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3. Kapitel: Die ältesten Upaniṣaden

Die Gedanken über Brahman und Ātman sowie über das Schicksal der Seele nach dem Tode, deren allmähliches Emporkommen in den Brāhmaṇas das vorige Kapitel zu skizzieren suchte, haben in den Upaniṣaden ihre natürliche Fortentwicklung gefunden. Der Name »Upaniṣad« (Geheimlehre) kommt freilich einer langen Reihe literarischer Erzeugnisse zu, die, nach Form und Inhalt sehr verschieden, sich über viele Jahrhunderte verteilen. Hier soll zunächst von derjenigen Gruppe gesprochen werden, die lange vor dem Auftreten des Buddha (6. Jahrh. v. Chr.) angesetzt werden darf. Schon äußerlich sind diese ältesten Upaniṣaden gegenüber den späteren Gruppen durch ihren engen literarischen Zusammenhang mit den Werken der Brāhmaṇaperiode charakterisiert. An die einzelnen Brāhmaṇas pflegen sich sog. Waldbücher (āraṇyaka) anzuschließen, die die Meditation des mystischen Sinnes der Opfer fern vom Opferplatz bezwecken. In diese Waldbücher eingebettet oder direkt an sie angeschlossen finden sich die ältesten Upaniṣaden; so erscheint z. B. die wichtige Bṛhadāraṇyaka-Upaniṣad (d. h. die große Wald-Upaniṣad) als ein integrierender Teil des Śatapathabrāhmaṇa, in dessen letztem Buch sie sich sogleich an den Āraṇyaka-Abschnitt anschließt. Ebenso steht die Sprache der älteren Upaniṣaden der Brāhmaṇa-Prosa nahe, während später eine metrische Form üblich wird, die dann wieder einer fortgeschritteneren Prosa Platz macht. Unter diesen ältesten Upaniṣaden, deren Aufzählung und literarische Besprechung im einzelnen hier nicht stattfinden kann, stehen als die beiden größten und wichtigsten die Bṛhadāraṇyaka-Upaniṣad und die Chāndogya-Upaniṣad im Mittelpunkt. Beide sind freilich ebensowenig wie ihre kleineren Genossinnen einheitliche Kompositionen, vielmehr wieder eine Sammlung von Upaniṣaden im kleinen. So kommt es, daß neben Abschnitten, welche die wertvollen zentralen Ideen behandeln, auch rituelle und mythische Stücke nicht fehlen. Aber auch die Zentralgedanken sind nicht etwa in systematischer Weise dargestellt, vielmehr sucht man sich der großen neuen Gedanken durch Bilder und Vergleiche, welche das innerlich Geschaute vermitteln sollen, zu bemächtigen, eine systematische Fragestellung aber, wie sie spätere Zeiten erreicht haben, liegt nicht in dem Gesichtskreis der Upaniṣadverfasser. Diesem Suchen nach adäquater Ausdrucksform des mehr Erlebten als klar Gedachten entspricht die Dialogform der Upaniṣaden aufs beste. In Unterredungen zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Vater und Sohn, zwischen Gatte und Gattin wird dem nach Wahrheit Suchenden das höchste Geheimnis enthüllt, das dem Gefragten in stiller Stunde aufgegangen ist. Oder die Belehrung findet im größeren Kreise statt, sei es daß ein berühmter Lehrer von einem anderen zu einer Art Disputation herausgefordert wird, sei es daß mehrere, unter sich uneinig und unbefriedigt, zu einem Kenner gehen und in Frage und Antwort die Klarstellung der Brahman-Ātman-Lehre erreichen.

Zwei Züge fallen dabei als typisch in die Augen: Die Fragenden oder Disputierenden sind meist wohlerfahren in der kosmischen Deutung der Opferhandlungen und der organischen Vorgänge im Menschen, d. h. sie sind in der Sphäre der Brāhmaṇatexte und Waldbücher zu Hause. Was ihnen fehlt, und oft erkennen sie diesen Mangel in gelehrtem Hochmut nicht, ist eben gerade der Aufschwung zur höheren Lösung, die wir den Upaniṣadstandpunkt genannt haben. In der sozialen Stellung derer aber, die diesen Standpunkt gewonnen haben, liegt der zweite wichtige Zug: diese Wissenden sind nicht etwa ausschließlich Brahmanen, sondern neben den großen brahmanischen Lehrern finden wir auch Könige im Besitze des höchsten Wissens. Auf diese Tatsache hat man die Hypothese gestützt, daß die philosophische Schau in Kriegerkreisen gepflegt worden sei, in bewußtem Gegensatz zu der unzureichenden Ritualwissenschaft der Priester; mit sicherem Instinkt hätten die Brahmanen diese Lehre nachträglich aufgegriffen und zu der ihrigen gemacht, aber nicht ohne die Herkunft der höheren Weisheit aus dem Adelsstande in den Dokumenten ganz verwischen zu können oder zu wollen. In dieser Schärfe aber scheint uns die Hypothese nicht gerechtfertigt, wenngleich zuzugeben ist, daß die Entwicklung des Upaniṣadstandpunktes nicht den Brahmanen allein zuzuschreiben sein dürfte, noch viel weniger der großen Masse unter ihnen, die ganz im Ritualismus befangen war. Daß nicht alle Brahmanen im Werkdienst aufgingen, zeigen uns die philosophischen Ansätze der Brāhmaṇatexte. Reine Ritualisten und solche, die im Ritual Höheres erstrebten, sind in einer heute freilich nicht mehr unterscheidbaren Vermischung in den Brāhmaṇatexten zu Worte gekommen. Und neben diesen Texten haben gewiß noch andere geistige Bewegungen stattgefunden, was wir a priori annehmen müßten, aber auch gelegentlich angedeutet finden. Die freiere Atmosphäre einer neuen Zeit läßt die nichtbrahmanischen Elemente, die etwas zu sagen haben, jetzt auch in der Literatur hervortreten. Daß aber diese wissenden Könige anders reden als die wissenden Brahmanen der neuen Zeit, kann man nicht behaupten. Auch sie stehen auf dem Boden, den die theologischen Schriften der vorangegangenen Epoche bereitet haben; der Gegensatz besteht nicht zwischen den Angehörigen der beiden oberen Kasten, sondern zwischen der alten und der neuen Lehre. Die alte Gelehrsamkeit wird von den Erkennern des Neuen als unzureichend zurückgewiesen, von Kriegern wie von Brahmanen. Auch zeigt sich der Geist der neuen Zeit nicht nur darin, daß Könige als Besitzer des höchsten Wissens auftreten, die Frau beteiligt sich am geistigen Leben. Da ist Maitreyī, eine der beiden Frauen des großen Weisen Yājñavalkya, die bei der Teilung des Hausstandes von dem scheidenden Gatten statt Reichtum und Besitz Belehrung über das Wissen erbittet -- so wird ihr das Wesen des Ātman erläutert [R26]. Da ist Gārgī, die denselben Weisen in der Versammlung herausfordert und ihn mit eindringlichen Fragen bestürmt. All dem entspricht eine größere Freiheit gegenüber dem Kastenprinzip. Wer als Schüler bei einem Brahmanen eintreten wollte, hatte zuerst die Frage nach seiner Familie zu beantworten. Auf diese Frage aber kann der junge Satyakāma (d. h. der die Wahrheit Liebende) nur antworten, daß er seinen Vater nicht kenne, da seine Mutter nicht wisse, von wem sie ihn habe. Der Lehrer aber nimmt keinen Anstoß: »Nur ein Brahmane kann so offen reden -- ich werde dich aufnehmen, weil du nicht von der Wahrheit abgegangen bist« [R27]. All das sind Einzelheiten, aber sie zeigen uns, was jetzt im Bereich der Möglichkeit liegt, und sie weisen auf Späteres hin. Wie in den ältesten Upaniṣaden Adlige als Lehrer höchster Weisheit auftreten, so ist der Buddha und der Jina adliger Herkunft gewesen; die ernste Fragerin Maitreyī hat ihre Geistesschwestern in den buddhistischen Nonnen, die kühne Gārgī in den streitbaren Unterrednerinnen des großen Epos; der vorurteilslose Brahmane, der auf ethische, nicht auf soziale Qualitäten das Hauptgewicht legt, vertritt einen in den theoretischen Teilen des großen Epos häufig gelehrten Standpunkt.

So zeigen die älteren Upaniṣaden eine tiefgehende Verbindung mit der Vergangenheit und mit der Zukunft: auf Schritt und Tritt begegnen wir dem Mythischen, Kultischen, Magischen der vergangenen Periode, und dazwischen steht das Neue, das sich aus dem Alten herauslöst, erkenntnistheoretisch-metaphysisch noch ringend und vielfache Möglichkeiten in sich schließend, ethisch-eschatologisch aber schon die leitenden Gedanken für alle Zukunft herausarbeitend.

Indem wir diese Anschauungen der ältesten Upaniṣaden betrachten, muß nochmals auf den Stil unserer Quellen hingewiesen werden: Weder wird in ihnen eine systematische Darstellung angestrebt, noch läßt sich ein zusammenstimmendes System aus ihnen herstellen. Wohl aber vermögen wir leitende Gedanken zu erkennen und diese in einer von uns gewählten Anordnung zu einem übersehbaren Ganzen zu vereinigen. Daß eine solche Darstellung die Dinge nicht ganz so erscheinen lassen kann, wie sie sind, liegt auf der Hand. So will diese Skizze nur eine Einleitung sein zu einer Lektüre der Texte selbst.

Am Eingang unserer Betrachtung möge ein sehr altes Stück stehen, welches die Quintessenz des Upaniṣadstandpunktes nach Inhalt und Ton vortrefflich wiedergibt. Die Worte werden dem Weisen Śāṇḍilya zugeschrieben und finden sich zuerst im Śatapatha-Brāhmaṇa (10, 3, 6), dann in der Chāndogya-Upaniṣad (3, 14) mit geringen Abweichungen:

»Wahrlich das Brahman ist diese ganze Welt. Beruhigten Herzens soll man es als jalān (eine geheimnisvolle Bezeichnung) verehren. Fürwahr aus Wollen besteht der Mensch. Wie sein Wollen ( kratu) ist in dieser Welt, danach wird der Mensch nach seinem Abscheiden von hier. So möge er sein Wollen (demgemäß) gestalten.

Geist (oder Denken, manas) ist seine Natur, der Odem ( prāṇa) sein Leib, Licht seine Gestalt, Wahrheit ist sein Ratschluß, der Aether sein Selbst. Allwirkend ist er, allwünschend, allriechend, allschmeckend, dies All in sich befassend, wortlos, achtlos.

Dieser ist mein Ātman im inneren Herzen, kleiner als ein Reiskorn oder Gerstenkorn oder Senfkorn oder Hirsekorn oder eines Hirsekornes Kern. Dieser ist mein Ātman im inneren Herzen größer als die Erde, größer als der Himmel, größer als diese Welten.

Der Allwirkende, Allwünschende, Allriechende, Allschmeckende, dies All in sich Befassende, Wortlose, Achtlose, dieser ist meine Seele im inneren Herzen, dieser ist das Brahman, zu ihm werde ich, von hier abscheidend, eingehen.

Wem solches ward, fürwahr, für den gibt es keinen Zweifel.«

Zwei leitende Gedanken treten uns in diesen schönen Worten voll inneren Schwungs entgegen: Das Brahman ist das All und meine Seele mit ihren wunderbaren Fähigkeiten ist dies Brahman. Diese Einheit gibt die Gewißheit über das Schicksal meiner Seele nach dem Tode: sie wird zu Brahman, welches die alles erfüllende Seele ist. Die innige Verknüpfung der beiden Gedanken zeigt uns aufs deutlichste den Charakter dieses Wissens. Wie das Wissen von dem geheimen Sinn der Riten in den Brāhmaṇas nicht um seiner selbst willen wertvoll war, sondern als Mittel zur Erreichung von Macht, Reichtum, langem Leben usw. auf Erden und zur Befreiung vom Wiedertod im Jenseits, so ist auch das Wissen von der Identität der Seele mit dem Brahman nicht Wissenschaft in unserem Sinne, sondern im wesentlichen Mittel zur Realisierung dieser Einheit im Diesseits wie nach dem Tode. Weiter unten wird das näher erörtert werden, hier handelt es sich nur um den vorläufigen Hinweis darauf, daß die Lehre der Upaniṣaden eine Erlösungslehre ist.

Eine Frage wird sich dem Leser der Worte Śāṇḍilyas sofort aufdrängen: Wie kann vom Eingehen der Seele zu Brahman gesprochen werden, wenn Ātman und Brahman schon von vorneherein dasselbe sind? Diese Frage ist von späteren Vedāntaphilosophen, wie wir sehen werden, dahin beantwortet worden, daß die Existenz und das Schicksal der Einzelseele wie überhaupt der ganzen empirischen Vielheit nur Schein sei, die Einheit des Absoluten aber die einzige Realität.

Daß eine solche Anschauung schon in dem Kreis der Upaniṣaden, die wir hier betrachten, geherrscht habe, muß auf Grund der Aussagen unserer Texte verneint werden. Die Realität der vielheitlichen Welt wird eben noch nicht als Problem empfunden, obwohl die Anlagen zu solcher Fragestellung sich schon hier bilden. Die Denker der ältesten Upaniṣaden sind ganz erfüllt von dem großen Neuen, das sie geschaut haben; die Konsequenzen zu ziehen, wie es eine spätere Zeit tat, indem sie der immer werdenden Materie den unveränderlich seienden Geist (dualistisches Sāṃkhya) oder der Illusion der Vielheit die Realität des Absoluten (monistischer Vedānta) gegenüberstellte, war nicht ihre Sache [R28].

Der Einheitsgedanke erfüllte diese Denker ganz. Wir haben das Streben nach Einheit von den Hymnen des Ṛgveda an verfolgt und immer seine enge Verknüpfung mit der Schöpfungsidee beobachtet. Auch in den Upaniṣaden, die das Urprinzip zum Gesamtprinzip gemacht und es auf die Höhe der Absolutheit erhoben haben, wird das Verhältnis des Einen zur Vielheit kausal aufgefaßt und durch eine Art von Schöpfung verdeutlicht.

Ein berühmtes Stück der Chāndogya-Upaniṣad (6) stellt uns diese Anschauung mit ihren Keimen zu künftigen Bildungen deutlich vor Augen. Der junge Śvetaketu kehrt nach Beendigung seiner Vedastudien »hochfahrenden Sinnes, sich weise dünkend und stolz« zu seinem Vater zurück. Da fragt ihn der Vater, ob er auch das gelernt habe, wodurch auch das noch Ungehörte ein schon Gehörtes, das Unverstandene ein Verstandenes, das Unerkannte ein Erkanntes werde. Auf die beschämte Verneinung dieser Frage beginnt der Vater mit einigen einfachen Beispielen, die den Kern dessen zeigen, was Śvetaketu von den in der alten vedischen Wissenschaft befangenen Lehrern nicht erfahren konnte. Durch einen Tonklumpen ist alles, was aus Ton besteht, erkannt, denn der tönerne Topf ist ja nur eine Umwandlung ( vikāra) des Tonklumpens, nur eine Namenssetzung, d. h. eine Individuation, indem der Begriff Name in dem alten Sinne gebraucht wird, den wir im vorigen Kapitel berührt haben. Der Topf, so würde man in späterer Terminologie sagen, ist als Produkt seiner materiellen Ursache, des Lehms, seinem Wesen nach dasselbe wie diese Ursache und nur den Akzidenzien nach von ihr verschieden. So ist alles in der Welt nur eine Umwandlung des einen realen Urgrundes. Dies Eine wandelt sich nun in die drei Elemente Glut, Wasser, Nahrung und geht in sie mit seiner lebendigen Seele ein. Aus diesen Urelementen besteht alles: Feuer, Sonne, Mond, Blitz und der Mensch. So hat »das Seiende« durch sie Name und Gestalt ausgebreitet, wie wir es vorher in einem Brāhmaṇatexte kennengelernt haben. Indem sich diese Urelemente in Grobes, Mittleres und Feines zerlegen, bilden sie den Menschen: aus der Nahrung entsteht Kot, Fleisch, Manas, aus Wasser Urin Blut, Prāṇa, aus Glut Mark, Knochen, Rede.

Die Bedeutung dieses Evolutionsschemas für die Zukunft des indischen Denkens liegt vor allem in zwei Momenten: die drei Urelemente, die noch dazu, wie später, durch die Farben Rot (Glut), Weiß (Wasser), Schwarz (Nahrung) symbolisiert werden, weisen auf die drei Guṇas des Sāṃkhya hin, und die Anschauung, daß aus den drei materiellen Urelementen, die freilich hier von der lebendigen Seele des Allwesens erfüllt sind, sowohl die körperlichen als die unkörperlichen Fähigkeiten des Menschen hervorgehen, darf als Vorstufe für die Sāṃkhyalehre angesehen werden, nach welcher alle menschlichen Funktionen ohne Unterschied der Urmaterie ( prakṛti ) zugerechnet werden.

Für unsere augenblickliche Betrachtung ist vor allem das kausale Verhältnis des Einen zur Vielheit von Wichtigkeit: weil die Vielheit aus der Einheit stammt, ist diese nach dem Prinzip von Wurzel und Schößling in jener enthalten. In mannigfachen Vergleichen wird dieses Enthaltensein des Einen in Allem anschaulich gemacht, wobei die Uebersinnlichkeit dieser Verteilung als Unsichtbarkeit des überall doch vorhandenen Prinzips begriffen wird. Dieser naive Vorrang des Gesichtssinnes in den ältesten erkenntnistheoretischen Versuchen spiegelt sich noch in der Terminologie der späteren entwickelten Systeme, welche das Wahrnehmbare überhaupt »das vor Augen Liegende« ( pratyakṣa ) zu nennen pflegen. In diesem Sinne veranschaulicht in unserem Text der Salzklumpen, der, im Wasser aufgelöst, nicht mehr sichtbar ist, die Uebersinnlichkeit des allverbreiteten Ātman, während der salzige Geschmack, d. h. wohl die innere Gewißheit, vom Ātman erfüllt zu sein, seine Existenz trotz seiner Unsichtbarkeit beweist. Oder Śvetaketu spaltet, vom Vater aufgefordert, die Frucht des Feigenbaumes und dann die Kerne, die sich darin befinden. »Was siehst du darin?« -- »Gar nichts, o Ehrwürdiger«; da sprach er: »Die Feinheit, die du nicht wahrnimmst, o Teurer, aus dieser Feinheit ist dieser große Feigenbaum entstanden. Glaube, o Teurer, was jene Feinheit ist, ein Bestehen aus diesem ist dieses Weltall, das ist die Wahrheit, das bist du ( tat tvam asi), o Śvetaketu!« Dies hochberühmte Wort besagt also, daß das Innerste des Menschen das Innerste von allem ist, weil alles nur Umwandlung, d. h. Produkt der einen Ursache ist. Sowenig wie der Topf, weil ihn der Kenner auf sein Material zurückzuführen weiß, unreal ist, so wenig ermangeln die Produkte der tiefsten Weltursache der Realität vom Standpunkt der ältesten Upaniṣaden.

In diesem Sinne heißt es an einer anderen Stelle: »Gleichwie die Spinne den Faden aus sich herausspinnt, wie aus dem Feuer die winzigen Fünklein entspringen, also auch entspringen aus diesem Ātman alle Lebenshauche, alle Welten, alle Götter, alle Wesen«, und die Bedeutung dieses Vergleichs wird ausdrücklich dahin interpretiert, daß diese Lebenshauche wahr, d. h. real, sind und der Ātman die Wahrheit dieser Wahrheit, d. h. die höchste Realität [R29].

Wird so die Realität der empirischen Welt nicht in Frage gestellt, so steht es freilich anders mit ihrer Wertung. Die in den Brāhmaṇas so häufig ausgesprochene Ueberzeugung, daß das Wissen des geheimen Sinnes Macht über den so verstandenen rituellen Vorgang verleiht, ist in den Upaniṣaden dahin sublimiert, daß das Wissen von dem Allenthaltensein der Weltseele ein neues Verhältnis zur Welt herstellt. Indem man den Ātman als den wahren Kern der Welt erkennt, empfindet man alles Empirische nur als den Ausdruck jener metaphysischen Größe. In diesem Sinne sagt der scheidende Yājñavalkya zu seiner Gattin Maitreyī, daß der Gatte nicht um des Gatten willen lieb sei, sondern um des Ātman willen. Diese Einstellung macht es verständlich, daß sich die Aufmerksamkeit der ältesten Upaniṣadlehrer nicht dem Problem der Welt realität, sondern der Frage des Welt wertes zuwenden mußte. Der Ātman ist teurer als ein Sohn, als Reichtum, als alles andere, weil er innerlicher ist [R30]. In dem Maße wie das Absolute als das Wichtige, das einzig Wichtige erlebt wurde, sank der Wert alles dessen, was im Vergleich dazu als nebensächlich erschien. In einer großen Disputation am Hofe des Königs Janaka wird Yājñavalkya von einem Frager veranlaßt, über den »inneren Lenker« zu sprechen, und der große Weise beginnt: »Der, in der Erde wohnend, von der Erde verschieden ist, den die Erde nicht kennt, dessen Leib die Erde ist, der die Erde innerlich regiert, der ist deine Seele, der innere Lenker, der unsterbliche.« Ganz dasselbe wie hier von der Erde sagt er dann von Wasser, Feuer, Luftraum, Wind, Himmel, Sonne, Himmelsgegenden, Mond und Sternen, Aether, Finsternis und Licht als kosmischen Faktoren und von dem menschlichen Odem, Rede, Auge, Ohr, Manas, Haut, Erkenntnis und Samen und schließt mit den Worten: »Er ist sehend nicht gesehen, hörend nicht gehört, verstehend nicht verstanden, erkennend nicht erkannt. Nicht gibt es außer ihm einen Sehenden, nicht gibt es außer ihm einen Hörenden, nicht gibt es außer ihm einen Verstehenden, nicht gibt es außer ihm einen Erkennenden. Er ist deine Seele, der innere Lenker, der unsterbliche. -- Was von ihm verschieden ist, das ist leidvoll« [R31].

Das ist die Quelle des Pessimismus in den ältesten Upaniṣaden: wer den Erkenner erkannt hat, den inneren Lenker, auf dessen Befehl, wie es einmal in einer an Verpersönlichung streifenden Ausdrucksweise heißt [R32], alles im Makrokosmos und Mikrokosmos vor sich geht, dem erscheint alles andere nebensächlich, zweiten Ranges. Dem allbelebenden Prinzip werden naturgemäß alle Eigenschaften beigelegt, wie wir es in der Śāṇḍilya-Lehre gesehen haben, am liebsten und häufigsten aber wird die Unvergänglichkeit des Ātman betont im Gegensatz zu der Vergänglichkeit alles Irdischen. So läßt der Glanz seiner Majestät alles, was er nicht ist, als dunkel erscheinen: was von ihm verschieden ist, das ist leidvoll. Dieser Pessimismus der ältesten Upaniṣaden ist also nicht eine Grundstimmung wie im Buddhismus, in späteren Upaniṣaden und im Epos, sondern nur ein Nebenprodukt der Brahman-Ātman-Schau, und demgemäß wird dem Pessimismus in unseren Texten nur gelegentlich und kurz Ausdruck gegeben.

Die Welt also steht an Wert, oder, wie unsere Texte sagen, an Wahrheit hinter dem Brahman zurück, aber sie steht eben auch da. Die Seele ist ihrem Wesen nach Brahman, ihr Name Ātman ist ein Synonym von Brahman, aber sie muß doch diese Wesenseinheit erst realisieren, sie muß, wie uns die Worte Śāṇḍilyas gezeigt haben, zur Weltseele eingehen, sie hat also, wenn man die naturgemäß gleitenden, starrer Festlegung sich entziehenden Gedankengänge der ältesten Upaniṣaden einmal nicht ohne einige Vergewaltigung festlegen will -- »zur Erleichterung für das Verständnis der Lernenden«, wie indische Scholastiker sagen würden --, sie hat eine Sonderexistenz im empirischen Zustand. Aber die Idee der Einheit, um die wir den indischen Geist solange haben ringen sehen, geht dadurch nicht verloren. Die Taittirīya-Upaniṣad (2, 6) zeigt uns im Anschluß an die bekannte Form des Schöpfungsmythus, wie das Weltprinzip, als Schöpfer gedacht, in das Geschaffene eingegangen, sich darstellt als »Seiendes und Jenseitiges, Ausgesprochenes und Unausgesprochenes, Wohnstätte und Nichtwohnstätte, Erkenntnis und Nichterkenntnis, Wahres und Unwahres.« Diese »zwei Gestalten des Brahman« bringt ein sonst weniger wertvolles Stück der Bṛhadāraṇyaka-Upaniṣad (2, 3) mit der schon oben zitierten Anschauung zusammen, daß die Lebenshauche die Wahrheit sind und der Ātman die Wahrheit dieser Wahrheit. So ergibt sich für uns die Notwendigkeit, die Seele auch in ihrem empirischen Stande zu betrachten. In allen Dingen ist der Ātman zwar immanent, aber in verschiedener Offenbarheit. Demgemäß lehrt ein Text, daß Kräuter und Bäume nur Saft haben, der Mensch aber Bewußtsein, denn »er sagt, was er erkannt hat, er sieht, was er erkannt hat, er weiß, was morgen sein wird, er weiß von Himmel und Hölle, er strebt mit seinen irdischen Mitteln nach der Unsterblichkeit, während die anderen Tiere nur Hunger und Durst als Bewußtseinsinhalte haben« [R33] usw. In diesem Sinne erkennt der als Schöpfer auftretende Ātman in Aitareya-Upaniṣad (1, 3, 13) beim Anblick der von ihm geschaffenen Wesen den Menschen als das brahmanhafteste. Denn Mittelpunkt des Menschen ist die Seele, deren Wesen Intelligenz ist. In ihrem Dienst stehen die Organe, die die Verbindung mit der Außenwelt herstellen [R34]. Die Zahl und Ordnung dieser Organe ist freilich in der ältesten Upaniṣadschicht, die uns hier beschäftigt, noch nicht festgelegt, aber die späteren fünf Sinnesorgane mit den ihnen zugeordneten Objekten und dem Denkorgan Manas als sechstem sowie die fünf Tätigkeitsorgane sind trotz zahlreicher Diskrepanzen schon erkennbar [R35]. Die zentrale Stellung des Manas inmitten der übrigen Sinne ist gelegentlich schon voll erfaßt: »Ich war anderswo mit meinem Verstande ( manas), darum sah ich nicht …, so sagt man, denn nur mit dem Verstande sieht man« usw. [R36] Und so werden in der Kauṣītaki-Upaniṣad alle Elemente der Erkenntnis im Bilde des Rades zusammengeordnet, indem die Objekte als Radkranz, die Sinnesorgane als Speichen und das Prinzip der Intelligenz als Nabe in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis vorgestellt werden. Hier sehen wir die Vorbereitungen zu einer idealistischen Auffassung, wie sie uns in späteren Perioden des indischen Denkens begegnen wird.

Erfährt so das Verhältnis der Seele zu ihren Organen und Objekten in den ältesten Upaniṣaden schon eine etwas nähere Beleuchtung, ohne daß es doch zur Aufstellung der erkenntnistheoretischen Probleme und ihrer systematischen Untersuchung käme, so wird das psychische Leben in unseren Texten noch unter einem anderen Aspekt betrachtet. Es werden nämlich drei Zustände der Seele, die hier gern Puruṣa (Mann) genannt wird, unterschieden: Wachen, Traumschlaf ( svapna) und Tiefschlaf ( suṣupti). Wie sich die Seele im Wachen verhält, haben wir soeben gesehen; in Anknüpfung an primitive Vorstellungen spricht man hier gelegentlich von dem Puruṣa im Auge, dem dann gern der Puruṣa in der Sonne korrespondiert, so in mythischer Weise das Verhältnis der individuellen Seele und der kosmischen illustrierend. Im Traumschlaf aber wohnt das mythische »Männchen« im Manas, denn im Traume gibt es, wenigstens nach einer Auffassung, keine reale Welt, sondern die Seele entnimmt das Material der Welt des Wachens und baut sich daraus, was sie will; das Licht aber, das im Wachen die Sonne spendet, erzeugt sie nun selbst, denn ihre Natur ist Licht (Intelligenz). Nach anderer Anschauung verläßt die Seele im Schlafe den Leib und schweift frei umher; oder die beiden Anschauungen werden so verbunden, daß die Seele den Leib zwar nicht verläßt, aber innerhalb seiner umherschweift [R37]. Diese Vorstellungen vom Träumen zeigen einerseits deutlich, daß die Irrealität der Traumwelt für unsere Texte klar von der Realität der Welt im Wachen geschieden ist, bereiten aber andererseits durch die Nebeneinanderstellung der beiden Welten den Weg für ihre spätere Gleichsetzung im Sinne des Illusionismus.

An den Traumschlaf schließt sich als dritter Zustand der Tiefschlaf, in welchem man keine Begierde mehr empfindet und kein Traumbild schaut. In schönen Worten schildert die Bṛhadāraṇyaka-Upaniṣad, wie die Seele dann ohne Bewußtsein äußerer und innerer Vorgänge als reiner Geist, frei von Verlangen und Leiden, erhaben über die irdischen Verhältnisse, zum zeitlosen Brahman geworden, ihr höchstes Ziel erreicht hat, ihre höchste Wonne genießt. Dies Ziel ist uns schon eingangs in den Worten Śāṇḍilyas entgegengetreten, aber dort war es als Abschluß gedacht (»zu ihm werde ich, von hier abscheidend, eingehen«), hier jedoch ist es ein vorübergehender Zustand, in den die Seele gelegentlich gerät, ohne ihn doch festhalten zu können.

Die Erreichung des brahmischen Zustandes aber, wie sie Śāṇḍilya im Auge hat, ist die Erlösung, und diese baut sich auf einer Reihe von neuen Anschauungen auf, die den Standpunkt der Upaniṣaden gegenüber dem der Brāhmaṇas charakterisieren.

Soweit in den Brāhmaṇas neben den rein irdischen Wünschen materieller Natur, wie wir sie oben kennengelernt haben, eschatologische Sorgen auftauchen, werden sie mit den üblichen rituell-magischen Mitteln abgewendet: man sichert sich durch Opferwerke die himmlischen Welten und schützt sich auf dieselbe Weise auch vor dem dort drohenden Wiedertod. Der Gedanke, daß sittliche Qualitäten, daß die ganze Lebensführung für das künftige Geschick des Menschen von Bedeutung sei, tritt nur zögernd in den jüngsten Brāhmaṇaschichten auf. Das starke Betonen dieses Gedankens dagegen ist einer der Züge, die den neuen Geist der ältesten Upaniṣaden kennzeichnen. So faßt Yājñavalkya den ihn über das Schicksal des Menschen nach der Auflösung des Organismus im Tode befragenden Ārthabhāga bei der Hand und führt ihn hinaus aus der Versammlung in die Einsamkeit, um ihm von dem großen neuen Geheimnis zu sprechen: Karman. » Gut wird einer durch gute Tat, böse durch böse« [R38]. Diese Tat ist nun nicht ein Opferwerk, ein magischer Ritus oder dgl., sondern es ist der ganze Wandel des Menschen, die Summe seiner sittlichen Werke, die er frei gestaltet. Das menschliche Selbst ( ātman) ist freilich das Weltprinzip Brahman, und insofern alles, Gutes wie Böses, aber jeder bildet daraus sein eigenartiges Wesen, indem er sich selbst durch seine Handlungen bestimmt. Neben der Brahman-Fülle, die im Menschen wohnt, wird aber auch von engerem empirischen Standpunkt aus die Begehrlichkeit als Grundzug der menschlichen Natur hervorgehoben, und so der Weg für die buddhistische Lehre vom Lebensdurst bereitet: »Hier sagt man nun (vgl. die Worte Śāṇḍilyas oben): ›Begehren ( kāma) ist es, woraus dieser Mensch besteht.‹ Wie aber sein Begehren ist, so ist sein Wollen. Wie sein Wollen ist, solche Tat tut er. Welche Tat er tut, zu solchem Dasein gelangt er« [R39].

Was hat man nun unter guter und böser Tat hier zu verstehen? Ein Abschnitt der Chāndogya-Upaniṣad (3, 17) setzt in charakteristischer Weise an Stelle der Haupthandlungen des großen vieltägigen Somaopfers die Hauptzüge des menschlichen Lebens, gleichsam eine Hinausführung aus den Schranken des Rituals in die Freiheit der Natur. Hierbei wird für den Opferlohn ( dakṣiṇā), der den amtierenden Priestern zu spenden ist, eine Reihe ethischer Momente gesetzt: »Askese, Freigebigkeit, Rechtschaffenheit, Nichtschädigung (lebender Wesen), Wahrhaftigkeit.« Eine umfassendere Aufzählung findet sich in Taittirīya-Upaniṣad (1, 9): »(Befolgung der) Weltordnung ( ṛta), Wahrheit, Askese, Selbstbezwingung, (innere) Ruhe, (Besorgung der heiligen) Feuer, Feueropfer, (Ehrung der) Gäste, Leutseligkeit, Nachkommenschaft, Zeugung, Fortpflanzung.« Man sieht, wie hier neben die allgemeinen Tugenden die speziellen Pflichten des Hausvaters gestellt sind, ein Hinweis auf die in der Bildung begriffene Gliederung des rechten Lebens nach Stadien ( āśrama), wovon weiterhin noch zu reden sein wird. Uebrigens ist jeder der aufgezählten Pflichten im Texte noch »Lernen und Lehren des Veda« hinzugefügt, gleichsam als die Grundlage aller rechten Lebensführung. Von schweren Vergehen andererseits, die man als böse Taten neben der Verletzung der eben aufgezählten Pflichten ansah, werden einmal Golddiebstahl, Trunksucht, Ehebruch mit der Frau des Lehrers, Mord eines Brahmanen und der Umgang mit solchen Verbrechern genannt [R40].

Von dem Inhalt der Begriffe gut und böse in den ältesten Upaniṣaden wenden wir uns zurück zu den Gedanken Yājñavalkyas über die Wirkung des sittlichen Verhaltens. Daß sich diese Wirkung im Schicksal der Seele nach dem Tode realisiert, ergibt sich sowohl aus dem Zusammenhang, da im Vorangehenden der Vorrang des Sterbens ausführlich analysiert ist, als auch aus den folgenden Worten des Weisen, die ihrer Wichtigkeit wegen hier Platz finden mögen: »Wie eine Raupe, wenn sie zum Ende eines Grashalms gelangt ist, in eine neue Bahn eingehend sich in sich selbst zusammenzieht, so läßt dieser Ātman diesen Leib fallen und in Bewußtlosigkeit versinken und zieht sich, in eine neue Bahn eingehend, in sich selbst zusammen. Wie eine Weberin von einem künstlichen Gewebe den Stoff nimmt und daraus ein anderes, neues, schöneres Gebilde bereitet, so läßt dieser Ātman diesen Leib fallen und in Bewußtlosigkeit versinken und bereitet sich ein anderes, neues, schöneres Gebilde von der Natur der Väter oder der Gandharven oder der Götter oder des Prajāpati oder des Brahman oder von sonstigen Wesen« [R41].

An diesem Stück muß auffallen, daß von einer menschlichen Wiederverkörperung, von einer Rückkehr zur Erde nicht ausdrücklich die Rede ist, während doch gerade die Lehre von der Seelenwanderung ( saṃsāra) als die große Neuerung der Upaniṣaden gilt gegenüber dem Wiedertod im Jenseits, wie er uns in den Brāhmaṇas entgegentrat. Man hat daraus den Schluß ziehen wollen, daß Yājñavalkya, zwischen den Brāhmaṇas und dem größeren Teil der Upaniṣaden stehend, Karman und (wie wir sogleich sehen werden) Erlösung, aber noch nicht Seelenwanderung lehre [R42]. So anziehend diese Hypothese auch ist, dürfte doch angesichts der Kürze des Stücks, auf dem sie beruht, und wegen der Schwierigkeit, die einzelnen Teile der Upaniṣaden historisch zu ordnen, folgende Betrachtungsweise vorzuziehen sein: Es ist der Standpunkt der sittlichen Vergeltung, der für den großen Weisen im Vordergrunde steht; da treten die Einzelheiten dieser Vergeltung -- Götterwelt, Menschenwelt, Tierwelt -- zurück, ja selbst die Vergeltung für Böses wird vernachlässigt, und es handelt sich nur um zwei Gesichtspunkte: Taten, die Vergeltung heischen, und erlösendes Wissen, das alle Vergeltung aufhebt.

Läßt uns so Yājñavalkya an dieser Stelle über die näheren Schicksale der Seele nach dem Tode im Dunkel, so ergeben eine Reihe anderer Upaniṣadstellen ein mannigfaches Bild von den sich kreuzenden und oftmals verwirrten Vorstellungen, die sich unter Verwendung alter Anschauungen in der Ausgestaltung der neuen Lehre von der Seelenwanderung gebildet haben.

Da wird die Rückkunft der Seele nach der Leichenverbrennung unter dem Bilde einer fünffachen Opferung geschildert: Bei der ersten opfern die Götter den Glauben in der Himmelswelt als Opferfeuer; daraus entsteht der Mond. Zum zweiten den Mond im Regengott, daraus entsteht der Regen. Zum dritten den Regen in der Erde mit Nahrung als Resultat. Weiterhin die Nahrung im Manne; dadurch entsteht der Same. Und endlich ergibt sich durch die Opferung des Samens im Weibe die Leibesfrucht. Auch hier ist nur ein Gedanke ausgearbeitet: die Wanderung der Seele. Von sittlicher Differenzierung hören wir ebensowenig wie von Erlösung. Es wäre verführerisch, anzunehmen, daß mit der priesterlichen Färbung ein alter Standpunkt angedeutet sei, welchem der Erlösungsgedanke noch fern lag, aber es ist ebenso möglich, daß sich hier eben wieder nur eine Richtung geltend macht, ohne daß die anderen Seiten des Problems dabei nicht gekannt würden.

Eine andere Anschauung kennt zwei Wege: den Götterweg ( devayāna), der durch helle Stationen wie Flamme, Tag, helle Monatshälfte usw. zu Brahman ohne Rückkehr führt. Das ist der Weg der Erlösung. Der andere Weg heißt der Väterweg ( pitṛyāna). Er ist denen bestimmt, die gute Werke im bürgerlich-religiösen Sinne getan haben; er führt durch dunkle Stationen zum Monde, wo die Frucht der guten Werke genossen wird. Vom Monde geht es aber durch Aether, Wind, Rauch, Nebel, Wolken und Regen zurück zur Erde in die Pflanzen, deren Genuß durch einen Mann die Seele in dessen Sperma bringt. Die Auswahl dieses Vaters ist wieder moralisch bedingt: Guter Wandel in früherem Leben führt zur Wiedergeburt in einer der drei oberen Kasten, schlechter Wandel dagegen zu den Hunden, Schweinen oder unreinen Kasten. In Anknüpfung an die aus der ṛgvedischen Eschatologie bekannte dunkle Stätte der Bösen wird hier für diese ein dritter, von den beiden Wegen verschiedener Ort bestimmt: die Verkörperung in den kurzlebigsten Insekten.

Diesen in Chāndogya (5) und Bṛhadāraṇyaka (6,2) vorgetragenen Unstimmigkeiten gegenüber bedeutet die Darstellung der Kauṣītaki-Upaniṣad (1) eine Klärung. Dort gehen alle zum Monde, wo eine Prüfung stattfindet. Nach deren Ausfall dürfen die einen den Götterweg zu Brahman beschreiten, die anderen kehren als Regen zur Erde zurück, um dort je nach ihren früheren Taten guter oder schlechter Verkörperungen teilhaftig zu werden. Die alte Vorstellung von den Beziehungen der Manen zum Monde empfahl sich offenbar durch die leichte Verknüpfbarkeit des lunaren Ab- und Zunehmens mit dem Ab- und Zuströmen der abgeschiedenen Seelen.

Dies sind, wenn auch nicht alle, so doch die wichtigsten Formen, in die man die neue Lehre von dem Kreislauf der Seele ( saṃsāra) geprägt hat. Daß es sich hier um etwas Neues handelt, zeigt sich schon daran, daß manches Problem des Saṃsāra noch nicht erfaßt ist, daß z. B. der Blick noch wesentlich in die Zukunft gerichtet, von einem rückschauenden Verständnis der gegebenen Lebenslage noch nicht die Rede ist. Dementsprechend fehlt auch die Betrachtung langer Reihen früherer Geburten, wie wir sie später in buddhistischen Texten finden. Charakteristisch ist auch die wenig freie Weise, in der man den Kreislauf konzipiert. Ueberall drängt sich Mythologisches hinein, Gebundenheit an alte Bilder, von denen man nicht loszukommen vermag. Wie frei und würdig dagegen die Lehre Yājñavalkyas! Dieser Ungleichheit der Stücke muß der Leser, der nicht zu den Texten selbst greift, sich immer bewußt bleiben, um sich nicht nach dem Besten, was hier oft nur allein vorgetragen werden kann, ein einseitiges Urteil zu bilden. Unter diesem Vorbehalt wenden wir uns jetzt der Darstellung der Erlösungslehre zu.

Dem Schicksal der guten oder schlimmen Wiederverkörperung, welches nach Yājñavalkyas Worten den Begehrenden je nach seinen Werken erwartet, stellt der Weise das Eingehen in Brahman als das Los des Nichtbegehrenden gegenüber. Damit spricht er dieselbe Gewißheit aus, welche uns eingangs in den Worten Śāṇḍilyas entgegengetreten war, und ganz analog sehen wir auch in den ausgeprägteren Theorien der Seelenwanderung den Väterweg, der zur Rückkehr führt, kontrastiert mit dem Götterwege, der in Brahman ohne Rückkehr endet.

Was ist der Grund für diese Selbstverständlichkeit, mit der das Aufhören einer Existenz auf Erden, ja selbst im Himmel, so unbedingt jeder Neuverkörperung vorgezogen wird? Wie wir schon sahen, ist es der Glanz der Brahman-Idee, der gegenüber die Mängel jeder anderen Existenz deutlich werden; ist doch der (universelle) Ātman jenseits von Hunger und Durst, von Kummer und Wahn, von Alter und Tod [R43]. Wie aber konnte man zu diesem Ātman-Brahman gelangen? Zwei Mittel standen schon den Opfertheologen der Brāhmaṇas zu Gebote, um nicht nur irdische Güter, sondern auch Erlösung, zwar nicht vom Leben, aber vom Tode im Jenseits, zu gewinnen: Werke und Wissen. Zu diesen beiden Mitteln haben die Upaniṣadlehrer Stellung genommen: sie haben für das Ziel der Erlösung den Werkweg verworfen und den Wissenspfad erkoren.

Freilich gilt die Nutzlosigkeit der Werke zur Erlangung der Erlösung nicht ausnahmslos. Am Schlusse der Chāndogya-Upaniṣad wird demjenigen das Eingehen in die Brahmanwelt ohne Rückkehr versprochen, der als Schüler und dann als Hausvater seine Pflichten erfüllt hat. Das aber ist ein den zentralen Upaniṣad-Gedanken fremder Ton, durch den sich diese Ermahnung an den scheidenden Schüler als dem weiten Kreise der üblichen brahmanischen Sphäre angehörig erweist, der die Erlösung mechanisch an Stelle der sonst gebräuchlichen Himmelsverheißung setzt. Im allgemeinen geht die Anschauung der Upaniṣaden dahin, daß Opfern, Schenken und selbst Jahrtausende fortgesetzte Kasteiung nur zu endlichen Welten führt, denn endlich sind die Himmelswelten, endlich ist die Seligkeit auf dem Monde. Wer also das Unendliche und Unbedingte sucht, dem können weder Werke noch Tugenden helfen. Solche Erkenntnis freilich lieben die Götter am Menschen nicht, denn nach den sarkastischen Worten einer Upaniṣad [R44] sind die opfernden Menschen den Göttern ebenso nützlich wie die Haustiere den Menschen.

Nach Verwerfung der Werke bleibt das Wissen. Die Brāhmaṇas hatten dem Wissen höchsten Wert beigelegt. Wer die geheimen Bedeutungen und Beziehungen der Riten nicht kennt, der kann keine Wirkungen erzielen: Werk ohne Wissen ist machtlos. Die zauberhafte Macht des Wissens haben die Upaniṣaden für ihre Zwecke umgedeutet. Hatten die wissenden Opferpriester die kosmischen Beziehungen der Opferhandlungen beherrscht, so ist das Wissen des Erkenners in den Upaniṣaden auf die Beziehung seines Selbst und der ganzen Welt zum Ueberweltlichen, zum Absoluten gerichtet.

Die Natur dieses Wissens ist nun von ganz besonderer Art. Daß man sein Objekt nicht sinnlich erfassen kann, haben wir schon aus den Beispielen des Śvetaketu-Abschnitts erfahren. Damit eröffnet sich die weitere Frage, ob das Brahman intellektuell begriffen werden könne. Diese Frage ist zu verneinen. Mehrfach findet sich in den Reden Yājñavalkyas die Beschreibung des Absoluten durch die berühmten Worte »nicht, nicht!« [R45]. Kein Wort reicht hin zur Kennzeichnung des über alle Begriffe Erhabenen, »von dem die Worte samt dem Verstande ablassen, ohne es gefunden zu haben«. Durch Beilegung unvereinbarer Widersprüche und durch Verneinung aller möglichen Merkmale sucht der Weise die Unmöglichkeit jeder Schilderung deutlich zu machen: »Es ist das, o Gārgī, was die Weisen das Unvergängliche nennen; es ist nicht grob und nicht fein, nicht kurz und nicht lang; nicht rot (wie Feuer) und nicht anhaftend (wie Wasser); nicht schattig und nicht finster; nicht Wind und nicht Aether; nicht anklebend (wie Lack); ohne Geschmack, ohne Geruch, ohne Auge und ohne Ohr, ohne Rede, ohne Verstand, ohne Lebenskraft und ohne Odem; ohne Mündung und ohne Maß, ohne Inneres und ohne Aeußeres; nicht verzehrt es irgend etwas, nicht wird es verzehrt von irgendwem.« Mit den bildlichen Ausdrücken »Verzehrer« und »Verzehrtes« pflegen die alten Denker unsere Begriffe Subjekt und Objekt auszudrücken. Es ist also am Schlusse der eben angeführten Stelle gesagt, daß das Absolute weder Subjekt noch Objekt sein kann, weil eben das, was alles ist, kein Objekt haben und somit auch kein Subjekt sein kann. Dieser hochgespannte Gedanke, dem sich freilich die sonstige Auffassung von den Funktionen der Seele nicht widerspruchslos angliedern läßt, ist erst ganz an seinem Platze, wenn Yājñavalkya seine Gattin dahin belehrt, daß nach dem Tode für den Erlösten kein Bewußtsein sei. Dort [R46] erklärt er, daß zum Erkennen eine Zweiheit gehöre; wenn aber alles zum eigenen Selbste geworden ist, wie sollte dann noch etwas erkannt werden können?

Das erlösende Wissen der Upaniṣaden ist also kein intellektuelles, vielmehr ist es innere Schau, intuitive Gewißheit. Es ist das Wissen der Mystik. Diese Mystik will keine Definitionen, »nicht sinne der Weise vielen Worten nach, sie ermüden nur die Rede« [R47]. Sie zieht den Worten das innere Erleben vor, wie ein europäischer Mystiker des Mittelalters verächtlich von der » ventosa loquacitas philosophorum« gesprochen hat.

Diese mystische Schau enthält, historisch betrachtet, Elemente zu späterer Entwicklung. Aller Mystik liegt ja die Ekstase nahe, in der das innere Erlebnis des erstrebten Zustandes visionär verwirklicht wird. Solche Bestrebungen mit Hilfe äußerer und innerer Mittel werden wir weiterhin im Yoga kennenlernen. In den Reden Yājñavalkyas ist nichts davon zu spüren, der reine Schwung dieses Schauens bedarf weder einer besonderen Technik noch der Vision. Aber beides hat minderen Geistern, die in den ältesten Upaniṣaden zu Worte kommen, nicht gefehlt. So hören wir von dem Puruṣa im rechten Auge, der die jenseitige Form des Brahman verkörpert, daß er sich wie ein gelbes Saffrangewand, wie ein weißer Lotos, wie eine Flamme oder ein Blitz manifestiere [R48]; und neben solchen Visionen findet sich auch schon gelegentlich die Praxis der Atemregulierung als Mittel zur Vereinigung mit dem Höchsten [R49].

Und noch eine andere Strömung scheint sich mir neben dem Yoga vorzubereiten. Die intensive, fast möchte man sagen, innige Versenkung in die Idee des allverbreiteten Absoluten weist hin auf die Bhakti (Gottesliebe), deren große Bedeutung für Indien uns im Verlauf dieser Darstellung noch deutlich werden wird. Neigt doch der Ātman in seiner jenseitigen Gestalt selbst bei Yājñavalkya schon gelegentlich zur Verpersönlichung, und sei es vielleicht auch nur in der Ausdrucksweise; an minder hoch stehenden Stellen aber wird des öfteren das neutrale Brahman zum persönlichen Brahmangott.

Indem wir uns mit diesen Andeutungen begnügen, kehren wir zum Hauptfaden unserer Betrachtung zurück. Es gilt jetzt, die Wirkung des Brahman-Erlebnisses ins Auge zu fassen, die Einswerdung mit dem Absolutum im Leben und nach dem Tode zu schildern.

Yājñavalkya schließt seine oben besprochene Belehrung über die Taten und ihre Folgen mit den Worten: »So geht es mit dem Begehrenden. Nunmehr von dem Nichtbegehrenden. Wer ohne Begehren, frei von Begehren, selbst sein Begehren ist, dessen Lebenshauche ziehen nicht aus, sondern Brahman ist er und zu Brahman geht er hin … Wie eine Schlangenhaut tot und abgeworfen auf einem Ameisenhaufen liegt, also liegt dann dieser Körper; aber das Körperlose, das Unsterbliche, das Leben ist lauter Brahman, ist lauter Licht« [R50]. Bezeichnend, daß das Eingehen zu Brahman im Tode hier voransteht. Der Erlösungsgedanke schließt sich eben an frühere Jenseitshoffnungen an. Aber wie er über sie alle hinausragt durch die Tiefe seiner Konzeption, so beschränkt er sich auch nicht auf das Jenseits, sein mildes Licht leuchtet schon auf dieser Erde in vollem Glanze. Die Gewißheit, die aus den Worten Śāṇḍilyas spricht, ändert den Wissenden schon bei Lebzeiten. Wer sich als das All erlebt hat, kann nicht mehr begehren, denn, sagt über ein Jahrtausend später ein Anhänger dieser Lehre [R51], »Was kann wünschen, wer alles hat?« So ist das Nichtbegehren ein natürliches Korrelat des erlösenden Wissens von der Allnatur des Ātman: »Wer ihn erkannt hat, der wird ein Muni (ein schweigender Schauer)«. Er begehrt nicht mehr Nachkommen, nicht mehr Besitz, sondern er verläßt ( pravrajati) das Dorf und zieht als Bettler ( bhikṣu) umher. Die Folgen seiner guten und bösen Taten sind aufgehoben, er ist jenseits von gut und böse. Sein Selbst in allen erkennend ist er, voll innerer Ruhe und Gesammeltheit, im Vollbesitz des Friedens. Und kommt dann der leibliche Tod, so ist das nur eine geringfügige Veränderung. Sein individuelles Bewußtsein, über das er innerlich schon hinausgewachsen war, schwindet in der zeitlosen Geistigkeit des allseienden Ātman, der reine Wonne ist.

Daß dieser Standpunkt nicht Gemeingut weitester Kreise werden konnte, liegt auf der Hand. Selbst die weise Gattin Yājñavalkyas, die ihren Anteil bei der Besitzteilung ausschlägt, um über die Unsterblichkeit belehrt zu werden, gerät in Verwirrung, als sie vernimmt, daß nach dem Tode kein Bewußtsein sei. In einem Gespräch, das einmal, statt unter Menschen, unter Göttern stattfindet, fühlt sich Indra unbefriedigt von der Belehrung Prajāpatis, daß der unbewußte Zustand im Tiefschlaf die ersehnte Einswerdung mit Brahman bedeute: »Ach da kennt doch nun einer in diesem Zustand sich selber nicht und weiß nicht, daß er dieser ist, noch auch kennt er die anderen Wesen! In Vernichtung ist er eingegangen; hierin kann ich nichts Tröstliches erblicken« [R52].

Neben solchen Geistern, die nur vor der letzten Konsequenz zurückschrecken, finden sich andere, die die Ātman-Lehre in größerem und größtem Maßstabe mißverstehen. Schon die Theorie des Götterweges, auf dem der Kenner der Lehre zu Brahman gelangt, muß als Vergröberung: bezeichnet werden, wenn man auf den Sinn der Reden Yājñavalkyas hinblickt. Denn in ihnen scheint mir mit Deußen deutlich die Idee hervorzuleuchten, daß es sich beim Wissenden nicht um ein Werden zu Brahman, sondern um Realisierung eines immer Gegebenen handelt, welcher Gedanke aber bei der Natur des Denkens dieser Zeit die Māyātheorie durchaus nicht fordert. Schlimmer noch liegen die Dinge, wenn der Eingang zu der Welt des auf einem Ruhebett thronenden Brahman von einem Examen vor ihm abhängig gemacht wird und dann sinnliche Genüsse aller Art dem Zugelassenen als endgültige Belohnung winken. Am weitesten aber wird die Entfernung von den hohen Zentralgedanken, wenn, wie schon oben erwähnt, das Eingehen zu Brahman von der Befolgung eines rechten bürgerlich-brahmanischen Lebenslaufes abhängig gemacht oder gar als Geheimzauber zur Gewinnung von Menschen oder Sachen gebraucht wird. Wenn ich diese Erscheinungen Vergröberung oder Herabziehung der höchsten Lehre nenne, so ist das systematisch zu verstehen, da eine historische Abfolge der einzelnen Stücke in den ältesten Upaniṣaden nicht auch nur mit einiger Sicherheit aufgestellt werden kann und somit die Möglichkeit besteht, daß die Differenzen nicht der Entwicklung des Gedankens, sondern der Qualität der einzelnen Verfasser zugeschrieben werden müssen. Die Zentralgedanken aber sind von all dem nicht erstickt worden, ihr Fortleben in der indischen Geistesgeschichte wird uns noch oft zu beschäftigen haben.


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