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Zurüstungen

Warum Herr Buchholz nach Italien reiste und Frau Buchholz ihn begleitete – Onkel Fritz – Warum Frau Buchholz sich mit Frau Bergfeldt erzürnte – Sprachstudien – Kleidersorgen – Betrachtungen über den historischen Boden

Es wäre mir ja nie im Traume eingefallen, daß ich in meinem Leben das Land sehen würde, wo die Zitronen blühn und die Kunst von den alten Meistern großgesäugt wurde, wenn nicht die Notwendigkeit gekommen wäre und gesagt hätte: »Wilhelmine, es hilft kein Sträuben, du mußt nach Italien!«

Diese Notwendigkeit war ein Rheumatismus, den mein herzensguter Mann, mein über alles geliebter Karl, sich geholt hatte und der nicht wieder weichen wollte. Als Salizyl und Elektrisieren auch nicht anschlugen, schüttelte unser Hausarzt Dr. Wrenzchen sein Haupt und erklärte, eine Klimaveränderung würde das beste sein, sonst setzte das Rheuma sich so fest, daß es später nicht mit einem Brecheisen loszukriegen sei. – Wir hatten in Berlin ja auch Klima, aber es war danach. Im Kalender stand Frühling, und auf den Dächern lag Schnee. Mit einem Worte, es war ein Hundewetter.

»Gehen Sie nach dem Süden!« sagte Dr. Wrenzchen. Mein Karl sträubte sich und meinte, ein Dampfbad täte wohl dasselbe. Mein jüngerer Bruder, den die Kinder immer Onkel Fritz nennen, stand jedoch dem Doktor bei und erbot sich zur Mitreise, da er in Italien persönlich Geschäftsverbindungen anknüpfen wollte.

»Du sollst sehen, wir beide amüsieren uns köstlich!« sagte er zu meinem Karl.

Dies Wort ging mir durch und durch. Oft genug hatte ich Ursache gehabt, Fritz zu ermahnen, den gefährlichen Junggesellenstand aufzugeben, und nun wollte er sich mit meinem Karl dort köstlich amüsieren, wo die glutäugigen Italienerinnen zu Hause sind und der Fremdling sofort erdolcht wird, wenn er sich bloß merken läßt, daß ihm eine gefällt. Dies konnte, dies durfte ich nicht dulden. Daher faßte ich einen heroischen Entschluß und rief: »Karl, ich lasse dich nicht allein unter Räuber und Mörder ziehen; dein treues Weib geht mit dir!« –

Onkel Fritz zog zwar die Mundwinkel etwas schief, als er meine Worte vernahm, aber mein Karl reichte mit die Hand und erwiderte: »Wilhelmine, du bist ein Engel. Nur ein bißchen kostspielig wird die Sache werden!«

»Wegen des Mammon mache dir keine Sorgen, mein Karl. Habe ich nicht stets ein anständiges Honorar für meine schriftstellerischen Arbeiten bekommen, und kann ich meine Ersparnisse besser anwenden als zu deiner Begleitung in ein wildfremdes Land? Es ist kein Groschen Hausstandsgeld dabei, das schwöre ich dir hoch und heilig!«

So war der wichtigste Einwand beseitigt, und als wir die Angelegenheit der Reise nun des weiteren berieten, stellte es sich nach und nach immer klarer heraus, daß mein Entschluß, mitzureisen, der vernünftigste von der Welt sei. Auch Onkel Fritz meinte schließlich, wenn es einmal einen Knopf anzunähen gäbe, so könnte ich das trefflich besorgen, und wehrte sich nicht länger gegen meine Begleitung. Es hätte ihm auch nichts genützt.

Nun teilten wir uns in die Vorbereitungen. Onkel Fritz hatte sich mit der Route zu befassen, für die Reisehandbücher zu sorgen und bei Leuten, welche schon in Italien gewesen waren, zu erkundigen, wie man die Sache am besten anfinge. Mir lag die ganze Ausrüstung ob, und mein Karl, das arme Rheumatismuswurm, wurde verpflichtet, Italienisch zu treiben, weil er sich um andere Dinge seines leidenden Zustandes wegen nicht viel kümmern konnte. Es war ein rührendes Bild, wenn die Dulderseele am Ofen saß und sich in der fremden Sprache belernte. Nach acht Tagen meinte er jedoch, daß er sich schon durchfinden werde, und am Tage der Abreise sagte er: »Das Italienische macht mir gar keine Mühe mehr!« Dies machte mich stolz und glücklich zugleich.

Ich hatte in der Zeit, die mir blieb, die Hände keineswegs in den Schoß gelegt, denn erstens mußte das hellgraue Reisekostüm für mich fertig gemacht werden und ein neues luftiges Sommerkleid zum Gondeln auf dem Golf von Neapel durfte auch nicht fehlen. Dann kam die neue Wäsche für meinen Karl und ein weißer Anzug. Den echt italienischen Strohhut wollten wir an der Quelle kaufen. Des Abends studierte ich Kunstgeschichte, denn nichts ist törichter, als wenn jemand nach Italien reist und von Kunst keine blasse Ahnung hat. Wer wegen Rheumatismus hingeht, den trifft natürlich in dieser Hinsicht kein Tadel, für den ist das milde Klima die Hauptsache. Aber was wollen Menschen in Italien, die weder wissen, was Antike, noch was Renaissance ist, die nie etwas von der Toscanischen oder der Umbrischen Schule gehört haben und in der Architektur nicht einmal die dürftigsten Kenntnisse besitzen? Derlei Leute täten besser, zu Hause zu bleiben, anstatt die Kunstwerke anzusehen wie der Mops den kalten Ofen. Meine verehrte Freundin geht hier ein wenig zu weit, aber sie ist insofern zu entschuldigen, als auch sie von der allgemein verbreiteten Ansicht beherrscht zu sein scheint, daß Italien eine Art von Museum sei, dessen Besuch kein Vergnügen, sondern eine Aufgabe ist, das der Deutsche durchrennt, um vor den verschiedenen Objekten sein vermeintliches Verständnis auszukramen, und das er verläßt, um in der Heimat Rechenschaft über die neuerworbenen Kenntnisse abzulegen. Da der Mensch im allgemeinen jedoch kein Examenstier ist und nicht nötig hat, sich auf Kunstgelehrsamkeit vereidigen zu lassen, so besucht auch derjenige mit Vorteil Italien, dem das Herz beim Anblick des Schönen aufjubelt und der sich diese Freude nicht durch die dumme Scham verkümmern läßt, nicht jeden bemalten Lappen, nicht jeden verwitterten Marmor, nicht jede umgefallene Mauer sachgemäß klassifizieren zu können. Anm. d. Herausgebers. Ohne Verdruß sollten diese Vorbereitungen jedoch nicht vorübergehen, denn erstens mußte ich mich über Onkel Fritz ärgern und zweitens über die Bergfeldten. Onkel Fritz sagte mir in Gegenwart der Kinder, ich hätte keine Idee vom Reisen, denn das, was ich in Szene setzte, sei das Spazierenführen von Koffern. Das Sommerkleid sollte ich nur zu Hause lassen und meines Mannes weißer Anzug sei ein Unsinn. »Bist du denn schon einmal in Italien gewesen?« fragte ich ihn spitz. – »Nein!« sagte er. – »Dann rede nicht über Dinge, die du nicht verstehst. Wo Apfelsinen reif werden, ist es warm, und wo es warm ist, geht man nicht in Winterzeug. Du hast die Geographiekarte wohl über Kopf gehalten und Samojedien für Italien angesehen!« Hierauf wußte er kein Wort zu entgegnen. Er zog allerdings mit den Schultern, als wenn er sagen wollte »Meinetwegen«, aber glaubhafte Gründe hatte er nicht auf Lager.

Mein Karl hatte inzwischen in dem Lexikon nachgeschlagen und rief: »Über Kopf heißt sopra testa!« – »Geh' hin und lerne was wie andere Leute!« rief ich. Mit diabolischem Gelächter verschwand Onkel Fritz. –

Den zweiten Ärger bereitete mir die Bergfeldten. Sie hatte natürlich von der Reise gehört und machte mir einen Neugiersbesuch »Also nach Italien?« fragte sie und fuhr dann fort: »Ja, der Mittelstand kann es nicht, der muß sich mit Treptow und dem Eierhäuschen behelfen!« – Ich setzte ihr auseinander, daß meines Mannes Rheumatismus die Reise notwendig mache, aber sie meinte, ihrem Manne habe damals Ochsenkroziuspflaster sehr gut getan, und was ich denn in Italien wollte, ich sähe ja gesunder aus als wie eine vom Lande.

Auf diese Impertinenz antwortete ich gar nicht, obgleich es mir innerlich kribbelte, sondern schenkte ihr kalt lächelnd die dritte Tasse Kaffee ein. Als sie diese beim Wickel hatte, fragte sie: »Und wo bleiben denn die beiden Töchter?« – »Hier im Hause.« – »Ganz allein?« – »Die alte Marie, unser Mädchen, sorgt für sie.« – »Dabei würde ich als Mutter mich nicht beruhigen.« – »Wieso?« – »Dienstmädchen machen selbst Torheiten!« – »Ich verstehe Sie nicht, meine Beste!« – Die Bergfeldten grifflachte vor sich hin und sagte: »Hübsch herangewachsen sind die beiden ja, aber gerade in solchem Alter muß man aufpassen. In Berlin laufen zu viel ledige junge Leute herum; von den Offizieren will ich gar nicht reden!«

Nun riß mir die Geduld. »Haben Sie nur keine Angst, meine Liebe, meine beiden sind auf Blaublindheit erzogen, die stürzen nicht ans Fenster, wenn einer in zweierlei Tuch vorübergeht. Meine Töchter brauchen sich nicht im Tiergarten bei der Flora mit einem Buch hinzusetzen und darüber weg nach Bräutigams zu glupen!« – »Meine auch nicht, meine Beste,« sagte die Bergfeldten giftig. – »Mir lieb zu hören,« rief ich, »aber sitzen tut Ihre da doch.« Das wäre Verleumdung, begehrte sie auf. Ich erwiderte, daß ich mir meine Kinder erst recht nicht verklatschen ließe und was ich gesagt hätte, wäre die Wahrheit. – Nun, wir schieden nicht gerade als intime Freundinnen.

Als die Bergfeldten fort war, sagte ich zu meinem Manne: »Karl, laß uns reisen, je eher, je lieber. Diese Person hat mir nur die Freude verbittern wollen. Ich weiß, daß ich mich auf die Kinder und auf die alte Marie verlassen kann. Zum Überfluß will ich die Krausen bitten, hin und wieder nach dem Rechten zu sehen!«

»Tue das, Wilhelmine!« antwortete mein Karl, »auch ich sehne mich nach dem milderen Klima. Wir schreiben schon den zweiten April und draußen wirbelt der Schnee in großen Flocken. April ist leicht zu behalten, er heißt italienisch aprile

Am nächsten Morgen früh ging Onkel Fritz unter die Linden nach dem Schlafwagen-Kontor und kaufte dort drei Rundreisebillets und die Tikets für den Schlafwagen bis München. Mein duldendes Lamm von Mann sollte es bequem haben, und auch ich liege des Nachts lieber, als daß ich in einer Waggonecke hocke. Was Onkel Fritz betrifft, so ist dem das Beste eben gut genug; ja er bildet sich sogar ein, die Schlafwagen seien extra seinetwegen erfunden worden. –

Am Nachmittag stiegen wir auf dem Anhalter Bahnhof in den Schlafwagen, und um halb Drei dampften wir mit dem sogenannten Römerzuge ab. Mit demselben Zuge fuhren auch in früheren Zeiten die deutschen Kaiser nach Italien Frau Buchholz ramscht allerdings mit den Jahrhunderten, aber indem sie zur Abwechslung einmal die Gegenwart in die Vergangenheit eingräbt, folgt sie doch nur den antikisierenden Strömungen unserer Zeit. Anm. d. Herausgebers., so daß, genau genommen, das Historische der Reise schon beim Askanischen Platz anfängt, bis man, unten in Italien angelangt, nur so in der alten Geschichte herumwatet. Man muß vorher aber etwas über das Altertum gelesen oder von Sachkundigen erzählt bekommen haben, weil man sonst den historischen Boden für ganz gewöhnlichen Bauschutt hält und bei dem Betreten desselben keine anderen Gefühle hat, als wenn man bei den Rehbergen vorbeispaziert und auf einer Tafel die Inschrift liest: Hier kann Müll abgeladen werden.

In dem verklärenden Lichte der Geschichte jedoch wird auch das Unscheinbarste interessant, und wer graulicher Natur ist, den überlaufen auf historischem Boden mehr Gänsehäute als beim Durchlesen der Kriminalzeitung, auf welche Herr Krause abonniert ist und die wir mitunter leihen. Aber, wie gesagt: Vorstudium ist unbedingt dazu nötig!


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