Adalbert Stifter
Die Narrenburg
Adalbert Stifter

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»Wenn du mich liebst ....«

»Nein, ich sage ihr auch nichts. – – Wenn ihr nur nicht zu lange ausbleibt, werd ich es schon überdauern.«

»O, du schönes, naturgetreues Herz, wie werd' ich dich verdienen können?« sagte er nach einer Weile, in der er sich gesammelt hatte. Seine Stimme war gerührt, und wenn seine Augen nicht im Schatten gewesen wären, so hätte sie sehen können, wie zwei Thränen in dieselben getreten waren. Sie aber sah es nicht, und da sie wegen seines Schweigens meinte, es sei ein Schmerz in ihm, so nahm sie seine Hand in ihre beiden, und hielt sie fest und herzlich.

Und wie sie so saßen und schwiegen, und wie um sie auch die ganze glänzende Nacht schwieg – und Minute nach Minute verging, ohne daß das Herz es wußte: da krähte hell und klar der Hahn, die Trompete des Morgens, der Herold, der da sagt, daß Mitternacht vorüber und ein neuer Tag anbricht. – – Anna sprang auf: »Um Gotteswillen, seht, der Mond steht so tief, daß er in den Laubeneingang scheint, und die Luft wird heller – ich muß zurück ins Haus – haltet mich nicht auf – und lebt recht wohl.«

Er stand auch auf: »Nur noch eine Minute, Anna, noch eine Secunde – nur diesen Kuß – – so – – aber du sagst ja schon wieder: ihr

»Nun: du – so lebe wohl, lieber, theurer Mann, und komme doch recht bald, und sage das Wort zum Vater.«

»Und die Tage, die ich bleibe – kommst du noch einmal zur Laube, Anna?«

»Nein, Heinrich, es ist nicht recht; ich will euch unter Tags in dieser Zeit recht freundlich anblicken, wenn auch der Vater scheel sieht, aber kommen kann ich nicht mehr, es ist doch nicht recht. – – Sagt nur bald das Wort, dann bin ich ja immer bei euch, Tag und Nacht.«

Noch einmal, auf die Spitzen ihrer Zehen gestellt, empfing sie seinen Kuß.

»Lebe wohl,« sagte er, »du innig süßes Herz – gute Nacht.«

»Gute Nacht,« sagte sie, und verschwand im Schatten des Laubes.

Er war allein.

Frischer, gleichsam dem Morgen zu, rauschten die Wasser der Pernitz, und die Blätter der Zweige begannen, sich in einem kurzen Nachmitternachtlüftchen zu rühren. Der Wanderer ging aber tiefer in den Garten zurück, schwang sich über die Einfriedigung, und schritt über den mondhellen Wiesenhügel dem Walde zu, als sei es ihm nicht möglich, in diesem Augenblicke seine Schlafstelle zu suchen. Die glänzende Nachtstille blieb von nun an ungestört, und nichts rührte sich, als unten die emsig rieselnden Wasser, und oben die Spitzen der flimmernden Sterne.

2. Das graue Schloß

Es war ein Klingeln und Läuten und ein freudiges Brüllen und Meckern durcheinander, als am andern Tage die Morgensonne aufging, die Bergthäler rauchten, und die Heerde wieder zu den Triften hinanstieg. Aber der Hirt Gregor ging nicht mit, sondern er stand in steifem Sonntagsputze auf der Gasse, und sonnte sich; nur der graue Hund in seinem ewigen Werktagswamse und der Hirtensohn auch in dem seinigen begleiteten die Heerde – der eine freudig sein Halsband schüttelnd, der andere rüstig den Bündel Steigeisen und das Griesbeil*) [*)Alpenstock] schulternd, die einzigen zwei Wesen, welche heute arbeiten mußten; denn alles Andere ging der Feier und Ruhe nach. Auch der alte Boten-Simon stand schon mit einem glänzenden Gesichte, von dem er den zolllangen Wochenbart geschoren, und mit noch glänzenderer Jacke auf der Gasse da, und schaute herum, recht behaglich die Wonne des einzigen Ruhetages der Woche fühlend, an dem er sonst nirgends hin mußte, als in die Kirche, was er sehr gerne und immer mit vieler Salbung that. Die Pfeife dampfte bereits, und auf dem Hute hatte er ein ganzes Gebüsche von Gebirgsfedern stecken, nebst dem riesenhaften Fächer eines Gemsbartes. Die warme Sonntagssonne stand bereits am Himmel und warf eine freudenreiche Strahlenmenge in das Thal. An den Bergen blitzte der Thau, und die Pernitz rollte lauter Gold und Silber durch die Felsen. In allen Häusern rührte und rüstete es sich sonntäglich, und die Waldhöhen standen in einem wahren Lauffeuer von Singen und Schreien der Vögel.

Oben im Stockwerke der grünen Fichtau öffnete sich ein Fenster, und das Antlitz des Wanderers blickte heraus, die Haare von der freundlichen Stirne zurückstreifend, und die Augen nach Himmel und Wetter richtend. Beides ward genügend befunden, und er wollte eben wieder zurücktreten, als auch Vater Erasmus aus dem Hause schritt, zunächst an seinem Leibe schon die schimmernde Sonntagswäsche und die Sonntagskleider tragend, darüber aber noch die Werktagsjacke geworfen, und die Alltagskappe auf.

»Guten Morgen, Simon,« rief er, »guten Morgen! Ein schöner Tag das – das sind Tage zur Flachsblüthe.«

»Blüht bereits, wie ein blaues Meer, im Asang draußen,« sagte Simon.

»Ich habe ihm den handigen Fuchs in die Gabel zu spannen befohlen,« redete hierauf der Wirth durch die Thüre des Gassengärtchens hinein; »denn er ist gelassener, als der andere – aber ich sage dir, Anna, daß du dich nicht etwa verleiten lässest, wenn er dich einladet, mit ihm zu fahren; der Fabelhans würfe dich sammt sich in einen Graben. Fahre mit mir, wer weiß, wie bald ohnehin Einer kommt, der dich auf immer und ewig davonführt.«

Anna, die im Gärtchen Rosen und Anderes zum Sonntagsputze schnitt, wurde in diesem Augenblicke unter der Gartenthür sichtbar, und, die braunen Augen gegen den Vater hebend, sagte sie: »Ei, er wird mich nicht einladen, und der Andere wird auch nicht kommen, lieber Vater.«

Sie war in ihrem Morgenkleide wieder gar so schön. Wenn sie auch öffentlich immer im Landesschnitte ging, so trug sie doch zu Hause Kleider nach eigener fantastischer Erfindung, und Vater Erasmus, einst ein Kenner weiblicher Schönheit, und nicht der Letzte, der sie an seiner Tochter anerkannte, wurde nun vollends schalkhaft, indem er sagte: »Nun – nun, du Narre, er wird nicht ausbleiben, aber wenn er kommt – ein ganz auserlesener Bräutigam muß es sein, sonst lasse ich dich nicht von hinnen – ein ganz ungeheurer Prinz von einem Bräutigame muß es sein.«


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