abgefaßten Kanon der Theravādins darstellt. Beim Abhidhammapiṭaka haben wir auf die Jahrhunderte späteren Kommentare zum Kanon und auf die darauf gestützte weitere selbständige Literatur hingewiesen, welche bis auf den heutigen Tag, besonders in Birma, nicht nur gepflegt, sondern auch erfolgreich fortgesetzt worden ist. Hier ist durch philosophische Spezialarbeit bei engster Fühlung mit den altheiligen Grundwerken mancher Fortschritt in der systematischen Abrundung des altbuddhistischen Weltbildes zu verzeichnen. Aber nicht dieser Gedankenkreis soll hier unter späterem Buddhismus verstanden werden, sondern jene Lehren, die, teilweise weit abweichend von dem, was wir bisher als Buddhalehre kennengelernt haben, in der klassischen Hochsprache Indiens, im Sanskrit aufgezeichnet oder nachträglich aus Mundarten in dasselbe übertragen worden sind. Wir dürfen diesen Buddhismus zusammenfassend »Sanskrit-Buddhismus« nennen, obwohl die im Sanskrit abgefaßten Werke zum größten Teil verlorengegangen sind und sich nur in Uebersetzungen frommer Chinesen und Tibeter erhalten haben. Dieser Umstand macht den Gegenstand dieses Kapitels besonders schwierig, weil dadurch die Quellenforschung überwiegend dem Kenner des Chinesischen oder Tibetischen vorbehalten ist, die Uebersetzungen aber noch sehr spärlich sind. Die Bedeutung dessen jedoch, was sich heute schon erkennen läßt, ist so groß, daß der Versuch einer wenn auch nur vorläufig gültigen Zusammenstellung hier nicht unterlassen werden durfte.

Schon bei Besprechung des Kathāvatthu konnten wir unter den zahlreichen vom orthodoxen Standpunkte des Theravāda als ketzerisch widerlegten Behauptungen auf neue Tendenzen in der Buddhologie hinweisen. Diese Neigungen müssen gewachsen sein, denn im Anfang unserer Zeitrechnung sehen wir im nordwestlichen Indien neue Religionsbildungen auftreten, die sich den zusammenfassenden Namen Mahāyāna (das große Fahrzeug, nämlich zur Ueberschreitung des Ozeans des Saṃsāra) [R223] beilegen und die ältere Form der Lehre mit dem abschätzigen Worte Hīnayāna (das geringe Fahrzeug) bezeichnen. Hatte die alte Lehre in ihrer einfachsten Form sich damit begnügt, dem historischen Buddha eine Reihe von Dubletten als Vorläufer in vergangenen Zeitaltern voranzustellen, so entwickelte man nun göttliche Buddhatypen rein geistiger Art, die schließlich, auf einen Urbuddha zurückführend, eine Art Monotheismus ergeben. Aus der Verehrung des historischen Meisters wird die liebende Hingebung an den göttlichen Buddha oder die göttlichen Buddhas, wahrscheinlich nicht ohne Mitwirkung der zeitlich und örtlich nahestehenden Bhakti, welche wir in der Bhagavadgītā kennengelernt haben. Was aber vor allem den »großen« vom »geringen« Heilspfade unterscheidet, ist das Ziel und der Umfang des Kreises, der dies Ziel ins Auge fassen konnte. In der alten Form war es wesentlich der buddhistische Mönch, der, in den Versenkungsstadien das Ideal der Indifferenz erstrebend, zum Arhat geworden das Nirvāṇa erreichen konnte. Das Ziel des Mahāyāna ist aber nicht mehr der Zustand der Heiligkeit ( arhattva), sondern die Anwartschaft auf die Buddhaschaft; man strebt danach, ein Bodhisattva zu werden, um so zur Erlösung der gesamten Menschheit und nicht nur zu seiner eigenen beizutragen, wozu freilich zahllose Wiedergeburten erforderlich sind. Dies Ziel ist jedoch nicht nur dem Mönch, sondern auch dem Laien erreichbar, und die Mittel dazu sind Liebe und Freigebigkeit. All diese Züge (teilweise schon im Suttapiṭaka vorbereitet) sind keimhaft in den häretischen Thesen des Kathāvatthu erkennbar, über die Entwicklung im einzelnen sind wir jedoch nicht unterrichtet. Wir dürfen uns aber trotz des großen Unterschiedes, der aus dem Angedeuteten hervorgeht, die Grenzlinie zwischen Hīnayāna und Mahāyāna nicht scharf denken, vielmehr liegen die Verhältnisse ganz ähnlich wie in den hinduistischen Religionen, die trotz scharfer theoretischer Gegensätze praktisch oft miteinander verfließen. Der enge Rahmen unserer Betrachtungen gestattet uns aber nicht, bei diesen religiösen Verhältnissen zu verweilen [R224], wir müssen uns den philosophischen Gedanken zuwenden, die im Schoße der buddhistischen Schulen des Hīnayāna und des Mahāyāna etwa im Laufe der ersten acht nachchristlichen Jahrhunderte auf indischem Boden gedacht worden sind.

In diesen Schulen zeigt sich nun trotz aller Unterschiede eine gewisse Familienähnlichkeit, die natürliche Wirkung der gemeinsamen Verwurzelung in den Grundlehren des Stifters, dessen Gedanken richtig zu interpretieren sie ja alle behaupten, im Hīnayāna mit stärkerem Festhalten am Alten, im Mahāyāna durch eine »tiefer« eindringende Interpretation und gestützt auf angeblich »später« durch den Buddha geoffenbarte Lehren. Diese Verwandtschaft scheint mir treffend im Sarva-darśana-saṃgraha, dem bekannten brahmanischen Handbuche aus dem 14. Jahrhundert über die philosophischen Systeme, zusammengefaßt [R225]: » Alles ist momentan ( kṣaṇika), alles ist Leiden ( duikha), alles ist individuell ( svalakṣaṇa), alles ist leer ( śūnya).« Diese vier Aspekte haben ihre Wurzel in der alten Lehre und charakterisieren, wenn man sie weit genug faßt, das Gemeinsame der späteren buddhistischen Philosophie. Wir versuchen es deshalb, sie im einzelnen deutlich zu machen.

Der Begriff der Momentanheit ist die verschärfte Aequivalenz für den alten Ausdruck »Nicht-Ewigkeit« ( anityatā), dem wir im fünften Kapitel begegnet sind. Alles, was existiert, ist momentan. Was aber ist dann Existenz? Existenz ( sattva) ist praktische Wirksamkeit ( arthakriyākārita), und diese ist entweder sukzessiv oder nicht-sukzessiv, ein Drittes ist nicht möglich, also kann Existenz nichts Beharrendes sein. Diese Auflösung der beharrenden Existenz in Wirkungsmomente und die Einsetzung dieser Momente als einziger Gegebenheiten -- auch die Zeit als Ganzes ist nicht -- zeigt deutlich die Feindschaft gegen alle Substratideen, welche sich im alten Buddhismus vor allem an dem Hauptbeispiel des Ātman manifestierte. Der zweite Gedanke, daß alles Leiden sei, ist uns von früher geläufig. Er war nicht nur den Buddhisten selbstverständlich, sondern er ist ja allen indischen Systemen eine Tatsache, wenn auch nicht gerade in dieser Form des Ausdrucks. Auch wir tun gut, hier weniger die pessimistische Seite zu betonen als vielmehr die Grundrichtung, die sich hier andeutet, nämlich die Tendenz zur Abwendung vom Empirischen, die metaphysische Gerichtetheit alles indischen Denkens. Alles ist individuell, lautet der dritte Satz, der ebenfalls altbuddhistische Gedanken wiederspiegelt. Das Wort svalakṣaṇa, das wir hier mit »individuell« wiedergeben, bedeutet genauer »durch sich selbst charakterisiert« und besitzt ein Synonym in dem Wort pṛthak, welches »einzeln«, »unabhängig« bedeutet. Der Isolierung des einzelnen Moments unter Leugnung seiner Zugehörigkeit zu einem Zeitganzen, im Gegensatz z. B. zu der Lehre der Vaiśeṣikas, entspricht die Isolierung jeder Gegebenheit gegenüber allen den Beziehungen, die das Einzelne mit einer übergeordneten zusammenfassenden Wesenheit verbinden; es wird also der Begriff der Inhärenz, wie wir ihn im Nyāya-Vaiśeṣika kennengelernt haben, durchgehends geleugnet: es gibt nur Einzelnes, nicht Teile, die einem selbständigen realen Ganzen inhärieren; es gibt nur Einzelfälle und das einzelne Ding ist nicht Träger eines für sich existierenden Allgemeinbegriffes; der Substanzbegriff, sofern er durch die Inhärenz von Qualitäten konstituiert ist, hat hier keinen Sinn mehr, wo die Qualitäten selbständig neben der Substanz stehen, so daß die Begriffe Substanz und Qualität aufgehoben sind. Endlich viertens: »alles ist leer«. Der Begriff der Leerheit ( śūnyatā) ist auch dem Pālikanon nicht fremd [R226], aber beherrschendes Schlagwort ist er erst im Sanskrit-Buddhismus geworden, besonders für die negativistische Schule, welche den Namen Śūnyavāda (Leerheitslehre) trägt. Im Sinne der Substanzlosigkeit beherrscht der Gedanke der Leerheit aber in mannigfachen, oft sehr subtilen Schattierungen die ganze spätere buddhistische Philosophie.

Diese Philosophie pflegt nun in vier große Richtungen eingeteilt zu werden, von denen zwei zum Hīnayāna und zwei zum Mahāyāna gehören. Ihre Hauptunterscheidungsmerkmale liegen nach dem Zeugnis der sie bekämpfenden brahmanischen Philosophenschulen auf erkenntnistheoretischem Gebiet. Danach halten die beiden ersten die Außenwelt für wirklich und erkennbar, und zwar die einen für direkt wahrnehmbar, die anderen nur für erschließbar, während in der zweiten Gruppe die einen die Innenwelt allein als gegeben ansehen und der Außenwelt die objektive Realität absprechen, die andern aber Innenwelt wie Außenwelt negieren. Sicherlich ist diese Differenzierung wesentlich, aber die vielfachen Schattierungen, welche sich innerhalb der einzelnen Schulen hinsichtlich des Außenweltsproblems gebildet haben, werden bei fortschreitender Erforschung der tibetischen und chinesischen Uebersetzungen das Bild viel komplizierter gestalten, als es die aus praktischen Gründen vereinfachende Darstellung der schon heute als nicht immer zuverlässig erkannten brahmanischen Darstellungen bietet. Der schon öfter gemachte Versuch, die genannten vier Richtungen durch Fachausdrücke der europäischen Philosophie zu verdeutlichen, sei hier vermieden, da dadurch allzuleicht störende Assoziationen verursacht werden und die Eigenart der Standpunkte nur sehr unvollkommen gekennzeichnet wird, vielmehr soll die folgende kurze Skizze direkt an die Gedanken selbst heranführen.

Die Anhänger der ersten hier zu besprechenden Richtung sind unter zwei Namen bekannt: Sarvāstivādins oder Vaibhāṣikas. Der erste Name geht auf den philosophischen Grundgedanken der Schule und bedeutet »Anhänger der Lehre, daß alles existiert«, der zweite deutet auf ihre literarische Grundlage und besagt »Anhänger der Vibhāṣā«.

Die Schule der Sarvāstivādins, welche in sehr alte Zeit zurückreichen muß, da ihre Lehre: »alles existiert« schon unter den Häresien des Kathāvatthu erwähnt wird, besaß nämlich eine eigene von der der Theravādins abweichende Sammlung von Abhidharmatexten im Sanskrit, deren Redaktion von der Tradition dem Konzil unter Kaniṣka (1. Jahrhundert n. Chr.) zugeschrieben wird. Zu diesen Texten wurde, wahrscheinlich im 2. Jahrhundert n. Chr., ein großer Kommentar verfaßt ( mahāvibhāṣā), dessen vorzugsweise Benutzung den Anhängern des Sarvāstivāda den Namen Vaibhāṣikas eintrug [R227]. Die Schwierigkeiten der großen Vibhāṣā veranlaßten dann den bedeutenden Denker Vasubandhu (4. oder 5. Jahrhundert) den Stoff von neuem in einem Werke namens Abhidharmakośa zu behandeln, der wiederum von Yaśomitra und Sanghabhadra kommentiert, verbessert und bearbeitet worden ist. Auf Grund dieser Werke, von denen freilich nur Yaśomitras Kommentar im Sanskritoriginal erhalten ist, während uns alles andere nur in tibetischen und chinesischen Versionen vorliegt, läßt sich folgendes Bild von der Lehre der Sarvāstivādins gewinnen [R228].

Der Grundsatz der Lehre: »alles existiert« ( sarvam asti) will besagen, daß alle Dharmas, d. h. alle nur durch sich selbst charakterisierten Gegebenheiten, real sind. Aus diesen Gegebenheiten durch angemessene Gruppierung ein zusammenstimmendes Bild der äußeren und inneren Welt herzustellen, ist das Problem, um das sich die Philosophie der Sarvāstivādins vor allem bemüht hat. Was diese Bemühung von der älteren buddhistischen Scholastik unterscheidet, ist die Tendenz zur Objektivität, die größere Fähigkeit zu logischer Ordnung und die Einführung einer den buddhistischen Grundsätzen angepaßten Atomtheorie. Aber die neuen Ordnungen und Ideen sind nicht nur tatsächlich mit dem Alten verknüpft, sondern sie verschmähen es auch nicht, mit dem Alten zusammenzustehen. So finden wir die Aspekte der älteren Zeit mit dem Neuen Seite an Seite. Da haben wir einmal den Aspekt der fünf Skandhas, in welche der älteste Buddhismus die physische und psychische Persönlichkeit zerlegt, um die Abwesenheit jeglichen konstanten Substrats im Menschen deutlich zu machen. Sie sind (um schon Gesagtes zu wiederholen): Rūpa (etwa »Materie«), Vedanā (Empfindung angenehmer, unangenehmer oder indifferenter Art), Saṃjñā (Wahrnehmung und Vorstellung), Saṃskāra (Gestaltungskräfte), Vijñāna (geistiges Bewußtsein). Es ist deutlich, daß die ursprüngliche Absicht dieser Skandha-Aufzählung nicht eine Klassifikation der gesamten Dharmas gewesen sein kann, sondern nur ein Versuch, die menschliche Person in ihre wesentlichsten Faktoren zu zerlegen, wobei die Begriffssphären noch nicht klar geschieden sind, indem z. B. der weite Begriff des Vijñāna einfach neben den engen der Empfindung gestellt ist. So darf man die Einordnung der 75 Dharmas unter die fünf Skandhas als einen freilich schon durch die ältere Scholastik nahegelegten Versuch des späteren Sarvāstivāda betrachten, alte geheiligte Aspekte auch auf fortgeschrittenerem Standpunkt zu wahren. Eine andere ebenfalls in die alte Zeit zurückgehende Betrachtungsweise gibt uns eine schärfere und begrenztere Beschreibung der Beziehung von Außen- und Innenwelt in den 12 Āyatanas oder Bereichen: den Bereichen des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens und Denkens entsprechen die sechs entsprechenden menschlichen Vermögen in dem Sinne, daß z. B. das Sehvermögen Farbe und Form als Objekt hat und die nicht-sinnlichen Objekte die speziellen Objekte des Geistes sind. Einen Schritt weiter geht die Einteilung in 18 Dhātus oder Elemente, welche den Strom ( saṃtāna) der Geschehnisse ausmachen, den der unphilosophische Mensch als Persönlichkeit ansieht. Hier treten zu den vorher genannten 12 Faktoren noch 6 weitere, nämlich die aus der Beziehung von Sinnesvermögen und Objekten resultierenden 6 Bewußtseinszustände [R229]. Die fortgeschrittenste Fassung endlich teilt alle Dharmas (75 im Sarvāstivāda, 100 in der teilweise abweichenden Einteilung des Yogācāra) in fünf nach der Logik der Tatsachen formulierte Kategorien ein: 1. Rūpa oder Materie, 2. Citta oder Geist, 3. Caitasikā dharmāi oder geistige Gegebenheiten, 4. Citta-viprayuktā dharmāi oder vom Geistigen verschiedene Gegebenheiten, d. h. solche, welche weder als materiell noch als geistig gelten können, 5. Asaṃskrtā dharmāi oder unbedingte Gegebenheiten.

Betrachten wir nun den Rūpa-Begriff etwas näher, so haben wir zunächst zwischen den vier Grundelementen ( mahābhūta) Erde, Wasser, Feuer, Luft und dem davon Abgeleiteten ( bhautika) zu unterscheiden. Dabei ist vor allem zu bemerken, daß der allgemein indische Begriff der groben oder großen Elemente ( mahābhūta) hier mehr im Sinne von Kräften als von Substanzen gebraucht wird. Diese Kräfte sind doch aber wiederum materiell, insofern sie atomisch sind. Die Atomtheorie der Sarvāstivādins (welche von einem Teil der Yogācārins als relative Wahrheit zugelassen, aber von Dignāga in seinem Werk Ālambana-parīkṣā abgelehnt wurde) unterscheidet sich von jener der Vaiśeṣikas dadurch, daß ihr die Atome nicht als ewig gelten, was der alten buddhistischen Substratfeindschaft gemäß ist. Man unterscheidet 14 Atomarten ( paramāṇu), nämlich die vier Grundatome fünf Atome der Sinnesvermögen und fünf Atome der Sinnesobjekte. Erst die Kombination dieser Atome bildet die sinnlich wahrnehmbare Welt, da die Atome der Mahābhūtas, ähnlich den Guṇas im Sāṃkhya, transzendent sind. Ein solches Atomaggregat ( saṃghāta-paramāṇu) besteht mindestens aus acht Atomarten, nämlich aus vier Grundatomen und vier Objektsatomen, und mindestens aus 16 Einzelatomen, da jedes Objektsatom aus vier Grundatomen abgeleitet ist, ohne welche es nicht sein könnte. Bei belebten Wesen handelt es sich mindestens um neun Arten, da das Tastatom noch hinzutritt, bei den Sinnesorganen um zehn, da das Atom des betreffenden Sinnesvermögens noch hinzutritt. Hierbei ist streng daran festzuhalten, daß jeder Dharma etwas Selbständiges ist (Aufhebung der Kategorien Substanz und Attribut, wie oben gesagt), daß also z. B. die rote Farbe ein besonderes Atom in Gegenstand und Organ ist. Somit sind alle Wahrnehmungsinhalte in Wahrheit nur subjektive Zusammenstellungen einiger einfacher Gegebenheiten.

Die zweite Kategorie Citta oder Geist umfaßt die in den letzten sechs Dhātus repräsentierten Bewußtseinszustände, zu denen in der Liste der Yogācārins noch zwei weitere Faktoren hinzutreten, nämlich die Tendenz zur Ātmantheorie ( kliṣṭa-mano-vijñāna) und die Grundlage alles Geistigen, das ālayavijñana, wovon nachher. Gerade dieser Yogācāra-Gedanke aber, alles Geistige als Ausfluß einer letzten Einheit zu betrachten, war nicht Sache des strengen Sarvāstivāda (obwohl sich auch solche Tendenzen später gelegentlich zeigen), vielmehr sieht er die geistigen Elemente ( caitasikadharma), welche ähnlich den großen Elementen der Materie in den verschiedensten Kombinationen die unendliche Mannigfaltigkeit der geistigen Erscheinungen bilden, als gesondert neben dem Citta stehende, selbständige Gegebenheiten an. Auf ihre Einteilung und Aufzählung im einzelnen einzugehen, müssen wir uns hier versagen, erwähnt sei nur, daß die Sarvāstivādins 10 allgemeine geistige Gegebenheiten wie Empfindung, Vorstellung usw. annehmen, ferner 10 ethisch wertvolle ( kuśala) wie Glaube, Selbstbeherrschung usw., eine Reihe ethisch schlechter wie Verblendung, Zorn usw. und eine Gruppe verschiedener überschüssiger.

Als vierte Kategorie werden 14 Gegebenheiten aufgezählt, die weder geistig noch materiell sind ( cittaviprayukta). Sie haben viel Widerspruch hervorgerufen, indem man sie teils nicht als real anzusehen bereit war, teils anderen Kategorien zuteilen wollte. Es handelt sich dabei im wesentlichen um regulative Prinzipien sehr verschiedener Art, welche sekundärer Dharmas zu ihrer Wirkung bedürfen. Da finden wir Kräfte, welche die ein persönliches Leben bildenden Dharma-Kombinationen im positiven und negativen Sinne regulieren ( prāpti, aprāpti), da sind die Kräfte des Entstehens, Bestehens und Vergehens, kurz der Vergänglichkeit (utpāda, sthiti, jarā), manchmal auch ( anityatā), welche alle bedingte Existenz kennzeichnen und nur den drei sogleich zu nennenden nicht-bedingten ( asaṃskṛta) Dharmas fehlen, ferner Kräfte, welche den Lauten, Worten, Sätzen ihre Bedeutung verleihen, und einiges andere.

Die Kategorie der nicht-bedingten Gegebenheiten (asaṃskṛta) endlich, welche also nicht verursacht, außer der Zeit, nicht aktiv und leidenschaftsfrei sind, umfaßt bei den Sarvāstivādins drei Dharmas, nämlich den ewigen und allgegenwärtigen Aether ( ākāśa) und zwei weitere, welche historisch als Spaltung des ursprünglich einzigen unbedingten Faktors, nämlich des Nirvāṇa, anzusehen sind: das Aufhören der Befleckungen und Leidenschaften auf bewußtem Wege ( pratisaṃkhyhā-nirodha), welches je nach der wegfallenden Bindung vielfach eingeteilt wird, und das unbewußte Schwinden der für das unerlöste Leben notwendigen Bedingungen ( apratisaṃkhyā-nirodha). Die Yogācārins fügen den genannten drei noch zwei weitere Dharmas, welche Yogastufen repräsentieren, hinzu und rechnen diese fünf zur relativen Wahrheit, während die höchste Wahrheit durch einen sechsten Dharma, die »Soheit« ( tathatā, wovon später), ausgedrückt ist.

Ueberblicken wir die Gesamtheit der hier angedeuteten Dharmas (75 im Sarvāstivāda, 100 im Yogācāra) und erinnern uns, daß sie alle reale, momentane und selbständige Gegebenheiten sind, zwischen denen das Verhältnis von Substanz und Qualität, von Teil und Ganzem usw. nicht bestehen kann, so sehen wir die große Bedeutung der Kausalität als der einzigen Beziehung, welche diese nach der strengen Theorie ganz gleichwertigen Bausteine in die notwendigen Verbindungen zusammenordnen kann. Die Bedeutung der Kausalität ist schon in den ältesten buddhistischen Kreisen erkannt worden und hatte dort gemäß dem ausschließlichen Heilscharakter der alten Predigt ihren Ausdruck in dem Kausalnexus ( pratītyasamutpāda) gefunden, der in den buddhistischen Schulen aller Zeiten als Fundamentalsatz lebendig geblieben ist. Die Ungeklärtheit des logisch-technischen Details, auf die wir schon im fünften Kapitel hingewiesen haben, hatte aber bereits die ältere Scholastik zur Weiterarbeit in ihrer Durchdenkung angeregt, wofür das Abhidhammapiṭaka der Theravādins Zeugnis ablegt. In noch höherem Maße ist das im späteren Sanskrit-Buddhismus geschehen, dessen verschiedene Schulen in der Hauptsache dieselben Hauptkategorien unterscheiden. Es werden nämlich vier Haupttypen ( pratyaya) unterschieden, welche sich bei genauerer Betrachtung auf zwei reduzieren, nämlich 1. die Hauptursache ( hetu-pratyaya), d. h. die direkte kausale Beziehung zwischen zwei Dharmas, und 2. die Ursachen zweiten Ranges ( adhipati-pratyaya), d. h. der indirekte Einfluß, den jeder Dharma auf jeden anderen ausüben kann. Unter diese zweite Kategorie fallen eigentlich die beiden folgenden, welche aber ihrer Wichtigkeit wegen besonders gezählt werden. Da ist 3. die unmittelbare Veranlassung ( samanantara-pratyaya) eines geistigen Dharma ( caitasika) durch einen anderen. Da alles Geistige in dem Ablauf des Karman-Gesetzes ursächlich (vgl. no. 1) begründet ist, muß ein einzelner Caitasika-dharma hinsichtlich des durch ihn veranlaßten folgenden kausal anders abgeschattet sein. Diese Abschattung erscheint noch etwas anders, wenn aus dem Sanskritterminus neben dem unmittelbaren Vorhergehen noch die Gleichartigkeit ( sam = sama, samāna) herausgelesen wird. In diesem Falle gilt nur ein gleichartiger Moment ohne Rücksicht auf dazwischenliegende andersartige als unmittelbar vorangehende Veranlassung [R230]. Endlich haben wir 4. die objektive Beziehung ( ālambana-pratyaya), d. h. die Fähigkeit aller Dharmas, als Objekte der Außensinne oder des Innensinns Vorstellungen hervorzurufen. Auch hier würde die Hauptursache (no. 1) im Karman liegen.

Besondere Abschattungen werden noch von den einzelnen Schulen in verschiedener Weise innerhalb der Hauptkausalität (no. 1) unterschieden. Wir heben einige aus der Liste der Sarvāstivādins heraus. Da wird z. B. von gleichzeitiger Kausalität ( sahabhū-hetu) gesprochen, wenn mehrere Dharmas an einer Wirkung zu gleicher Zeit beteiligt sind oder wenn mehrere Dharmas sich gegenseitig beeinflussen, wie z. B. die Grundatome im Atomaggregat ( saṃghāta-paramāṇu). Ferner wird der besonderen Kausalität der toten Materie gedacht, wo die Beziehung der Homogenität ( sabhāga-hetu) zwischen Ursache und Produkt herrscht.

Die feinen Untersuchungen auf dem Gebiet der Kausalität, die wir soeben in aller Kürze angedeutet haben, würden mit der Theorie von der Momentanheit alles Existierenden in Schwierigkeiten geraten, wenn sie nicht ergänzt würden durch die Lehre, daß alle Dharmas in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existieren, eine Idee, die schon im Kathāvatthu von den Theravādins bekämpft wird. Aber werden denn nicht -- so könnte man einwenden -- durch solche Existenz in allen drei Zeiten alle Dharmas zu Konstanten und wo bleibt dann der buddhistische Grundsatz des ewigen Wechsels? Um diesem Einwand zu begegnen, unterscheiden die Sarvāstivādins bei allen Dharmas zwei Ebenen: einmal das potenzielle Wesen eines Dharma ( dharma-svabhāva) und dann seine momentane Manifestation ( dharma-lakṣaṇa). Verstehen wir also »existieren« als »potenziell existieren« und fassen wir alle Dharmas als Kraftquellen in gewissem Sinne, so kann man sagen, daß alles immer existiert, trotzdem es nur momentane Manifestationen gibt. Selbst im Zustand der absoluten Ruhe, im Nirvāṇa, sollen die Dharmas noch irgendwie existieren, obwohl ihre Erscheinungskraft für immer unterdrückt ist. Man sieht, wieviel Probleme bei weiterem Durchdenken dieser komplizierten Auffassung sich ergeben können, und begreift, daß das Verhältnis zwischen Wesen und Erscheinungsform der Dharmas einen viel erörterten und umstrittenen Diskussionsgegenstand in den Schulen bildete.

An die dargestellte Auffassung der Dharmas schließt sich die Erkenntnistheorie der Sarvāstivādins in natürlicher Weise an. Aus der absoluten Unabhängigkeit der einzelnen Gegebenheiten und aus ihrem momentanen Aufblitzen folgt, daß eine gegenseitige Berührung oder Beeinflussung zwischen ihnen nicht möglich ist. Aber nach den Kausalitätsgesetzen erscheinen gewisse Dharmas immer in Gesellschaft gewisser anderer. So bewirkt das Nebeneinanderauftreten eines Farbenmoments ( rūpa), eines Moments des Gesichtssinnstoffes ( cakṣus) und eines Moments des reinen Bewußtseins ( citta) die Farbenempfindung. Die Beziehung »Koordination« ( sārūpya, wörtlich Aehnlichkeit) sorgt dabei dafür, daß die notwendige Reihenfolge eingehalten wird und nicht etwa Erkenntnis von Gesichtssinn statt von Farbe eintritt. Die Frage nach der Realität der Außenwelt kann in unserer Schule nicht gestellt werden, da bei der Unabhängigkeit aller Dharmas der Unterschied von außen und innen nicht vorhanden ist. Trotzdem wird unter Berufung auf die bildliche Ausdrucksweise, deren sich der Buddha selbst bedient hat, von Seele, von inneren und äußeren Gegebenheiten gesprochen. In diesem Sinne wird Rūpa als äußerlich bezeichnet, wenn es sich um Teile eines andern Persönlichkeitsstromes ( saṃtāna) sowie seiner Kräfte und Objekte handelt, als innerlich aber hinsichtlich des eigenen Stromes, seiner Kräfte und Objekte; oder man unterscheidet die Sinne als »zum Selbst gehörige Grundlagen« ( adhyātmāyatana) und die Objekte als äußere ( bāhyātmāyatana). Die Grundtheorie konnte eben den sonst üblichen Gebrauch nicht umstürzen, man blieb sich aber der Bildlichkeit dieser Ausdrucksweise nach Kräften bewußt.

Endlich ist auch die Erlösungslehre ganz auf der Dharma-Theorie aufgebaut. Alle Gegebenheiten des gewöhnlichen Lebens sind von Leidenschaften überschwemmt ( sāsrava) und in beständigem leidvollem Wechsel. Jeden Dharma klar heraus zuerkennen, als letzterreichbare Gegebenheit zu erfassen, ihn von den Leidenschaften zu reinigen und so zur Ruhe zu bringen -- das führt zum Ziel, zum Nirvāṇa. Dem vorher erörterten Standpunkt unserer Schule gemäß darf hier nicht an Vernichtung, sondern nur an Sterilisierung der Gegebenheiten gedacht werden, denn nur die Manifestationsfähigkeit der Dharmas hört im Nirvāṇa auf, nicht ihr Wesen, das aber nun, jeder Aeußerung unfähig, einen Zustand vollkommener unbewußter Ruhe verbürgt.

Dicht neben die Lehren der Vaibhāṣikas, wie wir sie soeben skizziert haben, sind die Anschauungen der anderen philosophischen Richtung des Hīnayāna zu stellen, der Sautrāntikas. Wie die Vaibhāṣikas ihren Namen von der Vibhāṣā, dem Kommentar zum Abhidharma, tragen, so bedeutet der Name Sautrāntikas: Anhänger der Sūtrāntas ( sūtrānta ist Synonym zu sūtra), d. h. also, daß diese Schule sich nicht auf die dritte, sondern auf die zweite Abteilung des buddhistischen Kanons (natürlich in einer Sanskritredaktion) stützt. Soweit sich aber bis jetzt bei dem Mangel größerer buddhistischer Quellenwerke aus der brahmanischen Literatur erkennen läßt, scheint der Sarva-Siddhānta-Saṃgraha [R231] recht zu haben, wenn er sagt, daß nur ein kleiner Unterschied ( alpabheda) die Sautrāntikas und Vaibhāṣikas trenne [R232]. Daher erklärt sich auch, daß Vasubandhu in seinem oben besprochenen Werke auch einige Sautrāntika-Ideen berücksichtigt hat [R233], welche sein Nachfolger Sanghabhadra wieder auszuscheiden bemüht ist [R234].

Von einzelnen Diskrepanzen, wie die Einordnung der Sprachkräfte unter die Rūpa-Gruppe statt unter die Kategorie der Citta-viprayukta-Dharmas, welche zum Saṃskāra-skandha zählen, der Leugnung einiger von den Vaibhāṣikas als real angenommener Kräfte, der Auffassung, daß nur Farben, nicht Formen wirklich seien, daß die Atome keine Berührung haben könnten u. a. m. abgesehen, scheinen die hauptsächlichsten Unterschiede gegenüber der Vaibhāṣikadoktrin in folgendem zu liegen. Hinsichtlich der Natur der Dharmas, an deren Realität die Sautrāntikas ebenfalls fest glauben -- Śaṃkara [R235] faßt sie deshalb mit den Vaibhāṣikas unter dem Namen Sarvāstivādins zusammen -- legen sie kein Gewicht auf die Spekulationen der Vaibhāṣikas über die Essenz der Dharmas im Gegensatz zu ihrer Manifestation. Infolgedessen billigen sie nur der Gegenwart volle Realität zu, nicht aber auch der Vergangenheit und Zukunft, wie wir es bei den Vaibhāṣikas kennengelernt haben. »Vergangene und zukünftige Gegenstände« -- sagt der brahmanische Philosoph Śrīdhara (10. Jahrhundert) bei einem Referat über buddhistische Anschauungen, welche vom Vaiśeṣika-Standpunkt bekämpft werden -- »können nicht Ursache für die Erkenntnis sein, da sie nicht existieren« ( asattvāt) [R236]. Dagegen sind die gegenwärtigen Objekte Ursachen der Erkenntnis, und dieses Ursachesein besteht darin, daß sie dem reinen formlosen Bewußtsein die ihnen eigentümliche Erscheinungsform mitteilen. Nur dadurch ist es möglich, zu wissen, daß dies blau und jenes gelb ist. Aus dieser Wirkung des Objekts auf das Bewußtsein wird seine Existenz erschlossen. Diese Erschließbarkeit der Objekte aus der Tatsache, daß sie dem Bewußtsein ihre Form aufprägen, soll nach übereinstimmendem Zeugnis aller brahmanischen Quellen den Sautrāntika-Standpunkt von dem der Vaibhāṣikas, welche direkte Wahrnehmung annehmen, unterscheiden. Doch scheint sich aus den tibetischen Quellen zu ergeben, daß diese Feststellung in ihrer Schärfe nicht zutrifft, sondern nur von den Gegnern als bequeme Formel dauernd festgehalten worden ist, während die lebendige mehrhundertjährige Entwicklung der buddhistischen Philosophie hier wie auch sonst mannigfache Schattierungen entwickelt hat, über welche freilich unsere kurze Skizze (selbst wenn sie schon deutlich wären) hinweggehen muß [R237]. Gegen den Einfluß der Objektform auf das Bewußtsein ließe sich nun freilich geltend machen, daß wegen der Momentanheit aller Dharmas die Ursache ja schon der Vergangenheit angehören müßte, ehe die Wirkung eintreten könnte. Hier kommt den Sautrāntikas die Bedeutung, die sie dem Strom der Momente beilegen, zu Hilfe. Jeder Strom ( saṃtāna) zusammengehöriger Momente, mögen sie nun ein äußeres Objekt oder die Seele bilden, ist in gewissem Sinne ein Ganzes, in welchem der Einfluß vergangener nicht wie oben geleugnet werden kann, sondern als allmählicher Wechsel aufzufassen ist. In dieser Erklärung wird freilich ein Stück der gesonderten Unabhängigkeit ( pṛtkaktva) der Dharmas preisgegeben, ähnlich wie bei den Sarvāstivādins z. B. in der Beziehung der Bhūtas und Bhautikas das verpönte Substanz-Qualität-Verhältnis nahegelegt wird.

Indem wir uns nun zu den beiden oben erwähnten philosophischen Richtungen des Mahāyāna wenden, um ohne Rücksicht auf die noch unklare historische Abfolge die Ideen in systematischer Ordnung weiter zu betrachten, würden wir nun die Lehren von der alleinigen Realität der Vorstellungen und weiter von der Irrealität alles Seins zu betrachten haben. Hier stellt sich nun als Uebergang zwischen der schon behandelten und der noch zu behandelnden Gruppe eine Erkenntnistheorie ein, die mit dem Namen des großen buddhistischen Philosophen Dharmakīrti (7. Jahrhundert) verknüpft ist. Das einzige seiner zahlreichen, in tibetischer Uebersetzung vorhandenen Werke, welches noch im Sanskritoriginal vorliegt, ist »der kurze Leitfaden der Logik« (Nyāyabindu), der wegen seiner gedrängten Ausdrucksweise nicht ohne den gleichfalls im Sanskrit erhaltenen Kommentar des Dharmottara (9. Jahrhundert) betrachtet werden kann [R238]. Dharmakīrtis Lehre will aber nichts anderes sein als eine Klarstellung dessen, was der buddhistische Philosoph Dignāga (wahrscheinlich 5. Jahrhundert) zwei Jahrhunderte vorher gelehrt hatte. Dignāgas Bedeutung für die Entwicklung des Nyāya ist groß: er hat in seinem Werke Pramāṇa-samuccaya (nur in tibetischer Uebersetzung erhalten) gegenüber Vātsyāyana, der noch in dem Schema der 16 dialektischen Kategorien befangen war, die Lehre von der Wahrnehmung und dem Schluß als das Wesentliche erkannt. Dignāgas Angriffe gegen Vātsyāyana suchte ein unter dem Beinamen Uddyotakara (d. h. Erklärer) bekannter brahmanischer Logiker in einem neuen Werke (Nyāyavārtika) zu entkräften, nicht ohne von dem Gegner vielfach beeinflußt zu werden. Gegen Uddyotakaras Angriffe hat dann Dharmakīrti seinen Vorgänger Dignāga in mannigfachen Abhandlungen verteidigt.

Dharmakīrti wird nun meistens auf Grund seiner eigenen Aussage zur Richtung der Yogācāras (d. h. der Anhänger des Wandels im Yoga) oder Vijñānavādins (Anhänger der Lehre von der alleinigen Realität des Bewußtseins) gerechnet, mit deren Hauptfigur Asanga (Bruder des oben erwähnten Vasubandhu) den Dignāga verwandtschaftliche Beziehungen verbanden. Tatsächlich aber stimmen die Lehren Asangas und Dharmakīrtis nicht vollkommen überein. Tibetische Quellen unterscheiden daher bei den Yogācāras die Anhänger der Ueberlieferung, d. h. die Richtung Asangas, von den Anhängern der Logik, d. h. von der Richtung Dignāgas und Dharmakīrtis. Im entscheidenden Punkte gehen die Deutungen von Dharmakīrtis Kommentatoren entsprechend ihrer eigenen Tendenz auseinander: der zu den Sautrāntikas gehörende Dharmottara wie der zum strengen Yogacāra sich bekennende Vinītadeva suchen jeder des Meisters Worte in ihrem Sinne zu verwerten. Ein späterer Glossator erklärt geradezu, daß Dharmakīrti sich von den Yogācāras getrennt und den Sautrāntikas zugewendet habe [R239]. Diese Zeugnisse, welche durch die aus Dharmakīrtis Werk hervorgehenden Ansichten verständlich werden, lassen es als sachgemäß erscheinen, Dharmakīrtis Lehre systematisch zwischen die Sautrāntikas und die strengen Yogacāras zu stellen.

Zwei Mittel richtiger Erkenntnis stellt Dharmakīrti auf: Wahrnehmung und Schluß. Wahrnehmung ( pratyakṣa) enthält zwei tief verschiedene Elemente, nämlich einerseits ein rein sinnliches und andererseits das, was das Denken daraus macht. Unter dem ersten Aspekt ist Wahrnehmung rein, d. h. sie schließt keinerlei Denkbetätigung ein, oder anders ausgedrückt, sie ist nur passiv, empfangend; insofern vermittelt sie keinerlei Erkenntnis, sondern kündigt nur das Vorhandensein eines Gegebenen an. Dieses Gegebene ist das wahrhaft Seiende ( paramārtha-sat), die nackte Seinstatsache, welche keine Eigenschaften hat und dem Denken transzendent ist. In dem Urteil »dies ist ein Topf« konstatieren die Worte »dies ist« das reale Objekt, welches reines unterschiedsloses Sein ist. Die Vorstellung »Topf« aber ist durch Denken ( kalpanā) gebildet und ist nicht Wahrheit, nicht Realität im höchsten Sinne, sondern subjektiv, eingebildet, konstruiert. Nun ist zwar auch »Topf« Wahrnehmung ( pratyakṣa), aber während solche gegenständliche Wahrnehmung vom realistischen Standpunkt schlechthin Wirkliches bietet und von dem halbrealistischen der Sautrāntikas wenigstens das Produkt eines nicht direkt erkennbaren Wirklichen darstellt, ist die Vorstellung »Topf« bei Dharmakīrti nicht im Kausalzusammenhang mit dem wahrhaft Seienden, welches nur bildlich als Grundlage ( ādhāra) der Wahrnehmung bezeichnet werden kann [R240]. Mit Hilfe des Begriffes der Uebertragung kann sich unser Philosoph aber dem realistischen Sprachgebrauch anpassen: weil die gegenständliche Vorstellung übertragen irgendwie mit dem wahrhaft Seienden in Beziehung steht, deshalb kann sie auch übertragen als real gelten. In diesem bildlichen Sinne sind die Vorstellungen »Topf«, »blau« usw. real, im Gegensatz zu den vollkommen eingebildeten, weil außer Zusammenhang mit der Sinnlichkeit stehenden Ideen wie »Gott«, »ewig« usw. So ist also Wahrnehmung zweifach: 1. das Aufnehmen eines Gegebenen durch die Sinne; darin liegt Wahrheit, aber noch keine Erkenntnis; 2. Schaffung des deutlichen Bildes durch Denken; darin liegt Erkenntnis, aber keine objektiv-reale Wahrheit. -- Im Lichte der buddhistischen Auffassung der Zeit als eines Ablaufs ( adhvan) von Momenten ist das Reale, welches von der Sinnlichkeit erfaßt wird, der Moment ( kṣaṇa); das Unwirkliche, wodurch die aktive Seite der Erkenntnis, das Denken, Vorstellungen erzeugt, ist der Bewußtseinsstrom ( saṃtāna). In ihm liegt Kontinuität, in ihm ist Kausalität, in ihm ist Vielheit. Das wahrhaft Seiende aber, welches immer einzeln ist, kann nicht mit der Vorstellung im Verhältnis von Ursache und Wirkung stehen, denn dieses Verhältnis erfordert Gleichartigkeit, und diese besteht nicht zwischen Sein und Denken. Ebensowenig kann das Seiende vielfach sein, weil die Zahl ja subjektiven Ursprungs ist. Das Seiende also gibt den Sinnen nichts als ein unbestimmtes Erlebnis, aber im Zusammenhang damit tritt das Denken ein, das nun mit Hilfe der Kategorien Aehnlichkeit und Verschiedenheit die Vorstellung schafft. Besonderer Vorliebe erfreut sich dabei unter den idealistischen Buddhisten die »Verschiedenheit«, der Ausschluß alles »Nicht-Aehnlichen«, und in dieser negativistischen Tendenz, die das Sein der Dinge ableugnet und nur Beziehungen anerkennt, liegt einer der charakteristischen Gegensätze zu dem Realismus des Nyāya-Vaiśeṣika, wo mit dem Allgemeinbegriff als für sich bestehender Realität gearbeitet wird.

Nach diesen Andeutungen sind wir imstande, Dharmakīrtis systematische Mittelstellung hinsichtlich des Außenweltproblems in groben Zügen zu charakterisieren: Bei den Sautrāntikas äußere Realitäten, welche, an sich unerkennbar, ihre verschiedenen Formen dem Bewußtseinsstrome eindrücken und so wahre Vorstellungen verursachen. Bei Dharmakīrti bildet die äußere Realität, welche sowohl an sich als auch in ihrer Beziehung zu den Vorstellungen unbeschreibbar ist, den absolut wahren Bestandteil des im übrigen durch das Denken konstruierten Vorstellungsstromes. Bei den strengen Yogācāras aber fällt jede äußere Realität fort, das anfanglose Nichtwissen ( avidyā) schafft die Elemente des Bewußtseinsstromes, aus denen das Denken seine Illusionsbilder kombiniert.

Im Anschluß an die Lehre von der Wahrnehmung mit ihren erkenntnistheoretischen Ergebnissen soll nun auch noch die zweite von Dharmakīrti angenommene Erkenntnisquelle, der Schluß ( anumāna), in aller Kürze betrachtet werden. Dignāga hatte schon die Verschiedenheit der beiden von dem alten brahmanischen Nyāya gebrauchten Arten erkannt; er grenzte den »Schluß für andere« ( parārtha) als Beweisverfahren von dem »Schluß für sich selbst« ( svārtha) als Denkmethode ab. Der letztere aber ist für die erkenntnistheoretische Betrachtungsweise unserer Schule von hauptsächlichem Interesse. Schluß ist eine zusammengesetzte Vorstellung. Vermöge der bei dieser Zusammensetzung notwendigen Aktivität bildet er das Korrelat zu der Passivität der sinnlichen Wahrnehmung. Daraus ergibt sich schon, daß man Schluß als synonym mit Denken bezeichnen kann, indem nur das einfachste Prädikat keine logische Folge, sondern nur die Anwendung eines Begriffs auf einen gegebenen Fall enthält (»dies ist ein Baum«; »hier ist kein Topf«). Oben sahen wir, daß die relative Wahrheit der Erkenntnis daher stammt, daß sie auf dem allein absolut Wahren oder wahrhaft Seienden des sinnlich Gegebenen beruht. Das sinnlich Gegebene aber bildet das Subjekt ( anumeya) jedes Schlusses. In dem Wahrnehmungsurteil, das von den Indern als Schluß angesehen wird: »da ist der Baum Śiṃśapā« ist durch die Worte »da ist« das sinnlich gegebene, eigenschaftslose, reale Substrat oder Subjekt ( anumeya) des Schlusses repräsentiert, während die Wörter »Baum« und »Śiṃśapā« die Folge ( sādhya) bzw. den logischen Grund ( hetu) oder das logische Merkmal ( linga) darstellen. Die gedankliche Vereinigung des realen Substrats mit der nicht realen Schöpfung des Denkens erfolgt nach dem Gesetz, daß wir alles nur in der Form von Substanz und Eigenschaft erkennen können. In unserem als Schluß anzusehenden Wahrnehmungsurteil hat demnach das Substrat oder der Realitätsmoment die Rolle der Substanz, die Begriffe sind die Eigenschaften. Da nun schon die einfache Wahrnehmung Denksynthese enthält, wie wir oben gesehen haben, ist in dem Schluß eine doppelte Synthese zu konstatieren, nämlich erstens zwischen Subjekt und Prädikat und zweitens innerhalb des Prädikats. Letztere Synthese kann nun zweifacher Art sein, nämlich entweder analytisch, sofern das Prädikat im Subjekt enthalten ist, d. h. sofern zwei Vorstellungen vereinigt sind, die sich auf einen Realitätsmoment beziehen, oder synthetisch, wenn es sich um Verbindung zweier Vorstellungen handelt, die zu verschiedenen Realitätsmomenten gehören. Voraussetzung für alles Schließen ist nämlich die untrennbare Verbindung (Umfassung, Konkomitanz) zwischen Grund und Folge, die von drei Bedingungen abhängt: 1. der Grund oder das logische Merkmal muß in der Vorstellung, welche das Schlußsubjekt mit seinem Prädikat vereinigt, enthalten sein; 2. er muß sich nicht nur im Subjekt des Schlusses, sondern auch in anderen gleichartigen Gegenständen finden und muß 3. in allen ungleichartigen fehlen. Die so bedingte Verbindung von Grund und Folge kann nun im positiven Sinne von doppelter Art sein, und zwar, wie eben gezeigt, analytisch (oder um dem indischen Ausdruck näherzukommen: »identisch«) bzw. synthetisch. Beispiel der ersten Art: »Dies ist ein Baum, weil es eine Śiṃśapā ist.« Die Umfassung wäre: »Jede Śiṃśapā ist ein Baum«, d. h. der Begriff Śiṃśapā ist ein Teilbegriff des größeren Begriffes Baum. Beispiel der zweiten Art: »Dort ist Feuer, weil Rauch ist.« Umfassung: »Wo Rauch ist, ist auch Feuer«, d. h. der Grund (Rauch) ist das Produkt der Folge (Feuer), welche Ursache ist. Die Verbindung zwischen Grund und Folge tritt also entweder so auf, daß der Grund als Spezialbegriff unter die Folge als Allgemeinbegriff fällt, oder so, daß der Grund als Wirkung mit der Folge als Ursache kausal verknüpft ist. Beide Erkenntnisarten stammen aus dem Denken, nicht aus der reinen Sinnlichkeit, denn letztere vermittelt ja nur die reine Seinstatsache, während sowohl die Größenverhältnisse der Begriffe als auch die kausale Beziehung Schöpfungen des Denkens sind. Von dieser Basis aus verteidigen die Buddhisten den notwendigen Charakter der Schlußerkenntnis, d. h. ihre Behauptung, daß das Schließen ( anumāna) das zweite Mittel richtiger Erkenntnis ( pramāṇa) neben der Wahrnehmung ( pratyakṣa) sei, gegenüber den Materialisten, die nur die Wahrnehmung als Erkenntnismittel gelten lassen. Man lese die interessante Diskussion darüber, die wir hier nicht näher betrachten können, in Deussens Uebersetzung des Sarva-darśana-saṃgraha [R241]. Einen Blick müssen wir noch auf die negativen Schlüsse werfen. Neben die beiden positiven Arten der Umfassung des Grundes durch die Folge stellt Dharmakīrti nämlich noch eine negative z. B.: »Hier ist kein Topf, weil wir ihn wahrnehmen würden, wenn er da wäre.« In diesem Schluß ist »hier« das reale Substrat; Grund oder logisches Merkmal ist die mögliche, aber nicht stattfindende Wahrnehmung; Folge ist die Vorstellung des Fehlens des Topfes. Zwischen diesem Merkmal und dieser Folge besteht untrennbare Verbindung. Ohne auf Einzelheiten in diesem Zusammenhang eingehen zu können, bemerken wir nur, daß die Buddhisten auch in den negativen Wahrnehmungsurteilen und Schlüssen wie in den positiven zunächst ein reales Sein sehen, welches in dem Worte »hier« ausgedrückt ist. Mit diesem realen Substrat wird das vorgestellte Fehlen des Gegenstandes durch Denken vereinigt. Reales Nichtsein kann es nicht geben, denn das müßte seiner Natur nach sinnlich nicht wahrnehmbar sein, aber »real« heißt ja »sinnlich gegeben sein«. Was über die Grenzen möglicher Erfahrung hinausliegt, ist weder Objekt der Wahrnehmung noch des Denkens, sondern des absoluten Nichtwissens.

Indem wir damit die kurze Wiedergabe der Lehren Dharmakītis beschließen, müssen wir aus Raummangel auf die fruchtbare Gegenüberstellung der Erkenntnistheorie und Logik bei den realistischen Nyāya-Vaiśeṣikas und den idealistischen Buddhisten verzichten und es dem Leser überlassen, die wesentlichen Züge aus den hier gebotenen Skizzen der beiden Systeme selbst zu vergleichen.

Vorher war Dharmakīrtis Mittelstellung zwischen Sautrāntikas und Yogācāras konstatiert. Auf den strengen Idealismus der letzteren haben wir jetzt einzugehen. Aehnlich wie die erste von uns besprochene Richtung des Hīnayāna hat auch die vorliegende zwei Namen; sie heißt Vijñānāda, d. i. die Lehre von der alleinigen Realität der Geistigkeit, oder Yogācāra, d. i. Wandel im Yoga. Wie bei der ersten der von ihrer erkenntnistheoretischen Stellung genommene Name »Sarvāstivāda« der ältere war (das Pāliäquivalent »Sabbatthivāda« findet sich schon im Kathāvatthu), während »Vaibhāṣika« erst auf späterer literarischer Bezeichnung beruht, so ist der Name »Vijñānavāda« auch hier die ältere Benennung, während »Yogācāra« wahrscheinlich erst aus dem Titel eines Werkes des großen Asanga abstrahiert worden ist. Gleichzeitig liegt in den alternativen Namen auch eine Hindeutung auf zwei verschiedene Aspekte der Lehre: Vijñānavāda deutet auf ihre systematische Stellung hinsichtlich des Außenweltproblems, Yogācāra auf die praktisch-religiöse Seite, welche, soweit sich bis jetzt erkennen läßt, von überwiegender Bedeutung für ihre Anhänger war. Für unsere Betrachtung aber steht naturgemäß die philosophische Bedeutung im Vordergrunde des Interesses, auf die religiöse kann nur, sofern sie aus der philosophischen folgt, kurz hingedeutet werden.

Die leitenden Gedanken der Schule sind uns einerseits aus Darstellungen ihrer brahmanischen Gegner, andererseits aus ihren eigenen Traktaten bekannt. Wir legen unserer Skizze die Darstellung Śaṃkaras (9. Jahrhundert) zugrunde [R242] und ergänzen sie aus Asangas Mahāyānasūtrālaṃkāra (4. oder 5. Jahrhundert) und aus dem Lankāvatārasūtra (wahrscheinlich 4. Jahrhundert). Nach der Ansicht der buddhistischen Idealisten hat der Buddha von der Realität der Außenwelt nur gesprochen, um der Neigung einiger seiner Schüler entgegenzukommen, seine wirkliche Meinung war, daß es tatsächlich nur einen Skandha gibt, nämlich das geistige Bewußtsein ( vijñāna). Der Prozeß, welcher Erkenntnismittel, Erkenntnisobjekt und Erkenntnisresultat umfaßt, ist rein geistig, vollkommen innerlich. Eine Außenwelt gibt es nicht und kann es aus folgenden Gründen nicht geben:

1. Entweder sind die Außendinge Atome, dann sind sie nicht wahrnehmbar, oder sie sind Atomaggregate, dann gibt es zwei Möglichkeiten: entweder sind sie von den Atomen verschieden, dann können sie nicht aus ihnen bestehen, oder sie sind nicht von ihnen verschieden, dann können sie nicht Ursache für die Vorstellung grober nicht-atomischer Körper sein. 2. Unser Bewußtsein ist eine Einheit. Sagt man, daß es durch äußere Objekte modifiziert werde (wie z. B. die Sautrāntikas behaupten), so heißt das, daß Koordination oder Aehnlichkeit ( sārūpya) zwischen Objekt und Erkenntnis anzunehmen ist. Wenn aber die Form der Objekte in der Erkenntnis enthalten ist, dann ist die Konstruktion ( kalpanā) der Existenz von Außendingen überflüssig. 3. Objekt und Vorstellung sind in der Apperzeption immer zusammen, das eine ist niemals ohne das andere, daher können sie nicht verschieden sein. 4. Man kann nicht aus dem Verhältnis von Subjekt und Objekt auf die Realität der Objekte schließen, denn jenes Verhältnis ist auch im Traume vorhanden, ohne daß doch den Traumbildern reale Objekte entsprächen. Genau so wie im Traum liegen die Dinge aber im Wachen. Auf Grund dieser Ueberlegungen wird die Realität der Außendinge geleugnet.

Wie erklärt sich dann aber die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungen? Jede Vorstellung ist das Produkt einer früheren Vorstellung ( vāsanā), und diese Kausalreihe ist anfanglos. Alle Einzelvorstellungen empfangen also ihren Stoff und ihre Anregung aus der Tiefe der Geistigkeit. Dort liegen die Tendenzen zur Projektion einer Außenwelt, zur Aufstellung des dualistischen Verhältnisses von Subjekt und Objekt, dort werden alle Bildungen des Geistes aufbewahrt, bis sie aus der Potenzialität zur Aktualität erwachen. Diese Vorratskammer ( ālayavijñāna) wird beschrieben als die tiefste Erfahrung des Individuums und könnte von uns noch am ehesten als Ichbewußtsein verstanden werden, wenn nicht gerade der Ichgedanke von allen buddhistischen Richtungen als der schlimmste ketzerische Irrtum abgelehnt würde. Aus dem ālayavijñāna geht alle geistige Aktivität hervor, die sich im Denken und im Vorstellen einer nicht vorhandenen Welt betätigt. Für den, dem sich die wahre Schau auf tut, sind alle Vorstellungen, die auf der Dualität von Erkenner und Erkanntem beruhen, nichts als Blendwerk ( māyā), Traum, Luftspiegelung, Schatten, Echo usw., wie Asanga in einer Häufung von Vergleichen sagt [R243]. Sie sind eingebildet ( parikalpita) und unselbständig, von anderem abhängig ( paratantra) im Gegensatz zu dem Absoluten ( pariniṣpanna) [R244]. Trotzdem wird mit der Außenwelt in der Praxis ( vyavahāra) gerechnet; in dem Verzeichnis der Dharmas, welches die Yogācāras in ähnlicher Weise wie die Sarvāstivādins aufstellen (nur daß die Summe der Dharmas hier hundert beträgt) [R245], finden sich alle jene irrealen Faktoren aufgezählt. Die natürliche Anschauung ist eben auch eine Wahrheit, aber zweiten Ranges, eine Verhüllungswahrheit (samvṛtisatya), der die höchste Wahrheit (paramārthasatya) gegenübersteht [R246]. Aber auch das Denken in seiner Mannigfaltigkeit ist nicht die echte Wahrheit: auf die Erkenntnis, daß es keinen ergreifbaren »Stützpunkt« gibt ( ālambana, daher wird die Yogācāralehre von Kumārila im Ślokavārtika unter dem Namen Nirālambanavāda, d. i. Lehre von der Stützenlosigkeit, bekämpft), folgt die höhere Einsicht, daß auch der Gedanke an sich ( cittamātra) nicht existiert, weil mit dem Objekt auch das Subjekt entfällt. So entsteht das transzendente Wissen ( paramārthikajñāna), daß auf die absolute Gleichheit ( samatā) geht [R247]. Der reine einheitliche undifferenzierte Geist ist die höchste und alleinige Realität. Aber diese im Yoga zu erringende Wahrheit ist unaussprechbar, weder Sein noch Nichtsein darf von ihr ausgesagt werden. Die verschiedenen Namen, die man ihr gibt, sollen nur hinweisen, nicht definieren. Man spricht von ihr als »Soheit« ( tathatā), d. h. Identität alles Wesens, als Nirvāṇa, als die einheitliche Leere ( śūnyatā), die Buddhaschaft usw. Hier ist die mystische Spekulation an der Arbeit, tausend Fäden weben sich zwischen einer metaphysisch-philosophischen Betrachtung, einem mit Versenkungserlebnissen erfüllten Yoga und einer mit Bhakti durchdrungenen religiösen Frömmigkeit. Wenn wir aber um unserer Zwecke willen an dieser unsagbaren Konzeption systematische Merkmale ablesen wollen, so kommen wir doch schließlich auf eine letzte geistige Einheit und damit in nächste Nähe der letzten Wahrheit des strengen monistischen Vedānta. Die Buddhisten haben das selbst gefühlt, wie aus einer Stelle des Lankāvatārasūtra deutlich hervorgeht [R248].

Hat hier der Yogācāra dem Vedānta als Vorbild gedient? Viele Forscher sind bereit, das anzunehmen, zumal selbst eine Reihe technischer Ausdrücke der Yogācāraschule bei Gaudapāda und bei Śaṃkara (vgl. Kap. 10) wiederkehren. Andererseits waren die Anlagen zu solchen Anschauungen schon in den ältesten Upaniṣaden vorhanden und an brahmanischen Einflüssen auf den Mahāyāna-Buddhismus hat es gewiß nicht gefehlt, besonders auch durch Konvertiten, die eine brahmanische Ausbildung durchgemacht hatten. Endlich ist auf die Bhakti als die große indische Allgemeinerscheinung in den Jahrhunderten um Christi Geburt hinzuweisen. In diesen Zusammenhängen verschwimmen die Unterschiede zwischen buddhistischer und brahmanischer Metaphysik, zwischen buddhistischer und hinduistischer Religiosität. Historisch beweist sich das durch das Aufgehen des Buddhismus im Brahmanismus oder, wie man zu sagen pflegt, durch das allmähliche Verschwinden des Buddhismus aus Indien im 8. Jahrhundert. Der Buddhismus, der in alter Zeit zur These der Upaniṣaden die Antithese gewesen war, geht zur Synthese mit der brahmanischen Philosophie ein, die als legitime Erbin der Lehre Śāṇḍilyas und Yājñavalkyas auftritt.

Anhangsweise ist hier noch eines für die Geschichte der indischen Philosophie wichtigen Einzelproblems zu gedenken. Ein nur in chinesischer Uebersetzung erhaltenes Sanskritwerk mit dem Titel Mahāyāna-śraddhotpādaśāstra, d. h. das Lehrbuch von der Entstehung des Mahāyānaglaubens, steht im wesentlichen auf dem skizzierten Standpunkt der Yogācāras [R249]. Dieses Werk wird von der Tradition einem Verfasser namens Aśvaghoṣa zugeschrieben. Ob dieser Aśvaghoṣa aber der berühmte Dichter ist, von welchem wir die bekannte Buddhabiographie »Buddhacarita«, Bruchstücke buddhistischer Dramen und manches andere besitzen und der als Zeitgenosse des Königs Kaniṣka wahrscheinlich um 100 n. Chr. gelebt hat [R250], darüber besteht keine Einigkeit unter den besten Kennern, da ohne das Sanskritoriginal eine sichere Lösung der Frage nicht möglich ist [R251]. Wenn die Identifikation aber zutrifft, würde der buddhistische Idealismus schon einige Jahrhunderte vor Asanga bestanden haben, und es würde damit die Datierung der brahmanischen philosophischen Sūtras, die sich auf ihre Bekämpfung jenes Idealismus gründet, ihre Basis verlieren.

Wir wenden uns endlich zu der vierten philosophischen Richtung des späteren Buddhismus, die unter zwei Namen bekannt ist: Śūnyavāda, d. h. Leerheitslehre, und Mādhyamikavāda, d. h. Lehre vom Mittelwege. Die erste dieser Bezeichnungen weist auf den Grundgedanken der Schule hin, die das buddhistische Leitmotiv von der Substratlosigkeit alles Seienden in die allerletzten Konsequenzen verfolgt. Hatte der Yogācāra alle Realität bis auf ein letztes, mystisch verhülltes, unaussprechliches Geistiges geleugnet, so wird dem Gründer dieser vierten Richtung, Nāgārjuna (vielleicht im 2. nachchristlichen Jahrhundert), die Negierung auch dieses letzten Stützpunktes zugeschrieben. Ja auch die Negation selbst ist noch zu bestimmt, die Ablehnung jeglicher Meinungsäußerung, das Schweigen ist hier das einzig Mögliche. Zur Vorbereitung desselben dient eine Methode dialektischer Zersetzung, die in dem Grundwerk der Schule, den Mūlamādhyamikakārikās (Urstrophen der Mādhyamikas), von Nāgārjuna angewendet und von den späteren Kommentatoren in verschiedenen Schattierungen erläutert wird. Diese Methode, deren Grundlagen in der alten buddhistischen Lehre enthalten sind, ist durch die Bezeichnung »Mittelweg« angedeutet: da das Sein wie das Nichtsein, das Beides-sein wie das Keins-von-beiden-sein gleichmäßig unmöglich sind, bleibt nur die absolute Leerheit ( śūnyatva) als Wahrheit übrig. Diese Dialektik näher darzustellen, verbietet der hier zur Verfügung stehende Raum [R252]. Das Resultat ist immer dasselbe: Alles ist nicht. Es gibt keine Außenwelt, kein Denken, keinen Buddha, keine Erlösung, kein Nirvāṇa. Während die Meditation dieser absoluten Wahrheit aber das Einzige ist, was der Weise tun kann, mag die Illusion für das praktische Leben als real gelten. So hilft man sich mit der Lehre von der doppelten Wahrheit, wie wir sie im Yogācārasystem gefunden haben, und lebt als ob all das bestände, dessen Unmöglichkeit man einsieht, ohne doch gleich dem Augenkranken die Illusion loswerden zu können.

Der Ueberblick über die Philosophie des späteren Buddhismus ist hier nach systematischen Gesichtspunkten gegeben worden. Fragt man aber nach der historischen Abfolge, so läßt sich eine klare und sichere Antwort nicht geben. Ebenso wie bei den brahmanischen Systemen stehen die maßgebenden Grundwerke nicht zeitlich am Anfang der Gedanken, sondern bezeichnen einen Höhepunkt in der Geschichte der betreffenden Schule, der meistens mit dem Namen einer hervorragenden Persönlichkeit verknüpft ist. So steht Nāgārjuna für die Tradition als Gründer des Mahāyāna, als erster Verkünder der Leerheitslehre da, beides aber scheint hinter ihn zurückzureichen, zumal ja schon der älteste Buddhismus negativistische Neigungen zeigt. Aehnlich steht es mit Vasubandhus großem Werke, nur daß die Tradition hier weiß, daß es sich um eine glänzende Kompilation älteren Materials handelt. Von dem Aśvaghoṣa-Problem war oben die Rede. Dharmakīrtis Zeit liegt gegen das Ende der buddhistischen Periode, aber seine Lehre ist eine Fortsetzung der älteren Dignāgas. So ergibt sich für die historische Betrachtung ein Nebeneinander von Entwicklungslinien, welche, vielleicht seit dem dritten vorchristlichen Jahrhundert in der Bildung begriffen, sich vom Beginn unserer Zeitrechnung an bis etwa ins achte nachchristliche Jahrhundert erstrecken; ihr Zutagetreten aber hängt nicht nur von der jeweiligen Bedeutung der Schulvertreter ab, sondern auch, für uns ununterscheidbar, von der zufälligen Erhaltung gewisser Werke, ja von ihrer Entdeckung in den weiten Gebieten der tibetischen und chinesischen Uebersetzungsliteratur.


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