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Gaststube wie im ersten Aufzug. Es ist später Nachmittag.
Frau Stauch, Dietrich, Kraft, Wenzel, Leschhorn.
Frau Stauch. Mer kimmt net aus der Uffregung eraus; noch gestern Middag, wie der Fettmilch den Herold in Sicherheit gebracht hat, dacht jeder, er deet sich itzt dorch die Flucht salviern – awwer naa, er bleibt; so sin die Männer! (Weint).
Wenzel. Habb's ja von vornerei gesacht, es nimmt kaa gut End.
Leschhorn. Ihr seid aach des Blasrohr der Vorsehung un steht immer Gevatter, wann die Kinner gedauft sin.
Frau Stauch. Heint Morjen in der Frih kimmt der Fettmilch, um mit meim Ehherr ebbes zu bespreche; was, waaß ich net. Während die zwaa mitenanner redde, kimmt der Bauer, ihr kennt enn ja, der Kellner vom Weißfrauekloster, wie e Bandit ereigeschliche un iwwerfällt hinnerricks den Fettmilch.
Kraft. Der wollt sich e rot Reckelche verdiene; so hat err sich ja aach in den Rat geschmuggelt.
Leschhorn. Des rot Reckelche werd nit ausbleiwe; des bleibt nie aus bei de Speichellecker der Gewalt. Awwer euer Mann?
Frau Stauch. Bevor der sich von seim Schrecke erhole konnt, kame hessische und mainzische Soldate ereigestermt un hawwe den treuste Freund der Berjerschaft iwwerwältigt.
Dietrich. Warn dann gar kaa Mensche in der Neh?
Frau Stauch. Es war ja ehrscht sechs Uhr, merr hatte grad uffgemacht, un eh mer sich versah, saß err im Bornheimer Torn.
Wenzel. Es weer gescheiter gewese, er hätt's wie der Gerngroß gemacht, der hat sich freiwillig gestellt un enn Fußfall gedaa.
Leschhorn. Des kennt ihr emal duh, wann err in e ähnlich Lag kommt.
Wenzel. Bassiert merr nit; ich waaß, wie weit ich zu geh habb.
Leschhorn. Bis ins Werttshaus, weiter nit.
Frau Stauch. Wo nortz mei Ehherr bleibt? Sie haww'n uff den Remer zidiert, schonn vor drei Stunn. – Enn Krug?
Wenzel. Un die Kaarte.
Kraft. Wolle merr werklich heint?
Wenzel. Weshalb nit? Mir kenne de Unruhstifter ihr Schicksal nit ennern.
Dietrich. No, dann meintwege. (Setzt sich, verteilt die Karten.) Herz Daus is Trump.
Vorige. Sauer.
Sauer (kommt von der Straße). Ihr hier? Ich dacht, ihr deet euch in der Stadt erumtreiwe.
Kraft. Is dann was los? – Eichel Kenig muß bekennt wern, beschummele laß ich mich nit.
Sauer. Ob was los is? was e Frag! Die gesamt Berjerschaft is widder in Uffruhr; die Dorn sin von hessische un meenzer Soldate besetzt, un die Handwerksborsch laafe uff de Gasse erum un kreische: Fettmilch hoch!
Dietrich. Scheene Nachrichte!
Sauer. Mer fercht, daß die Acht aach iwwer die Stadt verhängt werd.
Wenzel. Da hawwe merr's! Wann ich doch nortz jeden von deene Krischer e Blaster uff's Maul klewe kennt.
Kraft. Dir derrehrscht! (Wirft seine Karten hin.) Mit emme elende Parierer spiel ich nit!
Dietrich. Gibt's nit! ich habb die Händ voll Trimb.
Leschhorn. Wohie mer guckt, nix wie Unfridde.
Dietrich. Un wem verdanke merr des?
Wenzel. Dem Fettmilch; ich bin derrhaam gebliwwe, habb kaa Redde gehalte, awwer Kappe gemacht.
Kraft. Häst de enn Strick gedreht un dich draa uffgehengt, weer gescheiter gewese, elender Dreckspatz!
Sauer. Nor nit ausaarte, so ganz unrecht hat err nit.
Leschhorn. Des sagt ihr? Fui Deiwel! Wann aaner dem Fettmilch zu Dank verpflicht is, seid ihr's! Er hat euch euern Druckkram frei gemacht, daß errn verkaafe konnt un net in Ofe werfe, er hat euch bei de Zinfte Arweit verschafft, damit err nit verhungert seid. Daran erkennt mer die Lumbe, daß se immer von ihre Freund abricke, wann die in der Batsch sitze.
Sauer. Ich habb dafor die städtisch Kunnschaft verlorn.
Leschhorn. Städtisch Kunnschaft? Prostdiemahlzeit! daher friher euer Groll gege den Rat, Fui Deiwel!
Wenzel. Es gibt noch mehr Leut, die denke wie mir.
Leschhorn. Stinkbeck hat's zu alle Zeite gewwe un bei jeder Bardei. Noch emal, Fui Deiwel!
Sauer. Mer kenne unsern Wei aach wo annerschter trinke.
Kraft. Dut's solang, bis err besoffe im Floß leiht, un kaa Deiwel kimmt, um euch uffzerichte.
Wenzel. Mich hat der große Christophel geseh, die elend Krawallschachtel! (Ab mit Sauer.)
Kraft (nachrufend). Schuwijacke!
Frau Stauch. Den Verlust kann mer trage – ich habb die Lumbe schon längst uff der Muck.
Dietrich. Wo steckt dann die Jumfer Christel, die is doch sonst des däglich Brod?
Frau Stauch. Die ruht e bisse, sie is ja ganz verzweifelt, des arme Ding.
Kraft. Des läßt sich denke.
Vorige. Stauch.
Frau Stauch. Gott sei Dank, daß de da bist! ich hat schonn geferscht, die deete dich dort behalte.
Stauch. Ja, wenn die Geselle nit wern, hätte se's wahrscheinlich gewagt; awwer so hatte se Ehme, die kaiserliche Kommissarn aach; nadierlich – mer kann ja nie nit wisse.
Frau Stauch. Was wollte se dann von dir?
Stauch. Aushorche, wie oft der Berjerausschuß Sitzunge bei uns abgehalte hätt, wo sei Protokolle stecke deete, ob ich dem Fettmilch zur Flucht verhelfe hätt wolle, un Gott wer waaß was all.
Frau Stauch. Un du?
Stauch. Ich haww enn so geantwort, daß se itzt genau so gescheit sin wie zuvor. (Zieht seine Frau bei Seite, leise.) Des Faß muß enaus, der Küpper waaß schon wo's hie kimmt. (Noch leiser.) Die Prodogolle haww ich schon gestern dorch die Post in der Schmidtstubb in's Ausland spediert, un was an Geschribbsel noch vorhande is, muß verbrennt wern – mer kann nie nit wisse! – –
Frau Stauch. Sei außer Sorje, es werd besorgt.
Stauch (zieht seinen Rock aus und rollt ein Faß nach der Straße).
Dietrich. No, no, no! ihr schiwwelt ja den Wei fort!
Stauch. Krätzer, den merr aaner uffgehängt hat, den meege die Parierer saufe. (Ab.)
Kraft. Wer waaß, was in dem Faß is.
Dietrich. Wei sicher nit, was geht's uns aa.
Leschhorn. Der Stauch waaß Bescheid, der is ausgespitzt bis uff die Knoche.
Stauch (kommt zurück). In der Luft drauß is e merkwerdig Gesumm.
Frau Stauch. Des werd der Wind sei; merr kriehn wahrscheinlich e Gewitter.
Stauch. Selbst Gewitter! Horcht doch nortz. (Stauch, Kraft und Leschhorn treten unter die offene Türe, Dietrich ab nach der Straße.)
Frau Stauch (für sich). Itzt kann ich des Geschribbsel bei Seit schaffe. (Öffnet die Ofentüre. Ab.)
Stauch. No heert err nix? ganz nah un itzt widder fern?
Kraft. Verdammt, des sin Menschestimme! Ewe brillt e ganzer Haufe.
Dietrich. Die Geselle wern doch nit – – –
Leschhorn. Warum dann nit?
Stauch. Mer kann nie nit wisse – – –
Vorige. Frau Stauch, später Christel.
Frau Stauch (kommt, trägt in der Schürze Papiere, die sie in den Ofen wirft, Feuer schlägt und sie anzündet.) So, ihr babbelt nix mehr! No, is es der Wind, odder is err's nit?
Kraft (ruft einem Vorüberlaufenden zu.) Was is dann los?
Stimme. Die Geselle sterme den Bernemer Torn!
Stauch (zieht eilig seinen Rock an). Sterme den Torn un mir stehn hier.
Dietrich (auf der Straße). Sie lasse den Fettmilch nit im Stich, hoch die Geselle!
Stauch (zu Frau Stauch). Sag derr Bescheid. Baß uff die Christel uff, daß se kaa Bosse mecht. (Alle, mit Ausnahme von Frau Stauch ab.)
Frau Stauch (an der Türe links, ruft in die Stube). Christel, Christel! die Geselle sterme den Bernemer Torn.
Christel (mit aufgelösten Haaren, verwirrt und verweint). Sie wollen ihn befreien?
Frau Stauch. Was sonst? Ach, wann's doch Gottes Wille weer!
Christel. Fort muß ich, fort!
Frau Stauch. Willst de dei Lewe mutwillig riskiern in dem Tumult?
Christel. Was hat mein Leben noch für einen Wert, wenn mir das Teuerste verloren geht? Mein Mütterchen allein mit den Geschwistern! Fort muß ich, fort!
Frau Stauch. Dei Vatter wollt, daß de bei uns bleibst.
Christel. Doch nicht, wenn eine heilige Pflicht mich ruft. Got, zwing mich nicht, ungehorsam dir zu sein.
Frau Stauch. Waart bis mei Mann kimmt, der gibt derr Bescheid. Heer nor in der Schnurgass' des Gekrisch! (Öffnet rasch das Fenster.)
Stimmen (von der Straße). Fettmilch frei, hoch die Geselle!
Frau Stauch. Is frei! so faß dich doch.
Christel. Laß in Verzweiflung mich nicht untergehen; ich muß zu meinen Eltern, den Geschwistern; nichts hält mich mehr, ich muß, ich muß!
Frau Stauch. Bleib, bleib, daß ich dich nit verlier, wie einst mei Kind! (Umarmt sie krampfhaft.)
Vorige. Stauch.
Stauch. Vinzenz is frei un flichtet nach seim Heim! (Zu Christel.) Dank Gott, daß de in Sicherheit hier bist. Wohie de guckst, Soldate, nor Soldate! – Die Läde zu, die Dirn rings abgeschlosse; heint gibt's kaa Werttschaft mehr.
Christel. Laßt mich, ich muß nach Haus!
Stauch. Willst de des Unglick noch vermehrn? Mer kann ja nie nit wisse was geschieht. Vom Trierische Hof bis an die Grauwegass' umzingle die Soldate euer Haus un schlage jeden nidder, der versucht, da dorchzubreche. (Schließt eilig die Fensterläden. Ein Schuß fällt, dem bald Salven folgen.)
Christel (stößt einen gellenden Schrei aus). Himmel!
Stauch. Nit jede Kugel trifft, beruhig dich doch. – Dei Vatter is der Mann nit, der verzagt.
Stimme (des Kunz, der wieder die Läden klopft). Stauch, Stauch!
Christel (auf den Knieen). Allmächtiger Gott, beschütze meine Lieben, den Vater, der mir alles ist. Nimm mich als Opfer seiner Schuld, wenn eine auf ihm lastet!
Stimme (des Kunz). Seht euch vor, Stauch! Kaa Widderstand mehr meglich; der Fettmilch mußt' verwundt sich ergewwe.
Christel (in den Armen von Frau Stauch). Verloren alles! Alles ist verloren!
Der Vorhang fällt langsam.
(Spielt 15 Monate später.)
Düsterer Vorraum zu einer Kerkerzelle auf dem alten Katharinenturm. Im Hintergrund eisenbeschlagene Kerkertüre, rechts Holztüre nach dem Turm. Links rundes Fenster, durch das die Sonne einen schmalen Lichtstrahl wirft.
Erster, zweiter Wächter.
Erster Wächter. Ich bin gespannt, wie des Freßgeld for uns ausfällt.
Zweiter Wächter. Siwwe Hinrichdunge uff aamal, da werd sich der Rat net lumbe lasse.
Erster Wächter. Kimmt druff aa, ob err sich nit uff die Hinnerfiß stellt un segt, die Sach weer kaiserlich, er hätt kaa Ordeil gesproche.
Zweiter Wächter. Meglich weer's schonn, ich trau emm alle schlechte Strääch zu.
Erster Wächter. Da sin merr uff die Henkersmahlzeit aagewisse, die uns der Fettmilch spendiern will.
Zweiter Wächter. Bis uff den Becher Wei, den er sich ausgehalte hat, wann emm schwach sollt weern.
Erster Wächter. Soll emm gegennt sei.
Zweiter Wächter. Wann ich bedenk, daß mer heint siwwe Berjer keppt, packt mich die Wut. Gott verdamm mich! wann ich die Macht hätt, deet ich die ganz Blas von Patrizier an den Galje brenge odder im Mää ersaufe.
Erster Wächter. Maanste ich net? Was hat dann der Fettmilch un sei Aahenger verbroche, daß mer se so schimfiert? Sie hawwe dem Rat des stinkige Dippche uffgedeckt, sin for unser Rechte eigetrete, wollte der Spitzbiwerei im Remer e End mache, un dessentweg häägt mern die Kepp ab; die Herrn awwer vom Hans Limborg, die Hundsfotter leßt mer laafe.
Zweiter Wächter. Des is kaiserlich Gerechtigkeit! Sei still, verbrenn derr des Maul nit.
Erster Wächter. Jetzt hawwe se die Gewalt, un iwe se. Guck nor so enn Stinkbock wie den Bauer, den gewesene Kellner vom Weißfrauenstift, is in den Adelsstand erhowe warn, weil err de Häscher ins Handwerk gepuscht hat. In Adel erhowe! (Lacht höhnisch.) Krieht die Krenk mit euerm Adel! – Der Fettmilch is e armer Deiwel gebliwwe sei Lewe lang, un so e Lumb leßt sich sein Scherchedienst mit dem Adel bezahle! – Was der Pfaff blos so lang in der Zell mecht? (Lauscht an der Türe im Hintergrund.)
Zweiter Wächter. Der werd emm die Beicht abnemme.
Erster Wächter. Die Reformierte hawwe doch kaa Beicht.
Zweiter Wächter. No, da werd errn treeste, weil sei Kerper in vier Sticker verhackt an de Stadtdorn uffgehängt wern soll, un emm sage, daß se der liewe Gott am jingste Dag doch widder zusammesetze deet.
Erster Wächter. Un hoffentlich aach, daß die Berjerschaft noch immer mit Verehrung an emm hängt, wann aach der Rat sei Weib un sei Kinner aus der Stadt enausbeitsche lasse will. – Gestern beim Hecker hawwe Männer mit graue Bärt geflennt, wie von dem Ordeil die Redd war.
Zweiter Wächter. No, aaner von seine Feind hat heint morjend schon sei Loh krieht, den Holzhausen hat der Schlag gerihrt.
Erster Wächter. Des war odder aach des ehrschtemal, daß enn was gerihrt hat.
Zweiter Wächter. Da sieht merr deutlich, daß da owe aaner is, der dafor sorgt, daß des Gras nit heher wie die Bääm wechst. – Hat's nit ewe an der Zelledir gekloppt?
Erster Wächter. Der Herr Parrer will eraus. (Nimmt die Verschlußstange von der Türe, schließt auf.)
Vorige. Pfarrer.
Pfarrer. Mutvoll tritt er den Weg in's Jenseits an und denkt in Liebe derer, die ihn stützten. Ein reuiger Sünder und ein tapferer Mann läßt durch mich euch Dank sagen für die christliche Gesinnung, die ihr ihm gegenüber an den Tag gelegt.
Erster Wächter. Bei Gott, Herr Parrer, merr hätte mehr gedaa, wann's gange weer; awwer die Oweruffsicht is zu streng.
Zweiter Wächter. Wie s'enn von Aschaffenborg hier eigeliwwert hawwe, da hawwe merr sei blut'ge Wunde ausgewäsche, die emm die Kette in des Flaasch geschnitte. Was war's? Merr hawwe enn Riffel dafor krieht.
Pfarrer. Vertraut auf Gott, der Himmel wird's euch lohnen.
Erster Wächter. Gell, ihr verlaßt enn net, Herr Parrer, in seiner Sterwestund?
Pfarrer. Ich werde tun, wie es mein Amt gebeut und das Gesetz verlangt.
Erster Wächter. Es muß bald Zeit sei. (Tritt an das Fenster, sieht hinaus.) Vom Heumarkt bis hierher aa Menschespiel, der Schinnerkarrn vermag kaum dorchzukomme. Itzt kimmt e Fähnlein von der Zeil erunner, des emm den Weg bis an den Torn hier bahnt. – Baß uff, es gibt noch was.
Zweiter Wächter. Glaab sowas nit; die Zinfte hawwe ja kaa Waffe mehr, un an fremde Kriegsknecht wimmlt's uff de Gasse. – Still, ewe steiht aans bei uns die Trepp eruff.
Vorige. Ruger, Christel, zwei Henkersknechte.
Ruger (zu den Henkersknechten). Befreit ihn von der Kugel an den Füßen und hurtig dann, daß euer Prinzipal nicht warten muß auf dem Schaffot (Die Wächter öffnen die Kerkertüre, hinter der die Henkersknechte verschwinden.) Du Jumfer, mache kein Geschrei und zeige, daß du die Gnade hohen Rats zu schätzen weißt. Du bist die einzige, die Abschied von dem Missetäter nehmen darf. (Ab.)
Pfarrer. Komm näher, Christel, dein Pfarrer ist's, der dich im Glauben unterrichtete.
Christel. Ach, gütiger Herr, ich habe es nicht vergessen, daß ihr mich einst mit Gottes Wort vertraut gemacht, dem besten Trost, der uns seit fünfzehn Monden wurde.
Pfarrer (zieht sie näher). Fasse dich, mein Kind, sei stark, wie es dein Vater ist. (Die Wächter haben sich wieder an das Fenster begeben.)
Christel. Ich will es sein, solang ich es vermag.
Pfarrer. Auf wessen Fürsprach ließ man dich hierher?
Christel. Ich weiß es nicht, vermuten kann ich blos den Freund, der mir einst nahe stand; sein Einfluß reicht heute hoch hinauf. Daß ich es euch bekennen darf, erleichtert mir das Herz.
Pfarrer. Ich will nicht in dein Innerstes schauen.
Christel. Tut es, es ist ein Trost für mich. Schwer habe ich am Vater mich versündigt; daß es geschah, bedrückt mich Tag und Nacht.
Pfarrer. Wenn du bereust, dann ist es dir vergeben, spricht die Schrift.
Christel. Das klingt so liebreich, und ihr meint's so gut; doch bleibt der Vorwurf mir, den keine Zeit wird tilgen, daß ich den Vater heimlich kränkte und liebte, wo ich hassen sollte. Ich kann ihm nicht mehr in die Augen sehen, auch heute nicht; Gott, steh mir gnädig bei! (Weint.)
Pfarrer. Die Reue führt dich auf falsche Pfade, du armes Kind. Zur Liebe ist der Mensch geboren, nicht zum Hasse. Es irrt kein Herz, wenn es in Reinheit liebt.
Christel. Ein süßer Trost, doch mich erreicht er nicht.
Pfarrer (wischt sich eine Träne aus dem Auge). Dulde, wie wir um unseres Glaubens willen dulden und dennoch fest zu seiner Fahne stehen. Bleib standhaft!
Vorige. Zwei Henkersknechte, Fettmilch.
(Die Kerkertüre wird von innen geöffnet. Die Wächter verlassen das Fenster.)
Erster Wächter (ruft in die dunkle Zelle). Faßt enn net hart aa, er war unser Freund.
Henkersknecht. Was war, des steert uns nit; mir dun was uns befohle is. Eraus!
Fettmilch (kommt unsicheren Schrittes, er trägt noch Fesseln. Hält die Hand beschattend vor das Gesicht.) Mich blendet noch das Licht, der Sonnenstrahl, den ich so lang nicht sah.
Christel (reißt sich von dem Pfarrer los und stürzt zu Fettmilchs Füßen). Vater! Vater! Christel ist's, dein Kind!
Fettmilch (mit Rührung). Steh auf mein Liebling! Gern würde ich an mein Herz dich pressen, wenn mir die Folter nicht den Arm gebrochen hätte. Wo ist die Mutter, wo die Kinderchen?
Christel. Daheim, sie beten brünstig für dein Seelenheil.
Fettmilch. Du kommst allein, sonst keines von den Meinen?
Christel. Sonst keines; o nimm mich an für alle, Vater! ihr Flehen war vergeblich, dich seh'n zu dürfen.
Fettmilch. Du allein! – (Erschüttert.) So ist es wahr, was Freunde mir ins Ohr geraunt, als noch des Glückes Sonne mir geschienen. Christel, Christel, das macht den Abschied mir vom Leben schwer.
Christel. Verzeihung, Vater! das ungestüme Jugendblut weiß selten seinen rechten Weg zu finden. Der Traum ist längst vorbei, und wenn ich schwach gewesen war, verstoß mich nicht und gib mir deinen Segen; ich war dein Liebling ja zu allen Stunden.
Fettmilch. Tröste die Mutter, das ist mein Gebot. (Legt seine Hand auf ihr Haupt.)
Christel. Vater, Vater, du mein Alles! (Küßt knieend seine Hände und sinkt dann dem Pfarrer in die Arme.)
Erster Henkersknecht. S'is Zeit! Die warte unne uff uns schonn.
Erster Wächter (bringt einen Becher). Hier is der Becher, den merr euch bewahrt.
Fettmilch (trinkt). O Labsal! Gott segne die Stadt, die teuer mir mein Leben lang gewesen. Mög' sie der Himmel schirmen alle Zeit, und stets ein frei Geschlecht in ihren Mauern wohnen!
(Das Armensünderglöckchen ertönt. Alle, außer den Henkersknechten nehmen die Kopfbedeckung ab und falten die Hände. Die Henkersknechte sind an Fettmilch herangetreten, legen die Hände an seine Schultern. Christel stößt einen gellenden Schrei aus und sinkt zu Boden. Ferner Trommelwirbel.)
Der Vorhang fällt.
Ende.