Rudolph Stratz
Das freie Meer
Rudolph Stratz

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3

Erich . . . mein alter Jung, du hast was vor. Was, das sagst du uns nicht, und wir fragen auch nicht. Wir denken uns nur in aller Bescheidenheit, es wird schon was Deftiges sein da draußen! In Lübeck drüben haben sie auf dem Schifferhaus den alten Spruch: ›Navigare necesse est, vivere non necesse est!‹ In Hamburg steht geschrieben: ›Mein Feld ist die Welt!‹ Wir hier in Bremen sagen: ›Buiten und binnen wagen und winnen!‹ Das ist auch ein gutes altes Hanseatenwort, mein Sohn Erich!«

Thomas Lürsen, der Bremer Reeder, räusperte sich, während er zu dem großen, zur Mittagstafel um seinen Sohn, den Korvettenkapitän Erich Lürsen, versammelten Verwandtenkreis sprach. Er sah von seiner prunkvollen Villa am Osterdeich über den Römer voll Rheinwein in der erhobenen Rechten hinweg durch die Fenster das schmale Band der Oberweser und dahinter, flach wie eine Tenne, die letzte niederdeutsche Ebene mit dem schwarzweiß gesprenkelten Weidevieh. Die Windstöße, die die vereinzelten Bäume schüttelten, brachten ihren Salzhauch schon von der nahen See. Die kleinen Wogen auf dem Flusse schäumten unter den unsichtbaren Atemzügen des Meeres. Die Möwen kamen von dort und flatterten und kreischten. Die Wolken zogen von Norden aus der Wasserwüste heran. Dort draußen, vor den grau rauschenden Wellentoren von Bremerhaven war das Wasser und war der Krieg. Der Krieg auf der ganzen Welt um das freie Meer . . .

»Was wir daheim haben, mein Sohn Erich, das müssen wir draußen erobern. So haben wir es immer gehalten. Wir haben die Stunde kommen sehen, um die noch keiner herumgekommen ist, der je auf große Fahrt gegangen ist. Da hat er immer schon nach ein paar Meilen draußen den Engländer getroffen. Und jetzt hat der Engländer ja wohl den Union Jack in Weiß statt in Rot in Top gesetzt. Das tut er immer, wenn er zu viel Schiffe von einer anderen Nation auf dem Meere herumschwimmen sieht. Davon wissen alle Nationen seit Jahrhunderten ein Lied zu singen. Das ist eine kleine Schwäche von ihm: dann kommt er und versenkt sie. Bis er einmal selber versenkt wird . . .«

Der Reeder Lürsen war ein straff und hoch gewachsener Mann zu Ende der Fünfzig. Er hatte die blauen Augen und das gemessene und nüchtern-zähe Antlitz seines Sohnes, nur mit einem langen grauen Schnurrbart, und sprach wie jener mit einem Anklang an die Waterkant und ebenso langsam und ruhig. Und dieselbe unbeirrbare Zuversicht lag auf den Zügen seiner Frau ihm gegenüber und den kaltblütigen Gesichtern der verwandten Handelsherren mit ihren Damen am Tisch, deren Köpfe im Frieden die Dampfer über den Erdball lenkten und die Speicher aller Häfen füllten und deren Wort auf der Börse drinnen am Bremer Markt bar Geld war.

»Wir alle hier wissen, was der Engländer ist. Besser als die da drinnen im Reich. Die Leute da hinten haben uns oft nicht verstanden, wenn wir sagten: Unterschätzt den großen Seeräuber nicht! Der Mann hat einen großen Zug. Mit Kleinigkeiten gibt er sich nicht ab. Die Kleinen hat er gern; die Portugiesen läßt er laufen. Aber den Großen möchte er an die Kehle. Das sind jetzt wir: die Deutschen! Wir sind nicht bang. Das ist nicht unsere Art – nicht? Wenn er sagt: ›Silberne Kugeln!‹, dann sagen wir: ›Eiserne Nerven!‹«

Thomas Lürsen wandte sich, das Glas in der Hand, an seinen Sohn.

»Ich denke, die Nerven, die brauchst du ja wohl zu dem, was du vorhast, und die hast du ja auch wohl! Und so wollen wir, ohne noch viel Worte zu verlieren, auf etwas trinken, was in den nächsten Tagen geschehen soll. Die Engländer haben uns das Tor in die See vor der Nase zugeschlagen. Vielleicht schließt du es mit den Bremer Schlüsseln wieder auf! . . . Und viele andere tapfere Männer tun draußen mit, bis das erreicht ist, was unserm Roland, dem Riesen, auf dem Schild geschrieben steht: ›Vryheit du ik ju openbar‹ – die Freiheit der Meere für uns und alle! Dann wollen wir auch mit dem Roland sagen: ›Des danket Gode, is min Redt!‹«

Der Apostelwein aus dem Ratskeller schimmerte golden in den Gläsern. Der Korvettenkapitän Erich Lürsen trank als weinverständiger Mann und machte ein trübes Gesicht und seufzte. Es war ihm gräßlich, wenn die Rede von ihm war. Er konnte es auch bei andern nicht leiden, wenn sie von sich sprachen. Er wählte sich bedächtig und nach langem Suchen zum Nachtisch seine Havanna. Darin verstand er als geborener Bremer keinen Spaß. Die ersten Züge aus der Zigarre brachten ihn wieder in gute Laune. Er saß trocken und gelassen zwischen den Bremer Patriziern, aus deren Kreis er stammte, mit einem so gleichgültigen Zug um die dünnen, glattrasierten Lippen, als sei heute ein Tag wie jeder andere. Dann meldete ihm das Mädchen, Herr Oberleutnant zur See Freiherr von Forchheim sei draußen, um ihn dienstlich zu sprechen. Er erhob sich und trat in die Diele.

»Tag, Forchheim! Ich habe Sie bitten müssen, noch einmal herzukommen. Es sind da noch ein paar Sachen zu besprechen . . . Wir wollen da hineintreten . . . nicht?«

Sie murmelten einige Zeit gedämpft in dem Empfangszimmer miteinander. Selbst wenn ein Lauscher an der Tür gewesen wäre, hätte er keine Silbe verstehen können. Dann sagte Erich Lürsen lauter:

»Alles klar! Wir waren nebenan gerade beim Backen und Banken. Kommen Sie herein. Es steht da noch ein Wein auf dem Tisch – den kann ein Mann wohl trinken.«

»Ich danke gehorsamst, Herr Kapitän. Aber ich bin im Hotel mit meiner Schwester zusammen.«

»Ihrer Frau Schwester aus Holland?«

»Jawohl. Sie ist jetzt bei meinen Eltern in Bayern zu Besuch. Meine Eltern sind kränklich. Denen war die weite Reise jetzt zu viel. Da kam sie wenigstens hierher, um mir vor der Abfahrt adieu zu sagen!«

»So . . . so . . . Ja, denn helpt dat nich. Dann treffen wir uns heute abend zum Zug am Bahnhof . . .«

»Zu Befehl, Herr Kapitän.«

»Oder hören Sie mal . . .« Erich Lürsen sann nach und sagte dann mit einiger Selbstüberwindung: »Sie sind doch natürlich da am Heerentor abgestiegen? Da hole ich Sie im Vorbeigehen ab, damit Sie mir nicht verlorengehen. Ich brauche Sie, Mann! Auf Wiedersehen!«

Als er nach ein paar Stunden den Hotelsaal betrat, sah er drinnen gleich das rotwangige, bartlose Kindergesicht des kleinen Forchheim und daneben Johanna Ter Meers lebhaften, fein geschnittenen blonden Kopf. Er küßte ihr ernsthaft die Hand und setzte sich. Er war immer anfangs im Verkehr trotz seiner ausgezeichneten Formen eines Marineoffiziers zurückhaltend, fast förmlich und wortkarg. Er sagte nur:

»Ich bin'n büschen früher hier, Forchheim . . . ich hatte gerade Gelegenheit, rasch von zu Hause klar zu kommen. Ich mag das lange Abschiednehmen nicht.«

Dann wieder eine Stille.

»Was haben Sie vor, Herr Kapitän? Der Hans hüllt sich in ein so geheimnisvolles Schweigen . . .«

»Das will ich wohl so hoffen, Frau Baronin!«

»Ist es denn etwas so Gefährliches?«

»Das glaub' ich ja nun nicht. Ich bin immer für die Vorsicht.«

Erich Lürsen sagte es langsam und freundlich. Dabei spielte ein abenteuerlicher Zug verstohlen um seine Mundwinkel, und er setzte hinzu:

»Sie müssen nur immer tüchtig die Zeitung lesen, Frau Baronin. Vielleicht steht da 'mal was über uns im Blättchen.«

»Auch in Holland?«

»Die Dutchmen hören ja mehr als die Leutchen hier.«

Er zwinkerte mit den Augen und frug dann harmlos:

»Was machen die Lords?«

»Welche Lords?«

»Ihre Freunde in England. Waren Sie nicht wieder in England?«

»Seit wir uns in Brüssel trafen, nicht.«

»Aber Sie gehen doch wieder hin?«

»Ich muß ja zuweilen.«

»Warum?«

»Weil mein Junge für den Winter dort ist. Bei einem Clergyman in der Nähe von Eastbourne.«

Zum erstenmal sah sie Erich Lürsen wirklich grimmig und bekam Angst vor ihm. Er klappte in unterdrücktem Zorn mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Ein deutscher Junge . . .«

»Er ist doch Holländer. Sein Vater ist Holländer.«

»Ach so, ja . . . das vergess' ich immer . . .«

». . . und mein Mann ist der Meinung, daß Jan, der durch mich Deutsch spricht, nun ebenso Englisch lernen soll, ehe er im nächsten Jahr in die Schule tritt.«

»Wie alt ist er denn?«

»Er wird Neun.«

»Und da muß das arme Kind schon . . .«

»Mein Mann meint, daß man in späteren Jahren nie mehr ganz die Aussprache der oberen Zehntausend in England gewinnt. Und diese sei doch ein Freibrief auf der ganzen Welt.«

»Ich fürchte, bis der kleine Jan ein großer Jan geworden ist, wird man sich mit dem Freibrief die Pipe anzünden können«, sagte Erich Lürsen. Eine unheilverkündende Wetterwolke zog dabei über sein Gesicht und verflog wieder, während sie fortfuhr:

»Ich habe nun einmal einen Ausländer geheiratet. Ich kann da nichts machen. Ich muß im Frühjahr nach England, um Jan heimzuholen.«

»Und Sie freuen sich natürlich auf England? Da sind Sie doch am liebsten – nicht?«

»Ich bin am liebsten da, wo Vernunft und Versöhnlichkeit herrschen.«

»Da müssen Sie flugs über den Kanal, Frau Baronin!«

Johanna Ter Meer beugte sich vor und bewegte heftig die Stricknadeln an den braunen Liebessocken, an denen sie seit ihrer Ankunft in der Heimat wie alle Damen in Deutschland arbeitete.

»Die Engländer hassen uns nicht«, sagte sie. »An sich hat der Engländer keine Freude an einem Krieg. Es ist zu viel Zwang dabei und kostet zu viel. Beides mag er nicht. Es herrscht überhaupt in England weniger Interesse für diesen Feldzug als für einen Cricketmatch!«

Der Kapitän Lürsen warf dem Oberleutnant einen trockenen Blick zu.

»Na, Forchheim, vielleicht bringen wir ihnen das Interesse bei . . .«

»Aber hier in Deutschland . . . wie ich aus Holland ankam und die gewaltige Stimmung hier sah, da hab' ich die ersten Nächte geweint, daß ich keine Deutsche mehr sein sollte . . . ach was . . . ich bin es aber doch . . .«

»Na also . . .«

»Vorgestern hab' ich meinen Schmuck in Berlin an den Juwelier verkauft . . . ich hatte doch nicht so viel Geld bei mir und wollte doch etwas für die Verwundeten tun . . .«

»Was wird denn der Herr Gemahl in Holland dazu sagen?«

»Wie ich ihn kenne, nichts. Und mir bei nächster Gelegenheit einen neuen schenken.«

»Sie sind zu beneiden!«

»Ja. Er ist immer gut zu mir. Aber was ich sagen wollte: wie der Juwelier hört, um was es sich handelt, war der Mann rein aus dem Häuschen vor Begeisterung. ›Das ist recht, gnädige Frau‹, sagte er immer wieder. ›Nur immer feste gegen England!‹«

»Tüchtiger Mann!«

Die Stricknadeln klapperten unruhig zwischen Johanna Ter Meers nervösen weißen Fingern.

»Ja, aber warum denn immer nur gegen England? Warum nicht ebenso gegen die anderen? Ich greife mir manchmal an den Kopf und frage mich, woher kommt denn in Deutschland die Wut? . . . Wieviel alte Kultur steht auf dem Spiel . . . unersetzliche Kultur! Wenn ich nur an den Zauber irgendeines alten englischen Landsitzes denke, mit seiner wunderbaren Selbstverständlichkeit in allem seinem anspruchslosen Überfluß . . . überall Maß und Form . . . das ganze Leben in festen Schranken und eben darum so frei . . .«

». . . und von oben eine ordentliche Fliegerbombe hinein – was, Forchheim?«

»Denken Sie sich doch einmal die Erde ohne England: diese Unordnung in allen Häfen, diese Unsicherheit auf allen Meeren, diese Zuchtlosigkeit der Farbigen in allen Ländern! Aber wenn ich das den Leuten hier sage, lachen sie mich aus. Sie lachen ja auch schon wieder . . .«

»Ich zucke nicht einmal mit den Lippen . . .«

»Ich kenne schon Ihre Art, so ganz hinten mit den Augen zu lachen!«

Der Kapitän Lürsen stand auf.

»Sie sind eine kluge Diplomatenfrau, Frau Baronin«, sagte er. »Aber was wir so gegen die lieben Vettern drüben auf dem Herzen haben, das begreifen Sie nicht. Denn wir haben es eben im Herzen und nicht im Kopf. Das ist ja wohl so Gottes Wille in Deutschland . . .«

Er hatte es ernster als sonst gesagt. Aber als er ihr jetzt die Hand zum Abschied bot, lächelte er wieder in seiner alten Art.

»Lassen Sie es sich gut gehen, gnädige Frau, und grüßen Sie drüben die cousins recht schön von mir, . . . And tell them, please: It 's not only in Old-England, that huntsmen and hounds settle to their fox!«

Sie wagte nicht noch einmal zu fragen, was das für eine Hetzjagd zwischen Reitern, Hunden und Fuchs sein sollte, von der er sprach. Sie sagte nur mechanisch, in der Gewohnheit des Lebens in der angelsächsischen Welt: »I shall do so!« und dann auf deutsch:

»Sie haben eine merkwürdig reine Aussprache des Englischen, Herr Kapitän. Wenn ich Sie draußen träfe, würde ich schwören, daß Sie Engländer sind.«

»Sie sagen mir lauter traurige Sachen zum Abschied, gnädige Frau.«

»Sie sehen sogar, wenn Sie wollen, wie ein Engländer aus. Jetzt eben, wie Sie von dem Fuchs sprachen, hatten Sie einen Moment das richtige Sportgesicht über dem roten Frack . . .«

»Das scheint Ihnen wohl nur so . . .«

»Ich habe doch viele tausend Engländer in allen Erdteilen gesehen. Sie könnten ruhig überall unerkannt unter ihnen herumgehen!«

»Wenn ich das bloß könnte, gnädige Frau! Ich täte es gleich. Aber unter einer Bedingung: Sie müßten mit dabei sein.«

»Ich?«

»Ja«

»Und auch noch jetzt, mitten im Krieg?«

»Gerade wenn ich jetzt mal die Möglichkeit hätte, mit Ihnen zusammen da drüben in England zu sein und Ihnen die Engelschen zu zeigen, wie sie wirklich sind! . . . Jetzt wäre so gerade die Zeit. Jetzt lassen die alten ehrlichen Burschen ihre Masken fallen. Das wäre ein Spaß, nicht?«

»Wir beide jetzt zusammen drüben in England? Da müßte eher der Himmel einfallen.«

»Ich kann es mir auch nicht recht vorstellen. Schade . . . Es wäre eigentlich ein Wunder vom lieben Gott. Und nun muß ich gehen, gnädige Frau.«

Er küßte ihr die Hand mit einer gewissen stillen Feierlichkeit.

»Ich hoffe. Sie kommen gut zurück, Herr Kapitän!«

»Und ich hoffe, Sie sind bis dahin eine gute Deutsche geworden, gnädige Frau. Wie? Das sind Sie schon? Also eine so gute Deutsche, wie ich sie mir vorstelle, ohne die stille Schwäche für die cousins! . . . Ob ich sonst noch Befehle für Sie habe? Nein. Danke. Weiter ist nichts. Und nun wollen wir uns zum Abschied vertragen!« sagte Erich Lürsen in einem wärmeren, bei ihm ungewohnten Ton und hielt unwillkürlich ihre Hand fest. »Vorwärts, Forchheim! Wir müssen nun mal schauen, wie weit man auf sein ehrliches Gesicht durch die Welt kommt.«

»Ich bin so gespannt, von Ihnen zu hören . . .«

»Haben Sie Geduld, Frau Baronin. Ich bin ein bescheidener Mann, der nicht gern viel Aufsehen macht – nicht? Den Lärm besorgen hoffentlich, wenn's mal so weit ist, die Engelschen ganz von selber.«

Er ging und sagte draußen in der dunklen Nacht, während sie über den einsamen und windigen Bahnhofsplatz schritten:

»Gut, Forchheim, daß Sie sich auch niemanden an den Zug mitbringen. Nur jetzt nicht viel Wesens um einen. Wenn ich nur erst mal die langen Wellen im Atlantik unter den Beinen hab', dann will ich ja gern mein Bestes tun, um die Versicherungen bei Lloyds auf eine unchristliche Höhe zu bringen . . .«

Draußen auf grauer See pflügte an einem der nächsten Tage der Herbststurm unermüdlich die Wogenberge. Noch innen im weiten Becken des Kriegshafens scheuchte er den Wasserspiegel zu unruhigen kurzen Wellen. Der Gischt schäumte um den Kiel der hin und her schießenden Barkassen, an deren Bug der kleine Kriegswimpel des Reiches steif flatternd gegen den Wind stand. Die Kriegsflagge überall, auf den Werften und im Arsenal, auf den Dächern der Dienstgebäude und im Top der Masten.

Der Abend dunkelte. Am Land löste sich der Hölzerwald der Hellingen in unbestimmte Schatten. Das abgetakelte Mastengewirr der nahebei verankerten kleinen Prisen tanzte kaum mehr sichtbar durcheinander. Aber das vieltausendfache Geklopfe und Gehämmer aus den hundert Werkstätten der Werft hörte nicht auf. Das ging Tag und Nacht. Es belebte sich jetzt in der Nacht sogar noch in einem geheimnisvollen Lichterglanz. Da, wo Glaswölbungen das Flicken und Zimmern der großen und kleinen Schiffe überdachten, stieg es jetzt wie ein ungeheurer, in der Ausbesserung begriffener Zentralbahnhof aus dem Dunkel, mit einem Farbenspiel von roten, grünen, weißen und bläulichen Lichtern.

Eine Gruppe Arbeiter schob auf Handkarren Torpedos hinunter an den Kai, wo ein Schwarm Zerstörer seitlings nebeneinander ungeduldig gleich einem Rudel schwarzer Wölfe auf den gekräuselten Wellen schaukelte und an den Ankerketten riß. Die Arbeitsleute, die ebenso verrußt und verraucht waren wie die Fahrzeuge vor ihnen, machten neben den viermannslangen kupferbraunen Torpedofischen halt, die noch kopflos und träge, wie schlafend, mit ihren Seiten- und Steuerflossen auf den Wagen lagen, und schauten durch das leise Gezitter des Rauch- und Öldunstes um die Schornsteine der Zerstörer auf den Hafen.

Dort glitt im Dämmergrauen schattenhaft und langsam ein Schiff hinaus. Es trieb an dem Krebsrot der seit Kriegsbeginn eingefahrenen Feuerschiffe vorbei, an dem Schneeweiß der hier in Sicherheit verankerten Schulschiffe des Lloyd. Es steuerte nahe an den schwimmenden Wasserburgen der Schlachtpanzer hin, die nun schon ihre Kriegsflaggen und drüben die Admiralsflagge mit den schwarzen Kugeln eingeholt hatten. Die vielgebuckelten, niedrig in Bügeleisenform ausgeschweiften Ungetüme schliefen. Das Wimmeln von Blaujacken um die fünf Türen, die langen weißen Hängemattenreihen, das wechselnde, steigende und sinkende Bunt der Flaggensignale nach dem Land waren verschwunden. Keine Trompetenstöße hallten mehr über das leere Deck. Nur die langen Kanonenfühlerpaare der Geschütze streckten sich finster in die Dunkelheit, und die Augenpaare einsamer Wachen folgten dem stummen grauen Schiff, das in dem Silbergrau der Luft zwischen Himmel und Wasser, dem fahlen Grau der See bald in der Ferne, dem Meere zu, schattenhaft zu einer Luftspiegelung wurde und leise, gleich dem Fliegenden Holländer, sich in Nichts und Dunst und Leere löste.

Aber in der Nacht darauf sah der Kommandant eines der Torpedoboote, die, draußen auf und nieder kreuzend, auf hoher See die Wache hielten, den Fliegenden Holländer wieder. Der Kommandant stand in der rauschenden, pfeifenden, stöhnenden Finsternis oben in seinem kleinen, dick mit Matratzen auswattierten Turm zwischen den vielen Knöpfen und Griffen im Halbrund um ihn, auf denen sein Fingerdruck in tiefstem Dunkel ohne Hilfe des Auges sicher spielte und die Befehle nach unten gab. Alle Lichter des gefechtsklaren, pechfarbenen Zerstörers waren abgeblendet, Segeltuch um die Scheinwerfer gespannt. Zwei nachtgeübte Augen spähten, unbeirrt durch künstliche Helle, wie Eulenaugen in die weite schwarze Leere, aus der das Weiß der Wellenkämme aufschäumte und, durchschnitten, das Vorderschiff mit Salzsprühen und Wasserplatschen überschwemmte.

In diesem stürmenden Nichts der Nacht huschte drüben vor dem Torpedoboot ein Spinnweb von Masten, der Schatten eines Schiffsrumpfs wie ein Geisterschiff vorbei, verlor sich sofort wieder, als sei er nicht gewesen. Der knebelbärtige Kommandant im Torpedoturm wußte, was das war. Er schrie dem Fähnrich zur See neben ihm ins Ohr:

»Nun ist er draußen! . . . Wenn er nur mal erst mitten zwischen New York und London wäre . . .«

 


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