Adalbert Stifter
Das alte Siegel
Adalbert Stifter

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Der Diener brachte den Brief nach Schloß Pre, kam zurück, packte ein, da Hugo die angesuchte Erlaubniß erhalten hatte, und in einer Stunde darauf reiseten sie ab.

Zwei Tage nachher folgte ihnen ihre Heeresabtheilung, und da diese fort war, wurde es wieder so einsam und öde um Schloß Pre, wie es zuvor gewesen war.

Aber auch einsam und öde war es in dem alten Hause, das auf der Gebirgshalde stand.

Hugo war aus dem Kriegsdienste getreten, da in der ganzen Welt der ersehnte Friede heran gekommen war, er hatte sich auf sein Besitzthum begeben, und verwaltete es nun. Er blieb, wie ein Jahr nach dem andern verging, auf demselben allein, und vermählte sich nicht. Er versammelte seine Knechte und Leute um sich, gab ihnen Befehle, verbesserte sein Anwesen, und that den Leuten, die in der Gegend wohnten, Gutes. – Später rang er mit Gewissensbissen, und da er alt geworden, da sich die Härte des Krieges verloren hatte, und da er weichherzig geworden war, hat er oft bitterlich geweint, und gesagt: »Wie sie ist doch keine – wie sie ist doch keine.«

Einmal, da seine Haare schon so weiß waren, wie einstens die seines Vaters, ging er durch die Gerölle gegen den Morigletscher hinan, den er sonst in der Jugend gerne besucht hatte und warf das alte Siegel in eine unzugängliche Schlucht. Als er todt war, kam das Erbe kraft seines Testamentes in den Besitz fremder Menschen, die außer Deutschland wohnten. Es erschien, um den Besitz der Liegenschaften auf sich schreiben zu lassen, eine äußerst schöne, junge, blonde Frau auf der Gebirgshalde. Man hatte ihr Hugos Grab zeigen müssen, und sie war lange mit vielen Thränen vor demselben gestanden. Später kam sie noch zweimal in zwei verschiedenen Sommern mit ihrem Gemahle und zwei Kindern, und wohnte einige Wochen auf der Halde. Nachher aber erschien sie nie mehr, das Haus kam unter die Hände von Miethlingen und begann zu verfallen.

Das Frühglöcklein tönt noch, wie sonst, der Bach rauscht, wie sonst – aber auf dem alten Hause ist es heut zu Tage ein trauriger betrübter Anblick unter den Trümmern der verkommenden Reste.

Nur die Berge stehen noch in alter Pracht und Herrlichkeit – ihre Häupter werden glänzen, wenn wir und andere Geschlechter dahin sind, so wie sie geglänzt haben, als der Römer durch ihre Thale ging und dann der Allemanne, dann der Hunne, und dann andere und wieder andere. – – Wie viele werden noch nach uns kommen, denen sie Freude und sanfte Trauer in das betrachtende Herz senken, bis auch sie dahin sind, und vielleicht auch die schöne freundliche Erde, die uns doch jetzt so fest gegründet, und für Ewigkeiten gebaut scheint.


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