Adalbert Stifter
Das alte Siegel
Adalbert Stifter

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Es war endlich der Krieg ausgebrochen, und wie sich bald zeigte, er war einer des Volkes, nicht blos der Mächte, und so wie Hugo, hatten viele gefühlt und traten freiwillig gegen den Feind auf. Er ließ eines Morgens durch seinen Diener, der ein Soldat in mittleren Jahren war, alle nicht unmittelbar nothwendigen Sachen in einen Koffer packen, und übergab den Koffer einem Freunde zur Aufbewahrung. Das Andere, insbesonders Bücher und Karten wurden in einen Mantelsack geschnallt, die Pferde wurden gesattelt und gezäumt, die kleineren Waffen, Pistolen und dergleichen, was leicht unterzubringen war, mit genommen, und so ritten die zwei Männer aus der Stadt hinaus, in welcher Hugo jetzt so lange gewesen war, um den nächsten Platz zu gewinnen, an dem sie sich dem handelnden Heere zur Verfügung stellen konnten.

Es liegt nicht in unserem Zwecke, die einzelnen Thaten, die Hugo nun verrichtete, zu verfolgen, oder gar die Kriegsereignisse jener Zeiten zu beschreiben, sondern wir beschränken uns darauf, die fernere Entwicklung seines Lebens anzudeuten, und dann das zu erzählen, was mit dem, was wir oben geschildert haben, wieder in wesentlicheren Zusammenhang tritt.

Was von Hugo's Vater und von vielen Andern vorausgesehen worden war, ist eingetroffen. Es hatte sich lange her vorbereitet. Gegen den einen Mann, der Europa's leuchtendster Kriegsstern, und dessen größte Geißel geworden war, hatte sich nun fast dieses ganze Europa erhoben – und Hugo stand mit dem glühenden Hasse gegen alles Unrecht, der ihm eigen war, unter der Zahl seiner Feinde.

Es waren große Schlachten vorgefallen, es waren Wunder des wechselnden Glückes geschehen – es hatten sich jene Großthaten ereignet, die das menschliche Herz zerreissen, und es waren düstere Schattenseiten des menschlichen Geschlechtes vorüber gegangen. Hugo hatte oft mitten in dem einen und dem andern geschwebt. Dinge von ganz anderer Art und Wesenheit, als er je gedacht und geahnet, waren über sein Herz gegangen. Hatte er gleich nicht jene großen Thaten zu thun vermocht, welche ihm einst seine Kindeseinbildung vorgefabelt hatte, so war er doch ein wirksam Körnlein von dem Gebirge gewesen, das den Mann, der zu stark und gefürchtet geworden war, endlich erdrückte. Hatte sein Vater ein Recht gehabt, seine Waffen als Zeichen der Ehre in der alten Halle aufzubewahren, so hatte der Sohn ein noch größeres. Denn er hatte mehr gethan, und war bei größeren Ereignissen ein wirkender Theil. Waren die Kriege durch Vervollständigung der Mittel leichter zu führen geworden, so ist ihr Kreis doch wieder durch den Geist des letzten Meisters so erweitert worden, daß der alte Vater, wenn er noch gelebt hätte, bei den Erzählungen Hugos gestaunt haben würde, wie man denn dieses oder jenes habe ausführen können, ohne in das Aeußerste zu gerathen.

Unter den schweren Entwicklungen jener Zeit war Hugo ein Mann geworden – und jenes finstere Blatt Weltgeschichte, das damals abgehandelt wurde, hatte sein Herz gestählt, daß es jetzt in verhältnißmäßig viel jüngern Jahren fester, ernster und kälter gemacht worden war, als das des greisen Kriegers gewesen ist, der ihm als Lehrer und zu allen Zeiten als Muster gedient hatte. Sein einst so schönes, gutmüthiges Angesicht hatte einen leisen Zug von Härte bekommen, und sein Auge war strenge geworden. Aber dennoch wurde sein hartes Antlitz und sein strenges Auge von den Untergebenen fast abgöttisch geliebt, weil er immer gerecht war, und von seinen Obern und seines Gleichen hochgeachtet und gefürchtet, weil er immer auf Ehre hielt.

So waren die Jahre, die zu Hugos Thaten bestimmt gewesen waren, vorüber gegangen, die große Begebenheit jener Zeiten war aus, der Feind war besiegt, Europa hatte den Frieden, und unsere Heere waren auf dem Rückzuge aus Frankreich begriffen. Hugo hatte nun kein anderes Ziel mehr vor Augen, als, wenn der deutsche Boden erreicht, und die Heere in ihre alten Standpunkte eingerückt wären, den Dienst zu verlassen, in das alte Haus auf der Berghalde zurück zu kehren, dort sein Eigenthum zu bewirthschaften, und die zu beschützen und zu belehren, die ihm dort als Angehörige anvertraut waren. Sich zu vermälen, war er nicht gesonnen; theils hatte er in den Kriegslagern und in den stettigen Bewegungen jener Jahre nicht Zeit gehabt, irgend ein Mädchen kennen zu lernen, um sie zu wählen, theils hatte er eine gewisse Abneigung gegen das weibliche Geschlecht. Er war auf dem Rückwege aus Frankreich, und sein Diener, derselbe Soldat, den er in den Krieg mitgenommen hatte, war beschäftigt, die Sammlung alter und schöner Waffen, die Hugo auf seinen Zügen erworben hatte, in Ordnung zu bringen, um sie ohne Schaden und Verlust in die Heimat zu schaffen.

In einer kleinen Stadt Frankreichs, deren Namen wir nicht näher anzugeben vermögen, aber sie liegt schon sehr nahe an unserer deutschen Grenze, war es einmal im späten Herbste, daß Hugo mit mehreren Kriegsleuten höheren Ranges auf dem Balkone eines Hauses stand, in dem man ihnen ein unaufrichtiges Fest gegeben hatte. Sie standen, wie es nach einem Mahle gebräuchlich ist, müssig, und ergötzten sich mit Herumschauen und Sprechen. Da fuhr unten ein Wagen vorbei, dessen schöne braune Pferde bewundert wurden. Hugo aber sah in dem Wagen jenen Greis sitzen, der ihn einstens in die Kirche von Sanct Peter zu gehen gebeten hatte. Er hatte den Mann längst vergessen gehabt, aber wie er ihn hier fahren sah, erkannte er ihn augenblicklich wieder. Er fragte die Umstehenden und mehrere aus dem Hause, wem der Wagen gehöre, und wer der Mann sei, der darinnen gesessen ist. Die einen wußten es nicht, und die andern hatten keinen Wagen vorbei fahren gesehen.

Hugo achtete nicht weiter darauf; denn im Kriege war er an ganz andere und wunderlichere Zufälle gewöhnt worden, als daß er einem Dinge Bedeutung zugeschrieben hätte, das ihn nur in seiner Jugend angelockt hatte, eben weil er jung war.

Als man von dem Gespräche auf dem Balkone auseinander gegangen war, wo man noch die Nachricht empfangen hatte, daß in drei Tagen eine erwartete Abtheilung eintreffen und man dann vereint den Marsch weiter fortsetzen werde – und als Hugo hierauf in seine Wohnung zurückgekehrt war, fand er dort einen Diener mit einem Briefe auf sich warten. Der Mensch sagte, er müsse eine Antwort mit sich fort nehmen. Hugo öffnete das Blatt und erkannte die Schriftzüge Cölestens. Sie war zwar nicht unterschrieben, aber in den Worten: »wenn er noch an ein Häuschen denke, um welches viele Linden gestanden seien« erkannte er sie, wenn er auch an der Schrift noch gezweifelt hätte. Das Blatt enthielt die Bitte, er möchte, sobald es ihm möglich sei, zu dem Schreiber dieser Zeilen auf das Schloß Pre zu Besuch kommen, wenn es auch nur kurz sei, er werde sehnlich erwartet.

Hugo schrieb auf ein Blatt, er werde morgen um drei Uhr Nachmittags, wo ihn der Dienst entlasse, von hier nach Schloß Pre hinüber reiten. Er siegelte das Blatt und gab es dem Diener.

Obgleich im tieferen Frankreich in der Abtheilung, bei der Hugo stand, schon zwei Mal der Fall vorgekommen war, daß deutsche Krieger auf unbegreifliche Weise verschwunden waren, weßhalb jedes einsame Ausgehen oder Ausreiten verboten war: so ritt er doch, da es drei Uhr des andern Tages Nachmittags schlug, zum Thore des Städtchens hinaus. Er kannte Furcht als Beweggrund nicht. Er ritt sogar ganz allein, und hatte auch vorher niemanden gesagt, wohin er sich begebe, damit er den Ruf des weiblichen Wesens, von dem er den Brief habe, nicht gefährde.


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