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In der Siebenhügelstadt

Warum die Engländerinnen unterwegs trauern – Ein Gruß an Schwaben – Warum Frau Buchholz nicht mit Mommsen übereinstimmt – Warum Liebhabertheater gefährlich sind – Warum Nero nichts taugte – Der neue Berliner Viehhof – Warum der Apostel Petrus schlechte Aussicht hatte – Warum der Vetturino doch kein Stiefel war – Lina Morgenstern – Warum Herr Buchholz für eine Memnonsäule angesehen wurde und Frau Buchholz zu dichten anfing – Wie Hadrians Asche fliegen lernte – St. Peter – Warum Onkel Fritz Nasenbluten heuchelte – Musikalisches – Skat

Wir waren jedoch nicht die einzigen, sondern halb England war ebenfalls in Rom. Bemerkenswert ist, daß die meisten Engländerinnen tiefste Trauer anlegen, wenn sie Italien besuchen und selbst weder am Halse noch an der Hand etwas Weißes tragen. Onkel Fritz meinte, sie täten dies aus Reinlichkeit, weil man den Schmutz auf Schwarz lange nicht so leicht sähe wie auf Weiß, ich war aber mit meinem Karl der Ansicht, daß wir für unsere Person auf proppere Wäsche halten wollten und wenn die Waschtanten auch noch so viele Steine darauf entzweischlügen. Wir wollten keine Trauer simulieren, um Waschlohn zu sparen.

Den Hotelomnibus benutzten wir nicht, sondern fuhren mit einer netten Droschke in Rom hinein, um unsere Stimmung nicht durch irgendein Pappgesicht stören zu lassen. Gleich dem Bahnhofsgebäude gegenüber liegen schon Ruinen vom alten Rom, die Bäder des Diokletian, aus deren Bibliothekzimmer eine Kirche zurechtgemacht worden ist, in die unser Berliner Dom bequem hineingeht, wie mir schien, als wir später diese Kirche besuchten, in der Salvator Rosa ruht, dessen Grab die graugekleideten Karthäusermönche zeigen. Der alte Mönch, der uns führte, war ein Deutscher aus Schwaben; er bat uns, die Heimat zu grüßen, die er wohl nie wieder sehen würde. Diesen Gruß bestelle ich hiermit. –

Dann kamen wir an der Aqua felice vorbei, einer der vielen Wasserkünste, die es in Rom gibt, an der ersten Fontana, die der Fremde sieht, und dann kam die Pferdebahn, und die Straße, in die wir einbogen, war ebenso modern, wie der Tramway. Es liegt nämlich in Rom alles bunt durcheinander: Uraltes, Altes, Mittelaltes, Neues und Neuestes, selbst sein Geheimratviertel hat es, aber dasselbe ist nicht halb so prächtig wie Berlin W. Dagegen sollen die Mieten billiger sein.

Als wir vor dem Orienthotel hielten, trat der Portier an den Wagen und sagte auf Deutsch, daß kein Platz für uns vorhanden sei und es überhaupt schwer sein würde, Zimmer zu finden, da alles von Fremden besetzt wäre, namentlich von Engländern, die in der Osterwoche samt und sonders nach Rom strömten. Er empfahl uns ein anderes Hotel, wo wir auch Wohnung erhielten, und zwar prachtvolle Zimmer zu prachtvollen Preisen, weil um Ostern in Rom alles dreifach teurer ist als sonst. »Karl,« sagte ich, »für einen Tag können wir einmal Barons spielen, denn wir sind in Rom. Morgen reisen wir jedoch nach Neapel und kehren erst zurück, wenn die Fremden sich hier verlaufen haben und die Hotels billiget geworden sind.« – Nachdem auch Onkel Fritz sich mit diesem Plan einverstanden erklärt hatte, machten mein Karl und ich uns derartig fein, daß, als wir zum Frühstück hinuntergingen, die Kellner vor uns flogen wie vor wirklichen Grafen und uns mit Exzellenza anredeten. Ich tat aber auch so vornehm und doch wieder so herablassend, daß mein Karl mich mehrmals ganz erstaunt anschaute und Onkel Fritz sich über die Kellner halbtot lachen wollte. Ich verwies ihm dies plebejische Benehmen mit Ruhe und Würde, aber das fruchtete nichts, im Gegenteil, er sagte: »Wilhelmine, wenn du dich selber sehen könntest, du würdest wünschen, dich so ausgestopft mit nach Hause zu nehmen.« Kaum hatte er das gesagt, als der uns bedienende Kellner prustend aus dem Zimmer rannte, der, wie sich nachher herausstellte, ein Deutscher war und alles verstanden hatte. Es fehlt Onkel Fritz mitunter am Streben nach Höherem; aber wer kann sich seine jüngeren Brüder aussuchen?

Draußen schien die Sonne wie Gold, und wir beschlossen nun, Rom anzusehen. Der deutsche Kellner besorgte einen höchst eleganten Wagen und sagte dem Kutscher Bescheid. Wir stiegen ein und gondelten durch die Hauptstadt Italiens.

Mein Karl sah in dem nagelneuen weißen Anzuge außerordentlich nobel aus, und ich paßte mit dem hellen Sommerkleide, schwarzem Spitzenüberwurf und den pensee'nen Handschuhen vorzüglich zu ihm, wogegen Onkel Fritz in seinem graugrünen Reiseanzuge, mit einem blaubaumwollenen Regenschirm bewaffnet, einen schmählich touristenhaften Eindruck machte. Die Leute standen öfters auf der Straße still und sahen uns mit Bewunderung an, so daß ich mich über Onkel Fritzens Toilettenverhältnisse recht ärgerte.

Der Zorn dauerte aber nicht lange an, denn überall gab es zu sehen und zu staunen. Diese Gold- und Juwelenläden am Corso, diese großen Photographien, diese Karossen, diese Menschheit, das alles ist ja enorm. Und nun fährt der Kutscher langsamer und sagt: » il campidoglio«, wobei er auf ziemlich hoch liegende Gebäude deutet. Das ist das Capitol, welches in alten Zeiten einmal durch Gänse gerettet wurde, woraus die Forscher mit Sicherheit festgestellt haben, daß die alten Römer Gänseklein auch schon gekannt haben; ob aber ebenso wie wir mit Petersilie, das wird hoffentlich noch ermittelt. Dann sagt er: » il foro« und zeigt auf Trümmer von Tempeln und Gebäuden, die der Gebildete das Forum nennt. Dann halten wir vor dem Colosseum, in das wir hineingehen.

Die Arena von Verona ist schon ein ziemlicher Kasten, aber wo bleibt sie gegen das Colosseum? Es war das größte Theater der Welt, in dem 87 000 Zuschauer Platz hatten, die durch achtzig Eingänge zu den vier Stockwerken gelangen konnten. Jetzt steht nur noch der dritte Teil des Riesenbaues, wie ich mir habe sagen lassen, aus den anderen beiden Dritteilen haben die edlen Römer im Mittelalter und so herum Paläste und Kirchen gebaut, denn bequemer konnten sie fertige Quadern nicht bekommen als vom Colosseum. Auch den Kalk zum Mauern wußten sie sich leicht zu verschaffen, indem sie die Marmorbekleidung der Wände abbrachen und die Statuen, welche sie fanden, brannten und mit Wasser zu Löschkalk anrührten. Drei solcher Kalkgruben sind auf dem Forum gefunden worden, wo die meisten Antiken standen, die sich so leicht zertöpfern ließen und den besten Mörtel lieferten, weil sie aus dem feinsten Marmor und am kunstreichsten gearbeitet waren.

Die erste Premiere im Colosseum dauerte hundert Tage, wobei fünftausend wilde Tiere getötet wurden. Diese Notiz sowie manche andere Kenntnis über das Altertum verdanke ich Herrn Dr. Karl Theodor Gaedertz, der ungemein in solchen Dingen Bescheid weiß. Wenn ich frage: »Doktor, wo steht das?« dann sagt er: Plinius Seite 911 oder Tacitus oder Juvenal, und es stimmt immer. Ich spreche diesem Freunde unserer Familie hiermit meinen tiefgefühlten Dank aus. Wilhelmine Buchholz. Man sieht noch die Käfige für die Bestien, die Leitungen für das Wasser, wenn Seegefechte gegeben wurden, und einen Kellerbau für die Maschinerien, Garderobe, Ankleideräume, Wartezimmer der Gladiatoren und Sklaven, die gefressen werden sollten, der geradezu unbegreiflich erscheint. Wie das wohl herrlich gewesen ist, als die Geschäfte noch gut gingen! Fünftausend wilde Tiere! Wo bleibt da Bodinus? –

An der Stelle des Colosseums war zur Zeit Neros ein künstlicher See und dieser lag in den Gärten, die jener verschwenderisch um sein goldenes Haus hatte anlegen lassen. Weil er hierzu nicht genug Platz fand, expropriierte er einen Teil von Rom mittels Brandstiftung. Das war für ihn das Rascheste und Billigste, weil damals kein Privatmann an seinem Grundstück verdienen konnte, das gerade da lag, wohin die neue Straße kommen sollte.

Ich habe mich mit Nero viel beschäftigt, denn er ist ein Charakter und würde sich zu einem Roman auf historischem Boden sehr gut eignen, wenn er für die Feder einer Frau nicht zu rüdig wäre. Deshalb muß ich die Arbeit Ebers, Eckstein oder Dahn überlassen, so gerne ich den Verdienst auch mitnähme.

Meine Ansichten über Nero weichen von denen anderer, z. B. Mommsen, sehr ab, denn eine Frau hat in manchen Dingen ein umsichtigeres Urteil als die Männer, denen der Sinn für das Häusliche abgeht, sobald sie Weltgeschichte treiben.

Nero taugte nicht viel, das unterliegt wohl keinem Zweifel. Schon allein das fortwährende Komödienspielen halte ich nicht für gut, denn Liebhaberbühnen geben oft Veranlassung zu Vorkommnissen, von denen man froh sein kann, wenn zuletzt noch eine halbwegs annehmbare Partie daraus wird. Gewöhnlich hat er viel Talent und kein Vermögen und spielt die ersten Rollen, und sie hat Geld und kein Talent und spielt erst recht die ersten Partien. Nun ist das stets zusammen auf den Brettern, das sieht sich an, das faßt sich an, das umarmt sich, das küßt sich und sagt obendrein, so stände es in der Rolle. Ich aber sage: »Auf den Liebhaberbühnen ist schon manche und mancher gründlichst verdorben worden, und wer weiß, ob nicht auch das ewige Theaterspielen einen schädlichen Einfluß auf den Charakter Neros ausgeübt hat?«

Und wie war Neros Frau? müssen wir weiter fragen, wenn wir in dem Buche der Vergangenheit blättern, denn es ist ja weltbekannt, daß eine böse Frau den besten Mann verderben kann, während eine gute Frau einen schlimmen Mann gar leicht auf den Pfad der Tugend bringt. Neros erste Frau, die Octavia, soll für die damalige Zeit ganz brav gewesen sein, aber ihr Fehler war der: – sie wußte Nero nicht zu nehmen. Die Folge davon war, daß Nero einen gräßlichen Lebenswandel führte, manchmal weder bei Tag noch bei Nacht zu Hause kam und eine gewisse Poppäa Sabina kennen lernte, die er auch heiratete, nachdem er Octavia hatte hinrichten lassen. Diese Sabina war nun gerade die allerverkehrteste Partie für jemand wie Nero. Schon ihre Toiletten allein konnten ihn ruinieren! Den Maultieren, die sie führten, ließ sie goldene Schuhe unterbinden und täglich wurde ihr die Milch von fünfhundert Eselinnen gebracht, um darin zu baden. Und das nur des Teints wegen. Mit einer solchen Frau mußte Nero ja auf Abwege geraten, denn wenn eine sich schon in Milch badet, ... was will sie hernach zum Kaffee trinken? Vielleicht aufgelöste Perlen wie die Kleopatra, der zuletzt nichts übrig blieb, als Schlangen an ihrem Busen zu nähren, wie man häufig auf den Bildern der alten Meister sieht?

Mit einem Worte, Nero war haarsträubend, aber wer nur einigermaßen mit dem menschlichen Leben Bescheid weiß, kann nicht leugnen, daß die beiden Weiber Schuld an der schlechten Nummer sind, die ihm die Weltgeschichte in sein Zensurenbuch schreibt.

Sieht man nun aus »Uarda« oder »Der Kaiser« oder den anderen herrlichen Wiederbelebungen des Altertums, daß damals nicht ein Haar breit anders gedacht und gesprochen wurde, als wie heut in der Landsberger Straße, nur daß sie z. B. statt Molkenmarkt ... Forum, statt Leipzig ... Memphis und statt Zeitung ... Papyros sagten, so muß man meine Auffassung Neros für richtig halten, denn ich wohne in der Landsberger Straße.

Trotzdem glaube ich, daß an Nero Hopfen und Malz verloren ist, da selbst Rubinstein ihn mit seiner Oper nicht vor einem dauerhaften Durchfall retten konnte.

Es ist nicht zu schildern, welche Empfindungen das menschliche Gemüt überschleichen, wenn es endlich auf dem historischen Boden steht, über den es vorher seine gründlichen Studien in faßlich geschriebenen, belehrenden und bildenden, gemeinverständlichen, populären, die Damenwelt besonders berücksichtigenden Büchern gemacht hat. Das eben ist das Großartige unserer Zeit, daß man jede Kunst und Wissenschaft, ähnlich wie kalten Aufschnitt, bekommen kann, à Portion eine Mark. Nur die Rechenbücher haben sie bis jetzt nicht allgemein faßlich zurechtkriegen können, weshalb die vier Spezies immer noch nach der alten Methode mit viel Mühe, Kopfzerbrechen und Anstrengung erlernt werden müssen. Daher die Überbürdung der Jugend!

Mein Karl war auch ganz hingerissen von dem Kolosseum; ein über das andere Mal rief er aus: »Was ist der neue städtische Viehhof hiergegen?« – Kann der Berliner einer fremden Stadt wohl größeres Lob spenden, als wenn er ihre Vorzüge und etwaigen Überlegenheiten so offen und willig anerkennt? Trotzdem sagt man ihm nach, daß vor seinen Residenzaugen außerhalb kein Nichts und kein Garnichts Gnade fände. Nun ... die Verleumdung ist ja groß.

Nachdem wir Trinkgelder gegeben und etliche Bettler befriedigt hatten, fuhren wir weiter nach Sankt Peter in Montorio auf dem sogenannten Janiculusberg, wo der Apostel Petrus zu Tode gemartert wurde. Von hier hatte er zuletzt noch die kostbarste Aussicht über Rom und die Campagna bis auf das Albaner- und Sabinergebirge, aber da die römischen Schergen den alten Mann mit den Beinen nach oben festnagelten, wird er wohl wenig Genuß von dem Panorama gehabt haben, weil ihm doch sicherlich das Blut zu Kopf stieg.

Der Blick auf Rom ist überwältigend, ist es doch die einstige Beherrscherin der Welt, die ihre von der Zeit tief durchfurchte Schönheit vor uns ausbreitet. Überall ragen Trümmer und Ruinen hervor, Bogen von Wasserleitungen, Säulen und Pfeiler, Tempel und Reste von Palästen, das Colosseum, das Pantheon und in der Ferne das Grabmal Hadrians, die Engelsburg. Das ist das alte Rom, das von dem Rom des Mittelalters nicht verdrängt werden konnte, weil es immer noch zu massig ist.

Diesem gehören die Paläste und die Kirchen mit ihren Kuppeln und Türmen an – vierhundert Kirchen und Kapellen zählt man – sie sind die größte Herrlichkeit, welche die Stadt noch besitzt. – Das neueste Rom dagegen ist neu, weiter läßt sich nicht viel davon sagen. Die Häuser sind viereckig, mit maigrünen Fensterläden und werden zur Osterzeit von Mylords und Myladis bewohnt. Das Ganze zusammen gehört jedoch zu den schönsten Anblicken meines Lebens; ehe ich sterbe, möchte ich noch einmal wieder vom Janiculus hinübersehen über Roma. Es liegt so etwas drin! –

Über dem Albanergebirge stieg ein Gewitter auf, das seine dunklen Schatten auf die Berge warf, während Rom im hellsten Sonnenschein lag. Immer dichter hüllte es die Ferne ein, bis nichts mehr zu erkennen war, und nur wenn ein Blitz zuckte, sah man die weißen Häuser von Frascati und die Villen an den Abhängen hell aufleuchten und die Umrisse der Berge haarscharf aus dem Dunkel hervortreten.

Der Vetturino fragte, ob er uns zu einer sehr bedeutsamen Merkwürdigkeit fahren dürfte. Als wir dies bejaht hatten, karriolte er uns durch allerlei eingehegte Wege, bis er vor einem Mauerrest irgendeiner altrömischen Wasserleitung hielt. Dann deutete et auf eine Kanonenkugel, die fest in der Wand saß, und redete viel und lebhaft. Ich verstand davon nur: » Garibaldi« – » Italia unita« – » Evviva Italia« – » Evviva il re«, und erklärte den Kutscher für einen ausgemachten Stiesel, weil wirklich absolut nichts zu sehen war als Feldweg und Gerümpel.

Onkel Fritz aber sagte: »Mir gefällt der Bursche. Er zeigt den Fremden, in deren Augen er die Freude an Rom liest, die eiserne Kugel, welche die Franzosen in seine Vaterstadt schleuderten, als sie dem Papste halfen, Italien zu unterdrücken. Er ruft begeistert: Garibaldi lebe, das geeinte Italien lebe, der König lebe! Den Retter aus der Schmach vergißt er nicht, sondern er ehrt ihn, wie er es vermag, und das liebe ich. Geh her, Italiener, da hast du ein Weingeld, trinke auf das Wohl deines Landes, seines Befreiers und seines Herrschers. Zeige jedem Fremden die Kugel, obgleich der alte Mauerrest noch lange kein Heidelberger Schloß ist. Auch wir werden heute eine Flasche edelsten Gewächses auf Deutschland leeren; ein römischer Droschkenkutscher soll uns nicht beschämen.«

Er gab dem Vetturino eine Handvoll Münze, und der rief fröhlich: » Evviva Germania!« » Evviva Bismarko!« – Ist gut, fahr zu. Avanti, avanti!

Nach etlichen Minuten kamen wir zu schönen Anlagen, exquisitem Rasen mit Teppichbeeten, Palmen und Agaven, blühenden Kamelien und Rosen, zu der Paolo-Fontaine, die doch einen anderen Eindruck macht, als die Fontanellen vor dem Brandenburger Tor, obgleich diese in rührender Einfachheit ihresgleichen suchen.

Hierauf wollten wir in den Park bei Villa Doria Pamphili fahren, aber weil Wagen nur am Montag und Freitag von ein Uhr ab zugelassen werden – Einspänner gar nicht – so stiegen wir aus, denn eine echte Villa muß man doch sehen. Die Franzosen haben manchen Pavillon zerschossen und manche Statue verwundet, als wäre sie ein Mensch, aber trotzdem ist der Park sehr schön und der Blick auf die Peterskirche und den Vatikan entzückend.

Während wir naturschwelgend in den dichten Alleen von Steineichen, Oliven und anderen wundervollen Bäumen lustwandelten, umdüsterte sich der Himmel mit einer Schnelligkeit, daß es uns unmöglich war, den an dem Tore haltenden Wagen vor dem Ausbruch des Gewitterregens zu erreichen. Es platzte los, als wenn die Reinmacheengel im Himmel gesagt hätten: »Da geht die Buchholzen in dem neuen Kleid, nun gießt zu.« Wenn der Regen, der hier in einer Viertelstunde fiel, in Berlin herabkommen soll, braucht er mindestens acht Tage. Na, ich war durchnäßt, ehe es ordentlich anfing, und mein Karl machte in dem quatschnassen weißen Anzug im Handumdrehen einen sehr verwüsteten Eindruck, man hätte ihn so, wie er da war, gleich auf die Leine hängen können. Und dazu färbten die modernindustriellen Pensee-Handschuhe ab. Mein Kleid sah trostlos aus.

»Ich habe dir geraten, den Plunder zu Hause zu lassen«, sagte Onkel Fritz. »Wenn du wochenlang in Rom lebtest und in Gesellschaft kämest, so wäre Salongarderobe notwendig. Auf der Reise gebraucht man Reisekleider ... das merke dir. Und jetzt nur ins Hotel, mein armer Schwager klappert vor Frost in dem dünnen weißen Anzuge. Passiert ihm etwas, so hast du ihn auf dem Gewissen!«

»Wo ist der Kognak?« rief ich.

»Im Hotel.« –

»Wie kannst du den vergessen,« fuhr ich Fritz an, »du hast Schuld, wenn mein armer Karl krank wird, nicht ich!«

Wir eilten so rasch als möglich ins Hotel und brachten meinen Mann zu Bett. Er klagte wieder sehr über Rheuma und fror und zitterte. »Wenn er nur nicht das Fieber weg hat!« lief es mir eiskalt über den Rücken. Während ich ihn nun tüchtig rieb, tränkte Onkel Fritz ihn fleißig mit Grog vom besten Kognak, den er für feierliche Gelegenheiten aufgespart hatte, bis mein Karl mollig warm und wieder ganz heiter wurde und fortwährend wiederholte, Rom sei ungeheuer gemütlich und ich seine allerbeste Altsche.

Als er eingeschlafen war, sagte Onkel Fritz: »Er wird wieder, ich kann daher ruhig gehen und mir einmal Rom bei Abend ansehen. Adje, Wilhelmine«!

Ich hing die gräflichen Gewänder in dem Prunkgemach zum Trocknen auf und ließ mir Verpflegung auf das Zimmer bringen. Als der Kellner kam, sah er die Kleider an, meinen Karl im Bette an, mich an, aber er sagte kein Wort. Wäre es nicht unvornehm gewesen, ich hätte ihm mit Wonne eine heruntergelangt, derartig empörte mich seine stumme Impertinenz. So flegelhaft benehmen sich auch nur deutsche Kellner, die glauben, daß die Gäste ihretwegen sind und nicht sie der Gäste wegen! Woher kommt aber diese Verwilderung der Verhältnisse? Weil es an Fachschulen für Kellner fehlt. Erst wenn diese mit Professoren und allem Zubehör eingerichtet sein werden, läßt sich Besserung erwarten.

Für Hausknechte wäre ebenfalls Ähnliches in Aussicht zu nehmen und vorbereitende Lehranstalten für Scheuerfrauen dürften nicht schaden, denn die wenigsten davon sind eckenrein und gründlich. Welchen Nutzen könnten Frau und Herr Lina Morgenstern auf diesem Gebiete stiften, wenn sie nur wollten. –

So legte das Jahrhundert seine klaffenden Wunden an mein blutendes Herz, während ich bei meinem Karl wachte, der wie eine Memnonsäule schlief, die ja auch bekanntlich knurrte, wenn sie im Schlaf gestört wurde. In dieser Einsamkeit, durchflutet von großen Weltenschmerzen, gedachte ich der alten Götter, des Apoll von Belvedere, der Dichtkunst!

»O, ihr Musen,« lispelte ich, um den Schlafenden nicht zu stören, »wenn ihr nicht gerade bei einem der vielen beeidigten deutschen Poeten von Fach Gevatter stehen müßt, dann eilet zu mir und bringet den delphischen Stuhl, denn ich fühle mächtigen dichterischen Drang!«

Als mein Karl nach Mitternacht erwachte und sich außer über Nachdurst über nichts beklagte, konnte ich ihm bereits einen Vers von dem Gedicht vorlesen, welches ich den Manen Dantes zu widmen und »Am schönen Strand des Tiber« zu nennen gedachte. Dieser Vers ging so:

Mit deinen Apfelsinen, Land der Alten,
Wie bist Du wunderbar und hoch und hehr!
Was konnten sie von Marmor nicht gestalten,
Die Künstler, die schon längst nicht leben mehr?!
Ist manches auch kaput, so fühlet man doch walten
Den Geist, als wenn er nicht gestorben wär.
Den Baum erkennt man leicht an seinen Früchten:
Entzweies kann von einst'ger Kunst berichten. –

Mein Mann fand die Arbeit sehr schön, aber meinte doch, daß die Poesie ihn angriffe, und ergab sich dem Schlafe wieder. Onkel Fritz sagte am anderen Morgen, der Vers sei grimmig. Wer hat nun recht, und wem soll ich folgen? Vorläufig ist mir wenigstens die Lust zum Dichten genommen; später kommt die Frühjahrsgarderobe, im Sommer die Badereise und im Herbst das Einmachen, dann habe ich keine Zeit. Ist der Vers denn wirklich grimmig? Da nach Otto Franz Gensichen der Wert eines Gedichtes in der Vermeidung jeglichen Hiatus liegt, so muß der inkriminierte Vers ein Meisterstück sein. – Trotzdem dürfte die Buchholz, wenn sie weiter dichten will, gut tun, sich einer literarischen Clique anzuschließen, deren Mitglieder auf gegenseitigen Ruhm versichert sind. Die Konkurrenz in gleichen Artikeln ist zu groß. Anm. d. Herausgebers.

Mit unserer Abreise nach Neapel war es nichts, denn mein Karl mußte ausschlafen. Wie glücklich war ich nun, daß die Zigarren, die ich mit Lebens- und Leibesgefahr gerettet hatte, ihm schmeckten, denn die langen Cavour, wie man sie in Italien raucht, konnte er nicht vertragen, als er einmal davon versuchte. Es ging ihm dabei nicht besser als den Italienern auch, die, wo sie gehen und stehen, spucken wie die Lamas. Solange er rauchte und selbst noch eine ziemliche Weile hinterher, war auch mein Karl ganz Lama. Wir kleideten uns in die soliden Reisegewänder und fuhren nach dem Frühstück wieder durch Rom. –

Weil wir nicht mehr in der höchsten Eleganz erschienen, die ja verregnet im Hotel zum Trocknen hing, erregten wir keine Spur von Aufsehen. Es war das auch besser so, denn der Italiener soll, wie ich später erfuhr, solche Fremde, die ganz in Piquet oder Nanking gekleidet gehen, für total unheilbar halten. Er selbst hütet sich möglichst vor Erkältung, namentlich in den Gegenden, wo das Fieber lauert, und dazu gehört ja auch leider Rom, obgleich einzelne Quartiere gesund sind.

Der Römer sieht zu, daß er mit der sinkenden Sonne nach Hause kommt, und hält sich einige Stunden nach Sonnenuntergang in seiner Wohnung auf, denn um diese Zeit steigen die Fieberdünste von dem erwärmten Boden in die kühlgewordene Nachtluft auf. Nachher geht er dann aus, besucht seine Bekanntschaft oder geht ins Café oder steht auf dem Colonnaplatz oder am Corso und benimmt sich wegen der starken Zigarren lamahaft.

Was nützen nun die kostbaren Villen ihren Besitzern? Da ist die Villa Borghese, die ein Park umgibt, der geradezu aussieht, als wäre er nach alten Kupferstichen angelegt, obgleich die Kupferstiche nach ihm gezeichnet wurden, und in der Villa stehen Marmorfiguren, die so berühmt sind, daß sie kein Mensch bezahlen kann, aber niemand darf des Fiebers wegen dort wohnen.

Es ist merkwürdig, daß viele Statuen, die in den Reisehandbüchern zwei Sterne haben, auf mich gerade solchen Eindruck machten, als wenn sie, wie manche Menschen, einen bis mehrere Orden bekommen hätten, ohne daß man eigentlich weiß, warum sie dekoriert wurden. Viele kriegen ja Orden, weil sie das nötige Alter dazu erreicht haben, und so denke ich, daß auch viele Antiken nur deshalb mit Sternen ausgezeichnet werden, weil sie sehr alt sind.

Da weder Herr Professor Quenglhuber noch Herr Spannbein anwesend waren, um mir auseinanderzusetzen, warum das Häßliche manchmal schön und das Schöne manchmal häßlich sei, mußte ich mich auf meine eigene Hand in die Statuen hineinleben und mir das Wissenswerte von denselben selbst geistig zusammenraffen.

Interessant war mir in der Villa Borghese ein Knabe aus Bronze, weil er einen jungen Spartaner darstellt. Diese Spartaner waren ein ganz eigentümliches Volk, bei denen alles auf körperliche Kräfte hinauslief, während wir mehr für Einjährigfreiwilligen-Examen, ungemein viel Wissen, schwache Brust und Kurzsichtigkeit sind. Wenn so ein spartanischer Knabe vormittags im Wettlauf – es waren alle geborene Käpernicks – das Bein brach und der Chirurgius es ihm einrenkte, daß die Knochen nur so knirschten, dann sang er aus vollem Halse: So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage. Am Nachmittage lief er schon wieder mit, und wenn er den ersten Preis nicht gewann, kam es vor, daß ihm aus Kummer und Schande das Herz still stand und er tot bei dem Ziel umfiel. Aus diesem Grunde erschien mir jene Statue im höchsten Grade beachtenswert, obgleich sie mit keinem Sterne bedacht ist und erst im Lichte der älteren Geschichte betrachtet ihre volle Bedeutung erhält. Nicht allein Kunst und Schönheit machen ein Kunstwerk wertvoll, sondern die Geschichten und Anekdoten, die man sich von ihm, seinem Verfertiger oder dem Gegenstande erzählen kann, den es darstellt. Deshalb soll es den Kritikern auch so entsetzlich schwer fallen, über ein Kunstwerk zu schreiben, von dem sich keine Räubergeschichte mitteilen läßt, und dies mag auch wohl der Grund sein, weshalb sie immer wimmern, daß keine Historienbilder mehr gemalt werden, denn gerät ihnen so eins unter die Feder, so haben sie nur nötig, sich an ein geschichtliches Buch oder an das Konversationslexikon zu halten, aus dem sie eben so wissenswerte Notizen zu ziehen vermögen, wie ich sie über den spartanischen Knaben gebracht habe. Aber ist es die Ausgabe des Künstlers, der Kritik das Leben zu erleichtern?

Außerdem befindet sich in der Villa Borghese eine Statue der Schwester Napoleons als Venus. Ich lasse mir von den Antiken ja alles Mögliche gefallen, weil es noch keine Mode gab, als die alten Griechen selbst das bißchen Trikot sparten, ohne welches heute kein Herkules und keine Sylphide der Luft auftreten darf, aber wenn eine Dame sich im marmornen Zustande auf einem Ruhebette herumsielt und andere Leute glauben machen will, sie hätte nichts anzuziehen gehabt, obgleich sie die Schwester eines Kaisers war, der sie von oben bis unten mit Diamanten behängt hätte, wenn sie ihn darum angegangen wäre, und wenn er die Edelsteine hätte rauben müssen, so finde ich das sehr extravagant. Aber das muß in der Familie liegen, denn er hat in Mailand nichts an und sie nichts in Rom. Mein Karl war durchaus meiner Meinung, wogegen Onkel Fritz unsere Ansichten philiströs nannte. Ich bin aber fest überzeugt, wenn ich, seine leibliche Schwester, als Gips- oder Marmorvenus in der guten Stube auf der Servante stehen wollte, er würde der Erste sein, der über solche Art von Kunstgewerbe Skandal machte.

Von den anderen Statuen will ich nichts sagen, weil ich erst am jüngsten Tage mit der Beschreibung aller Figuren fertig sein würde, denen man in der Stadt und den Villen begegnet. Überall auf den Plätzen sieht man, in welch ausgezeichneter Weise man von jeher in Rom die Bildhauer zu verwenden wußte, um die Stadt so interessant wie nur möglich zu machen.

Diese köstlichen Springbrunnen mit Marmorfiguren, wie wünschte ich ebensolche für Berlin. Wir haben ja auch Wasserkünste und etwas wie Sanssouci sucht man vergebens in Italien, aber eine junge Stadt will doch auch ihren Schmuck haben wie eine junge Frau. Wie wäre es, wenn der Schiller nach dem Tiergarten hinausgefahren würde und einen so stilvollen Platz bekäme wie sein Freund Goethe? Dann könnte das dumme Gebüsch vor dem Schauspielhause entfernt und an seiner Stelle ein Brunnen mit Figuren errichtet werden, wie er für die Stelle paßt. Der Obelisk auf dem Potsdamer Platz ist auch immer noch nicht da. Nach Rom bringen die Fremden alljährlich Millionen; das in Kunstrenten angelegte Kapital verzinst sich gewaltig. Was sollen aber Fremde in Berlin, wenn sie nicht auch für einige Wochen Sehenswürdigkeiten finden? Auf der Stadtbahn fahren wird ihnen zuletzt über, und für die Kanalisation interessieren sie sich nicht hinreichend. An Künstlern fehlt es doch gewiß nicht. Keineswegs. Wer den Obelisken auf dem Potsdamer Platz bei dem Einzuge unseres Kaisers gesehen hat, verzichtet gern auf die antiken Monolithen und bedauert nur, daß derselbe immer noch nicht errichtet worden ist. Anm. d. Herausgebers.

Als wir im »Orient« anfragten, war ein Brief von den Töchtern da. Sie waren wohl und munter und wußten nichts Neues, als daß wieder Hundesperre angeordnet sei und in der Blumenstraße eine geheimnisvolle Frau umherstrolche, die den Kindern die Ohrringe ausrisse. Das war mir in Rom natürlich gleichgültig. Außerdem klagten sie, mein erster Brief sei so gelehrt gewesen, daß sie ihn nicht verstanden hätten. Ich nahm mir deshalb vor, in Zukunft begreiflicher für sie zu schreiben.

Als wir bereits wieder gehen wollten, rief plötzlich eine bekannte Stimme: »Herrjeh, Frau Buchholz, da sind sie ja!« – Frau Kliebisch und ihr Halbgarer kamen die Treppe herunter. Das Wiedersehen war recht erfreulich, denn wenn man auf Reisen mit auch nur Viertelwegsbekannten zusammentrifft, merkt man erst recht, daß der Mensch ein geselliges Geschöpf ist und kommt dadurch der Kenntnis von der Bestimmung seiner selbst näher.

Die Kliebisch fragte, ob wir Lust hätten, das berühmte Miserere von Allegri zu hören, das nur in Rom echt aufgeführt werden könnte. Da die Sixtinische Kapelle nicht mehr zu kirchlichen Handlungen gebraucht werde, gäbe man der Engländer wegen das Miserere jeden Tag in einem Saale als Konzert, und um vier nachmittags finge es an. – »Wenn es berühmt ist,« sagte ich, »so müssen wir es ja hören!« – »Es gibt keine berühmtere Musik,« bekräftigte die Kliebisch. »Mein Mann ist allerdings mehr für die Operette, aber heute geht er mir zu Gefallen mit. Nicht wahr, Hinnerich?«

»Das Miserere ist ja so berühmt, Henriette!« antwortete Herr Kliebisch mit einem schwachen Seufzer.

Nachdem alles genau verabredet worden, fuhren wir nach der Peterskirche. Wenn mich auch verdroß, daß Kliebischs die billigeren Zimmer im »Orient« bewohnten, dessen Adresse sie von mir hatten, während wir in einem Hotel mit Grafenpreisen logieren mußten, so war ich Henrietten doch nicht böse, sondern rechnete ihr die Aufmerksamkeit mit den Misererebilletten hoch an. –

Wir kamen über die Engelsbrücke. Die Marmorengel, welche auf den Brückenpfeilern stehen, haben merkwürdig viel schwarzes Moos angesetzt und sind daher nicht egal in der Farbe. Einige haben einen weißen Stumpf und schwarze Arme, andere eine dunkle Backe und weiße Nase, wieder andere sind fleckenweise gescheckt, aber weil in Rom insgesamt über sechzigtausend Statuen sein sollen, so fehlt es an Zeit, die Puppen zu putzen, wie unsere auf der Schloßbrücke, woran sie ein halbes Jahr zu tun haben. Wollten sie es in Rom ebenso machen, dann säßen die ersten Statuen längst wieder voll Moos, ehe die letzte unter die Bürste käme. Das wäre ebenso unnütz, als quälte sich jemand damit ab, im Herbst unter den Linden die abfallenden Blätter wieder an die Äste zu leimen. Außerdem legen, wie Bädeker sagt, die zehn kolossalen Engelstatuen von dem unplastischen Sinn jener Zeit Zeugnis ab. Dafür verdienen sie auch nichts Besseres, als daß sie schwarz werden. Heiliger Bernini, was würde man von dir sagen, wenn du die Puppen für die Königsbrücke gemacht hättest, die jetzt in Berlin auf dem kleinen Königsplatz und in einigen Winkeln des Tiergartens stehen, da ein gütiges Geschick das Zustandekommen der Brücke, die ein Scheusal aller Scheusäler geworden wäre, verhindert hat? Oder aber du wärest vielleicht zum fiskalischen Geheimrat ernannt. Anm. d. Herausgebers.

Das Grabmal Hadrians heißt nun Engelsburg und ist eine Festung. Mitten in dem gewaltigen Bau liegt die kleine Grabkammer, in der seine Asche beigesetzt war. Sie haben ihn aber hinausgeschmissen. Wer weiß, wer einmal mit unseren Knochen spielt, wenn schon so mit Hadrianen umgegangen worden ist? Ich habe ziemlich oft seine Büste gesehen, denn er ließ sich, wies scheint, gerne beim Bildhauer abphotographieren, so daß jedes Museum mindestens ein halbes Dutzend Hadrians hat, und mußte denken: »Armer Kerl, als Kaiser flogen sie vor dir, als Asche mußtest du fliegen; hoffentlich hast du jetzt einen guten Platz in der ewigen Seligkeit.«

Dann fuhren wir über den St. Peterplatz mit den Kolonnaden, auf denen drei Wagen nebeneinander passieren können und die bloß drei und eine halbe Million Mark gekostet haben. Mitten auf dem Platz steht der Obelisk, der nur hoch kam, als Wasser daraus gegossen wurde. Zu beiden Seiten sprudeln zwei Fontänen Tag und Nacht ihre schäumenden Strahlen und netzen den Mosaikboden des Platzes, je nachdem der Wind weht und die Tropfen zur Seite schleudert. Früher stand der Obelisk im Zirkus des Caligula, in welchem Nero mimte. Auf diesen Obelisk fiel das qualmige Licht der lebenden Fackeln. Das waren in brennbare Stoffe eingehüllte Christen, die angezündet wurden, damit Nero bei sinkender Dämmerung besser sehen konnte, wie reißende Hunde wehrlose, in Tierfelle eingenähte Menschen, die Brüder und Schwestern jener Fackeln, mordgierig zerfleischten.

Wo diese Greuel geschahen, erhebt sich jetzt die Peterskirche, die größte Kirche der Welt. –

Wir stiegen aus und gingen die breiten Stufen hinan, welche zum Portal führen. Mit jedem Schritt wuchsen die Säulen an den Türen zur Vorhalle, in die es mich hineinzog wie einen Halm in einen Wasserstrudel. Die Vorhalle war schon eine Kirche für sich, wie kolossal mußte nun erst das Hauptinnere sein?

Ich kann wohl sagen, daß ich mit einer Art Erwartungsherzklopfen eintrat, aber als ich die ersten paar Schritte getan, war ich enttäuscht. Ich hatte mir alles größer gedacht!

Freilich fiel mir die Pracht der farbigen Marmorwände auf, der Goldschimmer des Gewölbes, die blendende Weiße der Heiligenstatuen, und in der Ferne sah ich Lichtlein brennen, die sich ausnahmen wie Kerzen, die aus einem goldenen Kranze herausbrannten: ... aber wo war das Kolossale?

Mein Karl ging rascher voran und näherte sich dem einen Pfeiler rechts, an dem ein kleiner Engel aus Marmor steht, der dem Eintretenden eine mit Weihwasser gefüllte Muschelschale darreicht. Wie mein Karl nun dicht an den Engel herantrat, sah ich plötzlich, wie klein mein Karl und wie furchtbar groß der Engel war, den ich für ein Figürchen gehalten hatte. Mit einem Male war es mir, als wenn die Kirche immer größer und ich immer kleiner würde. Der Atem verging mir, und es überkam mich wie Furcht. – Ich mußte weinen.

Mein Karl gab mir seinen Arm, aber es dauerte lange, ehe ich mich wieder fassen konnte. –

Nachdem ich wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen war und mich nicht mehr vor dem weiten Raum und der überwältigenden Pracht fürchtete, sondern mit ruhigerem Blute die Einzelheiten zu betrachten begann, hielt ich mich nahe an Onkel Fritz, der im Bädeker nachsehen mußte, was dieses und jenes bedeutet und worum es die Blicke einer kunstsinnigen Menge auf sich zu ziehen hat. – – »Was sagt er über St. Peter; ist er außer sich?« fragte ich. – »Mal sehen,« antwortete Onkel Fritz und las: »Das Äußere der Peterskirche muß man dem Tadel preisgeben, dagegen übt das Innere, trotz allen Unbilden durch einen falschen Prunk einen überwältigenden Eindruck. Punktum.« – »Also das sagt er doch! Falscher Prunk? Nicht übel. Wenn die Marmorwände, die so schön sind, wie ich sie schöner nicht denken kann, In dem »schöner denken« besteht jedoch die Force der meisten Kunstkritiker, obgleich sie nie sagen, wie das, was sie tadeln, besser hätte gemacht sein sollen werden können. Anm. d. Herausgebers. die Figuren in ihrer Kolossalität gerade groß genug erscheinen und sich herrlich in den Nischen ausnehmen, so ist das alles falscher Prunk? Möchte wohl mal echten Prunk sehen, wenn dies falscher ist.« – »Es ist wirklich schade,« sagte Onkel Fritz, »daß so viele alte Meister, Maler, Bildhauer und Architekten es den Kunstgelehrten gar nicht zu Dank gemacht haben. Hätten sie eine Ahnung davon gehabt, wie mit ihnen dereinst in den Reisehandbüchern umgegangen werden würde, so hätten sie sich entweder mehr Mühe gegeben, oder ...« – »Oder?« – »Sich gut mit den Kritikern ihrer Zeit gestellt, ihre Freundschaft zu erwerben gewußt, und vor allen Dingen ebenso fest an die Allmacht der Kritik wie an die Urteilslosigkeit der Menge geglaubt. Dann wären die Besseren weniger schlecht und die Mittelmäßigen weniger gut weggekommen.« – »Du rechnest mich doch hoffentlich nicht mit zu der Menge?« – »Ich spreche nur symbolisch, Wilhelmine, denn ich rede von alten Zeiten; in unserem Jahrhundert kann so etwas selbstverständlich nicht vorkommen. Da gibt es nur Gerechtigkeit, Neidlosigkeit, Unparteilichkeit, Kenntnis, Verständnis und Urteilskraft, keine Bosheit, keine Käuflichkeit, keine Tücke. Ist doch jedermann nachgerade so weit aufgeklärt, um zu wissen, daß Dummheit eine Gabe ist, die man nicht mißbrauchen muß!« – »Du hast recht. Kommende Geschlechter werden unsere ideal-humane Zeit schon gebührend beleuchten.« – »Das versteht sich!« antwortete Onkel Fritz. Hoffentlich wird die Nachwelt sich auch mit Dubois-Reymond beschäftigen, der in seiner Rektoratsrede (1882) Goethes Faust im Ernst anempfahl, Gretchen zu heiraten, sein Kind ehrlich zu machen, und Elektrisiermaschine und Luftpumpe zu erfinden. Sie wird den Kritiker der Magdeburgischen Zeitung vom 12. April 1882 nicht vergessen, der seinen Lesern vororakelte: »Nur eine starke Portion Geduld und ein interessanter Gast kann einem heutzutage über die endlos gedehnten fünf Akte von Schillers »Räubern« hinweghelfen ... Die Charaktere sind durchweg auf die Spitze gestellt, kein einziger geschaut oder erlebt, alle ausgeklügelt usw.« Sie wird auch Th. Fontane nicht übersehen, der E. v. Wildenbruchs dramatisches Talent eine dreimal überheizte Lokomotive nannte, die bremserlos über ein Geleise mit falscher Weichenstellung dahinjagt. Ei ei! Fontane. Ein Singschwan ist doch keine Lokomotive!
Und wenn die Nachwelt fragt: »War denn kein Dalldorf da?« – Was dann? Anm. d. Herausgebers.

Was ich für einen goldenen Kranz gehalten hatte, erkannte ich beim Näherkommen als zahlreiche Lampen, die von goldenen Zweigen getragen zum Gedächtnis des Apostels Petrus brennen, dessen Grab sich unter dem Tabernakel befindet. Darüber wölbt sich die Kuppel der Kirche, von der man nicht begreift, wie sie so hoch sein kann, wenn man hinauf sieht.

Auch die Bronzestatue des heiligen Petrus mit den Schlüsseln, dessen große Zeh die Frommen schon halb weggeküßt haben, sah ich und die mächtige Orgel, die auf Rädern steht, um an die Stelle hingefahren zu werden, wo Musik zum Gottesdienst gebraucht wird.

Es ist alles merkwürdig an dieser Kirche. Oben auf dem Dache von St. Peter wohnt eine Kolonie von Arbeitern und Wächtern. Sie haben Gärten da droben, Ziegen und sonstiges Getier, und sind guter Dinge. Über sich den Himmel und unter sich die Kirche aller Kirchen kann ihnen nichts Böses geschehen. Die Kuppel ist so gewaltig, daß sie stets einen Schatten wirft, nur muß man mit dem Stuhle fortwährend herumrücken, wenn man im Kühlen sitzen will. In den Knopf der Kuppel gehen sechzehn Personen hinein, Dicke jedoch nur zehn bis zwölfe.

Bevor wir St. Peter verließen, besah ich noch die Beichtstühle für alle Sprachen der Welt, die wie Steuerhäuschen für das Jenseits dastehen. Nur für die lallenden kleinen Kinder war keiner vorhanden. Dicht neben der Mitteltür zeigte uns Onkel Fritz eine in den Boden eingelassene farbige Steinplatte, auf der ehemals die deutschen Kaiser gekrönt wurden.

»Hat sich ausgekrönt,« sagte mein Karl. »Der sein Land zum Kaiserreiche gemacht hat, dem ist auch die Krone zu eigen. Dazu ist kein Dritter vonnöten!« – Ich hätte viel darum gegeben, wenn wir nun bei Fritz Töpfer oder bei Rudolf Dressel recht fein hätten frühstücken können, aber so mußten wir nun 'ran an die italienische Küche. Onkel Fritz spendierte eine Flasche Asti spumante, wie sie den einheimischen Champagner nennen. Für zwei Mark die Flasche kann man nicht mehr verlangen, nicht mal Eis, das wir auch nicht bekamen.

In den großen Hotels ißt man recht gut, aber da die Temperenzamerikaner bei Tisch nicht trinken, sondern sich auf ihren Zimmern betäuben, muß der durstige Deutsche die hohen Table d'hote-Preise mit tragen. Später aßen wir häufig im Genio, bei Corodotti und Morteo und waren sehr zufrieden. Bei Morteo am Corso gibts Wiener Bier: kleine Vogelnäpfe voll, teuer, aber kühl und gut.

Verabredetermaßen holten wir Kliebischens ab und genossen das Miserere. Der ganze Saal war voll von Engländern, meist weiblichen Geschlechts in Trauer. Sie verdrehten die Augen in beneidenswerter Andacht, während mir schrecklich zu Mute ward, denn es klang, als wenn vier Höfe aneinander grenzen und in jedem Hof etliche gleichzeitig anders singen. Ob es nun Menschen oder Kater sind, kommt auf eins aus. Onkel Fritz heuchelte nach den ersten zehn Minuten Nasenbluten und drückte sich. – Aber die Engländer! Die waren schon mehr verzückt. –

Die Kliebisch meinte auch, das Miserere klänge nicht schön, und Herr Kliebisch murrte, daß sie wegen eines solchen Gejammers aus dem Hotel gegangen seien. Auch mir wäre etwas Gefühlvolleres lieber gewesen, wie zum Beispiel: der liebe Gott geht durch den Wald. Die Kliebisch sagte, Gesangvereine wie bei uns gäbe es in ganz Italien nicht, und darin hat sie recht. Wenn wir einmal eine Landpartie mit einem Gesangverein machen, wie entzückend wird da gesungen. Allein schon der Anblick, wenn die Sänger sich aufstellen, als sollte jemand vom Leben zum Tode gebracht werden. Dann gibt der Dirigent ihnen den Ton an. Einige erbleichen förmlich vor innerlicher Aufregung. Und dann geht's los. Und wie!

Ist kein Gesangverein dabei, so macht man natürlich keine Ansprüche und ist zufrieden, wenn die Herren das Lied »Wer hat dich, du schöner Wald« anfangen und nicht zu Ende singen. Man sieht doch den guten Willen. Mehr Nummern können sie meistens nicht, weil sie weder Text- noch Notenbücher mitnehmen. Es wäre daher sehr praktisch, wenn die beliebtesten Lieder inwendig auf das Hutfutter gedruckt würden, damit die Herren Sangesbrüder wenigstens nicht um die Worte in Verlegenheit kämen, denn nichts ist peinlicher für die Damenwelt, als wenn gedruckst und gedruckst wird und doch kein Lied zustande kommt.

Dennoch will ich lieber auf Gesang verzichten, als das Miserere noch einmal hören. Mir werden die Zähne stumpf, wenn ich nur daran denke.

Worüber ich mich aber doch wunderte, das war die furchtbar hohe Stimme einiger Sänger, was auch der Kliebisch aufgefallen war. Onkel Fritz erklärte uns, daß diese Sorte von früheren päpstlichen Sängern im zarten Knabenalter bereits ein Gelübde tun mußten, niemals zu heiraten, worauf ihnen das Hochsingen beigebracht wurde. Die Kliebisch freute sich, daß ihr Hinnerich kein Misereresänger geworden sei, da sie ihn dann ja nicht hätte heiraten können.

Ich fragte sie, wie ihr überhaupt die Musik in Italien gefiele? Sie sagte, was man zu hören bekäme, wären meistens Opernmelodien; sie glaubte nicht, daß Lieder, wie sie Brahms, Jensen, Naubert, Hoffmann komponierten, hier unten gesungen würden, und behauptete, einen Domchor wie in Berlin, brächten sie nicht heraus. – »Lustig genug klingt die Musik schon in den italienischen Kirchen,« sagte ich, »aber wenn die Leute gewohnt sind, bei einem Walzer andächtig zu sein, so ist das ihre Sache.«

Onkel Fritz pflichtete mir bei, daß man jedem sein Vergnügen lassen müsse, und fragte Herrn Kliebisch, ob er Skat spiele? »Na ob!« antwortete dieser. Ein Glück war, daß die Kliebisch ihren Mann zum rechtzeitigen Aufbruch in ihr Hotel bewegte, sonst hatten die Herren bis zum frühen Morgen gespielt. Ich aber schwur im tiefsten Innern Rache, und noch ehe ich einschlief, hatte ich einen Entschluß gefaßt, den Herren später zu zeigen, wohin im Lande Italien die Karten gehören.


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