Adalbert Stifter
Die Narrenburg
Adalbert Stifter

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Weiter hinter dieser Gruppe stand ein Obelisk, jedoch seine Spitze lag ihm zu Füßen.

»Der Graf Johannes ist schon vor dreihundert oder vierhundert Jahren gestorben,« sagte Rupprecht.

Seitwärts diesem Platze sahen die Freunde ein kleines Häuschen stehen, wahrscheinlich die Wohnung des Pförtners; von dem eigentlichen Schlosse aber war nichts zu erblicken, als graues Dachwerk, über das Grün des Berges hineinschauend, und von kreisenden Mauerschwalben umflogen. Sie stiegen sofort den verwahrlos'ten ausgewaschenen Weg hinan. Hie und da war auf der Abdachung des Berges ein Geschlecht zerstreuten Mauerwerkes und grünen Wuchergebüsches, worunter ganze Wuchten des verwilderten Weinstockes, der seiner Zucht entronnen, sich längs des Bodens hinwarf, und sein junges frühlingsgrünes Blatt gegen das uralte Roth der Marmorblöcke legte, die hie und da hervorstanden. Mancher kreischende Vogel schwang sich aus dieser grünen Wirrniß empor, wie die Freunde weiter schritten, und verschwand im lächelnden Blau des Himmels.

Auf dem ganzen Wege erblickten sie kein einziges menschliches Wesen. Die Seite des Berges, auf der sie stiegen, schien ein verkommender Park zu sein. Es hüpften Hasen empor, und flohen seitwärts, alle Arten von Schmetterlingen und Insekten flogen und summten, und eine Lindengruppe, an der die Freunde vorüberkamen, hing voll wimmelnder Bienen. Aber nirgends war ein Mensch. Als sie auf der Hälfte des Weges waren, kam ihnen ein Hund nach, ein Bulle der größten Art, und ging ruhig hinter Ruprecht her.

»Wir haben alle Dinge bewacht,« sagte der alte Mann, »und der Hund ist mir sehr beigestanden, weil sie ihn fürchten weit und breit. Im Sixtusbaue, wo die Nonnenzellen sind, fließt alles von Honig; denn ich nahm ihnen nie einen, und der Wein muß in seiner eigenen Haut liegen. Ich habe dem Gerichte, da es alles anschauen wollte, den Weg nicht gezeigt, der von der Nonnenclausur hinabführt, darum wissen sie von dem Weine nichts. Gehet aber in den grünen Saal, Erlaucht, da werdet ihr sehen, wie gut der Mann conterfeit hat.«

Heinrich sah verwundert auf Robert, dieser aber sagte: »Du hast wieder einen deiner bösesten Tage, altes Rüstzeug.« Dabei heftete er die Augen auf den Mann.

Dieser aber schwieg augenblicklich, sah den Syndikus betroffen an, und durch die versteinerten Züge ging ein feines Erröthen, wie wenn er sich schämte. Fortan schwieg er.

Man hatte endlich die Kante des Berges erreicht, und Heinrich sah nun, wie erst eigentlich gegen die andere Seite hinab in einem sanftgeschwungenen Thale die Sammlung der Bauwerke lag. Es war Alles viel großartiger, weiter, und auch verworrener, als er gedacht hatte. Ein ganzes Geschlecht mußte durch Jahrhunderte hindurch auf diesem Berge gehauset, gegraben und gebaut haben. Abgesonderte Bauwerke, gleichsam selber wieder Schlösser, standen auf verschiedenen Punkten, niedere Mauern liefen hin und her, Brüstungen bauschten sich, die Anmuth griechischer Säulen blickte sanft herüber, ein spitzer Thurm zeigte von einem rothen Felsgiebel empor, eine Ruine stand in einem Eichenwalde, und weit draußen auf einer Landzunge, deren Ränder steil abfielen, schimmerte das Weiß neuester Gebäude. Und diese ganze weitläufige Mischung von Bauten, Gärten und Wäldern war umfangen durch dieselbe klafterdicke hohe graue Eisenmauer, durch welche sie hereingelassen worden waren, und an welcher Heinrich bei seiner Entdeckung des Schlosses, wovon er nur einen Theil gesehen, herumgekrochen war, um einen Eingang zu finden. Wie ein dunkles Stirnband umzirkelte sie den weiten Berg, und schnitt seinen Gipfel von der übrigen Welt heraus.

Da standen sie nun, und Robert suchte zu erklären, was er erklären konnte; denn auch er war mit dem Schlosse und mit Ruprecht nur äußerst oberflächlich bekannt, in wiefern es nämlich seit dem Tode des letzten Besitzers seine amtlichen Verhältnisse mit sich gebracht hatten.

Der griechische Bau war der des Grafen Jodok, dessen der Vater Erasmus erwähnt hatte. Er sah aus dem Schooße dichten Gebüsches herüber: ein edles Geschlecht weißer schlanker Säulen. – Und um sie herum war es so grün, als zöge sich ein jonischer Garten sanft von ihnen gegen die andern barbarischen Werke hinan. Weit davon weg stand der Thurm des Prokopus, ein seltsamer Gegensatz zu dem Vorigen; denn wie ein verdichteter zusammengebundener Blitz sprang er zackig und gothisch von seinem Felsen empor; der Felsen selbst ragte aus einem Fichtenwalde, der, durch den Borkenkäfer abgestorben, wie ein weißes Gegitter da stand. Hinten auf einer breiten glatten Wiese lag der sogenannte Sixtusbau: breit, bleifarben, massiv, ohne die geringste Verzierung, mit noch vollständig erhaltenem grünem Kupferdache. Die Fenster, ohne Simse und flach, standen so glatt in der Quadermauer, wie Glimmertafeln, die im Granite kleben. Die neuesten Gebäude auf der auslaufenden Bergzunge waren die Wohnung Graf Christophs, des letzten Besitzers, gewesen. Lange Terassen und Gartenbauten trennten sie von den oben genannten, und ein Gartenhaus, allerlei Ruhesitze und Lusthäuschen umgaben es, mit und ohne Geschmack erbaut, und bereits wieder im Verfalle begriffen. Von hier aus sah man auch deutlich die Ruine um den Eichenbestand herüber blicken, einen Bau voll Balkonen, Giebel und Erker, aber gräßlich zerfallen – es war das Haus des alten Julian gewesen. Ein Gedränge uralter riesenarmiger Eichen schritt von dem Neubau gegen die Ruine hinüber, und man sah zwischen den Stämmen Damhirsche wandeln und grasen.

»Das ist ja ganz herrlich und närrisch,« rief Heinrich, »wer hätte gedacht, daß eine solche Menge von Gebäuden auf diesem Berge Platz haben sollte, und daß noch die schönste Landschaftsdichtung zwischen ihnen und um sie liege. Mir ist es, wie in einem uralten Märchen, alles so wunderlich, als läge die Fichtau gar nicht unten, in der ich doch gestern noch war. Komm, laß uns auf die äußerste Spitze dieser Zunge vorgehen, dort muß die schönste Umsicht sein, und ehe wir in all das Mauerwerk kriechen, wollen wir hinuntersehen auf das Land, ob es denn auch wirklich noch ist, wie gestern.«

Und sie gingen vorwärts auf der Zunge, deren Spitze zugleich der höchste Punkt des Berges war. Hier stürzt die Wand schwindelsteil ab, und man sieht über die Ringmauer wohl hundert Klafter senkrecht nieder. Auch auf dieser äußersten Spitze war ein Bauwerk, aber nur ein länglich rundes Dach von Säulen getragen, zwischen welche man im Winter Glasfenster schieben kann. Im Innern sind an den Säulen herumlaufende Sitze, von dem rothen Landesmarmor gehauen.

Wohl war das Land noch, wie gestern: grün und weich und ruhig lag die ganze Fichtau in der Sommervormittagsluft unten, ein sanftes Hinausschwellen von Hügeln und Bergen, bis wo der blaue Hauch der Ferne weht, und mitten drinnen der glänzende Faden der Pernitz – alles bekannt und vertraut, eine holde Gegenwart, herumliegend um die unklare Vergangenheit, auf der sie standen. Von der Häusergruppe der grünen Fichtau war nichts ersichtlich, nur der Felsengipfel des Grahns blickte röthlich blau und schwach durch die dicke Luft herüber, und Heinrichs Auge haftete gerne und mit Rührung auf ihm, als einem Denkzeichen des lieben sanften Herzens, das an seinem Fuße schlägt, und vielleicht in dieser Minute an den fernen theuern Freund denkt.


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