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4. Kapitel: Jüngere Upaniṣaden

Wir haben im vorigen Kapitel die Hauptgedanken jener Gruppe von Upaniṣaden betrachtet, die auf Grund innerer und äußerer Kriterien lange vor der Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. angesetzt werden müssen. Aus den mannigfach gewendeten Gedanken, die dort vorgetragen wurden, lassen sich zwei große Resultate feststellen:

1. Im Zentrum steht die Idee des Absolutum, des Brahman. Die Einzelseele, der Ātman im Menschenleibe, ist ihrer Natur nach das Weltprinzip Brahman, der universale Ātman. Aber diese so oft als Identität bezeichnete Wesenseinheit bedarf der Realisierung durch das Erlebnis dieser Einheit. So wird man zu Brahman, das ist die Erlösung. Auch die Materie ist im Grunde Brahman, denn sie stammt daraus. Sofern sie aber vom Urgrunde verschieden ist, wird sie als minderwertig betrachtet.

2. Die Erlösung wird durch Wissen bewirkt. Wer sie nicht erlangt, wird wiedergeboren. Die Art dieser Wiedergeburt bestimmen die früheren Taten. Das ist der Saṃsāra.

Wir wenden uns nun zu einer zweiten und dritten Gruppe von Upaniṣaden. Die erste derselben zeigt gegenüber den älteren erhebliche Unterschiede, die wir am besten mit Deußens Worten charakterisieren: »Der Zusammenhang mit den Śākhās (Vedaschulen) erscheint teils zweifelhaft, teils künstlich gemacht, ist unter allen Umständen nur ein lockerer; die āraṇyaka-artigen Allegorien fehlen; der Upaniṣadgedanke ist nicht mehr in der Entwicklung begriffen, sondern erscheint überall als ein fertig überkommener; bestimmte Verse und Wendungen, in denen er sich ausprägt, kehren überall wieder; eine Phraseologie hat sich bereits gebildet; die Sprache ist fast durchweg metrisch« [R53]. Die dritte Gruppe ist wieder zur Prosa zurückgekehrt, doch ist diese Prosa von der der alten Upaniṣaden durchaus verschieden. Diese Gruppe benutzt und zitiert auch vielfach die beiden ersten. Unsern folgenden Betrachtungen legen wir von der zweiten Gruppe Kāṭhaka und Śvetāśvatara, von der dritten Maitrāyaṇa zugrunde. Dem Alter nach folgen diese drei Upaniṣaden in der Reihenfolge, in der sie eben genannt sind, aufeinander. Dieser sichergestellten Chronologie untereinander entspricht nun aber leider keinerlei Sicherheit über die absolute Chronologie dieser Texte. Dazu kommt, daß die Vers-Upaniṣaden noch weniger als die alten Prosa-Upaniṣaden Einheiten darstellen. Wie leicht fügen sich Strophen in die Zusammenhänge ein, deren Lockerheit sich jedem kritischen Leser sofort aufdrängt. Und Verse wandern so leicht durch lange Zeit von Mund zu Mund und lassen sich so leicht durch eine kleine Umstellung einer neuen Umgebung einpassen.

Diese Unsicherheit der Datierung ist besonders beklagenswert, weil es sich hier gerade um eine der wichtigsten Fragen der altindischen Geistesgeschichte handelt, nämlich um die Frage nach dem Alter und der Entstehung der Sāṃkhyaphilosophie. Die klassische Form dieses Systems werden wir später (Kap. 8) aus der Sāṃkhyakārikā des Īśvarakṛṣṇa kennenlernen, welches Werk ins 5. oder 4. nachchristliche Jahrhundert gehört. Aber wesentliche Ideen des Sāṃkhya reichen um viele Jahrhunderte weiter zurück: nicht nur ist das große Epos in seinen didaktischen Teilen voll davon (vgl. Kap. 6), auch die Upaniṣaden der dritten und zweiten Gruppe enthalten zahlreiche solche Elemente, und endlich sind Beziehungen zur Sāṃkhyaphilosophie und dem mit ihr eng zusammengehörigen Yoga in den ältesten buddhistischen Texten deutlich erkennbar. Man kann also sagen, daß nach den ältesten Upaniṣaden Sāṃkhya-Ideen aufgekommen sein müssen.

In welcher Form haben wir uns nun dieses Sāṃkhya zu denken? Die weitgehendste Hypothese [R54] beantwortet diese Frage dahin, daß der mythische Seher Kapila, dem spätere Tradition die Begründung des Systems zuschreibt, als historische Persönlichkeit anzusehen sei, der das Sāṃkhyasystem in allem Wesentlichen so aufgestellt habe, wie es uns in seiner klassischen Form aus der Kārikā bekannt ist. Eine andere Auffassung [R55] lehnt die Historizität Kapilas ab und nimmt an, daß sich vor Buddha ein primitives Sāṃkhya abseits von den altbrahmanischen Gedankengängen gebildet habe, das sich in vieler Hinsicht von der klassischen Form unterschied, aber doch schon ein einigermaßen geschlossenes, unabhängiges System darstellte; die Ideen dieses Systems seien dann allmählich in die Upaniṣadkreise eingedrungen und hätten jene Gedankenmischungen erzeugt, die wir in Kāṭhaka usw. in steigendem Maße finden. Es ist hier nicht der Ort, das Für und Wieder dieser Hypothesen zu erörtern. Unsere Stellung zu ihnen ist kurz folgende: die erste Hypothese scheint unannehmbar, die zweite durchaus möglich aber weniger wahrscheinlich als eine dritte [R56], nach welcher die Sāṃkhya-Ideen in engem Zusammenhang mit den Spekulationen der ältesten Upaniṣaden allmählich entstanden sind und demgemäß allmählich in den Upaniṣaden der zweiten und dritten Gruppe zutage treten. Schließlich sei noch hinsichtlich des Verhältnisses der drei oben genannten Upaniṣaden die Vermutung ausgesprochen -- von irgendwelcher Sicherheit kann keine Rede sein --, daß Kāṭhaka und Śvetāśvatara vorbuddhistisch sein mögen, und zwar Kāṭhaka vielleicht ihrer jetzigen Form nach, Śvetāśvatara wenigstens dem größten Teil ihres Materials nach, während Maitrāyaṇa lange nach dem Auftreten des Buddha anzusetzen sein dürfte.

Im Bṛhadāraṇyaka (4, 4, 22) hören wir aus dem Munde Yājñavalkyas von solchen, die, um die Welt des Ātman zu gewinnen, ihren Besitz aufgaben und als Bettler, als Wanderer das Dorf verließen. Wir dürfen annehmen, daß diese Männer die alten Gedanken weitergedacht haben, und daß sich unter ihnen im Zusammenhang mit dem Alten Neues gebildet hat. Das ist ganz das Bild, das uns die Upaniṣaden der zweiten Gruppe geben. Die Gedanken, daß man die Vereinigung mit dem Absoluten, die Erlösung von der Wiedergeburt erstreben müsse, stehen auch weiterhin im Vordergrunde. Aber man denkt auf der Grundlage der alten Ueberlieferung diese Gedanken nun weiter durch: das Verhältnis des Absoluten zur Materie zieht die Aufmerksamkeit auf sich, man erarbeitet Evolutionsreihen, in denen die verschiedenen Faktoren des Materiellen, des Psychischen und des Höchsten durch wohlgeordnete Aufeinanderfolge in ihrem gegenseitigen Wert und ihrer wechselseitigen Beziehung klargestellt werden sollen. Das ist Sāṃkhya, d. h. die Philosophie, die durch »Aufzählen« charakterisiert ist. Solche Reihen dienen aber nicht nur dem Zwecke der Klarstellung, sie haben auch praktischen Nutzen. Der Weg zum Höchsten, den man um der Erlösung willen finden muß, ist ja nicht durch intellektuelle Erkenntnis zu gewinnen, es bedarf, wie wir schon sahen, des inneren Erlebens, einer Versenkung in das Absolute unter Abwendung von dem, was davon verschieden und daher leidvoll ist. Einer solchen Abwendung dient die Reihe, die vom Niedrigen durch Höheres zum Höchsten führt. Da entfernt man sich vom Materiellen, da läßt man das Intellektuelle hinter sich und gelangt zur inneren Stille der reinen Versenkung. Das ist der Yoga. Ein Drittes endlich wird im Zusammenhang mit der Idee des Absoluten gefunden. Nicht nur in Stellen, wo vergröbernde Vorstellungen zu krassem Anthropomorphismus führen, sondern oft gerade in den feinsten Predigten Yājñavalkyas findet sich eine Neigung, von dem universellen Ātman als dem alleinigen Herrn zu sprechen, auf dessen Geheiß die Sonne aufgeht und die Ströme fließen. Die Herrlichkeit des höchsten Brahman gestaltet sich jetzt in manchen Kreisen zu einem überweltlichen Gott, der dank der dazwischenliegenden Geistesarbeit sehr verschieden ist von den alten Göttern, denen man in der Ṛgveda- und Brāhmaṇaperiode opferte. Seine Gnade hilft auf dem schweren Pfade der Erlösung vorwärts, und zu gewinnen ist diese göttliche Hilfe eben durch das Verständnis von Gottes Größe, durch die Realisierung des Brahman, welches der Gott ist. Das ist der neue Theismus.

Wir beginnen unsere Betrachtung mit der Kāṭhaka-Upaniṣad, die durch Benutzung einer alten Brāhmaṇageschichte -- ein in das Reich des Todesgottes verschlagener Jüngling empfängt von diesem Belehrung -- ihren Zusammenhang mit der alten Tradition selbst bekundet, während der zweite Teil der Upaniṣad einen jüngeren Eindruck macht [R57].

Indem wir nun mit der Kāṭhaka-Upaniṣad den Kreis der Vers-Upaniṣaden betreten, drängt sich zuerst die Frage auf, wie sich diese Gruppe in ihrer Zielsetzung zu den alten Prosa-Upaniṣaden verhalte. Wir können diese Frage dahin beantworten, daß das Ziel durchaus das gleiche geblieben ist: das Eingehen zum Absoluten ist hier die Erlösung, wie sie es in der Lehre Śāṇḍilyas und Yājñavalkyas ist. Bedingung dieser Erlösung ist das rechte Wissen. Auch diese Bedingung ist uns schon bekannt, aber sie hat jetzt erhebliche Erweiterungen erfahren; man fühlt, daß hier weiter gearbeitet worden ist. In älterer Zeit bestand das Wissen in der Erkenntnis von der Wesensgleichheit meiner Seele mit der Allseele. Solche Erkenntnis ist auch jetzt gefordert, aber die Verhältnisse, die man dabei zu durchschauen hat, sind komplizierter geworden: Da ist die Seele im Leibe mit ihren Funktionen, da ist die Seele in ihrer Allverbreitetheit in der Welt und da ist die absolute Seele in ihrer Freiheit von der materiellen Welt. Und zwischen diesen verschiedenen Manifestationen des Ātman hat die Materie wieder einen selbständigen Platz gewonnen. In alten Zeiten hatte man, wie wir sahen, vom Schöpfer und von den Urwassern gesprochen, und aus jenen Urwassern hatte man dann den Urgott als Erstgeborenen der Schöpfung wieder hervorgehen lassen. Die große Entdeckung des allgegenwärtigen Brahman-Ātman hatte dann in den ältesten Upaniṣaden den Gedanken an die Materie entweder ganz zurückgedrängt oder sie auf verschiedene Weise in absolute Abhängigkeit von dem geistigen Brahman gebracht. Nun findet sich das Denken bei der weiteren Ausarbeitung der alten Upaniṣad-Ideen wieder genötigt, die Frage nach der Urmaterie aufs neue ins Auge zu fassen. In gereifterer Form treten die alten Ideen in neuer Beleuchtung wieder in ihre Rechte, die Urmaterie wird wieder ein selbständiges Prinzip neben dem Urgeist. Sie heißt jetzt Avyakta, das Unentfaltete. In seinem Bereich ist die Einzelseele, die im Leibe wohnt, ist auch die große Seele ( mahān ātmā), die die Welt erfüllt. Dieser große Ātman scheint den alten Erstgeborenen der Schöpfung zu vertreten oder auch »jenes große ungeborene Selbst, welches unter den Hauchen jener aus Erkenntnis bestehende ist« [R58]. Die Wesenseinheit dieser verschiedenen Seelenaspekte muß man erkennen; wer dies Wissen besitzt, der wird frei von Kummer im Leben und braucht nicht wiederzukommen, denn er ist zur absoluten Seele geworden. Daß sich neben diesen neuen Scheidungen die älteren einfacheren Auffassungen reichlich wiederfinden, kann nicht wundernehmen. Die mystische Dichtung aller Zeiten, und besonders in Indien, hat niemals das Bedürfnis nach strenglogischen Scheidungen empfunden oder das Gefühl für das Aufeinanderstoßen verschiedenartiger Elemente besessen. Im Epos und besonders in der Bhagavadgītā werden wir diese Beobachtung immer wieder machen können.

Wie erlangt man nun das erlösende Wissen? Der natürliche Weg ist auch hier wie von jeher die Belehrung durch einen Kundigen, denn selbständiges Grübeln führt nicht zur Ātman-Erkenntnis. So stellt sich ja unsere ganze Upaniṣad durch die Einleitungsgeschichte als eine Belehrung des fragenden Brahmanenjünglings durch den Todesgott dar, welcher erst nach allerlei Ausflüchten den Schleier von der geheimen heilbringenden Wahrheit zu heben bereit ist. Aber nicht überall wird die Belehrung als gangbarer Weg betrachtet. Wir finden sie an einer Stelle (2, 23) neben Verstand und Gelehrtheit verworfen: »Wen er sich erwählt, der kann ihn erfassen, dem offenbart der Ātman sich selbst.« Leicht möglich, daß dieser Vers hier nicht seine ursprüngliche Stelle hat [R59], da die hier verkündigte, in unserer Upaniṣad sonst nicht übliche Gnadenwahl auf den in der Śvetāśvatara-Upaniṣad vertretenen Theismus hinweist.

Aber die Belehrung vermittelt noch nicht die erstrebte Schau, deren mystische Natur wir früher charakterisiert haben. Es bedarf einer inneren Vorbereitung, durch welche die unruhige Seele zu der Stille kommt, in der allein die Verwirklichung der Ātman-Erkenntnis möglich ist:

»Nicht, wer von Frevel nicht abläßt,
Unruhig, ungesammelt ist,
Nicht, dessen Herz noch nicht stille,
Kann durch Forschen erlangen ihn« [R60].

Auf diese Leidenschaftsbezwingung gehen eine Reihe wichtiger Verse (3, 3 f.), die wir nunmehr ins Auge fassen. Unter dem Bilde des Wagens wird das Verhältnis der Seele zum Leibe und zur Außenwelt dargestellt: Der Ātman fährt im Wagen des Leibes, den die Vernunft ( buddhi) lenkt; ihr Zügel ist das Denkorgan ( manas), die Sinnesorgane sind die Rosse und die Dinge der Außenwelt sind die Fahrbahn. Die unbändigen Rosse zu zügeln ist die Aufgabe des Weisen, und dazu bedarf es des angespannten Zügels, d. h. das Denkorgan ( manas) muß yukta sein. Dieses Wort aber kommt von der Verbalwurzel, von der auch »Yoga« abgeleitet ist. Beachtenswert ist in diesem Bilde ferner die Stellung der Seele: nicht sie ist angespannt, sondern ihr Organ, das Manas; sie selbst fährt im Wagen, wie wir uns den Kämpfer im Streitwagen zu denken haben, ohne sich mit der Lenkung zu befassen, weil Wichtigerem zugewandt; ihr Organ, die Buddhi (Vernunft), lenkt den Wagen. So steht der Ātman nur durch Manas und Sinnesorgane mit den Sinnendingen in Beziehung, und als solcher ist er der Erfahrer oder Genießer ( bhoktṛ), d. h. er ist die Seele im empirischen Zustande. Diese soll durch Bezwingung ihrer Organe zu ihrem Ziele kommen. Charakteristisch für das Hin und Her zwischen Altem und Neuem ist es, daß als Ziel am Schlusse dieser Verse »der höchste Schritt Viṣṇus« genannt ist, jene mythische Bezeichnung des Ortes der Seligen, die schon in den Hymnen des Ṛgveda begegnet.

Hat das Bild des Wagens mit dem Wagenfahrer, dem Wagenführer, dem Zügel, den Rossen und der Bahn gezeigt, daß die Selbstbezwingung durch Kontrolle der Sinnesorgane mittels Anspannung des Manas zu geschehen hat, so führt uns eine anschließende Versgruppe (3, 10 f.) auf diesem Weg weiter, indem sie erst die Reihenfolge der einzelnen Faktoren des Erlösungsweges angibt, um dann die auf diese Stufen anzuwendenden Methoden zu lehren. Die Zweiteilung dieser Belehrung ist von Bedeutung. Wir können den ersten Teil als Theorie bezeichnen, dem dann als zweiter Teil die Praxis folgt. Die Theorie ist die Aufzählung der Prinzipien, Aufzählung aber ist Sāṃkhya. Die Praxis ist die Benutzung dieser Reihe zur Hemmung oder Zügelung des jeweils unteren Faktors in dem nächst höheren. Die Ausdrücke, die für diese Zügelung verwendet werden ( yam, niyam), sind termini technici des Yoga, die freilich in systematischeren Stadien der Yogalehre für die ersten Stufen der Versenkung reserviert sind, hier aber, wo die Lehre noch in sehr einfacher Form auftritt, für alle Stufen gleichmäßig verwendet werden.

Die Aufzählung der Faktoren, die gleichzeitig eine Stufenfolge ist, beginnt mit den Sinnesorganen, denen die Dinge übergeordnet sind [R61]. Dann folgt das Manas (das Denkorgan als sechstes Sinnesorgan, etwa unser »Verstand«), darauf die Buddhi (die Intelligenz, etwa unser »Vernunft«), dann der Mahān ātmā (wörtlich der große Ātman, wahrscheinlich der Ātman, insofern er in die Welt eingegangen ist), dann das Avyakta (wörtlich das Unentfaltete, etwa unser »Urmaterie«) und endlich der Puruṣa (die Seele in ihrer Absolutheit). Und nun wird in einem Verse ganz kurz die Praxis der Versenkung angedeutet: Manas und die Sinnesorgane (für welche hier »die Rede« als Repräsentant auftritt) soll man zur Beruhigung bringen im »Erkenntnis-Selbst«, d. h. in der Buddhi, die hier die Einzelseele repräsentiert, dies wiederum im großen Ātman und diesen endlich in dem stillen Ātman, d. h. im Puruṣa.

Aehnlich wie diese Lehre über die Prinzipien und ihre Verwendung im Yoga den ersten Teil der Kāṭhaka-Upaniṣad beschließt, erscheint eine solche Belehrung auch als Krönung des zweiten Teils (6, 6 f.), nur abgeklärter und entwickelter. Die Stufenfolge von den Sinnen bis zum Puruṣa ist hier mit Auslassung der »Dinge« dieselbe, nur daß die Buddhi hier »Sattva« (Realität, Klarheit) genannt ist, ein Ausdruck, dessen Bedeutung uns bald beschäftigen wird. Deutlicher tritt hier aber vor allem der Yoga auf. Nicht nur wird er ausdrücklich mit Namen genannt, sondern es erscheint auch ein weiterer Terminus des Systems als Definition des Yoga: die Fixierung ( dhāraṇā) der Sinnesorgane. »Wenn die fünf Erkenntnisorgane samt dem Manas stillstehen und die Buddhi unbeweglich ist, so nennen sie das den höchsten Weg (zur Erkenntnis)« (6, 10). Ferner wird gesagt, daß das Wissen von der Gesondertheit der Sinne über allen Schmerz erhebt, d. h. es wird die Abgesondertheit der Seele von ihren leiblichen Funktionen betont. Mit diesem Gedanken tut sich für uns als historische Betrachter und systematisch Scheidende (aber nicht notwendig für den Dichter dieser Stelle) ein entscheidender neuer Aspekt auf: die Scheidung des Ichs vom Nicht-Ich, von Geistigem und Materiellem. Lag früher der Ton auf dem Werden zum Absoluten, so liegt er nun auf dem Sichlösen von der Materie. Wie den Halm aus dem Schilfe, heißt es im Schluß des zweiten Teils unserer Upaniṣad, soll man den Puruṣa aus dem Leibe ziehen. Einen weiteren Schritt in dieser Richtung wird uns im folgenden Kapitel der Buddhismus zeigen: die reine Loslösung.

Von der Kāṭhaka-Upaniṣad wenden wir uns zur Śvetāśvatara-Upaniṣad, deren metrische Praxis [R62] den jüngeren Eindruck, den man von ihrem Inhalt empfängt, bestätigt. Dazu kommt ein literarhistorisches Moment: Während sich die erste Upaniṣad an eine auch sonst durch zu ihr gehörige Texte bekannte Vedaschule anschließt, entbehrt die zweite nicht nur solcher Anknüpfung (obwohl sie sich innerlich durch den Gebrauch zahlreicher altvedischer Verse mit der alten Tradition verbunden zeigt), sondern erklärt selbst in einem ihrer Schlußverse, den über die Āśramas Erhabenen vorgetragen worden zu sein, d. h. einem Kreise von Männern, die den durch die brahmanische Ordnung vorgeschriebenen Lebensstadien als Schüler, Hausvater usw. abgesagt und in freier Gemeinschaft ihre Ideale zu verfolgen unternommen hatten [R63]. Die Probleme, die solche Kreise beschäftigten, werden im Anfang unserer Upaniṣad namhaft gemacht: »Ist Brahman die (oder eine) Ursache? Woher stammen wir? Wodurch leben wir? Worauf sind wir gegründet (d. h. was ist der letzte Sinn unseres Lebens)? Von wem beherrscht in Lust und Leid bewegen wir uns hin nach dem Zustande des Brahman-Kenners (d. h. nach der Erlösung)? Ist Zeit oder Natur, Notwendigkeit oder Zufall, die Elemente oder der Puruṣa der Urgrund?« Daß diese Fragen hier nicht individuelle Einfälle sind, sondern wirklich das Suchen der Denkenden kennzeichnen, ist durch parallele Aeußerungen in buddhistischen und jinistischen Texten hinlänglich bezeugt.

Aus diesen Problemen findet unsere Upaniṣad den Ausweg durch ihre These von dem einen Gotte. Diese Gotteslehre aber erscheint inmitten eines Strudels von Begriffen, in welchem die Brahman-Ātman-Idee der ältesten Upaniṣaden in gewisser Fortbildung und die Anschauungen des Sāṃkhya-Yoga, deren einfachere Form uns in der Kāṭhaka-Upaniṣad entgegentrat, mit altvedischen Versen eine schwer darstellbare Gemeinschaft bilden. Denn von einer solchen wird man doch reden dürfen, auch wenn man an einen einheitlichen Autor des Werkes zu glauben für unmöglich hält. Wir werden die Upaniṣad als das Produkt eines Kreises anzusehen haben, aus dem sie, sei es durch einmalige Zusammenfassung vorhandener Materialien, sei es durch allmähliches Anwachsen, hervorgegangen sein muß. Die Bekanntschaft mit den früheren Produkten der indischen Literatur zeigt sich in der Benutzung von Versen aus den philosophischen Ṛgvedahymnen und von Versgruppen aus Hymnen, die zum Opfergebrauch in verschiedenen Schulen des Veda der Opfersprüche (Yajurveda) zusammengestellt waren, während man bei den sich hier wiederfindenden Versen aus früheren Upaniṣaden zweifelhaft sein kann, ob wirkliche Entlehnung vorliegt oder ob es sich hier nicht um Gemeingut der Asketenschulen handelt.

In dem Wirrwarr unserer Upaniṣad kann uns ihr Gottesbegriff noch am besten zum Führer dienen. Daß dieser Gott aufs engste mit der Brahman-Idee zusammenhängt, zeigt seine so häufig betonte Allverbreitetheit. Wer ihn in den Elementen wie im Seelischen erkennt, wird erlöst. Eine Reihe altvedischer Verse, deren Einzelheiten man natürlich nicht pressen darf, fließen zur Bekräftigung der göttlichen Allgegenwart ein. Und diese Verse erhalten einen vertieften Sinn, indem sie von der Brahman-Idee, wie die ältesten Upaniṣaden sie erarbeitet haben, ihre Beleuchtung empfangen. Wenn aber auch Gott so mit dem Brahman gleichgesetzt oder als der Antreiber des als »Brahman-Rad« bezeichneten Weltgetriebes dargestellt wird, so wird er andererseits auch wieder unter dem Brahman-Begriff mit Welt und Seele als Dreiheit zusammengeordnet. Darin zeigt sich so recht die Stärke der allumfassenden und dabei abstrakten Brahman-Konzeption, daß sie sich selbst neben dem lebendigen Gottesbegriff, nicht nur mit ihm verfließend, sondern sogar ihn überschattend, zu halten vermocht hat. Aehnliche Verhältnisse werden wir in der Bhagavadgītā und viel später in dem theistischen Vedānta Rāmānujas kennenlernen.

Besonders eigentümlich zeigt sich der Gottesbegriff unserer Upaniṣad im Verhältnis zur Materie, deren Selbständigkeit uns das Sāṃkhya der Kāṭhaka-Upaniṣad vor Augen geführt hat. Alten, mit dem Gottesglauben verbundenen Anschauungen gemäß wird die Materie des Sāṃkhya (der technische Ausdruck des Sāṃkhya für Materie: pradhāna, Hauptsache, wird dabei gebraucht) sogar als vergänglich ( kṣara) dem unvergänglichen Gott gegenübergestellt. Da aber kṣara auch die Bedeutung »fließend« besitzen kann, ist gleichzeitig der Sāṃkhyagegensatz zwischen Prakṛti und Puruṣa, Werden und Sein, angedeutet. In demselben Verse (1, 10) wird dann dem, der sich nach Yogaart dem Gott gegenüber verhält, Aufhören der Māyā verheißen. Dieser für die indische Philosophie wichtige Begriff, in dem später der Illusionismus des monistischen Vedānta seinen Ausdruck findet, zeigt sich mehrfach in unserer Upaniṣad. Das Wort Māyā wird schon in den Hymnen des Ṛgveda in der Bedeutung »Zauberkunststück« für Gestaltverwandlung u. ä. der Götter gebraucht. In unserem Text (4, 9-10) wird von dem Gott als Zauberer ( māyin) gesprochen, der diese ganze Welt erschaffen hat, während die Seele (hier der »andere« genannt) durch das Zauberstück ( māyā) gebannt ist, und dann wird noch ausdrücklich hinzugefügt, das Zauberstück sei die Natur ( prakṛti, Sāṃkhya-Terminus für Urmaterie) und die ganze Welt sei von den Teilelementen des großen Gottes durchdrungen.

Haben wir hier die Anschauung des Illusionismus, wie sie uns später in den Kārikās des Gauḍapāda entgegentritt? Ich glaube das nicht und möchte Oldenbergs Ansicht [R64] für richtig halten, daß, was der Zauberer schafft, für den Augenblick wirklich da ist. Das tertium comparationis scheint mir hier nicht in der Unwirklichkeit des Hingezauberten zu liegen, sondern in der souveränen Macht, mit der der Zauberer spielend etwas hinstellt, so wie später göttliche Taten gern als »Spiel« ( līlā) bezeichnet werden. Dazu stimmt einerseits, daß der Gott ja selbst mit seinen Teilelementen (mögen diese nun geistig oder materiell gedacht sein) in diesem Zauberstück steckt, und daß andererseits ein Zweifel an der Weltrealität nirgends ausgesprochen ist. Daß aber die menschliche Seele in diesen Zauber gebannt ist, bedeutet nur, daß sie im Irrtum über ihre wahre Zugehörigkeit in dem sich drehenden Brahman-Rade verweilt, die »süße Beere« des Baumes (der sinnlichen Welt) genießt, statt durch die Erkenntnis Gottes sich loszulösen und ihre absolute Natur zu verwirklichen.

Auch in dem Verhältnis zur Einzelseele hat das Vorbild des Brahman-Ātman teilweise auf den Gottesbegriff gewirkt. Er ist die Einzelseele, wohnt als Puruṣa im Herzen, wandert entsprechend den Taten von Geburt zu Geburt, und ist doch wieder nicht die Einzelseele, die ihm, dem Absoluten, als der »andere« gegenübersteht. In dieser Gegenüberstellung tritt bald der Gegensatz der weltbefangenen und der durch Erkenntnis oder Yoga freigewordenen Seele hervor, welch letztere dann mit Gott als dem absoluten Puruṣa zu verschwimmen scheint, bald steht der Gott als Herrscher über diesem Gegensatz. Diese Unklarheiten lassen sich historisch verstehen als ein Schwanken zwischen der alten Anschauung, daß das Seelisch-Geistige das allbewegende Prinzip ist, und der neuen noch in der Abklärung begriffenen Auffassung, daß der Puruṣa in Wahrheit tatenlos ist.

Aber neben dieser Einordnung des Gottesbegriffes in die alten und neuen Auffassungen von Geist und Materie fehlt hier auch nicht -- wie könnte es anders sein? -- die mythische Vorstellung des Gottes. Boten doch die altvedischen Texte überreiche Gelegenheit, den neuen Gottesbegriff mit alten Anschauungen zu schmücken und zu stützen. Unter dem Namen Rudra vor allem, dem sich das Beiwort Śiva, bald noch als Adjektivum in der Bedeutung »gnädig«, bald schon als Appellativum beigesellt, wird der Gott als Herrscher gefeiert, der die Welt nicht nur schafft und regiert, sondern auch am Ende zerstört. Als Rudra hat er, wie der Urgott vergangener Perioden, den erstgeborenen Gott der Schöpfung Hiraṇyagarbha (den goldenen Keim) erzeugt oder hat wenigstens als der Aeltere, ihn entstehen sehen, ihn ebenso wie den uralten Seher Kapila, den mythischen Begründer der Sāṃkhyalehre, den er mit dem Wissen erfüllt hat, das ihn berühmt gemacht hat. Zu dieser Stimmung paßt es, daß sich den noch zu erörternden Yogavorschriften im zweiten Kapitel unserer Upaniṣad ein ausführliches Gebet an Savitar, den altvedischen Antreibergott, vorgelagert hat, wie ja dieses Gottes altheiliger Name in jenem berühmten, nach ihm »Sāvitrī« genannten Verse enthalten ist, der die feierliche Aufnahme des brahmanischen Schülers beim Lehrer krönt. An anderer Stelle (4, 18) wird auf diesen Vers im Verein mit anderen Reminiszenzen angespielt. So wird von dem herrschenden Gott gesagt, daß er »weder seiend noch nichtseiend« ist (vgl. den Schöpfungshymnus des Ṛgveda) oder es wird der Refrain des Fragehymnus zitiert usw.

Neben all diesem, enger, loser oder kaum damit verbunden, wird uns aber über Sāṃkhya und Yoga mancherlei mitgeteilt, was uns über die Data der Kāṭhaka-Upaniṣad hinausführt. Eine neue brauchbare Aufzählung der Sāṃkhyaprinzipien finden wir freilich nicht, ein bedauerlicher Zufall, der uns einer wertvollen Einblicksmöglichkeit beraubt, denn die Beschreibung des Brahman-Rades (1, 4 f.) mit dem einen Radkranz, den sechzehn Enden, fünfzig Speichen usw. und des Stromes mit fünf Bächen, fünf Quellen, fünf Strudeln usw., deren Deutung wohl auf die Sāṃkhyaprinzipien zu gehen hat, überläßt eben doch die Ausfüllung dieser Zahlen unsern Vermutungen und kann daher als Tatsachenquelle nicht benutzt werden. Dagegen klärt sich der Begriff der Urmaterie ( prakṛti, pradhāna), die als »die eine, mit den Objekten für den Genießer (d. i. den puruṣa) verbundene Ungeborene« bezeichnet wird. Ein vielbesprochener Vers (4, 5) gibt auf Grund eines Wortspiels ( aja »der Ungeborene« oder »Bock«, ajā »die Ungeborene« oder »Ziege«) dem Verhältnis von Prakṛti und Puruṣa deutlichen Ausdruck:

»Die eine rot und weiß und schwarze Ziege,
Die viele Junge wirft von gleicher Farbe,
Bespringt der eine Bock voll Lust, -- der andere
Nachdem er sie genossen, trennt sich von ihr.«

Hier treten die Anschauungen eines ausgebildeten Sāṃkhyasystems deutlich hervor: die Ziege (oder die Ungeborene, d. h. Ewige) ist die Prakṛti, ihre Jungen sind die Faktoren der Welt, die alle aus der Urmaterie stammen. Der Bock (oder der Ungeborene), der sich mit ihr begattet, ist die Seele, die sich in die Materie verstrickt, während der andere, der sich nach dem Genuß von ihr trennt, die Seele darstellt, die sich nach ihren Erfahrungen mit der Materie von ihr freimacht, weil sie das eigene wahre Wesen erkannt hat. Dieser Gegensatz der nicht-wissenden gebundenen und der wissenden sich isolierenden Seele wird auch sonst des öfteren in unserem Texte betont, wobei dann, wie wir schon sahen, die absolute Seele die Tendenz zeigt, mit dem höchsten Puruṣa, dem Gotte, zu verfließen.

Besondere Beachtung verdienen noch die Farben der Ziege. Daß sich hier der Zusammenhang mit den drei Urelementen und ihren Farben des Śvetaketu-Abschnitts aufdrängt, hat man schon im indischen Mittelalter gesehen. Für das Sāṃkhya sind diese drei Farben der Prakṛti von hoher Bedeutung. Es sind die drei Konstituenten der Materie, die zwar in unserem Vers nur durch ihre Farben angedeutet, aber an anderen Stellen der Upaniṣad mit ihrem Namen »Guṇa« bezeichnet werden, wenn sie auch noch nicht wie später einzeln benannt sind als Sattva (Klarheit), Rajas (Nebel) und Tamas (Finsternis). Diese Namen deuten schon darauf hin, daß die Grundkonzeption der drei Guṇas auf atmosphärischen Beobachtungen beruht haben wird, aus denen sich die Zuweisung der Farben Weiß, Rot, Schwarz hinlänglich verstehen läßt. In alten Opferrufen war die Dreiteilung des Universums in Erde, Luftraum und Lichtwelt von altersher festgelegt. Die naheliegenden Uebertragungen auf Geistig-Seelisches sind sicher sehr bald hinzugetreten. Vielleicht dürfen wir die in der Kāṭhaka-Upaniṣad gefundene Bezeichnung der Buddhi als Sattva in diesem Sinne deuten, wodurch sich dann schon dort die spätere Verlegung der geistigen Funktionen ins Bereich der Materie ankündigen würde. Eine wirkliche Erwähnung der Guṇas kommt freilich in der Kāṭhaka-Upaniṣad ebensowenig vor, wie sich die Guṇa-Theorie in den Sāṃkhya-Elementen des Buddhismus findet.

Neben dem Sāṃkhya wird auch hier wieder der Yoga als Mittel zur Erreichung der höchsten Erkenntnis genannt: »Wenn man diese durch Sāṃkhya und Yoga zu erreichende Ursache als den höchsten Gott erkannt hat, wird man von allen Fesseln erlöst« (6, 13). Zu den aus der Kāṭhaka-Upaniṣad schon bekannten Yogaausdrücken tritt hier ein neuer: Dhyāna, die Meditation, den wir auch im buddhistischen Yoga wiederfinden werden. Vor allem aber ist in unserem Text ein zusammenhängendes Stück (2, 8 f.) aufbewahrt, das in einer gewissen Ausführlichkeit eine Reihe entscheidender Züge der Yogapraxis vorführt. Neben der uns schon bekannten Einziehung der Sinne und des Manas ins Innere, wobei auf das ebenfalls schon besprochene Bild von dem Wagen mit den schlechten Rossen hingedeutet wird, finden wir hier einen Hinweis auf die für den Yoga so wichtige Atempraxis. Wir können zum historischen Verständnis dieser Atempraxis an die große Rolle erinnern, die der Hauch ( prāṇa) in den alten Brāhmaṇatexten spielte, ferner an den Gebrauch, den die ältesten Upaniṣaden vom Hauche bei der Umdeutung des äußeren Feueropfers in ein inneres gemacht haben: man lernte, durch den Atem im Feuer des eigenen Leibes zu opfern. Vielleicht Hand in Hand damit und jedenfalls für unser Verständnis am bedeutungsvollsten scheint die früh erkannte Erfahrungstatsache des Zusammenhangs zwischen dem Tempo der Atmung und des Vorstellungsverlaufs, wie ihn unsere moderne Physiologie bestätigt [R65]. Auch über die Oertlichkeit, die man sich zu Yogaübungen aussuchen soll, berichtet unser Stück: eben und sauber soll der Platz sein, durch liebliche Laute und Wasser dem Geiste angenehm, nicht quälend für das Auge, eine windgeschützte Höhle. Diese Vorschriften zeigen uns den Unterschied des Yoga gegenüber dem schon wiederholt berührten Tapas, mit dem ihn Urverwandtschaft verbindet. Yoga ist keine Kasteiung, keine Selbstqual, sondern eine Disziplin höherer Ordnung, die auf die Wegräumung äußerer Hindernisse bedacht ist, um die schwierige Arbeit im Innern zu fördern. Ganz in diesem Sinne ist das erste Resultat der Yogaübungen. Nachdem vorbereitende visionäre Erscheinungen aufgetreten sind, die unser Text als »Nebel, Rauch, Sonne, Feuer, Wind, Leuchtkäfer, Blitze, Bergkristall und Mond« beschreibt, treten die ersten Resultate ein: »Leichtigkeit, Freiheit von Krankheit und Begehrlichkeit, Lichtheit der Farbe und Wohlklang der Sprache, schöner Geruch und Geringfügigkeit der Ausscheidungen.« Die Reinheit und Ruhe, die als Kern dieser Beschreibung erscheinen, ermöglichen nun die Erreichung des eigentlichen Zieles: wie ein gereinigter Spiegel erglänzt nun die Seele, die, von dem nicht zu ihr Gehörigen befreit, wie ein Licht das Wesen des Brahman beleuchtet, den ewigen Gott schaut.

Auch hier sehen wir wieder das Verfließen des Gottesbegriffs mit dem Brahman, dessen Erkenntnis wiederum mit der des Ātman identisch ist. Damit löst sich auch die oft diskutierte Frage, ob der Yoga von altersher wie später in Patañjalis Sūtras durch seinen Theismus sich von dem ihm sonst so nahen Sāṃkhya unterschieden habe. Sie beruht schon deshalb auf unrichtigen Voraussetzungen, weil sie einerseits die abgerundete, klassische Gestalt des Sāṃkhya, die freilich atheistisch ist, ins Auge faßt und andererseits die theistische Form des Yogasystems, wie sie in den Sūtras zum Ausdruck kommt, als maßgebend für den Begriff des Yoga annimmt. Nun hat sich aber das Sāṃkhya, dessen konsequente Form freilich die atheistische ist, so häufig -- das erste Beispiel einer langen Reihe bietet eben unsere Upaniṣad -- mit dem Gottesbegriff verbinden müssen, daß der Begriff »atheistisches Sāṃkhya« eben auf eine bestimmte Form und Phase dieser Philosophie beschränkt werden muß, wenn wir nicht für ihre theistischen Versionen eine Fülle neuer Ausdrücke prägen sollen. Ist somit der Gegensatz zwischen atheistischem Sāṃkhya und theistischem Yoga von Seiten des Sāṃkhya nur von beschränkter Geltung, so trifft dasselbe Argument, nur in weit stärkerem Maße, für den Yoga zu. Seiner inneren Struktur nach hat der Yoga überhaupt kein bestimmtes Verhältnis zum Gottesbegriff. Sein Wesen besteht ja, um es einmal kurz zu sagen, in der Anspannung, durch die der Angespannte, von den Schlacken oder Schranken der Leiblichkeit wie auch vom Intellektuellen sich freimachend, einen absoluten Zustand erreicht. Mag dieser absolute Zustand als Einswerdung mit dem Weltprinzip Ātman-Brahman, als vollkommene Isolierung der Seele ( puruṣa), als Verlöschen im Unbegreiflichen ( nirvāṇa) oder als Vereinigung mit einem höchsten Gott gedacht werden -- der Yoga als solcher wird davon in seinem Kerne nicht berührt. So kann die Yogamethode in den Dienst verschiedenster Weltanschauungen gestellt werden; unsere Betrachtungen werden im Verlauf noch mannigfache Illustrationen zu dieser Feststellung liefern.

Wir wenden uns endlich der Maitrāyaṇa-Upaniṣad zu, die uns als charakteristischer Repräsentant der oben gekennzeichneten dritten Upaniṣadgruppe entgegentritt. Auch sie stellt, wie die vorher betrachteten, keine Einheit dar, sondern eine allmählich zusammengefügte Reihe einzelner Stücke, die einem recht umfangreichen Zeitraum entnommen sein dürften. Die verschiedenen Anschauungen, die unsere Upaniṣad, wie sie jetzt vorliegt, selbst sehr häufig durch die einleitenden Worte »und an einem andern Orte heißt es« als nur referiert kennzeichnet, zeigen nach rückwärts die Zusammenhänge mit den metrischen Upaniṣaden, wie Kāṭhaka und Śvetāśvatara, und mit deren Vorgängern und nach vorwärts mit den Lehren, die im großen Epos vorgetragen werden. Dem Verhältnis der Anschauungen entspricht die äußere Form, der neue Prosastil: Unsere Upaniṣad drückt sich nicht mehr in den Strophen aus, die Kāṭhaka und Śvetāśvatara gebrauchen, und noch nicht in jenem epischen Verse, dessen sich die Poeten des Mahābhārata bedienen. Sie benutzt nicht nur die in den früheren Upaniṣaden angesammelten Gedankenschätze, indem sie sie zitiert und verwendet, sondern sie betrachtet jenes Gut schon -- offenbar aus einer gewissen Entfernung -- als ein Ganzes, indem sie von der »Lehre aller Upaniṣaden« ( sarvopaniṣadvidyā) spricht. Unvedische Häresien werden von ihr bekämpft, freilich in so wenig präziser Form, daß man nicht bestimmte uns bekannte Lehren mit einiger Sicherheit darin erkennen könnte. Die ausführlichen pessimistischen Deklamationen, die einem Erlösung suchenden Könige am Anfang (1, 3-4; vgl. 3, 4) in den Mund gelegt werden, charakterisieren eine Weltbetrachtung, wie sie dem konsequenten Sāṃkhya angemessen ist und auch im Buddhismus stark hervortritt. Andererseits sind Beziehungen zum großen Epos unverkennbar. Im dritten und zwölften Buch des Mahābhārata sind gewisse Teile unserer Upaniṣad offenbar eingehend benutzt [R66], und gerade in diesen Teilen finden wir auch zum erstenmal die Zusammenstellung von Gott Brahman, Viṣṇu und Śiva zu einer gemeinsamen Erscheinungsform ( trimūrti).

Vor allem zeigt unsere Upaniṣad eine erhebliche Entwicklung der Sāṃkhyaphilosophie. Nicht nur finden sich alle wesentlichen Termini des Systems, sondern gewisse Ausdrucksweisen haben jetzt schon die Form angenommen, in der sie uns in den systematischen Darstellungen späterer Zeit begegnen [R67]. In erster Linie verlangt wieder das Verhältnis von Geist und Materie unsere Aufmerksamkeit. Es wird die Frage gestellt (2, 3), wie der bewußtlose Leib von jenem Uebersinnlichen, das man als Brahman seit alters gefeiert, mit Bewußtsein erfüllt und bewegt werde; und die Antwort ist, daß das Feine mit einem Teil von sich in diesen Leib eingeht, und das ist dann das, was man den Puruṣa nennt oder den Ortskenner ( kṣetrajña). Wie kommt aber jener reine Geist dazu, sich mit der Materie zu verbinden? Der Schwierigkeit dieser Frage, die auch das klassische Sāṃkhyasystem nicht befriedigend zu lösen vermocht hat, wird hier durch Anknüpfung an alte Schöpfungsvorstellungen ausgewichen: Prajāpati hatte keine Freude am Alleinsein. Da schuf er die Geschöpfe. Ihre Leblosigkeit mißfällt ihm. Er beschließt, in sie einzugehen in der Form des fünffachen Prāṇa (Hauch). Das Feuer in deren Mitte aber, von dem gesagt wurde, daß es die Nahrung verdaut, das ist der Puruṣa. Als dieser wohnt der Gott im Herzen. »Aus diesem Herzensinnern heraus fand er, daß er seinen Zweck noch nicht erreicht hatte, und dachte: Ich will die Dinge genießen. Darum bohrte er diese Oeffnungen (Auge, Ohr usw.), trat durch sie heraus und genießt mittels der fünf Zügel (Sinnesorgane) die Sinnendinge.« Und nun folgt das uns schon aus Kāṭhaka bekannte, hier modifizierte Bild vom Wagen: Prakṛti (die materielle Welt) ist die Peitsche, welche die Sinnesrosse in beständiger Bewegung hält, während der Puruṣa als der Antreiber gilt. Zeigt uns dieses unklare Bild den Puruṣa in enger Verbindung mit Prakṛti, so dürfen wir nicht vergessen, daß die im vorangegangenen Abschnitt berichtete Auffassung von dem nur teilweisen Eingehen des unsichtbaren Puruṣa in den Körper hier weiter vorschwebt, auch wenn es von Prajāpati nicht ausdrücklich gesagt ist. Denn im folgenden tritt die Unterscheidung des im Leibe weilenden und des absoluten Geistes aufs deutlichste hervor. Jener ist der niedere, dem sich die guten und schlechten Taten anheften, er heißt der Element-Ātman ( bhūtātman); der andere aber wird von den Folgen der Taten so wenig benetzt wie das Lotosblatt von einem Wassertropfen, der darauf ruht, ohne einzudringen. Der Niedere handelt, der Absolute bewirkt dies Handeln. Wie ein Eisenklumpen durch das Hämmern des Schmiedes verändert wird, so der Element-Ātman durch die Einwirkung der Materie, in deren Gewalt er gekommen ist; der absolute aber bleibt wie das Feuer der Schmiede unverändert.

Diese Gegenüberstellung der elementaren und der absoluten Seele bezeichnet einen wichtigen Wendepunkt in der altindischen Geistesgeschichte. Wir sahen, wie in den ältesten Upaniṣaden die Idee des einen alles befassenden Ātman im Vordergrunde stand. Die Einseitigkeit der Entdeckerfreude ließ das Problem Einzelseele-Allseele zurücktreten, man sprach vom Ātman im Leibe mit seinen Funktionen, sprach vom Hingehen zum Ātman im Tode und erklärte dann doch immer wieder, daß jede Seele die Allseele sei, sofern sie nur ihr Wesen realisiere. Weitere Gedankenarbeit erstrebte dann klarere Scheidungen: Materie, Einzelseele, Weltseele, höchste Seele wurden gesondert, ohne daß doch völlige Klarheit erreicht worden wäre. Im dritten Kapitel unserer Upaniṣad zeigt sich nun ein weiteres entscheidendes Stadium. Der Name »Element-Ātman« zeigt schon, daß die Seele als Zentralpunkt des Wahrnehmens und Handelns dichter als je früher an die Elemente, d. h. an die materiellen Bestandteile des Körpers, herangerückt ist. Die Konsequenz, die psychischen Funktionen ganz der Materie zuzusprechen und den Puruṣa nur noch das geistige Licht dazu liefern zu lassen, scheint nicht mehr fernzuliegen. Vorläufig freilich vermag sich noch die alte Anschauung zu behaupten, daß die Einzelseele nur der Realisierung ihres wahren Wesens bedürfe, um absolute Seele zu sein. So wird von dem Element-Ātman der »innere Puruṣa« unterschieden, ja es kommt sogar zu einer Gegenüberstellung, indem der Element-Ātman, von den Guṇas der Prakṛti überwältigt und verwirrt, den in ihm wohnenden heiligen Verursacher seines Handelns, d. h. den inneren Puruṣa nicht erkennt. Aber dieses Abgleiten ins Persönliche darf uns die Tatsache nicht verbergen, daß diese beiden Seelen im Grunde eine in verschiedenen Zuständen sind. Sofern sie sich wie ein Vogel im Netz in der Materie verstrickt hat und vom Leibe wähnt »ich bin der, der ist mein«, solange wirken ihre Taten und zwingen sie zur Wanderung von Verkörperung zu Verkörperung. Fällt aber dieser Wahn, dann ist die verstrickt gewesene Seele nun eben die absolute, weil sie sich in ihrem wahren Wesen erkannt hat.

Anders liegen die Dinge in einem späteren Stück (6, 10) unseres Textes. Anknüpfend an die alte Gegenüberstellung von Speise (Objekt) und Esser (Subjekt) werden Puruṣa und Prakṛti gegenübergestellt: Der geistige Puruṣa wohnt in der ungeistigen Materie; sie, samt allem, was von ihr stammt, ist Speise für ihn als Esser; und so ist auch der Element-Ātman seine Speise, denn der Element-Ātman ist ein Produkt der Materie. Damit hat der Element-Ātman aufgehört, die absolute Seele in ihrer Verstrickung darzustellen, er ist nun nur noch der Inbegriff des geistig-psychischen Apparates, dessen einzelne Glieder sämtlich dem feinmateriellen Urstoff entstammen. Die Folge dieser Umstellung ist in der späteren Systematik, daß alles Handeln der Prakṛti zugeschrieben wird und der Puruṣa nur zu handeln wähnt, während er tatsächlich untätig ist. Diese Untätigkeit des Puruṣa wird nun freilich auch in unserem Text an einer früheren Stelle (2, 7) betont, wo er »der Täter, der Nichttäter ist«, »der in sich ruhende Zuschauer« genannt wird. Möglich, daß hier der Gedanke von dem absoluten Puruṣa, der nur scheinbar in die Prakṛti verstrickt ist, durchleuchtet; wahrscheinlicher jedoch, daß im Zusammenhang mit dem Folgenden an den »inneren Puruṣa« und den »Element-Ātman« zu denken ist, denn die Konsequenz, daß der Puruṣa, weil er eben »Zuschauer« ist, nicht wirklich, sondern nur scheinbar leidet, wird nicht gezogen. Auch an der späteren Stelle, die den Element-Ātman als Produkt der Prakṛti ansieht, deutet nichts darauf hin, daß des Puruṣa Leiden nicht real sei. Zu diesem Problemkomplex gehört ferner ein ziemlich dunkles Stück (6, 30), in welchem die Frage diskutiert zu sein scheint, ob die Prakṛti oder der Puruṣa bei der erstrebten Erlösung erlöst werde. Die Stelle entscheidet sich jedenfalls für die Erlösung des Puruṣa durch Yoga und bestärkt die auch sonst begründete Vermutung, daß hier das Leiden des Puruṣa in seiner Gebundenheit an die Materie noch als real aufgefaßt wird; und wirklichem Leiden folgt selbstverständlich auch wirkliche Erlösung.

Nach diesem Ueberblick über das wesentliche Material, das die verschiedenen Stücke unserer Upaniṣad hinsichtlich des Verhältnisses von Puruṣa und Prakṛti bieten, fassen wir die Prakṛti hinsichtlich ihrer Produkte und Konstituenten ( guṇa) näher ins Auge. Mit dem Begriff der fünfundzwanzig Prinzipien, von denen im großen Epos die Rede ist, arbeitet unsere Upaniṣad freilich nicht, es fehlt ihr aber nur der Zahlbegriff selbst, die gezählten Dinge sind alle da. Neben den beiden Grundprinzipien, Prakṛti und Puruṣa, finden wir die drei oberen Vermögen, die aus der Prakṛti stammen. Von ihnen sind uns Buddhi und Manas schon öfter begegnet. In unserer Upaniṣad werden statt ihrer auch ihre Funktionen genannt. Aufgabe des Manas ist nämlich das Wünschen oder Vorstellen ( saṃkalpa), Sache der Buddhi die Entscheidung oder Entschließung ( adhyavasāya). Ein drittes Prinzip, Ahaṃkāra (wörtlich: Ichmacher) genannt, haben wir noch nicht erwähnt. Er taucht zuerst in Śvetāśvatara (5, 8) in noch nicht ganz klarer Zusammenordnung mit den beiden andern auf, deutlich dann in der unserer Upaniṣad zeitlich und sachlich nahestehenden Praśna-Upaniṣad. Unser Text nennt seine Funktion, den »Wahn« ( abhimāna), und dieser Wahn ist der Grund dafür, daß der an sich freie Puruṣa denkt: »Ich bin dieser Leib, dieser Leib gehört zu mir.«

Diese drei, Manas, Buddhi, Ahaṃkāra, deren Reihenfolge hier noch nicht wie später (B., A., M.) feststeht, bilden für den verkörperten Puruṣa, das Kennzeichen oder Merkmal ( linga), dessen Ablösung oder Auflösung seine Befreiung bedeutet. Dieser in der späteren Sāṃkhyaphilosophie wichtige Begriff steht in unserer Upaniṣad, nachdem er sich schon in früheren Texten angedeutet hat [R68], seinem Umfang nach noch nicht recht fest, denn während er sich an einigen Stellen auf die drei genannten oberen Funktionen beschränkt, erscheint er an einer späteren Stelle (6, 10) weit umfassender, indem er von dem »Großen« ( mahān = buddhi) bis zu den »Besonderheiten« ( viśeṣa) reicht. Eingeschlossen sind damit unzweifelhaft außer Buddhi, Ahaṃkāra und Manas die zehn Sinnesorgane (nämlich fünf Erkenntnisorgane: Auge, Ohr usw., und fünf Tatorgane: Hände, Füße usw.). Schwieriger liegt der Fall bei den »Besonderheiten«. Unser Text unterscheidet an einer früheren Stelle (3, 2) in Anlehnung an ältere Vorstellungen, aber mit neuer, in späteren Zeiten allgemeiner Terminologie die großen Elemente ( mahābhūta) von den Reinelementen ( tanmātra wörtlich »nur aus diesem bestehend«), worüber weiteres im Zusammenhang mit den Daten des Epos.

Endlich ist noch der drei Guṇas zu gedenken, die uns ja schon begegnet sind, nun aber ganz ihren späteren Charakter angenommen haben. Als Repräsentanten der Prakṛti sind sie es eben, in die sich der Puruṣa verstrickt. Ihre eigentümliche Doppelseitigkeit (kosmisch und psychisch) tritt in unserem Text sehr deutlich hervor. Ein Abschnitt (5,2) erklärt in einer an den Śvetaketu-Abschnitt (vgl. oben Kap. 3) erinnernden Weise die Weltentstehung mit Hilfe der drei Guṇas: Zuerst war allein das Tamas (Dunkelheit), das in dem Höchsten (offenbar eine Erinnerung an das Brahman der alten Texte in Verbindung mit dem Gedanken der Urmaterie) ruhte. Das Tamas entwickelt sich zum Rajas und dieses zum Sattva, welches nun seinerseits zu dem Reingeistigen wurde, das sich in dem einzelnen Menschen als »Ortskenner« ( kṣetrajña, Seele) manifestiert. So treten uns hier die Guṇas in ihrer kosmischen Bedeutung entgegen: Tamas als die dunkle Starrheit des Weltanfangs, Rajas als die Bewegung der sich bildenden materiellen Welt und als das höchste der drei das Sattva, dessen Essenz das Geistige ist. Daß hier die sonst grundlegende Verschiedenheit von Prakṛti und Puruṣa vernachlässigt ist, darf uns natürlich zu keinerlei systematischen Folgerungen verleiten; der Verfasser der Stelle will nur die bevorzugte Stellung des Sattva gegenüber den beiden andern Guṇas möglichst wirkungsvoll beleuchten. Neben dieser kosmischen Bedeutung steht aber nun eine psychologische, die auch später immer stark betont worden ist, wie denn Kosmisches und Individuelles im Sāṃkhya nie scharf geschieden worden sind. Es werden nämlich (3, 5) eine lange Reihe verwerflicher menschlicher Verhaltungsweisen dem Bereich des Rajas bzw. des Tamas zugeschrieben, wobei die dunkeln wie Geiz, Materialismus, Mitleidlosigkeit usw. wesentlich dem Tamas, die leidenschaftlichen wie Liebeslust, Gelderwerb usw. dem Rajas zufallen. So erklärt sich aus dem verschiedenen Mischungsverhältnis der drei Guṇas -- eine Aufzählung der guten Sattva-Qualitäten fehlt an unserer Stelle gewiß nur zufällig -- die ethische Verschiedenheit der individuellen Seelen.

Von den Sāṃkhya-Ideen unserer Upaniṣad wenden wir uns dem Yoga zu. Auch hier zeigt sich, wie beim Sāṃkhya, eine erhebliche Weiterentwicklung. Sechs Glieder des Yoga werden uns (6, 18) aufgezählt: Beschränkung des Atems ( prāṇāyāma), Zurückziehung der Sinnesorgane ( pratyāhāra), Meditation ( dhyāna), Fixierung des Denkorgans ( dhāraṇā), Kontrollierung desselben ( tarka) und Versenkung ( samādhi). Wir befinden uns also einer reichen Kenntnis der Yogatechnik gegenüber und dürfen aus der Tatsache, daß das klassische System acht Glieder kennt, keine Folgerung hinsichtlich Unentwickeltheit ziehen, denn es fehlen nur die zwei vorbereitenden Stufen ( yama und niyama), die auch später nicht zum zentralen Yoga gerechnet werden, sowie der die Positur des Yogin behandelnde Teil, der gewiß bekannt war (vgl. Śvet. Up.), während die Kontrollierung ( tarka), die wir hier finden, im späteren System kein Glied ausmacht. Aehnliche ungeregelte Verhältnisse werden wir auch fernerhin kennenlernen. Es erklärt sich ja leicht, daß eine offenbar von allen religiösen Richtungen verwendete Technik der Seelendisziplin die verschiedensten Variationen der Einzelheiten aufweist, zumal selbst im klassischen Yogatexte ein restloser Ausgleich der verschiedenen Aspekte nicht gelungen ist, wie wir im achten Kapitel sehen werden.

Neben die Theorie von den genannten Stufen der Yogapraxis treten noch Hindeutungen auf körperliche Methoden. Besondere Manipulationen mit der Zunge zeigen, daß auch jene Praktiken geübt werden, die im sog. Haṭhayoga zusammengefaßt sind [R69]. In diese Richtung ist auch die Theorie des Adernsystems im Körper zu rechnen, deren Anfänge sich schon in den ältesten Upaniṣaden zeigen.

Zu den geistigen Mitteln der Yogapraxis gehört auch die Meditation der mystischen Silbe »Om«, ursprünglich ein bei gewissen Opferzeremonien verwendeter Laut, der schon in der Kāṭhaka-Upaniṣad (2, 15 f.) als das höchste Symbol des Brahman, als das Mittel zur Erreichung der Brahman-Welt gepriesen wird. In unserer Upaniṣad ist Om der Pfeil, der auf den Bogen des Leibes gelegt, mit dem Manas als Spitze die Finsternis des Nichtwissens durchbohrt und so zu dem leuchtenden Brahman führt (6, 24). Ja, Om ist geradezu eine Form des Brahman, es ist das Wort, durch welches das Wortlose offenbar wird. »Wie eine Spinne am Faden emporklimmt und die Freiheit gewinnt, so gelangt der Meditierende, durch den Laut Om emporsteigend, zur Freiheit.« Die Zusammensetzung der Silbe aus den drei Teilen a, u, m macht sie außerdem geeignet, zur höchsten Symbolisierung aller möglichen Dreiheiten im All zu dienen. Bis auf den heutigen Tag ist Om das Symbol höchster mystischer Heiligkeit geblieben.

Das, was durch die Meditation der Silbe Om, überhaupt durch die ganze Yogapraxis überwunden werden soll, wird uns in einem Bilde vorgeführt: Es ist der Lebensdurst ( tṛṣṇā), den der Buddhismus in den Mittelpunkt zu stellen liebt, die Verwirrung ( saṃmoha), die das wahre Ziel zu sehen verhindert, der Wahn ( abhimāna), daß die Seele dem Leibe angehöre, wie wir ihn als Funktion des Ahaṃkāra kennengelernt haben, es ist Neid, Schlaffheit, Zorn, Habgier usw.; all das soll man überwinden, um mit dem Schiffe Om hinüberzufahren in jenen Zustand, von dem man auf das Rad des Saṃsāra, d. h. auf das in immer wiederkehrenden Geburten sich erneuernde Welttreiben wie von einer Höhe herabblickt.

So sicher dieses Ziel als eine völlige Befreiung der Seele dasteht, so schwankend ist seine Auffassung an systematischem Maßstabe gemessen. Bald erscheint es als Isolierung ( kevalatva) der Seele, bald als ein Eingehen zu einer höheren Wesenheit ( sāyujyatva), bald allgemein als Freiheit ( svātantrya); vor allem aber ist es das Brahman, in dem man aufgeht, das todentnommene, alterlose, kummerlose, mit dem sich auch der Name Viṣṇu oder Rudra gelegentlich assoziiert. Dabei leuchtet der Gedanke immer wieder durch, daß dieses Ziel das Aufgeben der bewußten Persönlichkeit in sich schließt. Das Citta, jene im Yoga beliebte unbestimmtere zusammenfassende Bezeichnung der im Sāṃkhya einzeln benannten höheren Vermögen, geht in diesem Ziele unter; man wird »entselbstet« ( nirātman). Oder der höchste Zustand wird als »der vierte« bezeichnet, indem er dem Wachen, Traumschlaf und Tief schlaf zugeordnet wird.

Diese Auffassung zusammen mit sehr starker Betonung der Bedeutung der heiligen Silbe Om bildet das Thema der ganz kurzen Māṇḍūkya-Upaniṣad, die dadurch besondere Bedeutung für die Geschichte der indischen Philosophie gewinnt, daß sich an sie in späterer Zeit die Kārikās des Gauḍapāda angeschlossen haben, das erste uns erhaltene Zeugnis der monistisch-illusionistischen Vedāntalehre, deren Hauptvertreter der berühmte Śaṃkara im 9. Jahrhundert ist. Und dieser wiederum ist nur ein einseitiger Interpret der systematischen Zusammenfassung des Vedānta durch Bādarāyaṇa, worüber in Kapitel 10 ausführlich zu reden sein wird. Jene Zusammenfassung bezweckte die Darstellung der in den Upaniṣaden gelehrten Ātman-Brahman-Philosophie und trägt daher von ihrem Material den Namen Vedānta, d. h. Veda-Ende, womit die Upaniṣaden, weil das Ende des Veda bildend, gemeint sind.

Dieser Name ist nun schon lange vor jener Zusammenfassung in Gebrauch gekommen. So spricht z. B. der vorletzte Vers der Śvetāśvatara-Upaniṣad von dem höchsten Geheimnis, das vor Zeiten im »Vedānta« verkündet worden sei. Daß mit dem Worte die Upaniṣaden gemeint sind, darf als sicher angesehen werden, während der Inhalt dieser Vedāntalehre schwerer scharf zu bestimmen ist. Als Hauptmerkmal werden wir die Lehre vom Brahman-Ātman als einheitlichem Weltprinzip in abstrakter oder personifizierter Form aufstellen dürfen im Gegensatz zu der dualistischen Weltanschauung des Sāṃkhya. Im Schoße des alten Vedānta haben wir die Sāṃkhyatendenzen entstehen sehen. Noch sind Sāṃkhya und Vedānta nicht klar geschieden, aber das Sāṃkhya ist in der Maitrāyaṇa-Upaniṣad (und daneben in anderen Upaniṣaden, wie Muṇḍaka und Praśna) der vollen Ausprägung nicht mehr fern. Steht hinter den Sāṃkhya-Anschauungen, die, wie wir sahen, in verschiedenen Variationen in unserer Upaniṣad vorgetragen werden, ein festeres einheitliches System, von dem wir nur einen vielfach gebrochenen Reflex wahrnehmen? Tatsachen zur Beantwortung dieser Frage besitzen wir nicht, und die Upaniṣadtexte, die uns vorliegen, deuten nach meinem Gefühl darauf nicht hin. Und ähnlich scheinen mir die Dinge hinsichtlich des Vedānta zu liegen. Wir finden Stücke, die das Brahman als Absolutum feiern, die den Ātman in allem als Essenz wissen, voll von Anspielungen und Zitaten aus den ältesten Upaniṣaden. Daneben aber verketten sich die Anschauungen: die Erlösung ist bald die Isoliertheit des Puruṣa, bald die Vereinigung mit dem Ātman. So läßt sich vorstellen, worauf unsere Upaniṣad hindeutet, wenn sie (2, 3) von »der Brahman-Lehre ( brahmavidyā), der Lehre aller Upaniṣaden« ( sarvopaniṣadvidyā) spricht: es ist ein Vedānta mit allen Elementen der Sāṃkhyaphilosophie, gestützt auf die Technik des Yoga, mit einem Worte philosophisch ungefähr dasselbe, was uns in der Bhagavadgītā entgegentreten wird, -- für den kritischen Betrachter, der die einzelnen Linien konsequent durchziehen will, ein Wirrwarr schwer vereinbarer Anschauungen und doch für den Inder ein befriedigendes Ganzes.

Und noch eins charakterisiert die Zeitstimmung unserer Upaniṣad: die Spekulation und die Meditation betont ihren orthodox brahmanischen Charakter. Man fordert das Vedastudium, die Pflichten der Kasten, das Durchleben der brahmanischen Lebensstufen als Schüler, Hausvater, Waldasket und freier Bettler gegenüber häretischen Sekten. Auch die Opfer werden in einem Stück gepriesen, indem man die Gedanken einer neuen Zeit in sie hineindeutet. Endlich werden auch die Götter als Erscheinungsformen des Brahman in den Bereich des Anzuerkennenden gezogen. Interessant ist es hierbei, wie in drei Gruppen zu je dreien die Götter dreier Perioden zusammengefaßt werden: Der Feuergott, der Windgott und der Sonnengott repräsentieren die älteste Schicht, wie wir sie aus den Hymnen des Ṛgveda kennen; Zeit, Odem ( prāṇa) und Nahrung sind uns aus Brāhmaṇas und älteren Upaniṣaden geläufig; Gott Brahman, Rudra (= Śiva) und Viṣṇu aber bezeichnen die Phase, die man in der Religionsgeschichte »Hinduismus« zu nennen pflegt. Sie führen uns in die Zeit der späteren philosophischen Teile des großen Epos Mahābhārata, die mancherlei Zusammenhänge mit der Maitrāyaṇa-Upaniṣad aufweisen. Bevor wir aber an die epische Philosophie herantreten, gilt es zurückzugreifen, um aus dem Sektenkranz der vorepischen Zeit zwei hervorragende Exemplare in aller Kürze zu betrachten.


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