Adalbert Stifter
Die Mappe meines Urgroßvaters
Adalbert Stifter

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Nach einer Woche, seit ich zum letzten Male in dem Haghause gewesen bin, kam der Obrist zu mir herunter, und erzählte mir, daß er Margarita habe fort reisen lassen. Es seien nun vier Tage, daß sie frühe am Morgen fort gefahren sei. Er habe sie eine Tagereise weit begleitet, und sei vorgestern zurück gekehrt. Sie werde einige Zeit bei einer weitläufigen Verwandten, einer lieben alten und kinderlosen Frau, wo sie wie eine Tochter werde gehalten werden, verweilen, und dann wieder nach Hause zurückkehren.

Ich sagte auf diese Mittheilung nichts – ich fragte auch nicht, wie lange Margarita ausbleiben würde. Wer weiß, wie lange es ist – wer weiß, was sich ergibt, dachte ich, – und wer weiß, ob sie nicht etwa aufhören wird, eine Bewohnerin des Haghauses zu sein. – –

Ich zeigte dem Obristen mein rothes in Leder gebundenes Buch, sagte, daß ich seine Einschreibungen nachahme, und erklärte ihm, wie ich es mache. Er billigte es und erkannte die roth- und blauseidenen Bändlein gar wohl.

Dann gingen wir zum Aschacher hinunter, und er tröstete den leidenden Mann. Hierauf schlug er den Weg in das Haghaus hinauf ein und ich begleitete ihn die größte Strecke desselben. Als wir Abschied genommen und uns die Versicherung gegeben hatten, daß wir in der Zukunft einander oft besuchen wollen, kehrte ich um, und ging wieder zu meinem Hause hinunter.

So will ich denn nun Thal ob Pirling, dachte ich, über dem der traurige Himmel ist, ausbauen, und verschönern, hier will ich machen, was meinem Herzen wohl thut, hier will ich machen, was meinen Augen gefällt – die Dinge, die ich herstelle, sollen mich gleichsam lieben; ich werde mich mit dem umringen, was mir Freude macht, ich werde hier immer bleiben, und werde die Menschen lieben, die in meinem Hause sind, und werde die Thiere lieben, die mir dienen, oder die sonst bei mir erzogen werden. Dann sollen diejenigen, die, wenn sie den Namen Thal ob Pirling aussprechen, nur immer mein Haus allein dabei im Auge haben, nicht aber die Gruppe von Hütten, die früher diesen Namen trugen, noch mehr Recht bekommen, wenn sie nur das Haus so benennen.

Der Brunnen, den der Grunner im Frühlinge herausgemauert hatte, ist ohnehin nun fertig. Ein Strahl des klarsten Wassers schießt in die Granitschale, wenn man an dem Metallknopfe des Geständers zieht. Ein anderer silberglänzender lebendiger Strahl soll noch immer in dem Garten fließen, dazu sie die Steinkufe im Schwarzholze hauen; denn Quellen giebt es ja in der Gegend genug. Die Bäume, Balken, Pfosten, die noch überall von dem Baue herumliegen, sollen weg, daß der Hof rein und gefegt sei, und der Saum des Steinpflasters um denselben sich klar ins Gesicht stelle.

Weil ich aus Güte die meisten meiner Leute, so wie einstens zu dem Obrist, so jetzt zu dem Wirthe Bernsteiner nach Pirling gehen gelassen hatte, der in die Felsen des Steinbühels einen Keller sprengt, und denselben vor seinem Schützenfeste, das er den nächsten Sommer übers Jahr gibt, fertig haben möchte, so befand ich mich jetzt selber im Mangel. Aber ich will an allen anderen Orten nach Arbeitern suchen; und von ihm auch noch diejenigen, die er entbehren kann, zu mir herüber ziehen.

Ich werde unverweilt die lieblichen Schnitzereien, mit denen ich die Hinterstube gegen den Garten zur Freundlichkeit und Annehmlichkeit meines Gemüthes verzieren lassen will, ins Werk geben; ich werde das Schreibgerüste, daran ich schon so lange denke, anfangen, werde die Risse zu den schwersten Arbeiten dem Künstler und Holzschneider Pirger nach Prag schicken, daß er sie darnach forme, und werde endlich die Geräthe und die Herausputze und die Einrichtungen des inneren Hauses zu verfertigen und zu vollenden beginnen. – –

So habe ich in jenen Tagen gedacht, und so habe ich es gleich in Thätigkeit gesetzt.

Ich kaufte desselben Sommers für den Buben Gottlieb auch noch ein kleines Grundstück, damit ich es ihm dereinst, wenn es ihm nützlich ist, geben könnte. Ich habe beschlossen, den Buben nicht mehr von mir zu thun, und für ihn, wie es ihm frommt, zu sorgen. Es ist unglaublich, wie er dankbar ist, und wie er arbeiten möchte. Er hat eine Freude, wenn er für mich einen Gang thun kann, daher ich ihm auch, daß er sich freue, oft einen Botengang auftrage, den er mit Genauigkeit vollbringt. Sein alter Vater, wenn er zuweilen herunter kömmt, zeigt großen Dank und große Zufriedenheit, daß es so ist. Wenn der Bube Lust und Geistesvermögen hat, lasse ich ihn vielleicht künftig unterrichten, und er mag mein Amt antreten und wirken und sorgen.

Ich kam, da die schönen langen Sommertage dauerten, oft zu dem Obrist hinauf, und er oft zu mir herunter. Er sah alle Dinge, die bei mir in der Arbeit waren, wir redeten von den verschiedensten Sachen, saßen manchmal auf meinem Sommerbänklein unter der schönen Fichte beisammen, oder gingen in dem Walde herum, oder waren bei ihm in dem Garten, oder in der Stube, in der er die Bücher hat.

Von Margarita sagte er nie ein Wort. Ich fragte auch nicht.

So verging endlich der Sommer, so verging der Winter, und es kam der nächste Sommer.

Wie wunderbar, wie reizend doch die Natur ist. In jenen Tagen, da die Wärme sich recht lieblich neu aufschloß, was alle Jahre geschieht und was uns alle Jahre wie ein Wunder wohl thut, stand ich vor dem Vogelkirschbaume, der mit einer unermeßlichen Anzahl der reinsten und weißesten Blüthen beladen war – so weiß, wie sonst gar nichts in der Welt, außer etwa der Schnee, oder öfter der Ränderglanz der fernen beleuchteten Sommerwolken, wenn sie hinter dem dunkeln Walde hervorstechen – ich stand, und hatte zum ersten Male den Gedanken, den ich eigentlich schon längst hätte haben sollen; wie der Baum erstlich der Blüthen wegen da ist, und wie zweitens aus diesen weißen Blümlein dann die schwarzen Kirschen entstehen, die wieder so schwarz sind, wie die Blüthen weiß, nehmlich so schwarz, wie nichts anders in der Welt. Wie die Natur diese starke Gegenstellung macht, und sie allezeit verbindet durch die sanften grünen Blätter. Wenn die Frucht vorüber ist, werden die Blätter roth und gelb und braun, und bekommen allerlei andere glänzende Farben.

Da ich dann von dem Garten in den Hof ging, schauten mich die Herdsteine, die Dachsteine, und andere, die ich von der Hütte meines Vaters hatte nehmen lassen, und die in die Gartenmauer eingesetzt waren, recht freundlich an, wenn auch mancher verwittert, und mancher fast dunkelschwarz war. Ich habe nehmlich die Gartenmauer nicht tünchen lassen, damit nicht immer der unliebe weiße Strich in den grünen Farben des Thales stehe.

In dem Sommer habe ich auch, was mir schon früher einmal in den Sinn gekommen ist, das achteckige Eckzimmer meines Hauses wie zu einer Hauskapelle einzurichten begonnen. Ich bekam den Gedanken, daß das Bildniß der heiligen Margarita als Schutzherrin darinnen stehen müsse, dann werden jedes Sommers am dreizehnten Julius Abends zwei große Wachskerzen brennen. Ueber die Fenster sollte doppelte mattweiße Seide gespannt werden, daß in der Hauskirche so sanfte Dämmerung sei, wie in der großen. – –


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