Adalbert Stifter
Das alte Siegel
Adalbert Stifter

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»Lebt wohl,« sagte Hugo.

Der Alte verbeugte sich, wendete sich um, und ging durch das sehr nahe gelegene große Thor der Kirche hinaus. Hugo sah ihm nach und blieb dann noch eine Weile in dem Raume zurück. Die Sonnenstrahlen, die früher durch die Fenster der Kirche herein gekommen waren, waren verschwunden, nur an den Fensterstäben draußen spann es sich, wie weißglitzerndes Silber senkrecht nieder, wodurch die schwarzen Bilder und die trübe Vergoldung der Kirche noch ernster und düsterer wurden. Einzelne Menschen saßen oder knieten, wie gewöhnlich als Beter herum. Hugo wendete sich nun auch, und schritt zum Thor hinaus. Draußen ward er von der warmen Mittagsluft des Frühlings, der eben auf allen Ländern jenes Erdtheils lag, von blendender Helle und von dem Lärmen des Tages empfangen.

Seit diesem Kirchenbesuche war eine geraume Zeit vergangen, als Hugo wieder einmal zufällig in die Nähe des Gotteshauses von Sanct Peter gerieth. Es war gegen zehn Uhr, welches gerade die Zeit war, die, wie wir oben sagten, Hugo gewöhnlich zu seinem Vormittagsspaziergange verwendete. Es fiel ihm ein, daß er jetzt sein Versprechen lösen könnte. Er dachte, der Mann, der ihn so sonderbar bestellt habe, sei wahrscheinlich irrsinnig, aber, dachte er hinzu, das könne doch keinen Grund abgeben, daß man ihm sein Wort nicht halten dürfe. Wenn die Freude, Hugo in der Kirche zu sehen, eine eingebildete ist, so sind es zuletzt alle unsere Freuden auch – und wer weiß, welch' glühende, welch' schmerzliche oder süße Bilder seiner Vergangenheit gerade die blonden Haare aus seinem Innern hervor heben mögen, weil er sie so eigenthümlich in seinem Briefe bezeichnet hat.

Unter diesen Gedanken trat Hugo in die Kirche hinein. Der ruhige Orgelton und der fromme Kirchengesang wallten ihm auch heute wieder gedämpft entgegen. Da er drinnen war, war es eben auch gerade so, wie das erste Mal. Der Priester las am Hochaltare die Messe, die andächtige Menge aus allen Ständen und Altern saß zerstreut in den Stühlen herum, und sang dieselbe schöne Kirchenweise. Der Diener kam mit dem Klingelbeutel, das Dreimal heilig tönte endlich, der Weihrauch stieg, der Gottesdienst wurde aus, und wieder, wie damals, zerstreute sich die Menge. Aber der alte Mann, den Hugo damals gesehen, und mit dem er gesprochen hatte, war heute nicht zugegen gewesen. Hugo wartete, bis die Kirchenuhr von draußen herein eilf Uhr schlug, und als er eine geraume Weile darnach den alten Mann auch noch nirgends sah, ging er wieder aus der Kirche fort, und hatte das Gefühl mit sich genommen, als hätte er eine gute That gethan. Und es war auch eine, wenn sie gleich die beabsichtigte Frucht nicht getragen hatte.

Hugo war später noch einige Male um zehn Uhr in der Kirche von Sanct Peter gewesen. Zum zweiten Male hatte er den Greis wieder gesehen. Er war auf ihn zugegangen, und hatte mit sehr viel Freude in seinen Zügen gesagt: »Ich danke euch, ich danke euch recht schön.«

Nach diesen Worten war er wieder hinweg gegangen, und hatte wahrscheinlich die Kirche verlassen.

War Hugo das erste Mal nicht gerade aus Beruf in die Kirche gegangen, um einem Gottesdienste beizuwohnen, so wirkte doch nachher die Ruhe der kirchlichen Feier auf sein Herz, und die Freundlichkeit dieses Tempels gefiel ihm so, daß er später noch mehrere Male freiwillig hin ging, und andächtig da stand, ja andächtiger, als viele andere, die zur Feier des Gottesdienstes gekommen waren. Den Greis aber hatte er nicht mehr gesehen.

Da er nach langer Zeit wieder ein paar Male hinter einander in der Kirche gewesen war, und den alten Mann nicht gesehen hatte, würde sich wahrscheinlich die Gewohnheit, gerade zu dieser Zeit in diese Kirche zu gehen, wieder verloren haben, wenn sich nicht etwas zugetragen hätte, das der Sache eine andere Gestalt gab.

Es geschah eines Tages, daß man an dem Kirchenpflaster des Hauptschiffes etwas ausbesserte, und deßhalb einen Querbalken über den Hauptgang zwischen den Stühlen gezogen hatte. Hiedurch wurde eine alte schwarz gekleidete Frau, die Hugo schon öfter bemerkt hatte, daß sie immer vorne am Platze gegen den Hochaltar kniete, verschleiert war und fast beständig die letzte, von einem graugekleideten Mädchen begleitet, die Kirche verließ, genöthigt, in dem Seitengange der Kirche fast an der Wand derselben zum Thore zurück zu gehen. Hiebei kam sie an Hugo vorüber. Sie hatte heute den Schleier nicht über das Gesicht herab gelassen, und da sie näher kam, bemerkte er, daß aus den alten und altmodisch geschnittenen schwarzen Kleidern, die sich überall ungeschickt bauschten, ein ganz junges Angesicht mit schönen großen Augen blicke. Er war betroffen und sah sie an. Sie sah ihn auch einen Augenblick an, dann zog sie den Schleier herab, und ging hinaus. Das grau gekleidete Mädchen ging hinter ihr her. Dasselbe hatte die gewöhnlichen Züge einer Magd.

Hugo blieb noch eine Weile in der Kirche stehen. Wie gewöhnlich zu dieser Zeit verlor sich oben an den Fenstern das Sonnenlicht, und die Kirche wurde viel dunkler, als sie während des ganzen Gottesdienstes gewesen war. Das Gerüste der rohen Balken, die quer zwischen den Stühlen gespannt waren, machte das Ganze noch unwirthlicher. Nach einer Zeit schleppte sich neben Hugo ein Bettler herein, und ließ sich von seinen Krüken in einen Stuhl sinken, um zu beten. Hugo reichte dem verkrüppelten Manne eine Gabe und schritt dann durch das große Thor zur Kirche hinaus.

Dies war die Ursache, daß Hugo am andern Tage wieder zur Kirche von Sanct Peter ging. Es schien ihm aber, daß der Zweck, dessentwillen er gekommen war, nicht mehr so gut sei, wie bisher; darum ging er nicht in die Kirche hinein, sondern blieb vor dem Thore stehen, und wartete, bis die schwarz verschleierte Gestalt heraus käme. Er meinte, daß er den Ort entheiligen würde, wenn er drinnen wartete; darum blieb er heraußen. Die kirchliche Feier wurde aus, die Menschen gingen Anfangs dicht, dann immer seltener heraus, und zuletzt, wie immer, kam die schwarze Gestalt in Kleidern, welche die einer uralten Frau waren. Das Haupt hüllte der Schleier ein. Das grau gekleidete Mädchen folgte, aber es trug nur ein Gebetbuch, nemlich das ihrige; die Gebieterin trug ihr eigenes selber.

Von nun an ging er jeden Tag, statt um zehn Uhr, wie er es ein paar Jahre her gehalten hatte, einen Morgenspaziergang zu thun, um diese Zeit zur Kirche von Sanct Peter, und wartete, bis die schwarz gekleidete Gestalt heraus kam. Sie kam auch jedesmal, war jedesmal genau die letzte, und wurde jedesmal von dem grau gekleideten Mädchen begleitet. Ihr Anzug war immer dasselbe altmodische Kleid, und das Haupt war mit dem Schleier verhüllt. Hugo sah sie alle Male an.

So verging eine geraume Zeit, und der Frühling neigte schon gegen den Sommer.


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