Adalbert Stifter
Die Mappe meines Urgroßvaters
Adalbert Stifter

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Nach einer Weile der Unterredung sagte ich, daß ich zu Margarita hinüber gehen müsse. Er stand auf, und ich beurlaubte mich. Es war mir zu allen Zeiten erlaubt gewesen, allein zu Margarita hinein zu gehen, und der Obrist hatte es nie so eingerichtet, daß dieses nicht geschehen durfte.

Ich ging durch den Gang zu ihr hinüber. Als ich die Thüre geöffnet hatte, sah ich sie an ihrem Tischchen stehen, und sie schien mich erwartet zu haben. Sie war manchmal, wenn sie wußte, daß ich zu ihrem Vater hinein gegangen sei, voll Freude herüber gekommen; heute war das nicht der Fall gewesen. Sie war recht schön gekleidet, aber das Gewand war ein anderes, als gestern. Auf dem Wandtische neben der Thür lag noch der welke Strauß Feldblumen, den sie gestern gepflückt hatte, und seine Stengel waren noch mit demselben Feldgrase gebunden, das sie gestern genommen hatte. Ich erkannte, daß er einige Blumen enthielt, die in unserem Kräuterbuche noch nicht waren, oder die wir schlecht gepreßt hatten.

Da ich bis zu ihr vorwärts gekommen war, und gegen ihre Augen geblickt hatte, sagte sie: »Ich habe euch heute erwartet, und da muß ich euch die Worte sagen, die ich mir in der Nacht gedacht habe, und die euch zu wissen nothwendig sind. Ich habe recht gerne eure Gattin werden gewollt, der Vater hat euch auch in hohem Grade lieb; – aber da nun alles anders geworden ist, muß ich euch sagen, daß es nicht mehr geschehen kann.«

Ich sah sie an. Da ich in das Haghaus hinauf ging, wußte ich noch nicht, was ich sagen werde, nur die Empfindung war mir klar, daß ich heute recht bald, so bald als möglich hinauf gehen müsse; aber als Margarita die obigen Worte gesagt hatte, erschrack ich sehr. Ich nahm sie bei der Hand, die sie mir gerne ließ, und führte sie gegen das Fenster vorwärts. Sie setzte sich auf das gepolsterte Bänklein, das in der Fenstervertiefung steht, nieder, weil sie dachte, daß ich mit ihr reden wolle. Ich setzte mich auf das andere Bänklein, ihr gegenüber, und redete zu ihr. Ich redete sehr lange – aber was ich sagte, weiß ich nicht mehr, und kann es nicht in dieses Buch einschreiben. Was sie antwortete, weiß ich auch nicht mehr; aber das weiß ich, daß es nicht so war, wie ich wollte, und daß sie ihren Entschluß nicht änderte. Dann schwieg sie ganz, und wie ich eifriger und hastiger fort redete, verstummte sie immer mehr, und als ich endlich sehr heftig und dringend wurde, sagte sie plötzlich die Worte: »Da muß ich den Vater um Hülfe rufen.«

Auf diese Worte sprang ich auf, und sagte: »Nein, das dürfet ihr nicht thun, das sollt ihr nicht nöthig haben – es ist schon alles gut, gut, gut.«

Und da war es, wo eine solche Vergessenheit aller Dinge des Himmels und der Erde über mich kam!! – – Ich wendete mich um, ging zur Thür hinaus, gewann durch das Thor das Freie, und eilte nach meinem Hause hinunter. – –

Es war nun alles gleich. Ich wollte die Dinge der Welt zerreißen, vernichten, strafen. – – –

Ich habe es im Anfange dieses Buches eingeschrieben, wie ich in den Kirmwald zu einer Birke hinaufgeeilt bin, die mir in den Gedanken gekommen war, und wie mir der Obrist an jene Stelle nach gegangen war, und mit mir in dem Walde geredet hatte. – – –

Es ist eine sehr lasterhafte That gewesen, die ich habe begehen gewollt, und sie hat meine Seele tief erschreckt. – Ich habe sonst meine Geschäfte ruhig gethan, und weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin, daß ein solcher Gedanke in meinem Haupte entstehen konnte. – Ich weiß es heute noch nicht. – – –

Ich muß mein Amt mit noch größerem Eifer verwalten, ich muß in die tiefsten Dinge desselben nieder steigen, und muß die größten Schwierigkeiten und die kleinsten Pflichten desselben thun, damit wieder alles ausgeglichen werde.

Ich habe diese Sache darum auch gleich am Anfange dieses Buches eingeschrieben, weil sie mich so erschreckt hat, daß nur eine Möglichkeit gewesen ist, daß ein solches Beginnen in meinen Sinn und in meine Denkweise kommen konnte!!

Ich bin sehr traurig gewesen. Am Abende bin ich nach Hause gegangen, und habe mich in das Bett gelegt – nicht zum Schlafen. Den andern Tag habe ich mit mir allein zugebracht. Am folgenden bin ich zu dem Obrist hinauf gegangen. Er hat mir seine Lebensgeschichte erzählt, und hat mich sehr erschüttert. Dann hat er mich gefragt, ob ich zu Margarita hinüber gehen wollte, um mit ihr gütig zu reden; und da ich eingewilligt hatte, führte er mich durch den Gang und über die gelbe Rohrmatte in ihr erstes Zimmer hinein. Als sie in demselben nicht war, sagte er, ich solle hier warten, er werde sie holen – dann werde er selber nicht mehr heraus kommen, sondern durch das Bücherzimmer in seine Stube zurück gehen. Er kam auch nicht mehr heraus – es öffnete sich schwach der halbe Thürflügel, den der Obrist hinter sich offen gelassen hatte, und Margarita trat heraus. Ihre Augen waren auf mich gerichtet. Sie war so einfach schön, wie das Ding, wovon sie den Namen hat; denn Margarita heißt ja in der alten Römersprache die Perle. Der Obrist hatte nichts von dem gesagt, was ich hatte thun wollen, ich erkannte es wohl; denn sie hätte mich nicht mehr angesehen. Sie ging bis in die Mitte des Zimmers hervor, wo ich stand, ich reichte ihr die Hand, wie wir es gewöhnlich thaten, wenn wir in früheren Zeiten zusammen gekommen waren, sie nahm die Hand an, und dann ließen wir wieder los.

»Margarita,« sagte ich, »euer Vater hat bei euch fürgesprochen, daß ich zu euch herüber kommen, und mit euch reden dürfe. Wir werden nun nicht mehr so oft zusammen kommen, und werden nicht so oft mit einander durch die Felder und Wälder gehen wie bisher – – ich werde weniger in das Haghaus herauf gehen können, als es in den vergangenen Zeiten der Fall gewesen ist – – – fürchtet euch nicht, ich werde heute nicht so reden, wie vorgestern, sondern gut und ruhig – ich werde euch um nichts bitten.« – –

Sie hatte während dieser Worte nicht geantwortet, obwohl sie in Zwischenräumen gesagt worden waren, sondern war vor mir gestanden, und hatte ihre Arme an ihrem Kleide niederhängen lassen.

»Margarita,« sagte ich dann wieder, »verzeihet mir.«

»Ich habe euch nichts zu verzeihen,« antwortete sie, »ihr habt mir nichts gethan.«

Während wir diese Worte sprachen, kam der Obrist wieder durch das Bücherzimmer zu uns herüber, und trug etwas in der Hand. Da er bis zu uns gelangt war, legte er es auf den Tisch nieder und sagte: »Hier sind einige getrocknete Stämmchen Edelweis. Sie sind die Hälfte von denen, welche mir meine Gattin gepflückt und auf den Hut gesteckt hat, als sie an ihrem letzten Tage mit mir auf dem hohen Gebirge gewesen war. Ihr werdet beide diese Pflanze nicht kennen, da sie hier nicht wächst, und werdet sie daher auch nicht in euren Kräuterbüchern haben. Ich gebe euch diese mehreren Stämmchen, theilt sie unter einander, und bewahret euch dieselben auf.«


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