Adalbert Stifter
Die Mappe meines Urgroßvaters
Adalbert Stifter

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Der Obrist hörte mit diesen Worten zu reden auf, und blieb eine bedeutend lange Zeit neben mir sitzen und schwieg. Ich schwieg auch.

Endlich nahm er wieder das Wort und sagte: »Ich habe nichts, als Margarita, sie gleicht ihrer verstorbenen Mutter im Angesichte und in der ganzen Art so sehr, wie man es kaum glauben sollte, – – Doktor, thut mir nicht weh in meinem Kinde.«

»Nein Obrist, das thue ich nicht – – ich reiche euch die Hand, daß ich es nicht thue.«

Bei diesen Worten reichte ich ihm meine Hand, er gab die seine auch, und wir schüttelten sie uns gegenseitig zum Zeichen des Bundes.

Dann blieben wir noch eine Weile sitzen, ohne zu sprechen. Endlich stand er auf, ging ein wenig in dem Zimmer herum, und trat sodann an das Fenster, dessen grünseidenen Vorhang er aufzog. Es war keine Sonne mehr an den Gläsern, aber eine ganze Fluth von Frühlingshelle schlug durch sie in das Zimmer herein.

»Seht, wir werden heute ein Gewitter bekommen, sagte der Obrist, der an dem Fenster stehen geblieben war und hinaus schaute, es geht ein dichter dunstiger Himmel über den Kirmwald herüber, und am Rande des Reutbühls ziehn sich diese milchigen Streifen, was alle Mal ein Anzeichen von einem Gewitter ist.«

Ich stand auch auf und trat zu ihm. Die friedliche schöne, in sanfte Gewitterschwüle gehüllte Gegend schaute zu uns herein, und grüßte huldvoll an das Herz.

Wir standen und genossen der freien Luft, die bei dem Fenster herein strömte, das er nun auch geöffnet hatte.

Ueber eine Weile sagte er wieder: »Ich möchte euch gerne zu Margarita führen – ihr müsset mit einander reden – redet gut mit einander, daß sich alles einfach löse. Ich habe gewußt, daß es so sein wird, wie es jetzt ist. Ihr habt beide gefehlt. Margarita that auch nicht recht, aber sie konnte nach ihrer Art nicht anders, so wie ihr nicht anders konntet. Geht hinüber zu ihr, sucht sie nicht zu bewegen, tröstet sie eher – aber sprecht nur mit einander, ich meine, daß es gut ist. Nicht wahr, Doctor, ihr thut das?«

Wir blieben nach dieser Rede beide noch eine Zeit lang stehen, ich hatte keine rechte Antwort und schwieg daher verlegen, er drang auch nicht in mich.

»Nun? soll ich euch zu ihr führen?« fragte er endlich recht sanft.

»Ja,« sagte ich.

Und nach diesen Worten nahm er mich unter den Arm, und führte mich hinaus. Wir gingen über den Gang, und dann über die feine gelbe Rohrmatte ihrer Schwelle hinein. Sie war in dem ersten Zimmer nicht.

»Wartet hier ein wenig, sagte er, ich werde hinein gehen, und sie euch senden. Vielleicht könnte sie nicht in der Lage sein, euch zu empfangen. Wenn sie aber erscheint, werde ich selber nicht wieder heraus kommen, sondern mit dem Schlüssel das Bücherzimmer öffnen und durch dasselbe in meine Wohnung zurückkehren.«

Er ging durch die halbgeöffnete Thür in das anstoßende Zimmer, und wahrscheinlich auch in das fernere.

Ich blieb heraußen stehen, und es war sehr stille. Endlich, da ich eine Weile gewartet hatte, bewegte sich schwach der halbe etwas offen stehende Thürflügel – und sie trat heraus.

Ihre Augen waren auf mich gewendet – –

- Morgen Margarita. –

4. Margarita

Ehe ich weiter gehe und eintrage, was geschehen ist, will ich noch des Obrists gedenken, und mir seine Seele vor die Augen halten – ich muß den Mann hoch ehren, und will es in diesem Buche nieder schreiben, wie er ist. Was der Obrist sagte und that, habe ich bisher nicht nach meinem Gedächtnisse allein aufgeschrieben sondern nach der Handschrift, die er mir ge lassen, und die er über diese Dinge aus seinen versiegelten Päken genommen hat, wie ich ihn ja selber in diesem meinem Buche nachzuahmen versuche. Was ich weiter sage und eintrage, weiß ich ja schon längst, aber es ist mir nie so klar und deutlich vor die Augen gekommen, als an diesen Tagen. Wie gut er ist nicht nur gegen mich, sondern auch gegen alle andern, wie einfach und schön er ist, zeigt sich ja viel deutlicher in dem, was er thut, als es mit allen andern Worten je gesagt werden könnte.

Da hat er oberhalb des Eichenhages die Senkung gereutet, die er sich gekauft hatte, und in der nur saures Moos, geflecktes Gras, und die einzelne herbe rothe Moosbeere zwischen den dünnen Föhrenstämmen wuchs, die auch in der Nässe nicht fortkommen wollten, und hat dann Gräben schlagen lassen, hat unversumpfbares Erlenholz hinein geworfen, und sie wieder überwölbt, hat Abzugskanäle und Auslaufgräben mauern lassen, hat das Ganze mit Pflügen umgerissen, durch mehrere Jahre Sämereien hinein gebaut, und hat jetzt eine Wiese daraus, die rechts oben an der Ecke des Meierbacher Weizenstückes beginnt, hinter den Eichen hinüber geht, und wenn man von den Sillerhöhen herab kömmt, weithin mit ihrem schönen dunklen Grüne leuchtet, wo ehedem nur kaum das Grau der kleinen Föhrenbäumchen zu schauen gewesen war, und jetzt oft schon das gelblich rothe Eichenlaub abfällt, wenn daneben noch die schöne grüne Tafel schimmert. Weil aber die Wiese von dem Hause des Obrist aus nicht sichtbar ist, und überhaupt eine sanft geschwungene Wiege bildet, in der man Menschen und Thiere nicht sehen kann, außer wenn man von den Höhen der Siller herab kömmt, so haben sich die Buben, welche in unsern Gegenden gewohnt sind auf Rainen, Gemeindeplätzen und Stoppeln einige oder die andern Stücke Rinder herum zu hüthen, die Wiese ausersehen, um ihre Thiere besser und schneller zu nähren, als es sonst irgendwo der Fall gewesen wäre. Das fette Gras und die Geborgenheit mochte manchen verleitet haben, seine Pfleglinge hinein zu lassen und dem frischen Weiden derselben zuzuschauen. Als man dem Obristen diese Sache hinterbracht hatte, wurde er sehr zornig und sagte, er sehe nicht ein, warum er sich so geplagt habe, um aus dem schlechten Grunde ein schönes, gezähmtes menschliches Erdenstück zu machen, wenn es jetzt so mißbraucht, und heimlich herab gewürdigt werde. Er wolle bei Gelegenheit selber hinauf gehen, und sich Recht verschaffen. – Dem zu Folge ging er eines frühen Morgens, als sich wieder Verdacht zeigte, es möchte an seiner Wiese Frevel begangen werden, durch die Eichen, die hinter seinem Hause einen so schönen Hag bildeten, hinauf, und da er aus den letzten Bäumen ins Freie heraus getreten war, sah er auf seiner Wiese vier schöne dunkelrothbraune Rinder weiden, und einen in Grau gekleideten Buben nicht weit davon stehen. Die Nässe that den Füßen des Obrists von jeher nicht gut, aber dennoch ging er mit den Lederstiefeln sachte in den sehr starken Frühthau, der auf den Gräsern der Wiese lag, hinein, um den Buben zu haschen, der mit dem Rücken gegen ihn stand. Er setzte die Füße in dem hohen Grase, in welchem Wasser und Spinnenfäden hingen, vorwärts, bis er nur mehr einen Büchsenschuß weit von dem Buben entfernt war. Da fiel ihm ein, derselbe möchte zu sehr erschrecken und etwa krank werden, wenn er ihn plötzlich ergriffe. Darum machte er ein kleines Geräusch, daß er es höre und davon laufen könne. Der Hirtenknabe hatte scharf gehört, er wendete sein Angesicht bei dem Geräusche, und da er den ehrwürdigen Obrist bis auf die Kniee im Grase wandeln sah, warf er sich herum und ergriff die Flucht. Er rannte, wie ein leichtfüßiges Reh, durch die Wiese, schwang sich über den Graben, lief immer fort, gegen die Siller hinüber, verschwand unter den Gesträuchen, die sich da gegen die Tiefe und die Felder hinab ziehen, und der Obrist stand mit dem schönen Gewande im Grase. Er trieb nun die vier Rinder aus der Wiese hinaus, er trieb sie gegen das Gereute hinan, wo Weidegrund ist, und leitete sie zwischen den zerstreuten Haselbüschen, die dort stehen, auf die Weide, bis er überzeugt war, daß sie nun nicht mehr auf die Wiese zurückkehren, und auch niemanden anderm auf ein Grundstück gehen könnten. Dort verließ er sie, und ging nach Hause. Weil er den Rückweg auf einem staubigen Wege machte, und außer den Stiefeln auch manche Kleiderzipfel naß waren, kam er sehr beschmutzt nach Hause. Dem Knechte sagte er nichts über den Erfolg seines Feldzuges.


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