Adolf Stoltze
Vinzenz Fettmilch
Adolf Stoltze

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Zweiter Aufzug.

Saal im Hause des Ratsherren Weiß von Limburg. Im Hintergrund zwei Flügeltüren. Links Fenster nach der Straße. An den Wänden Ölbilder von Ratsherren in Amtstracht. Reichgedeckte Prunktafel. Es ist Abend. Festliche Beleuchtung.

Erster Auftritt.

Beyer, Holzhausen, Glauburg. Weiß, Faust, Rudolf, Ratsherren. Adelheid, Kunigunde, Thekla, Elisabeth, Erste, zweite Dame, Frauen, Musikanten, Ratsdiener.

Beim Hochgehen des Vorhangs alle in animierter Stimmung.

Holzhausen (anknüpfend an eine eben beendete Rede Beyers). Den Nagel auf den Kopf getroffen, lieber Bürgermeister. Wahrhaftig auf den Kopf. Ja heute begehen wir wieder in gehobener Stimmung wie alljährlich das Hirschessen im Kreise edler Altlimburger. Freilich nicht mehr wie es zur Zeit unserer Ahnen auf dem Forsthause abgehalten wurde. Damals fanden sich zur Kurzweil noch die Dirnen des Rosentals mit mächtigen Sträußen, schon am Morgen des Festtages ein, um den Herren der Stadt zu huldigen.

Glauburg. Bis sie zur Mittagszeit, wenn sich des hohen Rates edle Frauen nahten, der Stöcker heimpeitschte.

Faust. Jede Zeit hat ihr Gepräge, auf keinen Fall war sie schlimmer als sie es heute ist.

Holzhausen. Muß ich beipflichten, obwohl mein evangelisches Gewissen sich dagegen sträubt. Wo ist die Gottesfurcht heutzutage, die Unterwürfigkeit unserer Untertanen? Die Zünfte sind anmaßender denn je. Ihre Führer, halssträfliche Wichte, die uns vor zwo Jahren zwangen, zur Beendigung der ewigen Zwiste des Kaisers Hilfe anzurufen.

Faust. Es wäre klüger gewesen, sofort nach der Kaiserkrönung, als uns getreue Söldner dienten, die Halunken hinter schwedischen Gardinen festzunageln.

Holzhausen. Euer Wort in Ehren, aber zu einem Bürgervertrag wäre es dann nie gekommen.

Faust. Gottlob, daß ihm des Kaisers Unterschrift noch heute fehlt.

Holzhausen. Da er die unsere trägt, sind wir gebunden.

Faust. Wenn die Rebellen dächten so wie wir; sie aber treten den Vertrag mit Füßen, versuchen ihre Rechte täglich zu erweitern und kreiden uns die Fehler längst vergangener Zeiten an.

Glauburg. Mehr noch, die Schatzung finden sie für ungerecht und wollen Einsicht in die Bücher haben.

Weiß. Wäre ich kein Edelmann, möchte ich Stadthenker sein, die Schufte sämtlich aufzuknüpfen.

Beyer. Es ist doch besser, wenn ihr Ratsherr bleibt! (Alle lachen.) Drohen und Schelten hat keinen Zweck, wenn wir nicht durch Bitten des Kaisers Ohr erreichen.

Faust. Wir werdens, Bürgermeister, verlaßt euch darauf.

Glauburg. Dann dürften sich die Zustände rascher ändern als man denkt, zumal der Hauptschelm im Panzerloch im Eisen hockt und sich die Rede ausdenkt, die er morgen im Rahmhof halten will. (Gelächter.)

Holzhausen. Die braven Kerle, die ihn eingekastelt, erhielten doppelt Freßgeld und zwo Kannen Wein.

Weiß. Mit Fettmilch fing man an und mit Gerngroß hört man noch lange nicht auf, sagt der Oberstrichter.

Holzhausen. Eile mit Weile.

Faust. Eile war ein Gebot der Not. Wir wissen nun, daß unser Eigentum vor Räuberhänden sicher ist.

Rudolf. Verzeiht mir, Ohm, ihr geht zu weit; wir kennen keinen einzigen Fall, wo Zünfte sich an fremdem Gut vergriffen hätten.

Adelheid. Ei, ei, Junker Rudolf, seit wann seid ihr Anwalt der Rebellen?

Rudolf. Seit ich die Akten für den Rat sondierte, gnädige Frau.

Weiß. Ersäuft lieber den Säugling im Taufbecken, als daß er einstens Advokat wird.

Erste Dame. Pfui, wie gottlos!

Glauburg. Hört ihr, Junker, wie wenig man das Studium schätzt? Weit dankbarer dünkt mir, in euren Jahren, ein Blick in ein paar schöne Augen, als in verstaubte Folianten.

Holzhausen. Das eine schließt das andere nicht aus, das habt ihr sicher ebenfalls empfunden, Elisabeth?

Elisabeth. In solchen Dingen weiß ich nicht Bescheid, Herr Rat. Wir unterhielten uns über die neuen Goblins der Frau Bürgermeister.

Erste Dame (leise spöttisch zu ihrer Nachbarin). Wie harmlos eben unsere Jugend tut.

Zweite Dame. Selbst wenn sie rote Köpfe Lügen strafen. (Hüstelt in ihr Taschentuch.)

Beyer. Und unsere Wahl fand euren Beifall, Fräulein?

Elisabeth. Ich war entzückt, namentlich Sankt Georg, der Drachentöter, gefiel mir ungemein.

Faust. Sankt Georg, ich gratuliere, Bürgermeister! Die Anspielung ist just trefflich, der Held, der uns seither gefehlt, ersteht uns jetzt in unserem Oberstrichter Ruger.

Weiß. Ich trinke auf sein Wohl und das seiner Leute, hoch unser Sankt Georg! (Alle stoßen an).

Thekla. Bewein dich nicht, der Arzt hat dirs verboten, und morgen hast du Sitzung.

Weiß. Stört mich doch nicht. Vom Rat sind selten mehr als drei im Römer, wir haben unseren Syndikus Schacher, der wird's schon machen. Prost Thekla! (Trinkt.)

Glauburg. Hört auf eure edle Frau, man kann vergnügt sein ohne einen Rausch zu haben. Singe uns ein Lied, Elisabeth.

Elisabeth. Wenn ihr es wünscht, Herr Ohm, ist's mir Befehl, doch weiß ich nicht, wer mich begleiten soll.

Erste Dame (leise). Koketterie! (Laut.) Ei, ei!

Zweite Dame (leise zur ersten Dame). Das nennt man Männerfang. (Laut.) Die Hilfe ist doch ganz in eurer Nähe.

Elisabeth. Ihr meint . . . .? Der Junker – wenn er mag.

Rudolf (nimmt die Laute, die ihm die zweite Dame reicht). Wie kann ich anders, wenn die Schönheit ruft? (Für sich, ergriffen.) Christel!

Elisabeth. Sträflicher Schmeichler! (Singt, von Rudolf mit der Laute begleitet.)

Der Frühling im Land, der Frühling im Land,
Nach eisiger Stürme Wüten!
Es sprudelt der Quell durch goldenen Sand,
Es schwellen die Knospen und Blüten.
Es klingt auf den Höhen, es klingt im Tal
Aus tausender Sänger Kehlen:
Vorüber der Winter mit seiner Qual!
Es jauchzen zur Sonne die Seelen.

Der Himmel so blau, die Erde so grün,
Fern summendes Ostergeläute;
Gleich Schwänen die Wölkchen vorüberzieh'n
Zum lichten Gefilde der Freude.
Es schwindet die Sorge, es schwindet die Not,
Es klären sich neblichte Fernen,
Mir ist, als trüg mich das Morgenrot
Hinauf zu den ewigen Sternen.

Alle (applaudieren). Bravo, Bravo!

Adelheid (schlägt in die Hände). Du kannst dich hören lassen, Elisabeth, dein Können wächst mit jedem Tag.

Elisabeth. Euer Urteil, Frau von Holzhausen, erfüllt mich mit Stolz, obgleich ich weiß, daß ich es nur eurer Nachsicht und der trefflichen Begleitung Junker Rudolfs zu danken habe.

Kunigunde (halblaut zur ersten Dame). Ist es nicht reizend, wenn sich zwei Menschen so ergänzen?

Erste Dame. Musik war ja von jeher die Brücke, auf der sich junge Herzen begegneten.

Kunigunde. Pst! nicht so laut, das Pärchen könnte erröten.

Ratsdiener (kommt, meldet.) Ratsherr Hektor zum Jungen.

Zweiter Auftritt.

Vorige. Hektor zum Jungen.

Thekla (dem eintretenden Hektor entgegen). So spät erst dürfen wir euch begrüßen? herzlich willkommen!

Hektor (küßt Thekla die Hand). Verzeihung, gnädige Frau, ich sah mir Romeo und Julia an, was mich so fesselte, daß ich das Hirschessen darüber fast vergaß und bis zu Ende blieb. (Gegenseitige Begrüßung.)

Elisabeth. Romeo und Julia hat auch meine Freundinnen begeistert.

Hektor. Und das mit Recht. Von einem englischen Komödianten verfertigt, merkt man bald, daß der Kerl was los hat.

Weiß. Und es hatten sich, trotz den schwülen Zeiten, Zuschauer eingefunden?

Hektor. Der große Saal der Sanduhr konnte die Menge kaum fassen. Neugierde ist die Seele des Volkes. Gespielt wurde vortrefflich, nur störte mich, daß der Bartschaber Julia so schlecht barbiert hatte, daß man das Stoppelfeld des Bartes sah.

Rudolf. Kommt künftig nicht mehr vor, wenn Weiber Frauenrollen spielen.

Glauburg. Was sagt ihr, Weiber?

Erste Dame. Der gute Junker scherzt.

Zweite Dame. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich denke, daß so etwas je möglich wäre.

Rudolf. Die Komödianten an dem kaiserlichen Hof drängen darnach, und die Kabalen ihrer Weiber setzen es durch.

Holzhausen. Da sei Gott vor.

Weiß. Die Kirche wird das nie zugeben.

Faust. Und wir vom Hause Altlimburg ebensowenig.

Holzhausen. Sitte und Zucht sind von dem Geist der Rebellion in allen Schichten bedroht.

Adelheid. Leider, leider! Denkt euch, meine Lieben, gestern sah ich eine Bürgerliche, die einen zollbreiten Samtaufschlag auf dem Ärmel ihres Kleides hatte.

Erste Dame. Zollbreit? Empörend!

Zweite Dame. Nicht zu glauben!

Adelheid. Zollbreit, wenn ich euch sage. (Allgemeine Entrüstung unter den Damen.)

Kunigunde. Die Anmaßungen dieser gemeinen Weiber überschreiten alle Grenzen. Was bedeutet der Adel noch, wenn man seine Hoheitsrechte preisgibt und nicht schützt?

Faust. Sehr wahr, gnädige Frau. Null von Null geht auf. Wir müssen dafür sorgen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Weiß (etwas angetrunken). Wir leidens einfach nicht. (Singt.)

Der Fettmilch sitzt im Panzerloch,
Wir aber trinken immer noch.

Glauburg. Prost, prost! (Die Stimmung wird animierter, man trinkt ohne sich zu betrinken.)

Kunigunde. Fräulein Elisabeth, am frohen Tag ein frohes Lied, wie es die Stunde heischt. Wir alle bitten drum. (Allgemeine Zustimmung.)

Elisabeth. Da muß ich mich wohl fügen. (Blättert in Noten.) Herr Junker Rudolf läßt mich nicht im Stich.

Erste Dame (leise zur zweiten). Merkt ihr, Amor hat Siebenmeilenstiefel an.

Zweite Dame (leise zur ersten). Und hütet nicht mehr sein Inkognito.

Elisabeth (singt, Rudolf begleitet sie mit der Laute).

Vöglein pocht am Fenster
Früh beim Morgenrot,
Mägdlein sieht Gespenster
Fürchtet sich zu Tod.
Aus dem Bettchen tauchen
Möcht es, traut sich nicht,
Schließe schnell die Augen
Kleiner Bösewicht!

Mägdlein streift die Löckchen
Eilig hinters Ohr,
Schlüpft ins Morgenröckchen
Und tritt zaghaft vor.
Vöglein laß dein Singen,
Gönne dir noch Ruh',
Wenn die Knospen springen,
Dann ist's Zeit dazu.

(Applaus und Dacaporufe.)

Rudolf (legt die Laute eilig bei Seite, für sich). Christel! ich muß sie sehen und sprechen. (Laut zu Thekla.) Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich auf Augenblicke mich entferne.

Thekla (äußerst überrascht). Wie, habe ich recht gehört, ihr wollt uns verlassen?

Rudolf. Auf eine kurze Spanne Zeit.

Thekla. Wollt ihr das Fräulein kränken?

Rudolf. Denke nicht daran. Ich will mich von der Stimmung in der Stadt nur überzeugen und ihr und allen hier Bericht erstatten.

Weiß. Was kümmert euch die Stimmung in der Stadt? Gibt's nicht! Auf euer Wohl! (Trinkt.)

Glauburg. Wollt ihr des Fettmilch's Spießgesellen fragen, was sie zu tun gedenken, weil wir ihren Meister eingelocht?

Elisabeth (lacht gezwungen). Von alldem nichts, er retiriert vor mir.

Rudolf (verlegen). Solchen Hochverrats bin ich nicht fähig. Ich habe, hoffe ich, das Gegenteil bewiesen. (Reden leise.)

Faust (im Gespräch mit Kunigunde). Gewiß, Frau von Glauburg, wer immer nach dem Ende fragt kommt selten über den Anfang hinaus. Zwo Faust von Aschaffenburg sitzen im Rat, für ihren Neffen wird sich da schon ein Plätzchen finden. (Unterhalten sich lebhaft leise.)

Erste Dame (Elisabeth und Rudolf beobachtend, leise zur zweiten Dame). Spiegelfechterei! Sie weiß, was sie will.

Zweite Dame (ebenso zur ersten). Arme Verwandte müssen sich fügen.

Erste Dame (ebenso). Ja, ja! Frauenklöster gibt's nicht mehr. (Tuscheln weiter.)

Hektor (zu Rudolf). Nunc vino pellite curas! Etwas muß man doch von seinem Horaz behalten haben. (Ruft.) Wein her! (Diener bringen Wein.) Es lebe was uns lieb und wert! (Stößt mit Rudolf an.)

Rudolf. Ein schönes Wort, auf das man trinken kann.

Kunigunde (tritt auf Elisabeth zu, leise). Tu ihm Bescheid, Elisabeth; Hoffnungen gehen in Erfüllung, wenn ein jungfräulicher Mund sein Amen dazu spricht.

Elisabeth (stößt mit Rudolf an). Möge die Zukunft eure Wünsche krönen!

Rudolf. Dank, heißen Dank! Eure Gesundheit!

Elisabeth. Ihr seid so unruhig, fühlt ihr euch nicht wohl?

Rudolf. Der junge Wein macht nur ein wenig schwül; ein Atem frische Luft und alles ist vorbei. (Will gehen.)

Dritter Auftritt.

Vorige. Ruger.

Weiß. (Ruger entgegen, der von der Türe links kommt). Gute Nachricht?

Ruger. Die besten. Die Stadt ist ruhig und niemand weiß vorerst, daß wir der Hydra den Kopf abgeschlagen haben.

Rudolf. Niemand? Das versteh' ich nicht. (Für sich). Ihr täuscht euch, werter Herr.

Weiß (ergreift einen Becher). Ich trinke auf euere Gesundheit, verehrter Drachentöter!

Holzhausen. Dem wackeren Mann einen vollen Becher! (Stößt mit Weiß an. Alle wenden ihre Aufmerksamkeit Ruger zu.)

Glauburg. Wir sind gespannt auf eueren Bericht, lieber Oberstrichter.

Ruger. Ich will meine Tat nicht rühmen, doch hatte sie Erfolg. Seit Wochen überwachen wir den Galgenvogel, doch erst gestern lief er uns ins Garn. Er lenkte um die Abendstunde die Schritte zu seinem Freunde Candor, dem stillen Hetzer, und blieb dort stundenlange. Erst spät nach Mitternacht verließ er das Rebellennest und ging gemächlich auf die Brücke zu.

Rudolf. Allein?

Ruger. Allein, wie wir's an ihm gewohnt sind.

Hektor. Sagt was ihr wollt, der Schuft ist doch ein Kerl.

Faust. Weil er auf seine Körperkräfte pocht.

Ruger. Wir folgten leise seinen Schritten bis zum Fürsteneck, wo unsere Häscher auf der Lauer lagen.

Glauburg. Und das Gefängnis in der Nähe ist, das nenne ich ausgespitzt.

Weiß. Bravo!

Ruger. Da plötzlich brach ein scheußlich Wetter los, mit Blitz und Donner, Hagelschlag und Regen, jetzt fielen sieben meiner besten Leute über den Ahnungslosen her, rissen rücklings ihn auf den glitschigen Boden und zerrten ihn, trotz seiner Gegenwehr, ins Leinwandhaus. (Freudige Bewegung. Hurra und Bravorufe.)

Rudolf. Und das vollzog sich alles ohne Zeugen?

Ruger. Ein paar Beweinte torkelten vorbei und brüllten Schelmenlieder, ich glaube kaum, daß sie etwas bemerkt haben.

Glauburg. Und wenn auch. Vorerst spuckt uns keiner in die Suppe.

Ruger. Zehn Mann bewachen seine Zelle. Um den Pöbel nicht zu reizen, ließ ich das Gerücht verbreiten, Fettmilch sei nach Büdingen, woher er stammt, und habe bis zu seiner Rückkehr die Volksversammlung im Rahmhof verschoben.

Hektor. Und solche Märchen, meint ihr, glaubt das Volk?

Ruger. Wie man ihm auftischt, so verzehrts den Braten. Bis es die Wahrheit kennen lernt, haben wir unsere Schuldigkeit getan und die Luft von den Schmeißfliegen gereinigt.

Hektor. Und dann?

Ruger. Ist es ein leichtes Spiel, die führerlose Masse klein zu kriegen, sie wird sich selbst zerfleischen.

Holzhausen. Ihr seid ein Diplomat, lieber Oberstrichter, doch sind mir gerade Wege lieber.

Faust. Ein jedes Mittel ist mir recht, wenn es zum Ziele führt, daß es das tut wird sich noch weiter zeigen.

Hektor. Zum Teufel mit dem Fettmilch! man hört nichts anders als das verfluchte Wort. Selbst unser Junker Rudolf hat genug davon und denkt nicht mehr daran, heimlich auszukneifen.

Ruger. Der Mann ist tot, da habt ihr freilich recht.

Hektor. Der Hirsch wird kalt und die durstigen Kehlen trocken. Musik! Musik! Der Jugend kribbelt es in den Beinen, ist's nicht so, Fräulein Elisabeth?

Elisabeth. Soll ich es leugnen? Ja, ich tanze gern.

Weiß. Schon auf den Lebkuchen ist zu lesen: Erst fülle deinen leeren Ranzen, und dann beginne froh zu tanzen. Hoppla! Hoppla! (Die Musik spielt einen, der Galoppade ähnlichen Tanz, der stimmungsvoll beginnt und dann immer feuriger wird. Elisabeth und Rudolf, Erste Dame und Hektor, sowie einige jüngere Paare beteiligen sich daran. Die älteren Personen nehmen an der Tafel Platz, wo die fröhliche Stimmung bald überschäumt.)

Glauburg (überlaut). Vor hundert Jahren lustierte sich der hohe Rat mit fremden Weibsen, wir tuen es mit unseren Eheliebsten. Hoch unsere edlen Frauen!

Alle. Hoch! Hoch! (Lauter Wortwechsel hinter der Szene.)

Vierter Auftritt.

Vorige. Euler.

Euler (noch vor der Türe. Sehr laut.) Wollt err mich eneilasse, odder net? Sperrt die Dorn! Sperrt die Dorn!

Holzhausen. Wer untersteht sich hier zu lärmen? (Der Tanz wird abgebrochen. Aufregung.)

Weiß (betrunken). Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen, ich tue euch Bescheid!

Euler (kommt atemlos). Luft! Luft!

Ruger. Unerhört! Wachtmeister, kennt ihr euere Pflicht so schlecht?

Euler. Luft, Herr Oberstrichter, ausschnaufe lasse!

Ruger. Tuts Maul auf, Donnerwetter!

Euler. Das Leinwandhaus gestürmt. Dorn zu, Dorn zu!

Ruger. Das Leinwand . . .! Unmöglich!

Euler. Iwwerfall! Iwwerfall! Fufzig Geselle, hunnert Geselle un Berjer . . . .

Ruger. Und die verstärkte Wache?

Euler. Hat ihr Prichel krieht. (Allgemeine Bestürzung).

Ruger. Und ihr seid ausgerissen?

Euler. Um's euch zu melde.

Ruger. Feigling!

Euler. E doder Wachtmääster kann der Stadt nix batte! Zwohunnert hinner merr her; iwwer die Kräm bis uff dem Kornmark, sie hätte mich dodgeschmisse, wann ich nit gelaafe weer – Dorn zu! alle Dorn zu! Fettmilch is frei!

Alle (wild durcheinander). Allmächtiger Gott! Fettmilch frei!

Euler. Sie komme! (Zu den Dienern). Blast die Lichter aus!

Faust (ängstlich zu Weiß). Ihr habt doch sicher eine Hintertüre?

Weiß. Muß mich erst besinnen.

Thekla. Kommt edler Herr, ich führe euch. (Ab mit Faust. Verschüchterte Ratsherren und zitternde Frauen folgen. Der Straßenlärm kommt näher, es wird kräftig wider die Haustüre geklopft).

Stimmen (auf der Straße brüllen). Uffmache, uffmache! Fettmilch hoch!

Holzhausen. Ich werde ihnen ins Gewissen reden.

Adelheid. Um Gotteswillen, Adolf, bleibe zurück!

Holzhausen. Die wilden Horden sollen uns nicht schrecken. (Ruft). Licht! Licht! (Geht auf das Fenster zu. Ein Steinhagel trifft das Fenster, die Scheiben fallen klirrend zu Boden. Ein Teil der Ratsherren ergreift die Flucht, andere ziehen ihre Degen.)

Hektor. Das ist die Musik zu der Volksversammlung morgen. (Es fliegen noch einzelne Steine in das Zimmer, johlendes Volk zieht auf der Straße vorüber.)

Gesang (auf der Straße von vorüberziehenden Volkshaufen.)

Bürger heraus!
Heraus mit blanker Wehre!
Kühn in den Strauß
Für Freiheit, Recht und Ehre!
Bürger heraus! Bürger heraus!

(Allgemeine Verwirrung.)

Der Vorhang fällt.


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