Adalbert Stifter
Die Narrenburg
Adalbert Stifter

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Die Männer sprachen nur wenige Worte, indem sie ihr Vergnügen ausdrückten, und sich die verschiedenen Berggestalten zeigten und erklärten, während der Alte noch immer stumm und unbeweglich hinter ihnen stand – nur die auf dieser Höhe ziehende Mittagsluft regte die dünne, graue Locke seiner Schläfe; denn er hatte sein Barret von Beiden unbemerkt, noch immer in den Händen.

Sie hätten wohl zu andern Zeiten länger das heitere Bild zu ihren Füßen betrachtet, aber heute zog sie ihre nächste Umgebung unmittelbar an. Heinrich schlug vor, gleich die neuen Gebäude aufschließen zu lassen, da sie einmal in der Nähe seien, aber Robert zeigte ihm, daß dieß unmöglich sei; denn Graf Christoph hatte, da er in den afrikanischen Krieg geritten, vorher alle Thore versiegelt, mit dem Befehle, daß vor seiner Zurückkunft nichts berührt werden dürfe, im Falle seines Todes aber der neue Besitzer erst am Tage seines Antrittes die Gebäude öffnen möge. Da hingen nun hinter allen den großen Spiegelfenstern des Hauses ruhig und schwer die grünseidnen Vorhänge nieder, und regten keine Falte hinter dem glatten glänzenden Glase. An Thüren und Thoren waren die Siegel, ebenfalls grün, sehr groß, und mit dem Scharnast'schen Wappen versehen. Von dem Dache hatte der Wind den einen und andern Ziegel heraus genommen, worauf bald mehrere oder wenigere Nachbarn folgten, so daß an manchen Stellen die nackten Sparren und Latten ungastlich und lächerlich in die Luft hinausstarrten. Der alte Mann sah das Alles mit ruhigen und heitern Blicken an, als wäre es in der schönsten Ordnung. Der Kiesplatz vor dem großen Thore war von altem Regen zerwaschen, keine Spur von Rädern oder Hufen, und überall zwischen den Quarzkörnern sproßte zartes Gras hervor.

»Und wie lange ist dein letzter Herr schon weg?« fragte Robert.

»Nach der großen Krankheit – – – « begann langsam, schüchtern und mißtrauisch der alte Mann, indem er sich näherte – – aber Robert unterbrach ihn und sagte: »So setze doch dein Barett auf. «

»Ja, die Sonne ist heiß,« erwiederte Ruprecht, »sie ist heiß, ich habe es vergessen – und eine Pelzhaube ist gegen sie so gut, wie gegen den Winter.«

Und wirklich sahen die Freunde, daß sein Barett, das er bisher immer in den Händen gehalten hatte, trotz des heißen Sommertages eine Pelzhaube war.

»Nun wie lange,« sagte Robert wieder, »ist dieß Haus da herrenlos?«

»Nach der großen Krankheit,« fuhr der Greis fort, »die draußen im Lande war – – nein, es war ja vor der Krankheit, und Narcissa starb an ihr, weil sie sich so kränkte; aber eigentlich hieß sie gar nicht Narcissa, sondern Tiburtia, aber weil sie so hoch gewachsen war, weil sie so zart und schön war, und weil sie den Kopf stets ein klein wenig gesenkt trug, so hat er sie immer Narcissa genannt – – Der Herr vergebe ihm, er war sehr stürmischen Gemüthes, aber er war auch wieder so fromm, wie ein Kind; denn ich selber habe ihn einmal weinen gesehen, daß man meinte, das Herz werde ihm aus dem Leibe springen – und dann ließ er die grünen Vorhänge nieder, siegelte alle Thore zu, und ritt davon; denn seht, er war auch trotzig, wie Graf Julius, der ebenfalls fortging, und nicht wieder gekommen ist. Er hatte die Tage vorher das Drehthor machen, und das große daneben zumauern lassen – und alle Diener und Jäger, und die Hunde und die Pferde – Alles flog desselben Tages davon, und er sagte: »Hüte das Werk, wie den Stern deiner Augen, und halte die Brut ferne, bis ich komme, und sie als mein Weib erkenne.« Dann habe ich das Werk gehütet, daß nur die Vögel des Himmels herein zu fliegen vermochten. Eine Stille war euch, Graf Sixtus, eine Stille im Sonnen- und Mondenscheine – und immer fort still, nur daß die Todtengeige des Prokopus, die er wieder hatte aufziehen lassen, zuweilen Nachts oder Tags tönte oder läutete. Dann waren fünf, sechs, acht Jahre, bis die vielen Herren mit dem Pergamente kamen, Alles untersuchten und zusiegelten – dieser Syndikus, der mit euch ist, war auch dabei – und sie erzählten, daß man ihn in der heidnischen Stadt so schön begraben habe. Die Narcissa liegt in der Schloßkapelle; der Dechant war selbst herüber gekommen, und hatte gesagt: »Ich will sie gesegnen.« Sie konnte nicht mehr warten, weil ihr das Herz stehen geblieben war.«

Er hatte diese Rede größtentheils an Heinrich gerichtet. Dieser hörte ihm schweigend, und mit Schonung zu. Man war indessen durch den Eichenhag bis nahe an die Ruinen des Grafen Julian gekommen, und wie man auf den glänzenden Rasenplatz hinausgetreten war, auf dem die Trümmer liegen, so sprang der große Hund Ruprechts plötzlich gegen den Anger vor, und wedelte und scharrte, und bellte gegen die Luft empor – Ruprecht aber schrie: »Daß du stürzest, Pia, fürchterliches Kind, – Pia! Pia! – – siehe, mein Herz, komme eilig herunter – – ich habe dir ja gesagt, du sollest bei den Ringelblumen sitzen bleiben, und sollest zählen, wie oft die Schwalbe zugeflogen kommt – –.«

Und ein feines klingendes Silberstimmchen ertönte in der Luft: »Sie flog fünfmal und zwanzigmal, und immer – und von den Ringelblumen ist die erste gelb, und die zweite gelb – und sie waren alle gelb. Ich falle nicht, siehe nur, ich falle nicht.«

Die Freunde blickten empor, und auf dem höchsten der vielen Balkone des zerfallenden Schlosses, auf einem Balkone, der so in der Luft draußen hing, als klebe er nur an einem einzigen Steine, war ein Kind – ja sogar nicht einmal auf dem Balkone, sondern auf dem Steingeländer desselben war es, halb sitzend, halb reitend, es schien ein Mädchen; denn eine Fülle der schönsten gelben Ringellocken wallte um den Nacken und das glühende Gesichtchen, sie mochte zehn bis eilf Jahre alt sein, oder auch noch jünger – am äußersten Geländer saß sie und jauchzte, und so wie ihr Ruprecht zugerufen hatte, und wie ihr eignes Stimmchen erklungen, wurde sie noch fröhlicher, daß er sie gesehen; sie stand auf, und schwebte nun stehend auf dem unsichtbar schmalen Stege des Geländers, und ging vorwärts und ging rückwärts, und neigte sich, und beugte sich über, daß den Männern unten ein Schwindel und Grauen ankam, und daß ihnen die Augen vergingen.

Und sie rief dem Hunde zu: »Hüon, Hüon: komm herauf.« Und da dieser sich wälzte und plump in die Luft sprang, und ungeschickte Freudentöne gab, so wußte sie sich vor Lachen nicht zu helfen.

»Ich werde mir die Haare ausraufen, wenn mir einmal der Hund ihre zerschmetterten Glieder nach Hause schleppen wird; denn er hat sie lieb, und sie folgt ihm auch am meisten.« Diese Worte hatte der Greis heimlich zu sich gesagt, aber die zwei Männer hatten sie gehört.


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