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An der Riviera di Levante

Feiertägliches – Warum der Mensch kein Bohrwurm ist – Eine außerordentliche Begegnung – Warum Frau Buchholz sich vor dem Teufel fürchtet – Das Gespenst – Warum es große und kleine Uhren gibt – Warum ein Trauerspiel nicht zu Ende gespielt wird – Wie Onkel Fritz sich amüsierte – Warum Frau Buchholz weiß, wieviel Einwohner Civita vecchia hat – Warum die Reisenden bald um den Anblick von Rom gekommen wären

Es war Sonntag. Zu unserer Rechten lag das Meer, und wo sich die Vorgebirge der Bahn in den Weg stellten, war ein Tunnel hindurchgearbeitet. An den Felsen wuchsen Agaven, und in den Gärten hingen die Zitronen- und Apfelsinenbäume voller Früchte; darunter standen die Saubohnen in Blüte, die Feigen trieben bereits ihre großen Blätter und aus Lorbeerbüschen waren die Lauben gebildet. Auch die Schoten hatten schon angesetzt: es war eine stille Pracht. Onkel Fritz meinte, mit den jungen Gemüsen ließe sich ein gutes Geschäft nach Berlin machen, obgleich sie lange nicht so zart und kräftig von Geschmack sind wie die unsrigen, weil sie zu rasch in der Hitze reif werden, aber da in Berlin alles nur so weggegessen wird, interessierte uns doppelt, was da grünte und blühte, zumal auch mein Karl ein Hamburger Huhn mit Schoten für eine weise Einrichtung der Statur hält. Wenn wir durch einen Tunnel gesaust waren, zeigte sich uns stets eine entzückende Aussicht, und sobald der Zug bei einem Orte hielt, hörten wir die Brandung des Meeres und das Geläute der Kirchenglocken. So feiertägig war es, so sonnig und so wundersam friedlich, daß ich gar nicht reden mochte, und wenn der Zug nicht gerasselt und gelärmt hätte ... ich würde geglaubt haben, es sänge mir jemand ein Wiegenlied vor und alles, was das Auge sah, wäre nur ein Spiel der Phantasie. Ich hielt die Hand meines Karl gefaßt und war unaussprechlich glücklich. – Schließlich wurden mir aber der Tunnels zu viele, und ich rief entrüstet: »Der Mensch ist doch kein Bohrwurm!« – An der Riviera di Levante möchte ich einmal einige Wochen zur Sommerlust wohnen, aber dort, wo die auf Altenteil gesetzte Landstraße durch die Ortschaften führt, nicht in den Erdlöchern, durch welche die Lokomotive schnauft.

Später sahen wir den Golf von Spezzia, den Kriegshafen von Italien, mit seinen Schiffen. Daß der Mensch unter sich doch nie Frieden halten kann! Erst baut man Wohnsitze, Städte mit Palästen und Kirchen, und dann schießt man sie in Grus und Mus. Was soll das? Wer hat gut davon? Der Gewinner, sagen sie. Jawohl, der bekommt auch blaue Augen.

Da liegen nun die Kriegsschiffe auf dem sonnenschimmernden Gewässer, und bis an das Ufer erstrecken sich die fruchtbaren Ländereien, ein herrlicher Garten, soweit das Auge reicht. An den Abhängen die grauen Olivenhaine, in den Senkungen Feld- und Gartenfrüchte, und dazwischen die Häuser, in denen fleißige Leute wohnen. Man sagt immer, die Italiener seien faul. Ich möchte wissen, ob die Äcker sich dort von selbst bestellen, die Weinreben sich selbst anbinden, die Bäume sich selbst pflanzen und der Blumenkohl vom Himmel herunterfällt? Nein, dazu gehört Arbeit. Genügt der Kampf mit der Natur nicht, daß die Menschen sich außerdem noch selbst vernichten müssen und das, was sie mit Sorge ins Dasein riefen? Mir paßten die Kriegsschiffe durchaus nicht in die Sonntagsmorgenlandschaft hinein.

Später kamen die Marmorberge von Carara in Sicht. Man glaubt, sie wären mit Schnee bedeckt, aber sie sind so weiß von dem Geröll. Auf dem Bahnhof von Avenza sahen wir große Marmorblöcke liegen, die aus den Brüchen von Carara dorthin geschafft waren, und bei einem riesengroßen Block sah ich einen Herrn stehen, der ihn genau betrachtete. »Das ist ja Professor Schaper aus Berlin,« rief ich, »den muß ich anreden!« – »Irrst du dich auch nicht, Wilhelmine?« fragte mein Karl. – »Nein, ich erkenne ihn wieder, ich sah den Kuß des Genius auf seiner Stirn, als sein herrliches Goethedenkmal im Tiergarten enthüllt wurde.«

Ich aus dem Coupé und ihm meinen Namen genannt. Er sehr leutselig, gar nicht vornehmtuerig wie sonst berühmte Leute, mit einem Worte, durchaus menschlich. »Herr Professor wollen wohl wieder einen Goethe anfertigen oder sonst etwas Großartiges?« fragte ich und deutete auf den Block. – »Nein,« antwortete et eingehend, »der Marmor ist für die Viktoria in der Ruhmeshalle bestimmt.« – »Wie ist es nur möglich,« fragte ich weiter, »daß Herr Professor überhaupt so beseelte Wesen aus dem formlosen Gestein bilden können.« – »O,« erwiderte er lächelnd, »in den Blöcken sind die Figuren drin, man muß sie nur heraushauen.« – »Sehen der Herr Professor denn den Blöcken von außen an, was in ihnen steckt?« fragte ich erstaunt, worauf er sagte, das wäre eben die Kunst. –

Man gab das erste Zeichen zur Abfahrt, und so waren mir leider nur noch wenige Minuten zur Unterredung mit dem Professor vergönnt. Es ist doch zu interessant, einem berühmten Künstler, sozusagen, auf den Pfaden des Schaffens entgegenzutreten. Welch Aufsehen erregenden Artikel könnte eine geübte Feder aus diesem Zusammentreffen für die Gartenlaube zurechtzimmern!

Mein Karl fand es aufdringlich, daß ich den Professor Schaper gestellt hatte. »Warum nicht gar,« entgegnete ich, »Sie haben mir sogar erlaubt, von der Unterredung Gebrauch zu machen.« – »Wieso das?« – »Nun, als ich bemerkte, daß es mir sehr erfreulich sein würde, Sie in meinem Buche mit einigen empfehlenden Worten anzuführen, sagten der Herr Professor wörtlich: ›Dagegen kann ich ja nichts machen‹.« – »Das war eine Ablehnung, Wilhelmine!« – »Karl, nimm es mir nicht Übel, aber in dem Jargon der Gebildeten bist du nicht so zu Hause wie ich. Feiner konnten Sie ihre Zustimmung gar nicht ausdrücken.« – Mein Karl zuckte mit den Achseln, und Onkel Fritz reichte ihm die Kognakflasche, ich aber prägte mir genau jedes Wort ein, das ich vernommen. Das ist man bedeutenden Männern, die man ausfragt, schuldig. –

So kamen wir noch Pisa. Die Stadt ist nur still, aber gefällig. Wir restaurierten uns und machten uns bann nach dem berühmten Dom auf. Ehe wir jedoch dorthin kamen, drängte sich uns ein Haufen von Führern auf. Onkel Fritz sagte, daß wir keinen gebrauchten, da er nach dem Bädeker sich leicht zurechtfinden könnte, weil wir nur nötig hätten, der Nase nachzugehen, und als die Leute gar nicht weichen wollten, redete er sie ganz flott italienisch an, worüber ich sehr erstaunte. »Du sprichst italienisch?« fragte ich. – »Natürlich, wer mit Italienern handeln will, muß doch ihre Sprache verstehen.« – »Und damit kommst du jetzt erst zum Vorschein?« – »Ich wartete, bis mir die Sprache im Ohre lag,« antwortete er, »und nun versuche ich nicht bloß nach meinen Vorstudien, sondern nach dem Gehör zu sprechen, denn das ist die Hauptsache. Würden unsere Sprachenprofessoren nach dem Ohr und nicht ausschließlich nach der Grammatik lernen und lehren, so hätten weder sie, noch ihre Schüler nötig, sich im Sprechen fremder Sprachen von Hausknechten und Kellnern beschämen zu lassen.«

»Du konntest kalt zusehen, wie mein Karl sich mit dem Lernen abquälte, das ist schändlich!« – »Er wird seine Kenntnisse verwerten können, wenn ich nicht bei euch bin und Herr Spannbein notgedrungen der Ottilie die Cour macht. Außerdem hatte er nichts Besseres zu tun.« –

Wir waren mittlerweile auf dem Domplatz angekommen, der an dem Ende der Stadt wie ein großer Präsentierteller liegt, auf dem der Dom, die Taufkapelle, der Campo santo und der schiefe Turm stehen, als wären sie zum Wegnehmen hingestellt, obgleich sie dafür allerdings zu groß sind. Vor dem Portal des Domes trieben sich viele arme Leute herum, die uns in allen möglichen Jammertönen anbettelten. In Genua und Verona war das Betteln nicht so schwunghaft in Betrieb wie hier, und bald hatte mein Karl keine Kupfermünze mehr. Als sie sahen, daß es nichts mehr gab, ließen sie uns in Ruhe. Auch wußte Onkel Fritz sie zu entfernen, indem er mit dem Zeigefinger eine Bewegung machte, die sie verstehen und die so viel heißt als: Hier wird nichts gegeben. Die hatte er von einem Freunde in Berlin gelernt, der sich in Italien auskennt. Ich glaube, es war der Baumeister Ihne.

Die Gebäude sind außerordentlich, aber ihre Schönheit ist mir durch höchst unangenehme Erlebnisse verbittert worden. Weil im Dom gerade Messe gelesen wurde und wir nicht stören wollten, besichtigten wir erst den Campo santo, der einen viereckigen Hof inmitten einer Halle bildet und mit Schiffsladungen voll Erde von Jerusalem angefüllt wurde, weil man früher glaubte, es ruhte sich seliger darin, wogegen die Wissenschaft nachgewiesen hat, daß dies nicht der Fall sei. Die Wände der Halle sind mit Fresken bemalt, die das jüngste Gericht und die Hölle darstellen. Wie die Teufel die armen Seelen in die schweflige Pein schleudern und sie martern, das ist förmlich schrecklich. Nur den frommen Einsiedlern tun sie nichts, zu denen kommen die Engel und führen sie in den Himmel, und das fiel mir schwer aufs Gewissen, weil mein Karl und ich keineswegs Einsiedler sind und mit dem Fasten und Kasteien nie etwas im Sinn gehabt haben. Mir wurde daher sehr beklommen zumute, als ich daran dachte, daß so ein bockbeiniger Teufel mich dereinst in den brennenden Pechkessel werfen und ein anderer gar meine Seele von Mann auf eine Ofengabel spießen könnte. Denn wenn die Gelehrten auch sagen, daß es keine Hölle gibt: man weiß doch nicht, wie es wird, und den Teufel lasse ich mir nicht abstreiten. Ohne Fehl ist ja kein Mensch, und manchmal hätte ich auch liebevoller gegen meinen Karl sein können, weshalb ich mich strafbar sündig zwischen den Gräbern und dunklen Zypressen fühlte und niederträchtig vor dem Tode und den Teufeln graulte. Die hatten sie hier richtig an die Wand gemalt.

»So,« sagte ich, als wir wieder draußen waren, »nun besuche ich keinen Kirchhof mehr, denn ich bin nicht nach Italien gereist, um mich bange machen zu lassen. Das gilt nicht!«

Da im Dom immer noch gesungen wurde, kam nun der schiefe Turm zur Besichtigung heran. Onkel Fritz schlug vor, ihn zu besteigen. »Die Umfallsache?« rief ich entsetzt. »Das Ding kann ja jeden Augenblick stürzen. Karl, du bleibst unten!« Was helfen aber alle Bitten, wenn Männer sich eine Tollheit in den Kopf gesetzt haben, sonst würden sie doch nicht wetten, zwanzig Pfeffermünz zu trinken, oder im Trab nach Charlottenburg zu laufen und zwei Tage darauf eine Leiche zu sein. Geradeso war es hier, denn mein Karl wollte natürlich auf den Turm hinauf. Weil jedoch drei Personen zusammen sein müssen, damit zwei den einen oben halten, wenn ihn Gelüste zum Herunterspringen überkommen, glaubte ich die Besteigung des Turmes durch meine Weigerung inhibieren zu können, aber ich hatte nicht auf das Gesindel gerechnet, denn irgendeiner von den Bettlern wagt sein Leben für ein paar Kupfermünzen und geht mit, wenn der dritte Mann fehlt.

Mein Karl ging wirklich, und ich blieb zurück. »Wenn der Turm nun fällt, wenn Karl oben ist?« schoß es mich durch, »umkippen muß er, dazu hängt er zu sehr über, denn wie mancher Neubau klappert zusammen, wenn er eben fertig geworden ist, während dieser Turm wer weiß wie lange steht und sich schon allein von Alters wegen nicht mehr halten kann! Was fange ich mit den unglücklichen Kindern an, wenn er ihren Vater und Ernährer unter seinen Trümmern begräbt und ich allein in der Welt bleibe, als herumgestoßene Witwe?« Je länger ich den Turm ansah, um so schiefer kam er mir vor und um so größer wurde meine Angst. Ich schloß die Augen, um nicht schwindlig zu werden, und flehte in meiner Herzensbangigkeit: »Herr Gott im hohen Himmel, nur so lange lasse den Turm noch stehen, bis mein Engels-Karl wieder drunten ist; ich will ja auch gerne der Bergfeldten alle Kränkungen verzeihen, obgleich sie immer anfängt, und ihr nie wieder Böses wünschen. Nachher geschehe, was sich nicht ändern läßt. – Bewahre uns vor jähem Tod, Gewitter, Feuer, Wassersnot, vor Hunger, Pestilenz und Krieg, und nimm der Hölle ihren Sieg. Amen!«

Da rührte mich plötzlich jemand an, und ich sah mich um. Keinem Menschen will ich den Schreck gönnen, den ich nun kriegte, als ich ein entsetzliches Gespenst vor mir erblickte. Nach unten war es anzusehen wie ein Mönch, aber nach oben glich es nichts Menschlichem, ebensowenig wie eine große spitze Nachtmütze menschlich ausschaut, in die zwei runde Löcher für die Augen hineingeschnitten wurden und die sich irgendwer über den Kopf zieht. Mit einem lauten Angstschrei floh ich davon, denn ich glaubte nicht anders, als der leibhaftige Satan wollte mich nun holen und mit den andern armen Seelen auf dem Campo santo in Pech und Schwefel einkochen. Wo sollte ich mich jedoch auf dem freien Domplatz verbergen? Nirgends ein Busch oder Baum. Mir blieb nichts übrig, als der schiefe Turm. Ich voran, das Gespenst hinter mir her, immer um den runden Turm herum. Fällt er, so fällt er, dann bekommt das Gespenst auch sein Teil ab.

Wie lange die Hetzjagd dauerte, weiß ich nicht mehr, aber soviel erinnere ich mich noch, daß die Füße ihren Dienst versagten und mir selbst zum Hilferufen die Puste ausging, da ich etwas untersetzlich veranlagt und auf Wettlaufen durchaus nicht eingerichtet bin. Es war mir auch ganz gleich, ob das Gespenst mich griffe, oder ob ich naturgemäß erstickte, denn weiter konnte ich nicht mehr.

Das Gespenst kam langsam näher, als es bemerkte, daß ich luftschnappend stehen blieb, zumal es in seinem langen Kittel nicht recht vorwärtskommen konnte. »Bleiben Sie mir vom Leibe,« schrie ich, »oder ich kratze!« Es rückte aber trotzdem heran, und als es in meiner unmittelbaren Nähe angelangt war, hielt es mir eine Art von Sammelbüchse hin. – »Nanu!« rief ich, »seit wann wird denn Geld für die Hölle gesammelt, das geschieht sonst doch nur für den Himmel?« Aber das Gespenst verstand mich nicht. Hieraus ersah ich denn, daß es kein Geist war, und gab ihm ein Fünfzigpfennigstück, das sich noch von Berlin her in meinem Portemonnaie aufhielt. Da machte der Gespensterfritze eine dankende Bewegung und ging ohne ein Wort zu sagen in den Dom ab. – So etwas Unheimliches hatte ich noch nie erlebt. Man liest wohl mal in Romanen von Vermummten, ohne sich die geringste Sorge darüber zu machen, und sieht welche auf dem Theater, wo sie in Trauerspielen ja recht erheiternd wirken, sobald sie in einen alten Domino eingewickelt herauskommen und tun, als sollten sie kleine Kinder zu Bett jagen, aber wenn einem am hellen lichten Tage so eine lebendige Mumie antippt, hinter einem herrennt und obendrein noch Geld absammelt, davon kann man ja den Tod in beide Beine kriegen.

Als mein Karl sich wieder auf geradem Erdboden befand, umarmte ich ihn mit einer Heftigkeit, die ihn ebenso bestürzt machte, wie der Tränenerguß, dem ich nun nicht mehr zu wehren vermochte, und da er aus meinen abgebrochenen Schilderungen des Vorgegangenen wohl nicht nach Wunsch klug ward, fand er für mein Benehmen keine zufriedenstellende Erklärung. Mich tröstete jedoch der Umstand, daß ich ihn unzerschmettert in meinen Armen hielt, und so hatte ich mich denn auch bald ausgeweint. Als ich mich nun noch weigerte, in den Dom einzutreten, weil ich sagte, daß er voll Gespenster sei, die Leute am hellen Tage angraulten, machte mein Karl ein Gesicht, als wenn er die Verhältnisse hinter meiner Hirnschale für sehr ungeordnet hielt, aber als ich ihn aufforderte, sich selbst zu überzeugen, ging er kopfschüttelnd mit Onkel Fritz in den Dom hinein.

Als sie zurückkehrten, konnte Onkel Fritz mir auseinandersetzen, was es mit dem Gespenst auf sich hatte. »Es war ein Mitglied der Brüderschaft Misericordia!« sagte er, »der sowohl Reiche wie Arme angehören, die ohne Ansehen der Person verpflichtet sind, Elenden zu helfen, Kranke zu unterstützen und Tote zu begraben. Da kommt es vor, daß ein Herzog den Sarg eines Bettelweibes tragen hilft, der junge Elegant dem sterbenden Greise Erquickung reicht, der reiche Kaufmann mit der Fackel vor der Bahre voranleuchtet, auf der ein armes Wesen zum Friedhof gebracht wird, das im Kampfe mit der Entbehrung unterlag. Damit diese Werke der Barmherzigkeit nicht von falscher Scham behindert werden und niemand mit seinen guten Taten prahlen kann, hüllen die Brüder der Misericordia sich in lange Mönchsgewänder und bedecken das Haupt mit der Kapuze.«

»Wenn es ein Graf oder ein Herzog war, der mich vorhin angeisterte, so will ich ihm diesmal verzeihen,« entgegnete ich, »aber so viel sage ich, für Berlin würde die Misericordia nichts sein, dort kämen die Straßenjungen hinter den Kapuzenmännern her.« – »Sie hätten auch mit dem Sammeln kein Glück,« fügte mein Karl hinzu, »denn große Summen geben viele Leute nur, wenn ihnen dafür öffentlich in den Zeitungen quittiert wird. Es könnte ja auch kein Mensch einen Orden für seine Wohltätigkeit bekommen, wenn er sie in vermummtem Zustande betreiben müßte.« – »Ich möchte wissen,« schaltete Onkel Fritz ein, »wieviel Damen sich wohl auf die Mildtätigkeit verlegen würden, wenn sie ein so unkleidsames Kostüm dazu anziehen müßten? Und wie mancher glaubt, durch Wohltun seinen Ruf desinfizieren zu können, wenn er hin und wieder ein paar hundert Mark für milde Stiftungen mit hörbarem Geräusch auf den Tisch des deutschen Reiches wirft.« – »Viele meinen, laute Wohltätigkeit sei eine Hypothek auf den Himmel, die aber schon auf Erden Zinsen tragen muß,« sagte mein Karl, und unter solchen anmutigen, gegenseitig belehrenden Gesprächen wanderten wir durch die stillen Straßen Pisas, während Onkel Fritz ab und zu den Bädeker befragte und uns auf die Sehenswürdigkeiten aufmerksam machte.

Den Bronzekronleuchter im Dom, an dem Galilei die Pendeluhren erfunden hat, sah ich leider nicht, weil ich mich vor dem Gespenst fürchtete.

Onkel Fritz beschrieb mir ihn und sagte, der große Leuchter schaukelte ganz langsam Wigel-Wagel-Wigel-Wagel hin und her, wogegen die kleinen Lampen, die an jenem hängen, ganz munter Dickel-Dackel-Dickel-Dackel machten. Als Galilei dies während einer Predigt wahrgenommen habe, die viel zu lange dauerte, sei ihm klar geworden, daß man Uhren erfinden müsse, und zwar große Wigel-Wagel-Uhren für die Kirchen, damit die Reden das rechte Maß bekämen, und kleine Dickel-Dackel-Uhren für den Hausgebrauch, damit die Klöße nicht zu lange kochten.

Galilei war eben sehr für den Fortschritt und das Volkswohl, weswegen die Reaktion ihn verfolgte und zwang, die Umdrehung der Erde abzuschwören. Als er den Eid gesprochen hatte, sagte er: Meine Herren, es nützt Ihnen nichts ... sie dreht sich doch! – Darauf die Wut von den Pfaffen. Na, ich danke. Jetzt weiß ja jedes Kind, daß alles in der Welt Umdrehung und ewiges Naturgesetz ist, und auch der Ärmere hat eine Uhr, die er zur Notzeit versetzen kann. Dies alles verdanken wir Galilei, dem Pisaner.

Man muß jedoch die Größe eines solchen Mannes ganz und voll begreifen, um die Stätte zu würdigen, an der er lebte und waltete; ich will keine Persönlichkeiten nennen, aber ich bin fest überzeugt, daß es Leute gibt, welche von Galilei keine blasse Ahnung haben, und würde deshalb in der Gegenwart der Bergfeldten nicht einen Ton davon reden.

Auch den Palast betrachteten wir, in dem Lord Byron gewohnt hat, dessen »Manfred« wir einmal im Opernhause sahen. Ich weiß nicht mehr, ob Manfred etwas vergessen hat oder vergessen will, genug, das Stück ist eine Gedächtnissache und zum Schluß kommen Vermummte und fahren mit ihm ab. Woher Lord Byron die Vermummten hat, das ist mir klar, seitdem ich weiß, daß sie in Pisa wild umherlaufen.

Von dem Hungerturm ist nur noch der historische Boden übrig. Mit seinen fünf Kindern wurde der Graf Ugolino von dem Erzbischof Ruggieri in den Turm gesperrt, ohne einen Bissen Brot, ohne einen Trunk Wasser, als Lektüre nur eine alte Speisekarte. Anfangs glaubte der Graf, sein erzbischöflicher Feind scherze bloß, aber als immer noch kein Kellner kam und die Kinder sich vor Hunger gegenseitig angingen, da sah er, daß es Ernst war. Dem Erzbischof hat nachher der Teufel das Genick abgedreht. Onkel Fritz erzählte, daß man ein schönes Trauerspiel »Ugolino« hat, wo durch fünf Akte alle Qualen des Hungertodes geschildert werden, aber das Stück wird niemals zu Ende gespielt, denn wenn auch der jüngste Sohn zu sterben anfängt und jammert, daß ihm der Magen schon ganz hinten im Rücken säße, dann werden die Zuschauer auf der Galerie vom Mitgefühl derart bewegt, daß sie dem armen Bengel Wurst und Stullen zuwerfen, um ihn zu retten, worauf das Stück aus ist. Überhaupt sehen die Menschen lieber Lustspiele als Trauerspiele, weil die meisten zum Lieben, die wenigsten zum Totschlagen geboren sind.

Ich kann nicht sagen, daß Ugolino mich fidel stimmte, und war daher für einen Abstecher nach Livorno, den wir obendrein mit dem Rundreisebillet bezahlt hatten. Onkel Fritz sagte, sein Freund, der Hamburger Doktor, hätte ihn in Berlin vor Livorno gewarnt. – »Ich vermöchte kein Auge in dieser Gespensterstadt zu schließen,« entgegnete ich, »wir könnten am anderen Morgen ebensogut von Livorno wie von Pisa nach Rom fahren.« Das Ende vom Liebe war, daß ich und mein Karl gingen und Onkel Fritz mit den Koffern in Pisa blieb.

Diese Tour war, wie ich zur Warnung anderer gern gestehen will, ein Reinfall. Die Gegend ist nicht der Rede wert, und Sehenswürdigkeiten sollen auch bei Tage nicht in Livorno sein. Wir kamen im Dunklen am Abend an und reisten im Dunklen am Morgen wieder von bannen und hatten von Livorno nichts als Öl- und Fischgeruch, Ärger und Verdruß.

Als wir ankamen, nahmen wir eine Droschke nach dem Hotel und machten mit dem Kutscher oder, wie er dort genannt wird, mit dem Vetturino, obgleich der Name im Beschummeln ganz egal ist, genau ab, daß er zwei Lire für die Tour bekommen solle. Überall in ganz Italien fährt der Vetturino für den vorher bedungenen Fuhrlohn und ist artig und höflich und dankbar obendrein, wenn man ihm extra ein Trinkgeld leistet. Nur in Livorno erfuhren wir, daß es anders sein kann, denn als wir im Hotel ankamen, verlangte dieser Vetter vier Lire für die Fahrt. Wir beriefen uns auf die Abmachung, die der Kutscher auch nicht leugnete, aber da er sagte, er hätte zwei Lire für die Person gemeint und da der Oberkellner und der Portier ihm beistanden, mußten wir zahlen. Es ist nicht der zwei Franken wegen, weshalb ich diesen Fall mitteile, sondern wegen des Ärgers, den man über offenbaren Betrug und freche Lüge empfindet. Das Hotel, dessen Bedienstete mit dem Vetturino im Komplott gegen die Gäste waren, heißt » Grande Bretagne«. Sollte jemand das Unglück nach Livorno führen, so sei er vor dieser Fremdenbude gewarnt.

Ich hatte eine miserable Nacht, da mir das Gespenst noch in den Gliedern lag und der Ärger die Galle in das Blut getrieben hatte. Und wie bildschön hatte mein Karl mit dem Vetturino italienisch geredet, und wie hatte ich ihn nachher angelappt; aber was nützten die Malicen, da der Mensch kein Deutsch und gar nichts verstand? – Mein Karl sagte, ich hätte im Traum zuweilen laut aufgeschrien und ihn dadurch aus dem Schlafe gescheucht, aber konnte ich süß wie ein Kind in der Wiege schlummern, da mir träumte, das Gespenst fahre mich in einer Droschke an die Höllenpforte, wo der Oberkellner und der Portier mich anpackten und in den brennenden Pfuhl werfen wollten? Es war gräßlich.

Um halb Vier mußten wir heraus, den Kaffee in Elle schlürfen, auf den Bahnhof fahren, dort in dem stinkigen Wartesaal herumstehen, da es in den meisten italienischen Wartesälen an genügender Sitzgelegenheit fehlt, und schließlich mit einem Bummelzug, den jede Pferdebahn zum Erröten zwingt, nach Pisa zoddeln. Hier mußten wir in den Zug steigen, der von Genua gekommen und voll von Engländern war, die stets mit diesem Zuge nach Rom fahren.

Onkel Fritz erwartete uns. »Nur rasch,« rief er, »sonst werden wir getrennt; die Koffer sind schon spediert. Dalli! Dalli!« – Ich erblickte ein leeres Coupé und hinein wie der Blitz, mein Karl und Onkel Fritz hinterdrein. Kaum saßen wir, so stürzten noch einige Leute in dasselbe Coupé. Es waren Engländer. Nun war meine Freude groß. »Wäret ihr rechtzeitig auf dem Bahnhof gewesen, hätten wir für ein Trinkgeld ein hübsches Coupé bekommen,« sagte Onkel Fritz. »Hoffentlich hat Livorno euch so gut gefallen, daß ihr eine englische Zugabe willig mit in den Kauf nehmt.« – »Fritz, spotte nicht, du hattest recht, Livorno ist mies. Ich will wünschen, daß du es besser hattest.« – »Ich habe mich vorzüglich amüsiert,« antwortete er, »denn in einem der glänzenden Cafés am Lung-Arno lernte ich sehr liebenswürdige Pisaner kennen, die, wie stets die Italiener, sich gegen den Fremden charmant benahmen, der seiner Freude über Land und Leute Ausdruck gab.« – »Fritz, waren auch Damen dabei?« – »Auch Damen.« – »Hübsche?« – »Sehr hübsche.« – »Worüber sprachst du mit den Damen?« – »Über das Glück, unverheiratet zu sein.« – »Dies finde ich anmaßend.« – »Ich bitte dich, verschone mich mit deiner Weisheit, mitunter wirkt sie erdrückend.«

Mein Karl schlief, und ich war auch müde wie ein Murmeltier, das, statt zu schlafen, den Winter über sein Geld mit Reifenspringen verdienen mußte, aber konnte ich mich wegen der Engländer ausstrecken? O nein, das eine Skelett machte sogar Anstalt, sich so lang wie möglich hinzulegen. Was er in Gegenwart einer Engländerin nicht gewagt hätte, das versuchte er nun in Gegenwart einer deutschen Gattin, aber ich sah ihn mit Geisterblicken an und sagte: »Gleich setzen Sie sich manierlich hin oder Sie erleben etwas.« Da zog er seine Knochen an sich und buddelte sich in die ihm zukömmliche Ecke, wie wir anderen Menschen auch. Der Engländer von Erziehung unterscheidet sich von seinen, nur vom Schneider und Friseur kultivierten Landsleuten ebenso wie der Gebildete anderer Nationen von den erziehlich Vernachlässigten seines Volkes. Er ist bei näherer Bekanntschaft liebenswürdig und verliert von seiner Zugeknöpftheit im Umgange. Der gewöhnliche Reise-Engländer dagegen (Töchter und Nichten leider nicht ausgeschlossen) macht sich durch sein Auftreten en gros und en detail so unleidlich, daß selbst der Menschenfreund den Mut verliert, zu untersuchen, ob hinter so viel Arroganz, Flegelei und Lächerlichkeit überhaupt Eigenschaften verborgen lägen, die einer vorübergehenden Annäherung wert sein könnten. Anm. d. Herausgebers. – Hierauf nahmen wir unter uns einen kleinen Triumphschluck.

Onkel Fritz hatte sich im Bädeker belernt, daß die Gegend, durch welche wir an diesem Morgen fahren würden, nicht berühmt sei und ich deshalb mit dem Augenwärmen keinen landschaftlichen Fensterausblick von Wichtigkeit versäumte. Dagegen ist diese Strecke wegen des Sommerfiebers übel berüchtigt. Im Winter und Frühjahre befinden sich die Bewohner der Ortschaften ebenso gesund und munter wie die in den Sumpfgegenden weidenden Viehherden, sobald jedoch die Tage heißer werden, entwickelt sich die Malaria in den Niederungen, und die Menschen können sich nur dadurch vor dem Fieber retten, daß sie ins Gebirge flüchten und die Dörfer und Gehöfte so lange verlassen, bis die Luft im Herbste wieder rein geworden ist. Obgleich man uns sagte, daß jetzt noch keine Malaria vorhanden sei, nahmen wir doch öfter als sonst ein Schlückchen, weil die Fieberpilze von dem gestärkten Organismus leichter abprallen als von dem schwachen. Man gießt ja auch guten Rum oder Kognak auf eingemachte Früchte, um sie zu konservieren und vor Schimmel zu bewahren, auf dem die neuesten Krankheiten beruhen, welche, wie ich gelesen habe, nichts anderes sind als innere Verschimmelung. Deshalb gibt es heutigentages so viele junge Leute ohne Murr und Purr: ... sie sind vor der Zeit verstockt und verspackt.

Ich hatte Onkel Fritz den Auftrag gegeben, mich bei Civita vecchia zu ermuntern, da mir diese Stadt von den Kinderjahren her unvergeßlich geblieben ist. Ich bekam ihrethalber nämlich in der Geographiestunde einen Katzenkopf vom Lehrer, weil ich nicht wußte, wieviel Einwohner sie hat. Damals war ich sehr unglücklich, denn mir dummem Dinge war es ganz gleichgültig, wieviel tausend Menschen in dieser oder jener Stadt lebten, nach der ich doch nie hinkommen würde, aber später sah ich wohl ein, daß die Einwohnerzahl der Städte die Seele der Geographie ist. Unmöglich kann jemand in seiner Jugend Anspruch auf Gelernthaben machen, wenn er nicht auf den Tippel weiß, wieviel Einwohner z. B. Aberdeen hat, Philippopel oder Pampelona. Später vergißt man die Zahlen allerdings so ziemlich wieder, zumal die Bevölkerung auch ab- und zunimmt, aber man hat sie doch einmal ganz genau gewußt. Und Wissen ist Macht!

Nun betrachtete ich mir wohlwollend die Stadt am Meere mit den Festungstürmen am Hafen und den blühenden Wiesen, die sich bis an die Mauern erstrecken, und sagte zu ihr: »Siehste, Civita-vecchiachen, wegen deiner hat es einmal eine gesetzt, aber darum keine Feindschaft nicht. Damals hattest du zehntausendsiebenhundertvierunddreißig Einwohner; so etwas behält sich.« Sonderbar ist, daß sie den Namen der Stadt in Italien falsch aussprechen. Die Italiener sagen nämlich: Tschiwita weckja, während sie doch richtig Zivita wekkia heißt, wie wir früher in bei Schule lernten. Die Sachsen sagen ja auch Berne und Dräsen, wo der Gebildete Pirna und Dresden spricht. Das sind eben Nationalsprachfehler. –

In zwei Stunden sollten wir mit dem Schnellzuge in Rom anlangen. Mit meiner Drusselei war es deshalb vorbei, denn ich freute mich auf ben Anblick der ewigen Stadt, wie die Dichter sie nennen, wie ein Kind auf Weihnachten. Rom! Was hat sich nicht alles in Rom getan? Wo nur immer Weltgeschichte gemacht wurde, war Rom dabei. Rom ist der echte, rechte historische Boden. Und den sollte ich betreten, ich die Buchholzen, geborene Fabian aus der Landsberger Straße. Es war kaum glaubhaft ideal!

Alle Augenblicke sah ich hinaus, ob Rom sich noch nicht zeigte, aber statt dessen gewahrte ich nur eine Gegend, die sozusagen einen kränklichen Eindruck auf mich machte. Es fehlen dem Lande Italien, durch das wir kamen, die Wälder unseres Deutschland, die Kraft und der Saft unserer Buchen und Eichen. In ganz alten Zeiten soll Italien auch schön an Wald und Forst gewesen sein, als man noch glaubte, daß Götter in den Wäldern verborgen lebten, und jeder Baum eben so heilig gehalten wurde wie ein Schilderhaus in der Wilhelmstraße, obgleich kein Soldat darin wohnte, sondern bloß eine Nymphe, die mit ihrem Baume zugleich sterben mußte. Später, nachdem sie einsahen, daß es sowohl mit den Göttern, wie mit den Nymphen nur schwach bestellt sei, schlugen die Italiener die Bäume ohne Gewissensbisse nieder, ohne für neue Anpflanzungen zu sorgen, und da verzog sich allmählich der Segen, den Hain und Wald bisher spendeten. Da kam das Wasser und schwemmte die Äcker fort, da kam die Sonne und verdorrte das Kraut, da kam das Fieber und breitete sich über den Erdboden aus.

Die fröhlichen Ortschaften verschwanden, die Landhäuser der reichen Römer zerfielen in Trümmer, und die Tempel der Götter stürzten ein. Das war die Strafe der Unfrömmigkeit und der Happigkeit. Man muß mit dem Holz hübsch sparen, es ist zu kostspielig.

Weil sie dort nun keine ordentlichen Wälder haben, in denen das gute Kluftholz wächst, suchen die Italiener auf alle mögliche Weise ihr bißchen Brennholz und Reisig für Zäune, oder für die Erbsen, oder zum Zudecken der Zitronen gegen die Nachtfröste zu erlangen. Da ist ihnen kein Baum zu hoch, sie klettern hinauf und schneiden die Zweige ab, bis nur der Wipfel wie ein Wedel oben dran sitzen bleibt, weshalb man wenig unverschimpfierte Bäume sieht. Den Zypressen tut man nichts, da sie nur dünnes Gezweige haben und meistens auf Kirchhöfen stehen und respektiert werden, an den Obstbäumen läßt man nur die tragenden Äste stehen, damit sie alle Kraft auf die Frucht verwenden können, und ebenso machen sie es mit den Maulbeer- und Olivenbäumen. Die anderen Bäume haben es dagegen schlecht, und die berühmten italienischen Pinien würden ganz anders aussehen, wenn man sie nicht so vermesserte. Allmählich hat man sich aber daran gewöhnt, diese Krüppel für schön zu halten. Ich habe in Neapel Pinien gesehen, die nicht verstümmelt werden durften, die sich von den üblichen Pinien unterschieden wie der ungeschorene Seidenspitz vom geschorenen. – Arm Italiener hat kein Holz, weil seine Vorfahren es ihm vor seiner Geburt weggeschlagen haben, und da nimmt er es nun, wo er es kriegen kann.

Selbst die Myrtengebüsche säbelt er ab und heizt den Backofen damit. So hat jedes Land seine Sitten; wir binden Brautkränze aus Myrten. Dafür gibt es bei uns um so reichlicher Torf.

Dann eröffnete sich die Aussicht auf eine weite Gegend, die in der Feme vom Gebirge begrenzt wird. Dies ist das Albaner- und Sabinergebirge, und das weite ausgebreitete, etwas hügelige Land ist die Campagna. Hätten wir die bei Berlin! Zu Manövern gibt es nichts Ebenmäßigeres. Und nun tauchten Kuppeln und Türme auf. Das muß Rom sein! In demselben Moment stellten sich die beiden Engländer so vor das Coupéfenster, daß die Aussicht total verdeckt wurde. Gerade jetzt, wo ich die ewige Roma begrüßen wollte, schoben sich zwei englische Rückansichten zwischen mich und die heilige Stadt! Aber die karierten Jünglinge kannten weder die Buchholzen noch die Geschicklichkeit ihrer Ellbogen. »Nur nicht drängeln!« rief ich, »andere Leute haben auch bezahlt!« und indem ich die beiden aus ihre Sitze drückte, richtete ich es so ein, daß wir alle aus dem einen Fenster sehen konnten, ohne daß einer dem anderen im Wege stand.

Da liegt Rom mit seinen Kirchen, Palästen, Villen und Gärten, Hütten und Trümmern! Unter den alten Wasserleitungen fahren wir hindurch, über den Tiberfluß, vorbei an Klöstern, vorbei an Weinbergen. Immer mehr Kuppeln werden sichtbar, als wenn der Gendarmenmarkt und das Schloß mit dem großen Einmaleins multipliziert worden wären. Eine Pyramide zeigt sich; ganz im Hintergrund ragt eine mächtige Kuppel über alle Gebäude und Türme hinweg ... das ist Sankt Peter. Die Lokomotive pfeift, der Zug stopft und hält in der Halle. Wir sind wirklich in Rom!


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