Adalbert Stifter
Die Narrenburg
Adalbert Stifter

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»Das ist wahr,« entgegnete der Wanderer, »ich habe im Drange der heutigen Dinge auf die Holzknechte gar nicht gedacht; es geht ja ohnedieß mancher des Weges, nicht wahr? oder nicht weit daneben?«

»Allerdings, allerdings,« sagte der Wirth schmunzelnd, und gleichsam, als könne er den aufkeimenden Gedanken nicht unterdrücken, hob er nach einer Weile lauernd an: »Wenn ihr also die Burg nicht beschreiben wollt, so meint ihr etwa gar ....?«

»Ich meine gar? ....«

»Ein Nachkomme des Julius zu sein,« endete der Wirth den Satz, und sah sehr verschmitzt aus.

Ohne aber eine Miene zu verziehen, versetzte sein Gegenmann: »Das könnte weit eher der Fall sein, Vater Erasmus.«

Der Wirth, an die ungeheuersten Aussprüche seines Miethmannes gewöhnt, war gleichwohl durch die trockene Art ein wenig beirrt; allein um sich im Wortkampfe nicht übertreffen zu lassen, nahm er sich gleich die noch größere Freiheit, und sagte: »Wenn das ist, dann ist es freilich nicht mehr wahr, was ich mir eben dachte.«

»Nun und was dachtet ihr euch denn eben?«

»Ich dachte mir, wenn der Julius eine Bauerndirne geheirathet hat, so könnte uns, weil die Art gewechselt wurde, wie man es mit dem Samenkorn der Felder thut, daß es wieder frisch anschlägt – es könnte uns so, was man sagt .... ein gesetzterer Herr kommen.«

Aber wie früher, ohne sich im Geringsten aus der Fassung bringen zu lassen, antwortete der Wandersmann, indem er seinen Blick auf den Wirth heftete: »Was werdet ihr aber sagen, Erasmus, wenn ich mich hinsetze, und zu eurem eigenen Erstaunen eines lichten Tages gescheidter bin, als ihr alle und die ganze Fichtau zusammen – die ausgenommen,« fügte er lustig hinzu, »die dort kommen; denn das sind die herrlichsten Bursche der Welt.«

Er hatte noch das Wort im Munde, als eben Zwei jener malerischen Gestalten, wie wir sie so gerne als Staffage auf Gebirgslandschaften sehen, um die Ecke bogen, und fröhlich ihre Siebensachen, als da sind: Aexte, Sägen, Alpenstöcke, Steigeisen, Kochgeschirre u.s.w. auf die Gasse oder auf die lange Bank niederwarfen, und sich anschickten, ebenfalls Platz zu nehmen. Die abendliche Scene auf der Gasse vor der grünen Fichtau begann sich nun zu ändern, und jener Lebhaftigkeit zuzuschreiten, die unser Wanderer an jedem Samstage zu erleben gewohnt war, und die er so liebte. Er achtete des Wirthes nicht mehr weiter, sondern saß bereits bei den zwei Knechten, und war schon im lebhaften Gespräche mit ihnen begriffen. Sie hatten den grünen Hut mit Federn und Gemsbart abgelegt, den grauen Gebirgsrock zurückgeschlagen, und zwei verbrannte, lustige Gesichter sahen mit dem gesundesten Durste dem Wirthe entgegen, der ihnen eben zwei Gläser voll jenes unerbittlichen Gebirgsweines brachte, den nur ihre harte Arbeit bezwinglich, ja sogar zum erquickenden Labsale macht.

»Laßt Klöße durch eure Weiber richten,« rief Einer, – »aber viele; denn der Melchior und die Andern kommen nach – und fett genug laßt sie machen, daß sie euren Wein bändigen. – Auch die aus den Laubgräben kommen, und aus der Grahnswiese; ich sah sie drüben den Hochkogel niedersteigen, als wir gegen die Pernitz herausgingen, und hörte ihr Jauchzen. – Dem Gregor ist ein Lamm gestürzt, hinten beim schwarzen Stock; er hat darum fast geweint, und trägt es jetzt auf seinen Schultern die Riese herab.«

»D'rum kommt er wieder so langsam hervor,« sagte der Wirth; »ich höre das Heerdeläuten schon eine halbe Stunde.«

»Das wirft nur die Kaiserwand und der Grahns so herüber; er ist noch weit hinten. Wir gingen im Fichtauergraben bei ihm vorbei, wie eben die Böcke das Gerölle niederstiegen, und die Rinderglocken noch weit oben längs dem Gesteine läuteten.«

Wieder kam eine Gruppe, während er noch redete, jodelnd und singend die Straße an der Perniz heraus, und sammelte sich an dem Gassentische der grünen Fichtau, um einen Labetrunk zu thun, und fröhlichen Wochenschluß zu feiern, da ihnen der Holzmeister Geld gegeben, und sie sechs Tage lang nur grüne Bäume und graue oder rothe Steine gesehen hatten.

»Gott zum Gruß! – Gott zum Dank!« scholl es hin und wieder.

»Habt viel Arbeit gethan: die Kaiserwiese liegt wie überschwemmt von Scheitern.«

»Geht an, geht an, über die Hochkogelwand warfen wir noch einige Klafter mehr herunter.«

»Schöne Tage! Wir waren auf dem Grat des Kogels, ich habe seit fünfzehn Jahren nicht so weit gesehen; die Ebene lag wie ein Bild da, und in der Stadt hätte ich fast die Fenster zählen können; euren Rauch sahen wir aus den Laubgräben steigen.«

»Ja wir waren in den Laubgräben, und sind es nun schon sechs Wochen. Der alte todte Prokopus geht auch wieder um; ich weiß es gewiß; er hat in der Nacht musicirt, ich hörte es selber, und auch heute Nachmittags hörte ich es; denn da so um vier Uhr herum ein schwacher Wind aufstand und durch die Föhren ging, da trug er deutlich den schweren Ton von dem zerfallenen Schlosse herüber.«

»Hab' auch schon davon reden gehört, aber glaub es nicht.«

»Der Wein ist wie @Enzian,« rief wieder Einer.

»Trink ihn nur, Gevatter Melchior,« sagte der Wirth, »du trinkst Gesundheit hinein, wie Stahl und Eisen.«

So scherzten und lachten sie. Mehrere Neue waren gekommen, darunter auch zwei Gebirgsjäger. Ihre Sachen lagen herum, und füllten die Gasse: ganze Haufen und Bündel von Steigeisen, eine Garbe Alpenstöcke, lodene Ueberröcke, Gebirgshüte, eiserne Kochschüsseln und Anderes, und wieder Anderes – Krüge und Gläser mußten herbei; die Klöße kamen und wurden verzehrt, und da abgeräumt war, erschienen zwei Zittern auf dem Tische, die zusammen spielten, und die braunen Gesellen mit dem Blicke des Gebirges saßen herum, und thaten sich gütlich – und erzählten von ihren Fahrten und Tageserlebnissen. Und ein prachtvoll herrlicher Abend war mittlerweile über das Gebirge gekommen. Die Sonne war über die Waldwand hinunter, und warf kühle Schatten auf die Pernitz; im Rücken der Häuser glühten die Felsen, und wie flüssiges Gold schwamm die Luft über all den grünen Waldhäuptern weg. Alles schien sich zur Wochenruhe und zur Feier des Sonntags zu rüsten.


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