Charlot Strasser
Reisenovellen aus Russland und Japan
Charlot Strasser

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Das Tanzfest im Kamesseh

Da lag ich auf dem Rücken, im sammetweichen, geschorenen Gras, und schaute an den blaudurchleuchteten Wölklein hin, die von meiner Zigarette den Sonnenstrahlen entlang durch die schwarzen Fichtenäste zogen, schaute dann vor mich her, meinen langen Beinen nach, etwas hinauf an den gelben Schuhen und zwischen dem stumpfen Winkel, den sie bildeten, hindurch in das unendliche blaue Meer, bis ich wieder an die schweren, schwarzen Tannenzweige kam und die Augen schliessen musste vor dem blendenden Lichtstrahlenkranz um jede einzelne Fichtennadel herum. Die Lider lagen ganz durchsichtig über meinen Augen, und ringsum war der immer lächelnde Friede Japans.

Was hatte ich doch schon für Märchen und Wunderdinge erlebt! Nein, Märchen ist eigentlich ein zu weichliches Wort. – Das Backfischlein frägt: »O, Sie waren in Japan? – und muss es dort nicht himmlisch sein, und grade wie im Märchen?« – Es ist viel weniger das Märchen, in dem man wandelt, als die Unwahrscheinlichkeit, über die man immer und immer wieder stolpert.

Aber das Tanzfest war doch ein Märchen. Das war ein wirkliches Märchen! Fehlte nicht der unglückliche Prinz (er war eigentlich bloss Baron), noch das arme, verkannte Krämerstöchterlein, das der Prinz heiraten, noch auch die böse Schwiegermutter, die von der Krämersmaid nichts wissen wollte.

Doch bis dahin führt ein langer Faden des Erzählens.

Mein Reisegenosse und ich hatten in Russland die Schrecknisse einer Revolution erlebt, die Nachwehen 94 eines Krieges in erschütternden Bildern vor Augen gehabt, und konnten es kaum fassen, aus diesem unseligen, ungeheuren Reussenreiche in den lachenden Frieden des Sonnenlandes eingelassen zu sein. Friedensvorboten begrüssten uns schon, bevor wir auf den japanischen Inseln festen Fuss gefasst hatten, als wir in seinen eben erkämpften Wirkungskreis, in seine neueste Kolonie, an die Ostküste Koreas gekommen waren. Da sahen wir neben den negerhüttenartigen Wohnstätten der Eingeborenen zum erstenmal die schmucken, aus hellem Fichtenholz erbauten japanischen Häuslein, da sahen wir neben dem koreanischen Schmutz und dem Dunst der Trägheit, der aus dem stagnierenden Wasser eines Sumpfes emporzusteigen schien, die Sauberkeit und sprudelnde Lebensenergie der kleinen Japaner. Wir besuchten Songching, Gensan und Fusan, und es war, als ob wir aus einer Hölle, da Misstrauen und Furcht vor dem lieben Nächsten das Leben unerträglich gemacht hatten, in ein glückliches, aufblühendes Land gekommen waren, das Land der Morgenröte, wie Korea heisst, dem der mächtig gewordene Kulturträger Japan eine reiche, sichere Ernte verbürgte.

Nachdem wir Korea verlassen hatten, grüssten uns die grünen Berge von Moji und Shimonoseki, und neues Leben regte sich in unserer Seele, als wir endlich das gepriesene Land der aufgehenden Sonne betraten. Überall Fleiss, Tatkraft, frischer, fröhlicher Geist, – man mochte es auf den Gesichtern bis herab zum ärmsten Mann, dem Kurumaya, dem Wagenzieher, lesen, dass nicht gedrücktes, geknechtetes Leben, sondern Frohsinn, Freudfähigheit und Genügsamkeit unter die schönsten Eigenschaften des Volkes gehörten. 95

Zu den vielen Japanern, die bei meinem Reisegenossen ein zweites Heim gefunden hatten, zählte als Bevorzugter ein junger Handelsakademiker, Hikoshiro Nishi, der dort gleich wie in seinem Elternhause ein- und ausgegangen war und seinen deutschen Gastgeber als einen zweiten Vater liebte. Die Verehrung der Eltern aber ist des Japaners höchste und heiligste Pflicht. Der junge Hikoshiro hatte den Seinen zu Hause begeisterte Berichte geschickt, und so fanden sich denn diese, der reiche Grosskaufmann Hikobei Nishi aus Tokyo und seine Gattin, o Masha san, nebst einem Dolmetscher, sowie dem unentbehrlichen Photographen, in Kobe zu unserer Begrüssung ein.

Kaum hatten wir den schmucken Dampfer Daigi-Maru verlassen, so schleppten uns unsere Freunde ins Teehaus, worin uns eine Versammlung japanischer Familien, deren Angehörige früher in Leipzig studiert hatten oder jetzt noch dort lebten, erwartete. Wir wurden in ihre Heiligtümer und Tempel geführt, wir sahen unter anderem in Suma, dem Landhaus des Nishi-Hongwan-Tempels, die Pferde General Stössels und anderer russischer Offiziere, die dort als Kriegstrophäen gepflegt wurden und ein Dankgeschenk der Regierung an die buddhistische West-Hongwan-Sekte für Patriotismus und wohltätige Werke während schwerer Kriegszeit bedeuteten. Von den Berghängen der reichen Kirchenbesitzungen schauten wir das glückliche Land zu unsern Füssen, freuderfüllt, umgeben von fröhlichen, dankbaren Menschen in ihrer blühenden, zauberhaft schönen Heimat. Hinter uns lag eine dunkle, gärende, hasserfüllte Welt, das unglückliche Zarenreich und seine lichtlose Zukunft; vor uns flatterte das Sonnenbanner in seinem mächtigen Glanze. 96

Wer davon spricht, dass der Japaner kein dankbares Empfinden, ja überhaupt keine Seele habe, dem brauchen wir bloss unsere eigenen Erlebnisse entgegenzuhalten und wie wir, ohne unsere Gastwirte näher zu kennen, ohne dass sie jemals einen materiellen Nutzen von uns gehabt hatten, von ihnen mit grösstem Aufwande an Zeit, Geld und Mühe den Aufenthalt in ihrer Heimat zu einer ununterbrochenen Folge von Feiertagen gestaltet bekamen. Frauen und Kinder wetteiferten nicht nur in häuslichen Festlichkeiten, sondern sie weihten uns ein in ihre innigsten religiösen Handlungen, führten uns zu ihren Familienheiligtümern, deren Schätze sie vor uns ausbreiteten, und rührend war ihr kindlicher Stolz, ihre Glückseligkeit, die sie darüber äusserten, uns, den Fremden, einen Einblick in ihre liebsten Gebräuche zu gewähren. Je tiefer wir eindrangen, desto mehr fühlten wir heraus, dass unter der steifen, von der unsern ganz und gar verschiedenen Etikette ein reges, warmes Herzensleben pulsierte, wenn auch die Schale eine nach unsern Begriffen erstarrte und verkünstelte zu nennen war. Die Dankbarkeit der japanischen Freunde gegen meinen Reisegenossen ging so weit, dass es geradezu peinlich wurde, wenn sie alle ihnen zugänglichen in Amt und Würden stehenden Persönlichkeiten aufboten, ihm eine Art offiziellen Empfangs zu bereiten, – wenn sie jeden Tag die Zeitungen benachrichtigten, infolgedessen fast Morgen um Morgen zu seinem nicht geringen Schrecken irgend ein Korrespondent sich ein Interview erbat, um über seine Weiterreise, seine Ansichten und Erlebnisse zu berichten, – wenn sie ihm endlich in den Tempeln, deren Angehörige sie waren, durch die Hohepriester, so durch den Grafen 97 Hokano, den Bruder der Kronprinzessin, im Kloster Nishi-Hongwan-Shi zu Kyoto den kirchlichen Willkomm boten. Reiche Geschenke wurden von den Mönchen noch in die Wohnung nachgeschickt. Die Kinder unserer Gastgeber mussten die Zeremonien der vornehmen japanischen Etikette einstudieren und in seidenschweren Gewändern aufführen. Sie luden uns auf ihre Landsitze, in ihre kunstvollen Gärten an den lieblichen Berghalden ein, und weite Blicke öffneten sich in das fruchtbare, bis auf den kleinsten Fleck ausgenutzte und bearbeitete Land. Alle Provinzen, die wir durchreisten, kamen uns wie kleine Paradiese vor, zu aller Herrlichkeit noch geschmückt von des Herbstes Farbenglut. – Schwarze Kryptomerien und Purpurblätter der an ihnen sich hinaufwindenden wilden Reben; – der immergrüne Bambus und das glühendrote Laub der Momiji, der geliebten Ahornbäume, die von den japanischen Dichtern immer und immer wieder besungen werden; – in den heiligen Hainen, zwischen rotem Ahorn und schwarzen Fichten, die rotlackierten Tempelbauten mit ihren graublauen Ziegeldächern; und immer wieder die alten, moosbewachsenen Toros, die Steinlaternen. An solchen, von der Natur mit ihrer Liebe Überfluss beglückten Erdenflecken besuchten wir die ältesten Heiligtümer der Japaner, die Shinto-Tempel in der Provinz Ise, wo der verehrte Tennoheka, der Kaiser, alljährlich einmal betet und zu den Mächten der Natur fleht, dass sie ihm Kraft verleihen möchten, sein Volk zu beglücken und mit der gleichen Vaterlandsliebe zu erfüllen, die seine eigene Seele durchglüht, und wohin jährlich Hunderttausende von Pilgern wallen, um vor den schmucklosen Shrines, den einfachen Blockhaus-Tempeln mit den gekreuzten Giebelbalken, 98 inmitten gewaltiger, Jahrhunderte alter Tannen ihren Herrscher und die Geister der verstorbenen Geschlechter zu verehren. Wir sahen sie durch die gelben Reisfelder heranziehen zu Hunderten und Tausenden, ganze Schulen, Kadettenanstalten, Seminare, Studenten, Landvolk und Bürger aus allen Teilen des Landes. Unter tiefen Verbeugungen schauten sie zu den einfachen Heiligtümern, schweigend und voller Ehrfurcht. Gerade in dieser Stille und Ruhe, die uns hier so sehr ergriff, zeigte sich ein Grundzug japanischen Charakters. Ernst und Würde bewahrend, lässt er die Geschehnisse des Lebens an sich vorüberziehen. Wahrlich, wer diese Menschen lieben will, möge sie in ihrem gelobten Lande, in der heiligen Provinz Ise kennen lernen! Reinheit und Unverdorbenheit sind ihnen eigen geblieben, Genügsamkeit und eine wunderbare Anspruchslosigkeit, die nur da bestehen kann, wo der Nachbar seinem Nächsten hilft, ohne durch Gesetze und Kontrakte gezwungen zu werden, und wo Freundlichkeit und Rücksicht als Lebensbedürfnisse Bestand haben. Ohne die Theorien des Sozialismus ein soziales Zusammenleben, wie es seinesgleichen in der Welt sucht.

Freilich hat der Charakter des Japaners seine Schattenseiten. Die ich zuerst nenne, machen ihn zwar menschlich lieb und sympathisch, sind aber Quellen von vielerlei ökonomischen Sorgen. Er lässt sich gehen im Schenken, Bewirten, im Geldausgeben, im Unterhalten aller armen und entferntesten Familienmitglieder, die oft und in ausgedehntem Masse von einem einzigen, fleissigen und wohlhabenden Verwandten schmarotzen. Vor allem fehlt dem Japaner der Sparsamkeitssinn. Ein altes Sprichwort des Adels, das aber auch in den niederen Schichten der Bevölkerung gilt, sagt: »Geld 99 muss am selben Abend ausgegeben sein, sonst ist es faul am nächsten.« Und ein Grundsatz der Daimyo, der ehemaligen Fürsten, lautete: »Geld ist schmutzig!« Nicht umsonst legten diese Fürsten und überhaupt die vornehmen Japaner die Hälfte ihres Vermögens in Kunstschätzen an. Nicht umsonst sind noch unfassbare Reichtümer an guten Kunstwerken im japanischen Privatbesitz verborgen und unverkäuflich, deren Schönheit und inneren Wert wir Europäer nur entfernt zu ahnen vermögen. – Die genannten Sprichwörter von des Geldes Anrüchigkeit leben bis heute fort, um so mehr, da das Geld auch hierzulande auf angenehme Weise loszuwerden ist, wenn in den Teehäusern die zierlichen Geishas tanzen und den letzten Sen aus den Taschen ihrer Verehrer locken.

Die japanische Ehefrau jedoch hat wenig teil am Geldverschwenden und bringt ihren Gatten durch Sucht nach Schmucksachen und Toiletten nicht in Schwulitäten, obschon ihre Gewändereien sehr kostbar sind und sich ein Kleid mit Gürtel und allem Zubehör auf drei-, vierhundert und mehr Yen belaufen kann, abgesehen von dem Schildplatt-, Lack- und Goldschmuck der Haarnadeln, die noch einmal so viel für sich ausmachen mögen. Aber die Mode spielt keine grosse Rolle, so dass sich die Festkleider, aus fast unverwüstlicher Seide hergestellt, ruhig von Mutter auf Tochter und Enkelin übertragen können. – Die japanische Frau ist in den meisten Fällen die würdige Teilhaberin und nicht die Sklavin ihres Mannes, ohne aber allen Vergnügungen ihres Gatten nachzulaufen. In die Ehe bekommt sie, ausser einigen Kleidern, wenig oder kein Vermögen. Theater und Tanzaufführungen besucht sie gern und oft, mit und ohne Gemahl, 100 gibt Teegesellschaften im Freundinnen- und Familienkreise und weiss auch ihrem Stolz Genüge zu tun, gar, wenn sie in der Lage ist, eine kräftige, muntere Bubenschar vorzuführen.

Für die Erziehung der Kinder tut der Japaner alles. Die Kinder sind seine Ehre, seine Freude und sein Glück. Jedesmal, wenn mein Reisegenosse von Journalisten nach seiner Meinung über Japan befragt wurde, kam auch die Frage, wie ihm die japanischen Kinder gefielen, und dann erschienen Kommentare in den Zeitungen, die der grossen Genugtuung Ausdruck gaben, dass Europäer so überzeugt von der guten, japanischen Zukunft, die in den Kindern aufwuchs, reden konnten.

Es ist wahr, diejenigen, die mit Japan geschäftlich in Verbindung standen, waren einig darin, dass man neuerdings mit den »gelben Füchsen«, – die Ausdrücke der Handelsleute klangen immer gleich nach schlechten Geschäften, – schwer rechnen konnte. Das Wort, der Kontrakt galten nicht, und der Rechtsbruch selbst der höchsten Gerichte, seit der Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit, gegenüber den Europäern war keine Seltenheit. Leichtsinnige Bankerotte, Schwindeleien gehörten zu den häufigen Ereignissen. – Ich habe darüber nachgedacht. Mir scheinen die Verhältnisse so zu liegen: Erstens kommen bei uns, bei christlichen wie jüdischen Geschäftsleuten, die nämlichen Sünden vor. Und eigentlich sind unsere Kaufherren darum so sehr erbost, weil die Japaner sich so leicht nicht mehr über den Löffel balbieren lassen, wie noch vor dreissig Jahren. Ferner sind die Begriffe von Gut und Böse völlig verschoben. Ich kann zornig werden, wenn ich an unsere Überhebung denke und an die 101 Arroganz der abendländischen Moral, die in ihrem Christendünkel alles andere als schlechter und unmoralischer verurteilt. Die Japaner sind nicht schlechter, im Gegenteil, sie haben Eigenschaften, die in ethischer Beziehung höher stehen als viele der unsern. Ich wiederhole; das Gut und Böse hat sich verschoben. Mit jedem Fussbreit, den wir von uns nach Ost oder West, nach Süd oder Nord gehen, verschieben sich auch die Begriffe, verändern sich Lebensbedingungen, Natur und Rasse. – Der Handel war in Japan von jeher verachtet, der Kaufmann niedriger angesehen als der Bauer und Handwerker, daher liess gewiss seine Erziehung in Ethik im Laufe der Jahrhunderte zu wünschen übrig.

Anderseits entwickelte sich der formelle Verkehr und die künstlerische Eigenart des Japaners in uns unbegreifbarer Weise. Wo gibt es ein Volk, das bis in die niedrigsten Klassen so zum Künstler erzogen und veranlagt wäre? Wo gibt es ein Volk, das bis zum ärmsten Kuli so raffinierte und doch scheinbar natürliche gesellschaftliche Formen hätte? Liegt nicht in diesen Formen eine grosse seelische Kraft, sich zu beherrschen und eiserne Disziplin über sich zu halten? Und wenn wir diese Formen nicht verstehen, wie können wir dann die zurückgehaltenen leisesten Regungen des Gemütes darunter erkennen? Wir vermögen es nicht, und dennoch wagen wir es, den Japaner seelen- und gemütlos zu nennen.

* * *

Hikobei Nishi hiess unser Gastfreund, der ganz den Holzstatuen eines dicken, buddhistischen Heiligen glich und den wir darum auch, weil er sich oft europäisch 102 trug, »Kobo-Daishi in full dress« nannten. Er kannte seinen ihm von uns gegebenen Spitznamen und freute sich darüber. Eines seiner vielen Geschenke an uns war ein kostbares Photographienalbum, darein er als letztes Bild sein Ich in lustiger Selbstironie, aber »without any dress«, in der Stellung einer Kobo-Daishi-Heiligenstatue gegeben hatte. – In Japan sind die Dicken recht selten, aber die es sind, gelten meist als ebenso gutmütig wie bei uns. Er war, trotz seines Hangs zur Bequemlichkeit, ein aufmerksamer Gastwirt und konnte lachen wie ein Kind. Aber das können alle Japaner, wenn man mit ihnen herzlich und nahe genug verkehrt. Er sah immer ein wenig komisch aus, besonders jedoch, wenn er seine japanischen Kleider und dazu einen fürchterlich stillosen steifen, runden Hut, eine sogenannte Melone, trug. Im Gehrock sah er ganz unwahrscheinlich aus, wogegen seine Würde, wenn er im japanischen Festgewande mit seinen Landsleuten sich unterhielt, unnachahmlich war. Den Reiswein mochte er gern leiden und auch das Bier, das in grossen Mengen in Japan gebraut wird und gut schmeckt. Masha-ko san, seine liebe Frau, die gütige, fürchtete diese seine Neigung. Sie hatte kaum erfahren, dass ich meines Zeichens ein Medizinmann sei, als sie mich auch schon bat, ihren Gatten auf seine Alkoholfestigkeit zu untersuchen. Es war einer unserer lustigsten Abende. Wir hockten alle auf den Strohmatten im Wohnzimmer unserer Gastfreunde herum, – mein Reisegenosse, das Ehepaar Nishi, die Tochter Fumi-ko san, und einige Nesans, einige Dienerinnen, als sich der alte Nishi coram publico enthüllte und mich zur Untersuchung heranbat. Ich ging mit gewichtigem Ernst an die Aufgabe. – Aller Blicke folgten gespannt meinen 103 Manipulationen, und als ich ihm sagte, dass er ein gesunder Mann sei, aber, aber! – nicht zu viel trinken dürfe, – machte er ein sehr verdutztes Gesicht, während bei den Andern des Jubels kein Ende war, noch weniger aber meiner Arbeit. Denn nun kam Masha-ko san und entblösste sich zur Untersuchung, und wieder folgten alle mit den Augen und freuten sich und kicherten, wenn ich das Stethoskop aufsetzte oder perkutierte, – dann kam Fumi-ko an die Reihe, dann wurden die Nesans herbeigeschleppt, dann wurde der Koch aus der Küche geholt, dann die Kurumaläufer, und endlich wurde ich gefragt, ob ich nicht den weissen, ewig kläffenden Seidenpintscher, den Jiji, auch noch untersuchen könnte. Sie waren alle gesund, alle, – nun gab es ein Freudenfest, – es wurde gelacht und gejubelt; – einzig der Vater Hikobei trug seinen kleinen Nachteil davon. Von Stund an war er etwas fester unter dem Pantoffel, den Holzsandälchen seiner Gattin, die ihm hinfort bei jedem Schlücklein komisch besorgte Blicke zuwarf. Aber wirklich, er konnte es vertragen.

O Masha san wäre ein japanischer Engel, wenn es solche geben würde. Sie war uns allen eine gütige, immer für die Andern denkende Mutter. Voller Liebe war sie, voller Liebe! Sie hatte tiefe, grundgütige Augen und ein feines, fast elfenbeinfarbenes Gesicht. In ihrer Jugend musste sie eine Schönheit gewesen sein, und jetzt bestand ihr Antlitz aus einem einzigen frohen und lieben Lächeln. Sie war eine streng religiöse Frau und gehörte der Nishi-Hongwan-Sekte an, den Protestanten unter den Buddhisten in dem Sinne, dass ihr Gründer auf Vereinfachung des Gottesdienstes gedrungen hatte. Sie war daneben eine eifrige Frauenrechtlerin, sie schrieb in Zeitungen, sie war sogar Parteiführerin, aber sie gab 104 sich in keiner Weise exzentrisch, sondern ganz und gar als Frau. Und ein Kind war sie, trotz ihres erwachsenen Sohnes, trotz ihrer verheirateten Tochter, trotz ihrer Jüngsten Fumi-ko, von der noch zu erzählen ist. Mutter Masha hatte sich die reine, aufjauchzende Kinderfreude bewahrt. Und eine Reinheit der Sinne, wie ich sie bei uns und unsern verkehrten Erziehungsansichten nie denken könnte. Ein Beispiel: Ich wunderte mich über die komplizierten japanischen Frauenkleider. Wir sassen im Wohnzimmer, alle, die ganze Familie und mein Reisegenosse. »Dies ist die Obi-jime, die Gürtelkette«, sagte sie und legte sie ab. »Dann kommt das Obi-age, das Gürtelkissen«, und zog es aus, – »hier das Haori, das Kleid«, – »der Kimono«, – »die Unterkleidung, Shitagi«, – »das Aka-shiban, das waschbare Hemdchen«, – »das Shiban, das buntseidene Hemdlein«, – dieses zog sie aber nicht mehr aus, sondern hüllte sich lachend und schnell wieder in die andern Kleider. – Oder: wir waren nach einer Tagereise im Teehaus in Futami gelandet und freuten uns auf das Bad. Ich schlüpfte in meinen Bade-Kimono, genannt Yukata, ging die knarrende Holztreppe hinunter nach dem Baderaum und liess die Bilder der letztvergangenen, herrlichen Stunden an mir vorübergleiten. So trat ich ins Badgemach, als ich auf einmal ein Geplätscher hörte und eine Art Geschrei hoher Stimmen, und mich auch schon blindlings zur Flucht umwandte. Aber o Masha san erwischte mich am Zipfel meines Yukata und zog mich, vereint mit ihrer verheirateten Tochter Haru-ko san, Frau Frühling, zurück ins Badezimmer. In einem japanischen Gasthause badet immer zuerst der vornehmste Gast, – gesetzt es wäre ein General vorhanden, zuerst dieser, dann der Oberst, dann 105 der Major, dann der Leutnant, darauf erst die Frau Generalin, Frau Oberst, Frau Majorin und Frau Leutnant. – Ich hätte also das Vorrecht gehabt. Darum wurde mir von den beiden Damen unter vielen Entschuldigungen und kinderfrohem Lachen mein Bademantel abkomplimentiert; ich wurde von ihnen nolens volens ins Wasser gesteckt, herausgeholt, und, was wohl eine grosse Ehre für mich gewesen sein muss, von Tochter und Mutter tüchtig eingeseift, wieder ins Bad gesteckt, wieder herausgeholt, sorglich abgetrocknet, in meinen Bademantel gehüllt, – und nun erst setzten sich die beiden Weiblein endgültig lachend und plätschernd ins Wasser. Es war in keinem von uns ein Hintergedanke, so natürlich und selbstverständlich ging alles vor sich. Man stelle sich solches bei uns vor: Man sei auf Reisen eingeladen mit Herrn und Frau Grossrat Soundso. Man komme ins Badezimmer, worin Frau und Fräulein Grossrat sitzen. Frau und Fräulein Grossrat hüpfen aus dem Bade und so weiter usw. – Ist es nicht viel schöner, ins Japanische übersetzt?

Haru-ko, die verheiratete Tochter, spielt in meinen Erlebnissen keine grosse Rolle. Aber Fumi-ko, die unverheiratete. Sie war sechzehn Jahre alt und zierlicher als ein Elfenbein-Figürchen.

Sie liebte einen Andern, – den jungen Baron Kayura. Doch davon später!

Fumi-ko Nishi trug immer noch sehr helle, bunte Kleider, wie die japanischen Kinder sie tragen. Sie war manchmal zu sehr geputzt, aber daran hatten ihre Tanten schuld. Fumi-ko war schön. Keine Bewegung ging verloren an ihr. Es war, als ob ein Leuchten anhub bei jeder kleinsten Regung ihres jungfräulichen Körperchens. 106

Sehr oft machte sie sich lustig über meine europäische Unbeholfenheit, und es zuckte dann leise um ihre Achatmandeläuglein. Aber sie mochte mich doch gern, denn die vielen Wochen, die ich bei ihren Eltern verlebte, erwies sie mir Morgen für Morgen die selbe, liebe Aufmerksamkeit. Wenn es hell wurde, wusste ich, dass sie kommen werde und schloss die Lider fest, um doch hindurchzublinzeln. Dann schob sich leise, leise die Papierwand auseinander, und in mein Schlafgemach, in dem ich auf den Seidendecken am Boden scheinbar schlummerte, trat in leichtem Morgenkleide, ein Körbchen Früchte in der Hand, Fumi-ko – spionierte, ob ich schliefe, huschte neben mich und legte mir auserlesene Pfirsiche, Bananen, Kakifrüchte, Akebeschoten oder andere Köstlichkeiten neben mein Makura, (das Holzgestell, auf das man in Ermangelung eines Kopfkissens den Hals legen musste) – um auf den Zehenspitzen wieder hinauszuhuschen.

Hab Dank, du liebe Fumi-ko!

* * *

Dieses wären denn die gütigen Menschen, die uns in ihrer schönen Heimat bewirteten und herumführten. Wir zogen von Kobe dem japanischen Binnenmeer entlang, dann zurück nach Osaka, einwärts nach Kyoto, fuhren von dort an den herrlichen Biwa-See, der mich an das schwäbische Meer erinnerte, – dann in den Daigi-Tunnel hinein, immer im Boot sitzend, an dessen Bug die Lampions glühten, durch den schwarzen Berg hindurch, andern Booten begegnend, deren Schiffsleute, Bronzestatuen gleich, rot beleuchtet, sich an den dicken, den Mauern des Tunnels entlanggespannten Tauen vorwärtsarbeiteten, um endlich durch ein Tal mit 107 smaragdgrünen Wiesenhängen, zwischen Bambus- und Kiefernwäldern, zurück in die alte Kaiserstadt zu gleiten. – Wir machten eine Fahrt auf dem Katsuragawa, pfeilschnell an den trotzigen Klippen der Stromschnellen vorbeisausend, behütet durch den Steuermann und den am Bug des Bootes mit einer langen Bambusstange abstossenden Schiffer. – Wir waren zusammen am Fuss des heiligen Vulkans, des Fujiyama, und in den Bergen von Hakone, am blauen Alpsee, der in seiner stillen Majestät einem in abendvergoldete Felsen gelegten Saphire glich. Wir sahen die Provinz Jse, wir sahen Yamada, Futami, Nagoya, – wir sahen später Nikko und Hokkaido; wir sahen, – wir sahen, – ach, was wir alles sahen! Es wäre des Erzählens kein Ende!

Und eines Tages fuhren wir von Kyoto nach Nara, der zweiten alten Kaiserstadt, besuchten den Kasuga no Miya-Tempel, inmitten der mächtigen, mit des Herbstes Purpurmantel angetanen Ahornbäume, von denen ein japanischer Dichter sagt:

Ahornblätter brennen röter,
als der Frühlingsblumen Blühen.
Selbst der Reiswein müsste kochen
durch der Blätter grosses Glühen.

Wir standen unter den Rudeln der heiligen, zahmen Axushirsche, – o hättet ihr Fumi-ko gesehen, wie sie ihre schmalen Alabasterhändchen ausstreckte und die Nüstern der edlen Tiere daran schnupperten, während alle die grossen, tiefbraunen Rehaugen festgebannt die liebliche Menschin anstaunen mussten. – Und die uralten Fichten, und das tiefe, weiche Moos, – und immer wieder die Steinlaternen, – und immer wieder die zahmen, zutraulichen Hirsche! 108

Vater Hikobei hatte uns in dieser Stadt eine besondere Überraschung, nämlich die Ehre verschafft, eine alte Samurai-, eine alte Adelsfamilie besuchen zu dürfen.

Ich erfuhr später, dass er seinerzeit dem nunmehr verstorbenen Baron und Ex-Minister Kayura aus einer Geldverlegenheit geholfen hatte und dass aus diesem Grunde die Freundschaft des Kaufmanns mit der hocharistokratischen Familie eine so dauernde geblieben war. Baron Kayura regierte lange Zeit als Gouverneur in Nara und hatte als ein tyrannischer Herr gegolten, der, wie man wusste, gerne der Reisweinflasche zusprach. Er hatte sich als Spross eines ganz verarmten Rittergeschlechts im Bürgerkriege gegen die Shogune, 1868, auf Seiten des Kaisers geschlagen, dabei ausgezeichnet und für seine Tapferkeit den Gouverneursposten, den Orden vom goldenen Falken, sowie später den Baronstitel erworben. Sein Leben war sehr abenteuerreich gewesen. In seiner Höhezeit Justizminister, hatte er sich zum Ende in die Einsamkeit seines Landhauses gezogen, um die letzten Tage seines Erdenwallens in stiller Gemeinschaft mit der Sakeflasche zu verbringen.

Ihm hatte Vater Hikobei einmal geholfen. Nun sollten uns der junge Baron und seine Mutter empfangen. Nishi's Damen mussten zu Hause bleiben. Dann durften wir fast eine halbe Stunde im Empfangsgemach kauern, bis die alte Baronin mit ihrem Sohne zu erscheinen geruhte. Sie trug einen braunschwarzen, crêpeseidenen Kimono, mit einem Saum von darauf gemalten weissen Kirschblüten, deren Staubgefässe golden gestickt waren. Sie führte uns mit zur Sicht getragenem Stolz in ihrem prächtigen Landhaus herum, nicht an Marmorsäulen 109 vorbei und durch protzige Spiegelsäle; aber die Holzarten, aus denen es erbaut, die Decken und Pfosten waren auserlesen und kostbar und ihre Faserung von seltener Regelmässigkeit; die Mattengeflechte der Fussböden schienen von erstaunlicher Feinheit und die kleinen Kunsteisenarbeiten an den Schiebetüren, die Einfassungen der Wände, die Lackarbeiten, die wenigen Gerätschaften und Schmuckstücke waren Meisterwerke japanischer Kleinkunst.

Die alte Baronin schien ein ganz seltsames Geschöpf. Sie musste, gleich Masha-ko, einst schön gewesen sein, aber der Baronin Gesicht war im Gegensatz zu dem lichten Ausdruck in jenem unserer Pflegemutter, lichtlos und verbissen, runzlig und voller Fältchen. Man las beinahe eine in sich hinein verschrumpfelte Seele aus den vielen Furchen, – man sah Geiz und vielleicht sogar etwas Mitgunst darin. Sie schien sich immer zu verbeugen, als ob sie noch die Stimme ihres tyrannischen Gatten gehört hätte, und zeigte ihrem Sohne gegenüber scheinbar keinen Willen. Und dennoch fühlte man, dass sie allein befahl und nur nach ihrer Geige in diesem schönen Hause alles tanzte. Man fühlte, wie sie unter den Launen ihres gewalttätigen Gemahls sich lange Jahre hatte ducken müssen und wie vom Tage seines Todes in ihr die stets zurückgedrängte Sucht nach Herrscherglück erstanden war.

Haruo Kayura, der junge Baron und Erbe ihres Guts und Namens, war dagegen eine stolze, vornehme Erscheinung, immer europäisch und gut gekleidet, mit den Wendungen eines Diplomaten und dem ritterlichen Auftreten eines Offiziers. Er konnte auch nach abendländischen Begriffen schön genannt werden, und seine Erziehung war in unserem Sinne eine mustergültige 110 gewesen. Er mochte vielleicht einundzwanzig Jahre alt sein und nannte sich Student der Universität Tokyo, zurzeit in Nara in den Ferien.

Ich hatte allerlei höfliche Redensarten mit der alten Baronin auszutauschen, da ich neben ihr zu sitzen kam, und erzählte unter anderm, dass man in Tokyo zu Ehren meines Reisegenossen ein grosses Tanzfest vorbereitete und dass die Tochter Nishis, Fumi-ko, nebst ihren jüngeren Freundinnen, schon seit Monaten sich darauf eingeübt hätte.

Es fiel mir erst nachträglich auf, dass sie zu meinem Berichte nichts erwidert, sondern sogar spöttisch vor sich hingelächelt hatte, als ob sie hätte sagen wollen: »Krämerstöchter! und massen sich an, gute, alte Tänze darzustellen!«

Der junge Baron gab uns das Geleite ins japanische Gasthaus. Unterwegs fragte ich ihn, ob er denn eigentlich die kleine Fumi-ko kenne? und fragte, warum sich seine Frau Mutter so gar nicht für das Tanzfest und die liebliche Tochter ihres Freundes erwärmt habe?

Baron Haruo Kayura mochte seinen europäischen Tag gehabt haben, – er vergass alle japanische Zurückhaltung und sagte gerade heraus, ich hätte da an das Unglück seines Lebens gegriffen, – der arme Einundzwanzigjährige! – Es sei keine andere, als Fumi-ko, mit der er sein Heimwesen gründen wolle, und nur seine Mutter hindere ihn daran, weil sie glaube, dass eine Kaufmannstochter niemals die gute Erziehung haben könne, die der Gattin eines Barons und Diplomaten von Nöten sei.

Ich musste mir sagen: Fumi-ko und Haruo, – das hätte einen guten Klang gegeben, – und fragte den 111 Baron, ob er nicht meinte, dass seine Mutter vielleicht an das Tanzfest in Tokyo käme und sich bei solcher Gelegenheit von der Art der Erziehung und dem Tone, der in Nishi's Haus vorherrsche, überzeugen könnte?

Unmöglich. Auf eine blosse Einladung Nishi's würde die alte Baronin niemals zu einem solchen Anlass in solche Gesellschaft nach Tokyo fahren.

Aber, wenn mein Reisegenosse und ich am Ende sie persönlich zu diesem Feste bitten würden?

Er fiel mir fast um den Hals. – Dann käme sie sogar sicher. Sie würde viel zu sehr auf gute Sitte halten, um uns dies abzuschlagen.

Die Angelegenheit, – Liebesaffären sind immer wichtig, – schien mir dringend genug. Ich überedete meinen Reisegenossen, sich müde zu erklären, die Abreise um einen Tag zu verschieben, am nächsten Morgen der Baronin noch einen offiziellen Besuch zu machen und ihr die Einladung in unserem und der Nishi Namen zu überbringen. Meinem gefeierten und mit Aufmerksamkeiten überschütteten Reisegenossen wagte die alte Dame nichts abzuschlagen, um so mehr, als sie sich im Grunde tief geschmeichelt fühlte.

So sollte denn die kleine Fumi-ko als japanische Salome zwar nicht um das Haupt, aber um das Herz, und nicht ihres Liebsten, sondern ihrer Schwiegermutter tanzen!

* * *

Ich hatte wohl grosse Tanzaufführungen in Kyoto gesehen, die zur Feier des sechzigsten Geburtstages einer Berufstänzerin und Tanzlehrerin, zu Ehren Haru-ko Jnouye's, gegeben worden. Aus ganz Japan waren ihre Schülerinnen zusammengekommen und hatten 112 während fünf Tagen ihre Kunstfertigkeit vorgeführt. Es wurden berühmte Tänze dargestellt, wie derjenige vom zehntausend Jahre alten Mädchen. Die Aufführungen waren von einer Pracht, einem Seidenrauschen und -schillern begleitet, wie es nur der Orient zu bieten hat. Aber davon will ich nicht reden.

Auch nicht von jenen Tänzen, die bei einer, von befreundeten Professoren zu Tokyo im Ahorn-Klub, im Koyo-kwan, uns gegebenen Einladung, durch junge Mädchen aus bessern Familien, nicht von Geishas, in unbeschreiblicher Zierlichkeit und Schönheit getanzt wurden.

Auch nicht von jenem Tanz, den die Medizinprofessoren in Kyoto vor uns aufführten, – ich glaube, sie nannten ihn den Anatomentanz, – anlässlich dessen sich die ehrwürdigen, gelahrten Herren, nach allerdings etwas reichlichem Sakegenuss, zu den tollsten Verrenkungen sämtlicher Glieder des menschlichen Körpers tanzend, singend und lachend hatten verleiten lassen.

Auch will ich nur kurz der Pantomimen gedenken, die ich, von Berufstänzern gespielt, bei den im Grunde politischen Zusammenkünften der japanischen Grossen, bei den Garden partys, gesehen habe, so zum Beispiel bei einem Kupferkrösus in Tokyo. Das von ihm gebotene Fest dauerte drei Tage, an deren jedem über fünfhundert Gäste bewirtet wurden. Das Zelt, in welchem das Büfett, mit auserlesenen Leckerbissen überladen, stand, war aus purer Seide und stellte den Fujiyama dar. Die Diplomatie war zugegen, und sie, sowie die Vertreter der japanischen politischen Parteien, bei solchen Gelegenheiten regelmässig zusammenkommend, ergossen sich in schönen Reden. Für diejenigen aber, die sich zu unterhalten gedachten, wurden 113 Tänze und Pantomimen von den besten Schauspielern der Residenz aufgeführt, und alte Sagen, wie auch gern gesehene lustige Schwänke zur Darstellung gebracht.

Zu den beliebtesten Vorwürfen solcher Pantomimen zählt die Geschichte vom Fischerknaben Urashima, der beim Fischen auf hoher See eine Schildkröte fängt, sie aber wieder ins Wasser wirft, denn wenig hätte er davon, wenn er sie verzehren würde, – auch leben die Schildkröten in Japan zweitausend Jahre lang; – um eines geringen Bissens willen mag er kein Lebewesen voller eintausendneunhundertneunundneunzig Jahre berauben. Und siehe, – das ins Wasser zurückgeworfene Tier wandelt sich in die holde Tochter des Meergottes, des Beherrschers aller Drachen und Schildkröten, und zum Dank dafür, dass der Fischer sie am Leben gelassen, bietet sie ihm ihre Hand. So lebt er fortan mit ihr im Zauberschloss auf den immergrünen Inseln in Glück und Seligkeit. Aber eines Tages erwacht in ihm die unbezwingliche Sehnsucht nach der Heimat, nach Vater und Mutter. Er bittet um Urlaub. Die Tochter des Meergottes erkennt, dass mit Gewalt sie ihren Liebsten nicht zurückhalten kann, und gibt ihm abschiednehmend ein Kästchen mit der strengen Weisung, es nimmer zu öffnen, er sei denn wieder zu ihr gekommen. Sie hofft auf menschliche Neugierde, die ihm nicht Ruhe lassen, sondern beständig ihn zu ihr zurücktreiben solle. Nur hat sie diese der Menschen Neugierde unterschätzt. Urashima findet an Land fremde Häuser und fremde Gesichter. Er frägt nach dem Jüngling, der vor drei Jahren von hier in die See gefahren und nicht heimgekehrt sei. Die Leute wissen von jenem nichts, – sie wissen nur von einem Fischerknaben Urashima, dessen dreihundertsten Todestag sie gerade 114 feiern. Urashima versteht nicht, lächelt, erschrickt. Unbezwingliche Begier ergreift ihn, zu erfahren, was das alles zu bedeuten hat. Er fühlt, des Meergottes Tochter wüsste Bescheid. Oder birgt ihr Geschenk des Rätsels Lösung? Gewiss! Er öffnet das Kästchen, – ein gelber Rauch entsteigt ihm, – seine Kräfte verlassen ihn, – sein Haar wird bleich, sein jugendliches Antlitz wird von Runzeln durchfurcht, und als verbrauchter Greis stirbt er am nämlichen Orte, von dem er vor dreihundert Jahren ausgezogen war, sein Glück zu suchen. –

Unter die besonders beliebten Possen zählt die Geschichte von den zwei Männern und der einen Hose (Nihin-hakama). – Die Hochzeitszeremonie soll vor sich gehen. Die Braut erwartet den Bräutigam, der eben mit seinem Vater von zu Hause aufbricht. Aber, da der ungeduldige Sohn den Vater drängte und drängte, hat dieser die Festkleider in solcher Hast angezogen, dass er erst vor dem Hause der zukünftigen Schwiegertochter entdeckt, wie gänzlich er vergessen, die Hose, die Hakama, – eine zweiteilige Schürze, deren eine Hälfte nach vorn, die andere nach hinten hängt, – umzubinden. Grosse Bestürzung. Der Sohn erscheint allein zur Feier und entschuldigt seinen Vater, der durch Geschäfte verhindert sei. Dass aber ein Vater bei der Hochzeitszeremonie fehlen sollte, wäre eine der grössten Sünden gegen japanische Etikette. Zu allem Unglück hat die Braut auch noch den Bräutigamsvater durchs Fenster erblickt und will den Diener schicken, ihn herein zu holen. Da zieht es der Bräutigam vor, selbst zu gehen, entledigt sich draussen schnell seiner Hose und schickt nun den Vater mit der einzigen zu der harrenden Braut hinein, um der Enttäuschten mitteilen zu lassen, dass er durch einen Freund aufgehalten worden 115 sei. Dieses aber passt ihr erst recht nicht, und sie verlangt kategorisch, dass der Geliebte unverzüglich erscheine. Der Vater geht nun wieder hinaus, zerreisst und teilt mit dem Sohne die Hose, indem ein jeder seine Hälfte nach vorn umbindet. So kann denn die Zeremonie endlich vor sich gehen, das Paar wird verheiratet, natürlich nicht ohne die lustigsten Verrenkungen der beiden Halbbekleideten, die ihr Übel angstvoll zu verbergen suchen. Alles ginge glatt, da verlangt der Brautvater vom Bräutigamsvater, er möge etwas vortanzen. Jegliches Sträuben vergebens! Im Gegenteil, auch der arme Bräutigam wird aufgefordert, und, wie denn die beiden im Eifer des Tanzes schliesslich ihre Blösse vergessen, muss zur ungeheuren Heiterkeit der anwesenden männlichen Gäste und mit Nasenrümpfen von Seiten der Damen das unverhüllte Elend an den Tag kommen, bis es durch das grossmütige Geschenk des Brautvaters, der jedem der beiden eine neue, ganze Hose schenkt, gelindert wird. Darauf ein Freudentanz und Bacchanal! –

Der Tanz spielte eine vorherrschende Rolle im Gesellschaftsleben der Japaner. Es ist ja schon lange bekannt, dass unter dem Tanzen der östlichen Völker etwas Grundverschiedenes von der Art unseres Tanzens zu verstehen ist. Jede Bewegung der Hand, des Fusses, des Kopfes, der Kleiderfalten, jede kleine Änderung im Kostüm hat eine ganz bestimmte, symbolische Bedeutung, und so geschieht es, dass die kompliziertesten Erzählungen durch Pantomime und Gesichtsspiel einfachster Art vermittelt werden können. Durch Überlieferung von hundert und hundert Jahren ist eben eine bestimmte Bewegung der Ausdruck für einen ganzen Gefühlskomplex geworden. Die Schönheit des Tanzes 116 besteht nicht in den bizarren Drehungen und groben Verrenkungen des Körpers, wie sie bei uns durch das Ballett gezeitigt wurden, dieser grössten Geschmacklosigkeit von alledem, was wir als Kunst zu bezeichnen wagen; sondern im Gegenteil in möglichst ruhigen, vornehmen Bewegungen vor allem der Arme, oft nur der Hände und der kleinen, wohlgebauten Füsse, ungefähr in der Weise, wie unsere nachdenkenden Tänzerinnen, eine Duncan zum Beispiel, von diesen ästhetischen Mitteln Gebrauch machen lernen. Man ahnt, was ein japanischer Tanz ist, wenn man sich vorstellt, dass das Küssen, das Handreichen, Arm in Arm gehen, ja jede körperliche Berührung in Gesellschaft verpönt wird und zudem jegliche Kunstform in Japan, und besonders die des Tanzes, eine Steigerung der wirklichen Erscheinungen zum Idealtypus darzustellen hat.

Ein witziger japanischer Schriftsteller sagte einst, dass, während er in seiner Phantasie sich einen europäischen Ballsaal als eine Vision aus dem Märchenlande ausgemalt hatte, er in Wirklichkeit nichts besseres erkennen konnte, als Neunaugen, die sich an die Wasseroberfläche schnellten, um Luft zu schnappen, und (man möge ihm das Wort verzeihen) aus dem Bette hopsende Flöhe.

Aus einem Erntetanz entwickelten sich unter chinesischem Einfluss im vierzehnten Jahrhundert eine Art dramatischer Aufführungen, die No-Spiele. Zu diesen ehrwürdigen Tänzen gehört Chorgesang und Musik, die alle beide unserem Ohr anfangs unsinnig komisch, schrill und merkwürdig klingen, hervorgeholt aus quiekenden, miauenden Stimmen, Trommeln, Flöten, Harfen und Guitarren. Gewöhnt man sich auch wenig an die Töne, so doch an den Rhythmus, der die 117 Bewegungen des Körpers wirksam unterstützt. Der No-Tanz ist eigentlich ein Schlagballspiel geübter Spieler, aber die Art des Spieles wird als Tanz aufgefasst und der leiseste Verstoss gegen die vorgeschriebenen Bewegungen heisst Sünde gegen Kunst und Stil. Man hat die No-Spiele auch mit unsern Opern verglichen, weil die in Monologen und Dialogen zum Tanz gesprochenen Worte, denen alte, schwer verständliche Texte zugrunde gelegt werden, durch den rechts hockenden Chor und das im Hintergrunde meist aus vier Mann bestehende Orchester begleitet oder ergänzt sind. Die Bewegungen der No-Spieler haben nur anzudeuten, damit der Zuschauer dieselben dann in seiner Phantasie zur Handlung vollenden solle. Es wird nicht geweint, sondern man bringt die Hand in elegantem Bogen den Augen nahe. Ein Durchschreiten der Bühne mit allmählich zunehmendem Stampfen der Füsse genügt, um eifersüchtige Erregung anzugeben.

In den japanischen Volkstänzen gibt es nirgends ein bacchantisches Rasen. Nicht die Beine tanzen, sondern die in schönen Wellen dahinfliessenden Umrisslinien der Körper und Gewänder. Zu den Tänzen werden allerhand Attribute, die oft an sich schon genügen, einer Stimmung Ausdruck zu geben, benutzt, wie Fächer, Pferdchen, Blumenzweige, Schwerter und breite Basthüte.

Die berühmten Geishas sind die meistgesehenen Tänzerinnen. In einer Tanzschule empfangen die Elevinnen jahrelang Unterricht, edle und abwechslungsreiche Bewegungen auszuführen, und erst, wenn sie das ganze, lyrische Tanzalphabet kennen, dürfen sie zur Kirschblütenzeit in einem eigens dazu bestimmten Teehaus in einer Strasse des Maruyamaparkes von 118 Kyoto auftreten. Zu beiden Seiten der Bühne sitzen auf Estraden Sängerinnen und Musikanten, ein Kranz liebreizender junger Mädchen mit den schmalsten Händen der Welt. Auf der Bühne schreiten die Geisha's einher, bunt und doch harmonisch gekleidet, und bewegen in weichen Rhythmen Hände, Schultern, Blütenstrauss oder Fächer. Dazu das magisch bewegte Licht unzähliger Lampions. Bald tanzen sie »Wasserfall« oder »Ahornröte«, bald »die Zeit der Kirschblüte« oder »das Tempelfest in Uji,« – immer aber ist es, mit den Augen eines schönheittrunkenen Japaners gesehen, ein berauschender, wundersamer Traum.

* * *

Es gehört in den vornehmen Familien Japans zum guten Ton, dass die Töchter einen oder mehrere, aber immer nur wenige, althergebrachte Tänze lernen. Es können deshalb nur wenige sein, weil das Studium dieser Tänze Jahre und Jahre erfordert und weil zu einem jeden besondere, kostbare Gewänder notwendig sind. Bei Festlichkeiten werden dann die Kinder, die den einen oder andern Tanz beherrschen, zusammengebeten, um so vereint den Gästen reiche Unterhaltung darzubringen.

Die Familie Nishi ordnete in Tokyo durch den ganzen Sommer des Jahres 1906 hindurch Übungen und Vorbereitungen zu einem grossartigen Tanzfeste an, das dann während unserer Anwesenheit im Kamesseh, in einem beliebten Teehaus am Flusse, der durch Tokyo fliesst, am Sumida-gawa, aufgeführt wurde. Unter den geladenen Gästen, – es waren im ganzen über zweihundert, – befanden 119 sich viele hohe Persönlichkeiten der japanischen Hauptstadt.

Die Tänze boten eine Folge von Bildern, die aus dem Märchenlande zu kommen schienen, in einer Farbenpracht, welche den Glanz vergangener Jahrhunderte ahnen liess, zumal die Kostüme zum grossen Teil nach Hoftrachten der guten alten Zeit gemacht waren und mit all der erstaunlichen Fingerfertigkeit des japanischen Kunstgewerbes.

Vater Hikobei hielt eine rührende Ansprache, indem er vor einen eigens zu diesem Feste hergestellten, riesigen Seidenvorhang trat. Er sagte unter anderm, dass es in der Tat unbescheiden von ihm sei, uns und seine Landsleute mit längst bekannten Tatsachen in einer solch unförmlichen Adresse zu begrüssen, und dass das wahre Lebensblut der jetzigen Wissenschaft aus deutscher Quelle geflossen sei. Es käme die moderne japanische Zivilisation von dorther, und man müsste sich dankend verbeugen gegen Deutschland für die Nahrung, die es gegeben habe, sodass die japanischen Bäume starke Äste und köstliche Früchte tragen konnten. Man müsse zu Deutschland wie zu einem ältern Bruder aufschauen. Ihm, Hikobei Nishi, als einem Patrioten und Vater, sei seine Pflicht genau vorgeschrieben gewesen, gleich einem Fasane, der seine Kinder sucht in den abgebrannten Stoppeln, um sie zu bewahren vor Feuer auf den Ebenen, und so habe er seinen Sohn nach Deutschland geschickt. Zu seiner freudvollen Überraschung aber hätte er vernommen, dass sein Sohn nicht unter die Fremden gekommen sei, sondern in ein Freundes- und Elternhaus, in ein Heim von solch zartem und reinigendem Einfluss, dass sein japanisches Herz darüber vor Scham 120 erröten musste. Das sei nicht deutsches System gewesen, sondern die liebevollste Teilnahme seines verehrten Gastes. In Japan gebe es ein Sprichwort, dass, wenn die Freude ihre Grenzen überschritten habe, man, ohne es zu wissen, zu tanzen beginne. Aber das plumpe Tanzen eines alten Ehepaares, wie seiner und seiner Masha-ko san Wenigkeit, würde seinen weisen Freund, wie die übrigen Gäste, wenig erbauen. Deswegen wolle er seine Tochter Fumi-ko tanzen lassen, damit sie den Reigen in Wirklichkeit aufführe, der in seinem Herzen vor sich gehe. Ausser dem Tanze »Storch und Schildkröte, Tsurukame«, welcher Glück und langes Leben bedeuten möge, wollten alle andern Tänze Darstellungen aus der Kindheit sein. Er bitte um gütige Geduld und danke herzlich für die Liebenswürdigkeit der Anwesenden. Er bitte um Entschuldigung, was seinen langezogenen »Speech« betreffe. Und nun möge das Spiel beginnen!

Das Programm lautete: Japanisches Kindertanzen zum Willkomm des Herrn V. S.

Nr. I. Asazuma. (Fräulein Schmetterling und Fräulein Libelle.)

Nr. 2. Asaguru Hana. Willkommtanz. (Fräulein Chrysanthemum, Drache, Fumi-ko und Schneeflocke.)

Nr. 3. Tsurukame. Storch und Schildkröte (Fräulein Fumi-ko und Fräulein Ecke).

Nr. 4. Genroku Hanami Odori. Picnic-Tanz. – Dieses war ein neuer und der erste mir so recht verständliche Tanz. Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren gaben die Liebesabenteuer eines Schulmeisterleins wieder mit einer Selbstverständlichkeit und Realistik, die wir unsern Kleinen kaum anzulernen vermöchten. Es mag ja sein, dass die Schminke, welche 121 die Gesichter zu genauen, lustigen Kopien der Erwachsenen machte, die Wirkung unterstützte; aber es ist, allgemein gesagt, eine Eigenheit der Japaner, sich in allen Dingen der Liebe von Jugend auf eine unvergleichliche Natürlichkeit und Naivetät zu bewahren. – Der Lehrer war mit seiner Herzliebsten wald-, statt schulstubenwärts spazieren gegangen; aber die Kinder hatten es bald herausbekommen und ertappten ihn in flagranti. Nun musste er gute Miene zum bösen Spiel machen, dass heisst, mit seinen Schulbuben sich herumbalgen, um sie dann so gesittet als möglich nach Hause zu geleiten.

Tanz Nr. 5 hiess Sarashi und war ein reizendes Schifferidyll.

Nr. 6 endlich hiess Kisen, der Wäschertanz. Wiederum Kinder von acht bis sechszehn Jahren. Ein Mann, der eine Frau und eine Geliebte besitzt, muss die Eifersuchtshändel der beiden zu schlichten suchen. Er schlägt vor, bei gemeinsamer Arbeit alle Gemüter zur Ruhe kommen zu lassen, und somit beginnt in Eintracht die grosse Wäsche. Diese besteht nun darin, dass jedes der drei darstellenden Kinder zwei lange, schmale, weisseidene Flaggen in Händen hält und mittelst ihnen die wundersamsten Zeichen durch die Luft zu führen versteht, Arabesken und Ornamente, Verschlingungen und Windungen, Rosetten und Schleifen, die dem Auge eine unbeschreibliche Freude bereiten.

Unbeschreiblich, – ich gestehe es ein, – meine Feder erweist sich als zu matt, um dem Farbenspiel dieser Tänze, um der Schönheit der Kinderbewegungen hier leuchtenden Ausdruck zu geben.

Es war ein Märchen, – wirklich ein Märchen! 122

* * *

Und Fumi-ko übertraf alle an Liebreiz und Anmut. Sie war zwar eigentlich kein Kind mehr, war die älteste unter den Mitwirkenden und spielte immer die führende Rolle. Aber dennoch, – sie schmiegte sich ebenso ihren kleineren Gefährtinnen an, wie sie gleichzeitig der Mittelpunkt der einzelnen Spiele war.

Ja, Salome tanzte.

Und die böse Baronin Herodias Kayura sass mit ihrem glückseligen Sohne unter den Gästen und traute ihren Augen nicht. Das hatte sie nicht für möglich gehalten. Aber sie tat noch immer sehr reserviert und von oben herab.

Nachdem die Tänze geendet hatten, kam eine Gauklertruppe und unterhielt die Gesellschaft mit ihren fabelhaften Kunststücken, und zuletzt gingen alle Geladenen hinauf in das grosse Festgemach zu einem an Farben und Gruppierungen wunderreichen Prunkmahl. Was es da an Delikatessen gab, – die verschiedensten Meeres- und Süsswasseralgen, Chrysanthemumblütensalat, Schösslinge von Bambus und Ackerschachtelhalm, kandierte Linsen, Austern, rohen Fisch, Hummer, gebacken und gesotten, und was der japanische Magen sonst sich wünschte! Dann wurde Sake getrunken, – man trank sich immer fleissiger zu; die Fröhlichkeit wurde lauter und kindlicher; die höchsten Herrschaften gaben sich am ausgelassensten, – wie kleine Knaben tollten wir auf den Matten herum, – auf einmal vermisste ich Fumi-ko, und ja, – auch Baron Kayura fehlte.

Ich wollte ihnen keineswegs nachspionieren, aber die alte Baronin war gleichfalls nicht zu erblicken.

Ich trat aus dem grossen Gemach, schob die Papierschiebewände voneinander und kam auf eine Estrade, 123 mitten in das Mondgeriesel, das über das Haus in den Garten herab und auf den Fluss hinüberwogte.

Da sah ich unten im Garten sich etwas in wundervollem Rhythmus regen und bewegen, erblickte, an eine Fichte gelehnt, den jungen Baron und hörte, wie er sagte: »Tanze für mich, Fumi-ko. Tanze noch einmal!«

Und Fumi-ko tanzte in berückenden Rhythmen. Und während ich wie verzaubert hinunterschauen musste, hörte ich es auf der andern Seite der Galerie rascheln und leise knarren, und – o weh! – da stand die alte Herodias, zornbebend, aber doch mit dem Ausdruck der restlosen Bewunderung, und wagte sich nicht zu rühren.

Nun fasste ich Mut, trat auf sie zu und sagte ganz laut: »Was für ein herrliches Paar! Wird nicht Fräulein Fumi-ko Ihre Schwiegertochter werden?«

»Ich glaube, – ich gl . . .« stotterte sie, »– ich glaube, es wird sein –«.

Nun blickten die beiden unten, die vor Schreck erstarrt waren, als wir zu sprechen begonnen, mit grossen Augen auf, in denen die Mondsichel funkelte, – oder war es Liebe? –

»Ich glaube, Fumi-ko ist meine Schwiegertochter,« – sagte die Alte, die sich gefasst hatte und ging hinein.

Und noch am selbigen Abend, nachdem die Gäste sich verabredet hatten, wurde die Baronin vollends überzeugt und beschloss mit den Eltern Nishi, die beiden glühheissen Herzen für immer zusammenzuschmieden.

* * *

Der Mond schien durch die Papierfenster, ganz matt, man konnte die Sichel verschwommen erkennen, 124 aber die Schatten der Fichtenäste zeichneten sich deutlich um sie herum, in die kleinen Vierecke der Fensterrahmen hinein.

Ich hörte noch, wie unten sich die der alten Baronin und ihres glückseligen Sohnes entfernten und die helle Kinderstimme Fumi-kos ins Haus verklang.

Ich war sehr müde und schlummerte eben ein, da schoben sich die Papierfensterwände auseinander mit leisem Gleitgeräusch und herein trat – Fumi-ko, in weißseidenem, golddurchwirktem Nachtgewand, schlich behutsam an mein Deckenlager, auf dem ich scheinbar schlief, beugte sich über mich und strich mir leise, leise, mit weicher, köstlich kühler Hand über das Haar.

Mich dünkte, ihre Augen schimmerten feucht. Dann ging sie hinaus, wie sie gekommen war.

Jeden Morgen aber lagen neben den Früchten, die sie mir brachte, fortan frische herrliche Blumen. Das war ihr Dank.

Mich dünkt, ich sehe noch ihre Augen leuchten.

Mich dünkt, ich spüre die weiche, köstlich kühle Hand immer noch, – Abend um Abend.

 


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