Adalbert Stifter
Die Mappe meines Urgroßvaters
Adalbert Stifter

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In der Finsterniß der Truhe bewahrte auch lieb Mütterlein manche Kostbarkeiten auf, die keinen andern Zweck hatten, als daß sie immer liegen blieben, und die wir gelegentlich zu sehen bekamen, wenn sie einmal etwas Seltenes suchen ging, und wir die Köpfe mit in die Truhe steckten. Da war eine Schnur angefaßter rasselnder silberner Gupfknöpfe, ein Bündel Schnallen, langstielige Löffel, eine große silberne Schale, von der sie sagten, daß der Doctor das Blut der vornehmen Leute in dieselbe gelassen habe, – dann waren zwei hornerne Adlerschnäbel, einige Bündel von Goldborden, und anderes, was in der Dunkelheit so geheimnißvoll leuchtete, und worin wir nie kramen durften, weil die Mutter bei solchen Gelegenheiten stets nicht Zeit hatte, sondern zusperren und fort gehen mußte. Zuweilen aber, wenn die obere Stube, wo die Gastbetten standen und die Festkleider hingen, einmal gelüftet und abgestäubt wurde, und die Mutter eben bei Laune war, zeigte sie wohl gerne etwa einer Nachbarin und auch uns Kindern, die immer dabei standen, manches von der Ahnentafel bürgerlicher Häuser, die ich so liebe, der Truhe der Brautkleider. Wie Reliquien pflegte man sonst derlei Kleider aufzubewahren und bei Gelegenheiten vorzuzeigen; aber diese Ehrfurcht nahm in den Zeiten ab, und endlich kam der schwarze Frack, in dem wir zur Trauung, zum Besuche, zum Spaziergange gehen – was soll daher an ihm sein, das der Aufbewahrung würdig wäre? Wenn Mütterlein nun die steifen eckigen Dinge herauszog und in der Sonne spielen ließ, da standen wir dabei und staunten die verschossene Pracht an. Da kamen sammetne, seidene, goldstarrende Dinge zum Vorschein, die da rauschten und knisterten und unbekannt waren. Vom Doctor ist noch der ganze veilchenblaue Sammetanzug übrig, mit den vielen Schleifen und unten Goldblümchen, dann mit den Bandschuhen, und schwarzem Barett. Das aschgraue Seidengewand seiner Braut hatte hinten einen Zipfel als Schleppe hinaus, es war ein goldener Saum da, und aus dem Innern lauschte das schwefelgelbe seidene Unterfutter. Insonderheit war auch der Rock der Großmutter, der meßgewandstoffig und unbiegsam war, mit den vielen Falten und großen Seidenblumen. Des Vaters langer röthlicher Brautrock, in dem ich ihn oft an Oster- und Pfingsttagen zur Kirche gehen sah, hatte schon das Schicksal, daß er zerschnitten wurde; denn als der Vater todt war, und ich in die Abtei studieren ging, da wurde für mich ein neues Röcklein daraus gefertigt, in welcher Gestalt er aber von meinen Mitschülern stets nur Hohn und Spott erntete, obgleich mir mein kleines Herz jedesmal um den verstorbenen Vater sehr weh that, wenn ich an Sonntagen das so oft verehrte Tuch auf meinen Armen sah.

Früher mochten noch mehrere Gedenksachen allgemach den Weg der Zerstörung und Vergessenheit gegangen sein. Ich denke noch klar eines Wintermorgens, an dem man daran ging, das Ungeheuer eines weichen Schreines mit Aexten zu zerschlagen, das seit Kindesdenken prangend mit dem eingelegten Worte »Zehrgaden« wie ein Schloß neben der Küche gestanden war, und ich weiß noch heute recht gut, wie ich damals als winziges Kind einen beinahe bitteren Schmerz empfand, als der wunderbare kaffeebraune Berg vor mir in lauter schnöde Späne zerfiel, im Innern zu höchster Ueberraschung so gewöhnlich weiß, wie die Tannenscheite im Hofe. Lange nachher hatte ich immer ein Gefühl verletzter Ehrfurcht, so oft ich die große lichte Stelle an der Mauer sah, wo er gestanden war.

Und wie Vieles mochte in der vordenklichen Zeit verloren sein. Wie oft, wenn wir Wallfahrer spielten, und ein Fähnlein auf einem langen Stabe trugen, dazu wir einen Lappen aus dem Kehrichte gezogen hatten, mochte der Lappen aus einem schmeichelnden Kleide gewesen sein, das einst die Glieder eines lieben Weibes bedeckt hat. Oder wir saßen im Grase, streichelten mit den Fingern an den schillernden Fäden des hingesunkenen Fähnleins und sangen: »Margaretha, Margaretha;« denn die Mutter hatte uns oft von einer Margaretha erzählt, die eine schöne weiche Frau unserer Vorfahren gewesen sein soll. – Wir sangen: »Margaretha, Margaretha,« bis wir selber eine Art Furcht vor dem Lappen hatten.

Wie der Mensch doch selber arbeitet, daß das vor ihm Gewesene versinke, und wie er wieder mit seltsamer Liebe am Versinkenden hängt, das nichts anderes ist, als der Wegwurf vergangener Jahre. Es ist dies die Dichtung des Plunders, jene traurig sanfte Dichtung, welche blos die Spuren der Alltäglichkeit und Gewöhnlichkeit prägt, aber in diesen Spuren unser Herz oft mehr erschüttert, als in anderen, weil wir auf ihnen am deutlichsten den Schatten der Verblichenen fort gehen sehen, und unsern eignen mit, der jenem folgt. Darum hat der Großstädter, der stets erneuert, keine Heimath, und der Bauerssohn, selbst wenn er Großstädter geworden ist, hegt die heimliche sanft schmerzende Rückliebe an ein altes schlechtes Haus, wo die Bretter, Pfähle und Truhen seiner Voreltern standen und stehen. Wenn die Gebeine eines Gewesenen schon verkommen sind, oder zerstreut in einem Winkel und im Grase des Kirchhofes liegen, stehen noch seine bleichenden Schreine in der alten Wohnung, sind zuletzt die beiseite gesetzten ältesten Dinge, und werden so wieder die Gespielen der jüngsten, der Kinder.

Es ist etwas Rührendes in diesen stummen unklaren Erzählern der unbekannten Geschichte eines solchen Hauses. Welches Wehe und welche Freude liegt doch in dieser ungelesenen Geschichte begraben, und bleibt begraben. Das blondgelockte Kind und die neugeborne Fliege, die daneben im Sonnengolde spielt, sind die letzten Glieder einer langen unbekannten Kette, aber auch die ersten einer vielleicht noch längern, noch unbekannteren; und doch ist diese Reihe eine der Verwandtschaft und Liebe, und wie einsam steht der Einzelne mitten in dieser Reihe! Wenn ihm also ein blassend Bild, eine Trümmer, ein Stäubchen von denen erzählt, die vor ihm gewesen, dann ist er um viel weniger einsam. Und wie bedeutungslos ist diese Geschichte; sie geht nur zum Großvater oder Urgroßvater zurück, und erzählt oft nichts als Kindtaufen, Hochzeiten, Begräbnisse, Versorgung der Nachkommen – aber welch ein unfaßbares Maß von Liebe und Schmerz liegt in dieser Bedeutungslosigkeit! In der andern, großen Geschichte vermag auch nicht mehr zu liegen, ja sie ist sogar nur das entfärbte Gesammtbild dieser kleinen, in welchem man die Liebe ausgelassen, und das Blutvergießen aufgezeichnet hat. Allein der große goldene Strom der Liebe, der in den Jahrtausenden bis zu uns herab geronnen, durch die unzählbaren Mutterherzen, durch Bräute, Väter, Geschwister, Freunde, ist die Regel, und seine Aufmerkung ward vergessen; das andere, der Haß, ist die Ausnahme, und ist in tausend Büchern aufgeschrieben worden.

Da der Vater noch lebte, durfte von des Doctors Habschaften nichts verrückt werden, da er ihn hoch verehrte und fast ausschließlich immer in einem ledernen Handschriftenbuche desselben las, welches Buch aber später ganz abhanden gekommen war. In jener Zeit stand der alte Hausrath noch wie eine eherne Chronik umher; wir Kinder lebten uns hinein, wie in ein verjährtes Bilderbuch, dazu der Großvater die Auslegung wußte, und erzählte, er, der der eigentlichste lebendigste Lebensbeschreiber seines Vaters des Doctors war.

Wenn er manchen Abend zwischen diesen Denkmalen niedersaß und in dem Buche seiner Jugend nachsann, dessen Zeichen blos tiefe Stirnrunzeln und weiße Haupthaare waren, und von den Thaten und Abenteuern des Doctors erzählte, von seiner Furchtlosigkeit bei Tag und Nacht, in Wald und auf Haiden, wenn er so zu seinen Kranken fuhr – wie er Scherze und Schnurren trieb – wie er Arzneigläser hatte, die roth und blau glänzten, wie Karfunkel und Edelstein – wie er Macht hatte über die Dinge auf der Erde und in der Luft – – und wenn nun das eine und andere Geräthstück, wie es ja noch leibhaftig vor uns stand, anfing in der Geschichte mit zu spielen, bald, weil es in einem bedeutungsvollen Augenblicke in ihm krachte, oder plötzlich ein Glas den Platz wechselte – bald, weil ein Schwerverwundeter darauf ächzte, wie ihm der Doctor den Körper wieder fügte, den ein Waldbaum gänzlich auseinander geschlagen hatte – bald, weil ein unergründlich Geheimniß der Heilkunde darinnen verschlossen gewesen: so ergoß sich eine unsägliche Bedeutung und Zauberei um die veralteten Gestalten; wir getrauten uns kaum hinzusehen, wie alles in hellem Kerzenlichte umher stand, und entschiedene Schatten warf; tief hinten ein Schrank, hoch und dünn, wie Ritterfräulein, die in ein Leibchen gepreßt sind; es war, als stünden Dinge auf ihm, die am Tage gar nicht dort stehen – dann der Arzneischragen, der gleichsam heimlich immer glänzender wurde – der Ahorntisch mit dem eingelegten perlenmutternen Osterlamme – die Uhr mit der Spitzhaube – der lange Lederpolster auf der Bank mit Bärentatzen, die wie lebendige griffen – endlich am Fenster, mit bleichen Tropfen des hereinscheinenden Mondes betupft, das Schreibgerüste, vielfächrig, gothisch, mit einem kostbaren Geländer, auf dem braune Frösche paßten und gleißten, die Schreibplatte überwölbt mit einem hölzernen Baldachine, wie mit einem Herdmantel, darauf oben ein ausgestopfter Balg saß, den man nicht mehr kannte, und den wir jedes Abends fürchteten – und wenn der einzige Hort, der Vater, der auf diese Erzählungen nichts hielt, in der Ofenecke eingeschlummert war, und der Mondenglanz der scharfen, taghellen Winternacht in den Ecken der gefrierenden Fensterscheiben starrte, so wehte ein solches Geisterfieber in der Stube, es hatte selbst die Mutter so ergriffen, und war über die Mägde hinaus gekommen, die gerne in der Küchenstube daneben saßen und spannen, daß, wenn jetzt jemand am äußeren Thore geklopft hätte, es unmöglich gewesen wäre, sich ein Königreich zu verdienen, blos dadurch, daß eines hinaus gehe, und schaue, wer es sei.


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