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VI.
Franz Defregger und seine Bilder.

 

Es ist um die Dämmerstunde. Das ist die Zeit der Ateliersbesuche und da ziehen wir die Glocke an dem reizenden roten Hause in der Königinstraße zu München, wo man hinabsieht in die beeisten Zweige des englischen Gartens und in die wogenden Novembernebel.

Ein großes eisernes Gitter öffnet sich, wir blicken in ein winterlich geschütztes Gärtlein, bellend springt uns der Hund entgegen und nach wenigen Schritten stehen wir vor der breiten Atelierthür, wo mit Kreide angeschrieben steht: »Modelle von 8-9«. Das ist die Heimat eines Künstlers, der jetzt zu den gefeiertsten europäischen Namen zählt; das ist die Wiege jener sonnenfrischen Bilder, die Tausende von Herzen in der alten und der neuen Welt entzücken.

Ein bunter Lärm, der fast das »Herein« verschlingt, klingt uns von drinnen entgegen; Kunsthändler, Kunstkritiker, Kunstfreunde führen da das laute Wort. Der eine hält einen ästhetischen Monolog mit der Pointe: »Na, wissen Sie, Sie sollten eigentlich in Berlin leben!« »Aber bitte«, ruft entsetzt der Wiener dazwischen; – »nicht wahr, Sie schließen nicht ab, ohne mir die Vorhand zu lassen«, spricht halblaut der Prinzipal, der im mächtigen Pelzrock an der Staffelei vorüberstreift.

Und mitten in dem Gedränge steht hochgewachsen und schlicht der bildschöne, schweigsame Mann, den sie alle umwerben, und wirft nur dann und wann ein Wörtlein in den Redestrom seiner Gäste. Er trägt die graue Joppe als Arbeitskleid und hat die Palette abgelegt, weil es zum Malen doch schon zu finster ist; seine tiefklaren Augen streifen noch einmal träumend das Bild und ein halbverlegenes Lächeln gleitet über die ernsten Züge, wenn er die Flut von Lobsprüchen, von Weisheit und von glänzenden Offerten vernimmt. Dann aber, wenn der Schwarm der Bewunderer sich verlaufen, dann atmet er leise auf, sachten Schrittes gehen wir in den kleinen Erker, der dicht an die Werkstatt stößt, und dort erst reicht er mir nochmal die Hände – »Grüß Di' Gott!« Nun erst ist aus dem Herrn von Defregger (er ward vor kurzem erst geadelt) und aus dem Herrn Professor wieder der Franzl geworden.

Aus dem trauten, holzvertäfelten Winkel sieht man hinaus in die dämmernde Werkstatt, wo sich der Epheu ums Fenster schlingt, man sieht gerade auf ein Landschaftsbild, das die Heimatberge unseres Meisters darstellt. Leichtes Gewölk streift über die blauen Gipfel, auf dem felsdurchwachsenen Boden steht eine braune Hütte, man glaubt in den verwitterten Fichten den Wind zu hören. Er hat es selbst als flüchtige Skizze gemalt, aber in der flüchtigen Skizze liegt der Schlüssel zu all jenen gewaltigen vollendeten Bildern, liegt das Geheimnis von all dem Zauber, der sein Schaffen und seine Persönlichkeit umgiebt. Denn all das wurzelt in der Heimat.

Wohl nur wenige bedeutende Menschen haben es verstanden, die Kraft ihrer Herkunft, das Originale, das Persönliche, das ihnen damit gegeben war, in dieser Unversehrtheit festzuhalten, wie Defregger. Er ist noch heute in seinen letzten Tiefen das Bergkind von ehedem und er wollte niemals etwas anderes sein, als er ist. In der kernigen Wirklichkeit des Bauernlebens gewann er kein Bewußtsein dessen, was man in der großen Welt den Schein nennt, und diese innere Wahrhaftigkeit, diese Unschuld seines Denkens und Schaffens, wenn ich so sagen darf, hat ihm die spätere Bildung nicht zerstört und sein früher Ruhm nicht weggeschmeichelt. Nie hat er mit den Verhältnissen sein Wesen geändert oder der Welt ein Zugeständnis an seinem inneren Ich gemacht, und das gießt seiner künstlerischen und menschlichen Persönlichkeit jene geschlossene Einheit, die uns so wohl thut neben der hastigen Vielseitigkeit, die wir ringsum erblicken.

Und doch wie wunderbar und vielseitig waren die Wege und der Wechsel dieses Lebens!

Sie alle wissen wohl soviel von Defreggers Jugend, daß er als Bauernkind heranwuchs, in der Abgeschiedenheit eines einsamen Tirolergehöftes, aber Sie wissen vielleicht nicht so im vollen Maße, was das heißt, was das Leben eines Bauernkindes bedeutet. Diese stumme, hart umgrenzte Welt, die nur sich selber kennt, dies Dahingehen in einem uralten tausendjährigen Geleise, diese ewige Zwiesprach mit der unverschleierten Natur! Es läßt sich nicht sagen, was die Sonne herniederscheint in das Gemüt des lauschenden Knaben, der da am Berghang auf dem Felsen sitzt, während die Herde um ihn weidet, was die stöhnenden Bäume dem Mann entgegenrauschen, der nachts durch den Wald zieht mit seiner Last auf der Schulter, kurzum, es giebt kein Wort für das, was der Bauer in der Natur erschaut, erlauscht, erlebt. Er wird sich selber dessen oft kaum bewußt, aber das Elementare, das in diesen Eindrücken liegt, verwächst gleichsam mit seiner ganzen Seele und legt die Hand auf sein ganzes Leben. In der Jugend sammeln wir das Bestimmende, das Unvergeßliche für unser Dasein, und bis zum 25. Jahre ist Defregger nicht einen Fußbreit aus dieser Bergwelt, aus diesem Bauernleben hinausgetreten.

Die Gemeinde, die er seine Heimat nennt, heißt Dölsach, der engere Ortsname aber ist Stronach, nicht fern von Lienz im Pusterthale. Fast eine Stunde weit ist es von der Kirche des Dorfes hinauf bis zu dem mächtigen Einödhofe, wo sein Vater und dessen Väter gehaust; auf dem braunen Dach liegen die Steine, man sieht die Felsen der Dolomiten und über den grünen Berghalden erhebt sich langgestreckt der dunkle Wald.

Dort ward unser »Franzl« am 30. April 1835 geboren, seine eigenen Erinnerungen reichen zurück bis ins dritte Jahr und unwillkürlich hielten sie immer das am festesten, was am bildlichsten vor seine Seele trat. So weiß er es noch genau, wie einst ein Zug von Jägern oben am Gangsteig vorüber zog und mit der Mutter in Zwiesprach kam, und wie er sich fürchtete, sie möchten ihr etwas zu leide thun; wie er am Brunnen stand, wenn in der Abendkühle die Herde kam, wie sich die vier Schwestern um ihn drängten, der ihr einziger Bruder war.

Als er fünf Jahre zählte, verlor er die Mutter, der Typhus wütete im Hause und er selber lag schwer darnieder. Manchmal kam wohl der Arzt in das einsame Bauerngehöft und griff nach der Hand des fiebernden Knaben; er gab ihm Arzneien, aber Hoffnung gab er ihm wenig. Gleichwohl siegte die kräftige Natur; er erinnert sich noch an den wohligen Schauer, als ihn der Vater das erstemal hinaus in die Sonne trug. Doch blieb er bis zum siebenten Jahre kränklich und schwach.

Dann ging sein Knabenleben in den herkömmlichen Bahnen weiter. Im Winter war Schule, die ein alter Bauer für die Kinder der umliegenden Höfe hielt, während der Schnee fußhoch in den Bergen lag; im Frühjahr aber flog der ganze junge Schwarm auseinander, und gleich den andern zog auch der Franzl als Hüterbub auf die Alm. Vor ihm kletterten die Ziegen und er kletterte ihnen nach, barfuß, mit der Spielhahnfeder auf dem verwaschenen Hütlein; droben aber legte er sich in die Sonne und sah hinaus in die Welt.

Wieviel erspäht man nicht auf solcher Lagerstatt, es fällt mir immer der Spruch eines alten Bauers ein, welcher sagte: »Die Leute meinen alleweil, man müßt recht umeinander gehn, damit man recht viel sieht, aber wenn man fest auf ein' Platz bleibt und dort recht aufpaßt, na' sieht ma' noch viel mehr.« Und so war es auch hier, da kam das Wild, es flogen die Geier, die Steine rollten und die Alpenblumen blühten; er aber lag da und über ihm zogen Wolken, Windesrauschen und Träume.

Der Vater war ein strenger Mann, aus dem harten Holze des alten Bauernschlages; er hatte eine besondere Vorliebe für Pferde und wenn dieselben auf die Weide getrieben wurden, dann setzte er gern den Jungen aufs Roß, damit er behend und schneidig werde. Oft fiel er unter die tollenden Füllen, einmal erhielt er sogar einen schweren Hufschlag auf den Mund. Gern hätt' er den Schlag verschmerzt, wenn's nur nicht gerade am Kirchweihtag gewesen wäre, wo die fetten Krapfen gebacken wurden, und nun war er inkapabel, auch nur einen einzigen zu verzehren! Alljährlich einmal ging der Alte ins Pinzgau über die Tauern, um Vieh zu kaufen, und dann durfte ihn der Knabe in der Regel begleiten. Es war jener uralte Bergweg, der schon im XI. und XII. Jahrhundert begangen wurde; schon damals wurden Unterkunftshütten errichtet und Stiftungen gemacht, um allabendlich durch Hornsignale die Wanderer auf den rechten Weg zu führen, die sich in den Tauern verirrt hätten. Das alte »Valwild«, der Steinbock nämlich, war herdenweise dort heimisch und heute noch faßt jener wundersame Pfad gewaltig unsre Phantasie.

Das war aber auch der einzige Wechsel in dem stummen Einerlei des abgelegenen Hofes. Allein gab es denn nicht noch ein anderes bedeutsames und schöpferisches Moment in diesem jungen Leben – die Kunst? Wie dämmerte zuerst ihre Ahnung auf, wie zeigten sich ihre ersten Regungen im stillen?

Der Franzl hatte noch nie das Wort gehört und noch kein anderes Bild gesehen, als die paar Heiligenbilder in Stube, Haus und Kirche, aber dennoch tastete die innere Gestaltungskraft unbewußt nach ihrem Ziele. Aus den Kartoffeln, die er vom Herde nahm, schnitzelte er menschliche Gesichter; aus dem Teig, der im Backtrog lag, knetete er die abenteuerlichsten Figuren und in die leeren Blätter des Bauernkalenders kritzelte er Roß und Rind, wie er sie draußen am Brunnen gesehen. Allein er hatte weder Vorlagen noch Unterricht. Nur einmal erhaschte er einen österreichischen Guldenzettel und kopierte ihn so getreu, daß die kaiserlichen »Finanzer« (wie man in Tirol sagt) beinahe wegen Banknotenfälschung interpellierten!

Dies Experiment war nicht ermunternd; keine führende Hand, kein scharfes Auge kam dem schlummernden Talent entgegen und wenn auch der Herr Pfarrer von Dölsach gelegentlich mit dem Vater sprach, so schüttelte dieser trotzig den Kopf und sah hinaus über Feld und Wald. Das war das richtige Erbteil für seinen Buben.

Mit fünfzehn Jahren war Defregger vollständig erwachsen, und nun war die Idylle vorüber, nun galt es die harte, schwere Arbeit des Bauers. Aber auch die ganze »Lustbarkeit«, die in diesem Dasein liegt, ward nunmehr wach, um ihn war eine Schar von fröhlichen Kameraden und zu sechst und siebent zogen sie in lauer Mondennacht in die benachbarten Dörfer zum »Gasselgehn«, wo die alten fröhlichen Reime klangen. Und doch – in all' der kernigen Lebensfrische ging ein wundersamer idealer Zug durch die Tiefen seiner Natur; wenn er die Glocken des Dorfes hörte, wo sein Schatz daheim war – von fern, fast eine Meile weit – dann durchrieselte es ihn leise, die zartere Welt in seiner Seele regte sich, ehe er wußte, daß er sie besaß. Dennoch wäre es unrichtig, wenn wir uns etwa den jugendfrischen Defregger als Träumer dächten, den das Erwachen seiner künstlerischen Kraft und die Gebundenheit seines äußeren Daseins bedrängte. Kein Gefühl des Nichtverstandenseins bedrückte ihn, kein innerer Konflikt entfremdete ihn den Genossen, auch hier zeigt seine Persönlichkeit ihre ganze herzgesunde Unantastbarkeit, die noch heute der Grundton seines Wesens ist.

Es schien ihm selbstverständlich, daß es jetzt, wo er ganz in der harten vollen Arbeit steckte, mit dem Zeichnen vorbei war; die Kirche von Dölsach war damals abgebrannt und die einzelnen Bauern trugen zum Aufbau Holz und Steine herbei. Auch er half mit, er ahnte es nicht, daß er dereinst derselben kleinen Kirche das herrliche Altarblatt bringen werde, welches jetzt ihren Schatz bildet.

Noch ehe er 23 Jahre alt war, starb sein Vater und als der einzige Sohn mußte er nunmehr den großen Hof übernehmen. Nur wer das ländliche Leben kennt, weiß, welch' einen Wendepunkt dies bedeutet. Kräftig, freudig und glücklich führte er anfangs das Regiment, überall ging es gedeihlich vorwärts, so daß er selbst einige Ersparnisse zurücklegen konnte. Und noch jetzt in der Erinnerung ist dieser Ehrgeiz lebendig; es ist keine drei Wochen her, daß Defregger zu mir sagte: »Siehst, das ärgert mich, daß die Leut allweil meinen, i wär kein richtiger Bauer g'wesen«.

Aber so gut es auch im Hause, in Stall und Scheuer ging, so kam doch bald noch ein zweiter entscheidenderer Wendepunkt. Welches seine inneren Wurzeln waren, vermag Defregger auch heute nicht anzugeben, er kennt nur das Ergebnis, daß der Boden mit einmal unter ihm zu wanken begann, daß es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt aus der Heimat forttrieb, daß er sich unbewußt vor die Notwendigkeit eines neuen Lebens gestellt sah. War es der Drang nach einem neuen, großen Schaffen, nach einem edleren Berufe? Defregger gesteht, daß er nicht die leiseste Regung davon empfand. Es war jene Zeit nach dem Kriege von 1859, eine tiefe Erschütterung und Entmutigung lag über dem Lande und jener Pessimismus, der in Österreich der Lebenslust so nahe steht, begann die Luft mit seiner Schwüle zu erfüllen. War das der Grund, übte dies Element vielleicht einen Einfluß selbst auf die stillen Thäler und auf die jungen Bursche im Dorf? Defregger verneint es; er selbst war als einziger Sohn vom Militärdienst freigeblieben, und auch die andern hätten in der einsamen Bergluft nichts von einer Verstimmung gespürt – aber die Thatsache bleibt, daß mit einmal ein wahres Wanderfieber erwachte, daß man sich zusammenthat und von einer neuen, schöneren Heimat munkelte, die drüben über dem Meere liegt. Eine leidenschaftliche Unruhe war über das junge Volk gekommen, und wenn der Bauer einmal unruhig wird, dann ist er unendlich schwerer zu beschwichtigen, als der Gebildete.

Amerika war die Losung, Amerika war der Zukunftstraum des Mannes, der den goldenen Reichtum und den ganzen Zauber der Heimat ahnungslos in der Seele trug. So seltsam kreuzen sich manchmal Ziele und Wege!

Die Mehrzahl der Genossen verwirklichte den Plan; zum Glücke für ihn konnte er sich nicht mit allen verständigen und ließ sie vorerst allein ziehen. Aber der Entschluß, die Heimat aufzugeben und seinen Hof zu verkaufen, stand unweigerlich bei ihm fest, er wollte fort, er mußte fort, um jeden Preis. Warum? – es war ihm ein Rätsel, aber das Rätsel forderte seine Lösung.

Daß es dabei nicht ohne Kämpfe abging, versteht sich von selber. Von allen Seiten ward der junge Bauer bestürmt, während die Kaufsverhandlungen schwebten; er mied die Menschen und ihre fröhlichen Zusammenkünfte, und als er nach Wochen wieder einmal ins Wirtshaus kam, erschien mit einemmal der Herr Kaplan und rief ihn hinaus vor die Thüre. Ohne auf seinen Widerspruch zu achten, führte er ihn geraden Wegs in den Pfarrhof, wo die ganze Verwandtschaft versammelt war, um einen letzten Sturm auf ihn zu versuchen.

Der Pfarrer sprach ihm zu Gemüt, die andern weinten und drohten; man ließ es ihn fühlen, was denn dann werden solle, wenn er sein Geld verbraucht und später einmal der Gemeinde zur Last fallen würde.

Dies Wort hat harten Klang im bäuerlichen Leben. Er fieberte vor Erregung, mit Reden konnte er sich nicht wehren, eine Ohnmacht stand ihm nahe. So stürzte er hinaus, stieg in den Wald und antwortete damit, womit der Bauer allein antwortet: mit der vollzogenen Thatsache.

In wenigen Tagen war der Hof wirklich verkauft, er zahlte den Geschwistern ihr Erbteil hinaus und erklärte, er wolle nun nach Innsbruck gehen und Bildhauer werden. Als solcher hoffe er sich ehrlich fortzubringen, ohne jemanden zur Last zu fallen. So war in der Stunde äußerster Not der Gedanke der Kunst in ihm durchgebrochen und gleichsam der Lichtstrahl seiner Zukunft in sein Herz gefallen.

Dann schnürte er das Bündel und ging; 48 Stunden ging er zu Fuße durch das grüne Bergland hin, zwei Maurer, die auch in Innsbruck Arbeit suchten, waren seine Begleiter auf diesem Lebenswege. Es war am 11. April 1860.

Als er dort ankam, noch in Bauernkleidern, ging er zu dem Bildhauer Stolz, der Heiligenbilder für die Kirche schnitzelte, bestellte ihm einen Gruß vom Herrn Pfarrer und bat, ihn in die Lehre zu nehmen. Dann mietete er sich ein kleines Zimmer, nahm sich Vorlagen mit nach Hause und zeichnete, bald anatomische Figuren, dann wieder Erinnerungen aus der Heimat, die Gesichter der alten Bekannten, die er verlassen und an die er doch noch immer dachte; gelegentlich half er wohl auch dem Meister in der Werkstatt. So ging der Sommer vorüber, vorwärts aber ging es dabei nur wenig. Wie Stolz mit richtigem Blicke meinte, sei Defregger überhaupt weit mehr zum Maler, als zum Bildhauer berufen, und da er selber im Herbst durch München reisen mußte, so sagte er ihm kurz und gut: »Weißt was, Franzl – geh mit, na' geh'n wir zum – Piloty.«

Und so geschah es. Der Name des gefeierten Lehrers war damals eben im höchsten Aufschwung und der Eindruck, den Defregger von dieser Begegnung gewann, gehörte wohl zu dem mächtigsten, was er bisher erlebt.

Beklommen pochte er an die Thüre des ungeheuren Ateliers und als er eintrat, fiel sein Blick auf das Riesenbild »Nero«; vor dem Bilde aber stand Piloty selbst, die hagere Gestalt im braunen Sammtrock, mit seinen energischen Zügen und seinen funkelnden Augen, mit seiner stockenden und dennoch so hinreißenden Beredsamkeit. Man muß seine Erscheinung kennen, man muß ihn im Verkehre mit der Jugend gesehen haben, um zu wissen, welche Macht er über dieselbe gewann, wie er jedem in die Seele sah und aus der Seele sprach, wie er in dem Gesamtgefühl für seine Kunst und seine Schule das individuelle Gefühl des einzelnen zu treffen und zu fassen wußte. So hatte der junge Bauer von Dölsach noch niemals reden hören, wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, was ein Künstler sei. Dazu dies Bild, diese Plastik der fremdartigen Gestalten, – »und weißt, die Farben,« setzte er tiefatmend dazu, als er von jener Stunde erzählte.

So sehr indessen Piloty in den mitgebrachten Blättern das verborgene Talent erkannte, so wenig hielt er dasselbe doch für reif, schon jetzt in eine Komponierschule einzutreten. Er lud ihn ein, so oft er nur wolle, ins Atelier zu kommen, aber zuerst galt es, ordentlich zeichnen zu lernen, dann werde das andere sich wohl finden. So trat denn der junge Tiroler in die Kunstgewerbeschule ein, wo er unter der Leitung Dyks bald bedeutende Fortschritte machte; noch jetzt dient eine Zeichnung, die er dort gemacht, daselbst als Vorlage. Aber gleichwohl war seine Stellung keine leichte; »schau (sprach er manchmal), es waren lauter blutjunge Leut' da, – und ich allein – der große Lackel!«

Anderthalb Jahre waren auf diese Weise vergangen, dann kam er an die Akademie in die Malklasse zu Anschütz. Doch auch hier wollte ihm die trockene, schulmäßige Art nicht recht behagen; die reiche Anregung, welche das Münchener Leben sonst in geistiger und künstlerischer Beziehung bot, blieb ihm durch seine Zurückgezogenheit fast völlig verschlossen und so zog immer tiefer ein leises Unbehagen, wenn wir es auch nicht Heimweh nennen wollen, in sein Herz. Wie wär's, wenn er wieder einmal ein wenig nach Hause ginge (dachte er sich bisweilen), nicht in sein Heimatdorf, sondern nach Lienz, in die Nachbarschaft?

Und so geschah's. Dort mietete er sich ein und malte, was ihm unter die Hände kam: Wirte, Honoratioren, Touristen, alles nach festem Preis; das war die gute alte Zeit, wo man einen ächten Defregger um 4 fl. erwerben konnte. Als der Sommer kam, zog er auf eine Alm und malte dort seine Studien weiter; Bergluft und Sonnenschein hatten wohl ihren alten Zauber, aber die Ruhe von ehedem konnten sie ihm doch nicht wieder geben. Denn schon hatte ein anderer Zauber ihn zu mächtig angerührt: der Geist des Schaffens und der großen Welt.

Es ist eine wundersame Entwicklung. Man möchte meinen, daß von der Stunde ab, wo Defregger in die Münchener Schule trat, sein Weg vom Schüler zum Meister nur eine kurzgeschlossene Reihe darstellt, auf der es kaum mehr einen Schritt vom Wege geben könnte. Und doch brach diese Entwicklung wiederholt ganz plötzlich ab, um stille zu stehen oder Umwege zu machen; denn ein doppeltes Element des Eigenwillens lag eben in dieser Natur, der Eigensinn des Künstlers und der des Bauers waren hier in einem Herzen vereinigt.

Es war so einsam auf der Alm, da schnürte er eines Tags sein Bündel und ging nach – Paris.

Ein paar Landsleute, die dort wohnten, hatten ihm geschrieben von dem wogenden Leben und den prächtigen Ateliers der dortigen Meister, und so zog er denn in die weite Welt, wie ein junger Siegfried oder Parzival, waldgewohnt, unerfahren, unkundig der fremden Menschen und der eigenen Kraft.

Als er ankam, wurde eben der Napoleonstag gefeiert; was nur erdenklich war an Glanz und Lärm, an Pracht und Lebensglut, rauschte an seinen Blicken vorüber, strahlende Karossen, Männer voll Selbstgefühl und schmeichelnde Frauen – das war in der That die leuchtende Hauptstadt der Welt, wie sie Heinrich Heine genannt hat.

Aber als nun das Leben und die Wirklichkeit ihr Recht verlangten, da fühlte er erst die Härte dieses Daseins. Auf der Akademie konnte er keinen Zutritt finden, da man keinen Schüler annahm, welcher über 25 Jahre zählte, mit knapper Not gelang es ihm, daß er am Aktzeichnen teilnehmen durfte; die Ateliers der großen Lehrer, wie z. B. Yvon u. a. lockten ihn zwar, aber er war viel zu schüchtern, sie jemals zu besuchen. So lebte er denn als voller Fremdling in der riesigen Stadt, deren herrliche Museen seine einzigen Lehrer waren; um sich den Unterhalt zu sichern, malte er kleine Genrebilder aus dem Tirolerleben, die er an Kunsthändler verkaufte, und damals war der Preis eines echten Defregger bereits auf dreißig Franken gestiegen. Ja, eines dieser Bilder fand sogar Aufnahme in den Pariser Salon.

Aber nachhaltig fördern, innerlich befreien und sicherstellen konnte ihn auch das nicht, es blieb ihm das Gefühl, daß er nicht am rechten Orte war, daß sein Schaffen in diesem Boden nicht wurzeln konnte. Manche Stunde der Entmutigung kam damals über seine sonst so unantastbare Natur, ja er fühlte mitunter sogar die Versuchung, sich ganz von der Kunst zurückzuziehen, und sah mit Neid dem Holzhauer auf der Straße zu, der das Problem seiner Arbeit gelöst hatte, wenn die Klafter vor ihm gespalten war.

Anderthalb Jahre lang hatte dieser Pariser Irrtum bereits gewährt, dann zog er mit einem Freunde zurück in die deutsche Heimat. Von der Schweiz ab ging er zu Fuß bis München, wo er Piloty aufsuchen wollte, der schon so vielen in schwankender Stunde Halt gab, aber leider war derselbe in Karlsbad und so ging er denn in seine Berge, um dort die Rückkehr des Meisters und die Gestaltung seiner Zukunft zu erwarten. In der Zwischenzeit entwarf er die Skizze zu dem späteren Bild »Der verwundete Jäger«, und als er nun damit vor Piloty hintrat, da faßte dieser mit stürmischer Wärme seine Hand und meinte, jetzt sei es recht, nun möge er nur kommen. Denn obwohl ja an Zeichnung und Farbe noch manches fehlte, so war doch der scharfblickende Lehrer förmlich verblüfft, wie Defregger das Entscheidende, das Charakteristische zum Ausdruck gebracht, wie er selbst mit dieser unvollkommenen Sprache genau das sagen konnte, was er sagen wollte.

In die erste freie Stelle, welche sich an der Schule ergab, rückte Defregger ein und nun erst geht seine Laufbahn in festem Gefüge und im raschen Schritt. Von nun ab wird ja sein Leben und seine Persönlichkeit immer bekannter; mir aber schien es eine lockende Pflicht, gerade jenen Teil seines Lebens ausführlicher zu beleuchten, über dem noch ganz der Zauber der Einsamkeit oder die Schwüle innerer Entwicklung ruht.

Wir stehen nunmehr, chronologisch genommen, im Jahre 1867, und Defregger selbst steht als ein rühriger Genosse mitten in dem fröhlichen Arbeitstreiben der Pilotyschule. Unter Makarts tollen Amoretten, unter Grützners Pfäfflein und den bleichen Märtyrinnen von Gabriel Max saß er geduldig vor seiner Staffelei und malte seine Tiroler Bauern. Ein neuer ungemein charakteristischer Zug war durch seine Persönlichkeit in die bunte Physiognomie der Schule hineingekommen. Er gab auch hier nichts von seinem Wesen preis, nichts konnte ihn blenden oder verwirren, so fest war er innerlich auf sich selbst gestellt, aber der warme Zusammenhang, der feurige Corpsgeist, der die ganze Schule zusammenhielt, erfüllte auch ihn mit klarem Wohlgefühl.

Wie gerne möchte ich Ihnen das Bild jenes farbigen geistvollen Treibens, jenes prächtige Zusammenleben der Schule eingehender schildern, wenn ich nicht fürchten müßte, mich allzuweit von der Persönlichkeit, die wir betrachten, zu entfernen. Nur soviel sei gesagt, daß auch ihm gegenüber Piloty jene weise Einsicht bekundete, die zwar beim Lernen strenge und gleiche Disziplin hält, aber überall das eigenartige Talent des einzelnen sorgfältig schont, um ihm nach erlangtem Können die eigenen Wege zu sichern. Er wollte nicht mehr lehren, als man lernen kann, und nur auf diese Weise war es möglich, daß aus ein und derselben Schule ein Makart und ein Defregger, ein Lenbach und ein Gabriel Max hervorging.

Das erste Bild, welches Defregger malte, war jene Skizze, die er in die Schule mitgebracht, und schon dies erste, das vom Münchener Kunstverein ausgestellt und angekauft wurde, machte gewaltiges Aufsehen; man bewunderte die schlagende Charakteristik, die Natürlichkeit der Anordnung und Bewegung, man fühlte, gerade so muß es gewesen sein. Kurzum, es war bereits der ganze Defregger in diesem Bilde, dem nur noch die technische Vollendung fehlte, wie Friedrich Pecht treffend bemerkte. Wenige Tage, ehe das Bild zur Ausstellung kam, klopfte es eines Abends an meiner Thür und herein trat unser junger Maler, den ich in den Ateliers der Schule wiederholt gesehen, und sprach: »Ich hätt' eine Bitte. Jetzt is mein Bild fertig worden und kommt auf den Kunstverein, wenn S' halt so gut wären und thäten mir einen Titel sagen«. Darüber waren wir bald im reinen, dann fuhr er fort: »Jetzt hätt' ich noch eine Bitt', wenn S' mir ihn halt auch aufschreiben thäten«.

Noch viel wuchtiger war der Eindruck des folgenden Bildes, mit welchem Defregger bereits in das volle hochbewegte Herzensleben seines Volkes griff. Es behandelt die Zeit von 1809 und führt uns in das Hauptquartier der aufständischen Bauern. Unter Speckbachers Leitung wird Kriegsrat gepflogen; als er auszog, hatte ihn sein Knabe gebeten, daß er mitgehen und auch die Waffen tragen dürfe, allein der strenge Vater hatte es nicht gestattet. Nun war der blutjunge, schneidige Bursch heimlich von Hause fort und dem Vater nachgezogen, wir sehen den Augenblick, wo er mit der Büchse in den kleinen Händen ihm entgegentritt.

Der Alte hat sich vom Tisch erhoben und schaut ihm fest ins Gesicht, aber kann man denn ob solchen Ungehorsams zürnen, wo heimlich das Herz vor Stolz schlägt? Ein eisgrauer Alter, der den Kleinen hereingeführt, ist mit seinem treuherzigen Gesicht ein beredter Fürsprecher und all' die Waffengefährten ringsum strahlen vor Freude. Mit wahrhaft packender Gewalt ist der psychologische Konflikt in den äußeren Vorgang hineingewoben; eine Frische der Begebenheit und eine Gesundheit des Empfindens schaut uns hier an, der man sich bedingungslos ergiebt.

Im Sturm gewann dies Bild alle Herzen und verwandelte die Beschauer in Bewunderer. Es trägt die Jahrzahl 1869 und befindet sich jetzt im Museum zu Innsbruck. Defregger hat es noch in der Pilotyschule gemalt, aber unvermerkt war er selber aus dem Schüler zum Meister geworden.

Auch die nächstfolgenden Werke, die stets mit Jubel von der kunstsinnigen Welt begrüßt wurden, zeigen uns diese Meisterschaft in wachsender Kraft und Entwicklung, wir erinnern nur an den prächtigen Ringkampf in einer Scheune, oder an die beiden »Brüder«, wir meinen jenes Bauernstudentlein, das in den Ferien nach Hause kommt und welchem der inzwischen eingetroffene Säugling präsentiert wird.

Alles lacht und lebt und blüht in diesen Gestalten, eine glänzende unerschöpfliche Schaffenskraft schien aufgeschlossen, da kam mit einmal eine schwere, unverhoffte Prüfung, die Glück und Stern für immer zu verschleiern drohte! Seine eiserne Natur begann plötzlich zu wanken, die Füße versagten den Dienst und eine Krankheit meldete sich, welche die Ärzte weder zu deuten, noch zu heilen vermochten. Aufs Sopha gebannt, zum Teil selbst liegend malte er weiter – jene Bilder, die von Gesundheit und Leben strotzen. Wer möchte es glauben: den »Ball auf der Alm« hat ein regungsloser Mann gemalt, auch das prächtige stampfende »Preispferd« ist damals entstanden, ebenso das edle, tiefempfundene Madonnenbild, das er der Kirche seiner Heimat als Altarblatt geschenkt.

Man hielt die Krankheit für ein Rückenmarksleiden und die Schauer dieses Wortes sagen genug; kurz vorher hatte er sich vermählt, aber auch die liebevollste Pflege der schönen, jungen Gattin vermochte[*] nur zu trösten, nicht zu helfen. Als die Truppen im Jahre 1871 in München einzogen, war es ihm unmöglich, von dem nahen Bade Bruck hereinzukommen. Im folgenden Winter ließ er sich nach Bozen bringen, und während er dort in Schmerzen lag, kam eine Deputation zu ihm, die ihn zum Ehrenbürger seines Heimatdorfes ernannte. Da war auch der alte Obersteiner dabei, der viel im Lande herumkurierte und ihn aus bäuerlichen Tagen kannte; betroffen sah er auf den blassen, gequälten Mann, aber zuletzt schüttelte er den Kopf und meinte: »Franzl, ich glaub', ich könnt' Dich doch wieder z'sammrichten.«

Wer nichts mehr zu verlieren hat, kann alles wagen, in acht Tagen kam der alte Obersteiner wieder, der damals mit dem Baunscheidismus auf vertrautestem Fuße stand, und unternahm seine Kur. Wer kann es sagen, wie sich Ursache und Zufall in solcher Stunde verketten. Thatsache bleibt es, daß nach 14 Tagen die Gäste der Villa Moser auf einmal den jungen Maler im Garten gehen sahen; nach vier Wochen war er vollkommen gesund.

Er war nicht nur für sich, er war für Tausende genesen, und das Leben, das er wieder gefunden, blühte nun erst ganz in herrlichen Gestalten auf.

So stehen wir denn vor dem letzten Jahrzehnt, das die großartigsten und berühmtesten Bilder Defreggers umfaßt. Es war ihm nichts von jener entzückenden Anmut und Frische verloren gegangen, aber er hatte sich zugleich in die innersten Herzenstiefen seines Volkes hinein versenkt und in den eigenen stummen Schmerzen die Sprache tragischer Gewalt gefunden. Sie ist es, die aus jenen drei Bildern spricht, welche den großen Volksaufstand von 1809 behandeln, »Das letzte Aufgebot«, die »Heimkehr der Sieger« und »Der Todesgang des Andreas Hofer«. Da waltet nicht mehr jenes sonnige Idyll, denn das Einzelleben und das Einzelgefühl ist aufgegangen in der beredten Ergriffenheit eines ganzen Volkes, nicht mehr der Mensch, sondern die Zeit schaut uns hier ins Auge; der Schritt dieser kühnen Bauern und Jäger wird zum ehernen Schritt der Geschichte.

Aber selbst hier in dieser höchsten Steigerung die höchste Wahrheit, kein Hauch von einem falschen Pathos, kein Atemzug, der nicht lebendig aus der Brust steigt. Nur wer diese Bilder Defreggers kennt, der weiß es erst, wie groß er ist, der weiß, daß nur eine Riesenkraft solche Gestalten erschaffen kann. Und neben dieser Leidenschaft blüht unverkümmert die zarteste Innigkeit und der sonnigste Humor; wie weit ist die Seele, die sich hier vor uns erschließt.

Die Fülle des Inhalts, die produktive Kraft, die in allen Defreggerschen Bildern liegt, habe ich erst voll empfunden, als die Aufgabe an mich herantrat, dieselben mit Gedichten in der Mundart unserer Berge zu begleiten. Solche Aufgabe ist stets ein schwieriges Problem; der Dichter soll sich streng an den Inhalt des Bildes anschließen und doch muß das Gedicht selbständig für sich bestehen, es darf nicht zur Umschreibung des Bildes herabsinken, es darf nicht bloß gesagt werden, was schon gemalt ist.

Je vollendeter nun ein Bild ist, je erschöpfender es seinen Stoff zum Ausdruck bringt, desto weniger bleibt auf den ersten Blick für den Dichter übrig, aber wenn man dann tiefer und länger hineinblickt, dann empfindet man das Gegenteil. Dann fühlt man erst, welcher künstlerische Fond in einem solchen Motive liegt, wie sein Inhalt förmlich zur Ausgestaltung und Weiterbildung drängt. Defreggers Bilder fangen von selber zu sprechen an.

Sie alle kennen wohl das reizende Bild, das den Titel trägt »Der Liebesbrief«, jene beiden Mädchen, welche die Köpfe zusammenstecken und lachend den Brief lesen, den der Schatz der einen aus der Kaserne in die Heimat gesandt. Man hört es leibhaftig, was die beiden zu einander sagen.

»Jetzt hat er do' g'schrieben,
Der Schlanggl – ja mein!
Ja les nur grad, Moidel Moidel = Maria.,
Ja schaug nur grad 'rein!«

»Und all's hat er's aufg'schrieben –
A sellene Freud!
Und woaßt, bis von Innsbruck –
Dös is dir fein weit!

Sie geht ihm recht guat
Und nur oans feit Fehlt. dabei:
An d' Nudeln und d' Gretl
Da denkt er allwei'.«

»Und vom Scheck Von der scheckigen Kuh. schreibt er aa,
Und vom Nachbarn sein Hund. –
Und nachst Neulich. ham s' 'n – eing'sperrt,
Ah – dös is ihm g'sund!«

»Ab'r am Kirda Kirchweihe. da kimmt er:
Da kimmt er na' glei' Da kommt er dann gleich zu mir.! – –
Und i soll nur a Bussel
Herrichten derwei'!«

»O mei' – nit grad oans! Nicht nur eines.
Der kriegt Bussel grad gnua – –
Gel', Moidel, er is do'
A sakrischer Bua?!«

Aber selbst in den kleinsten, anspruchlosesten Bildern, wo nur die einzelne Figur vor uns steht, liegt jene innere Beredsamkeit, wie ich es nennen möchte, das Denken und Empfinden dieser Menschen liegt gleichsam offen vor uns da. Sie sprechen uns an, nicht nur im übertragenen Sinne (weil sie ansprechend sind), sondern wörtlich und wirklich.

Wie schlicht, wie stofflich geringfügig ist jenes frühe Bild Defreggers, wo ein lachender kleiner Bauernbursche einen jungen Hund, den Waldl, abrichten will, den er vor sich auf dem Tische hin und herzerrt – aber auch dieser Fall hat seine unbewußte Philosophie.

Der Waldl Bekannter Hundsname., dös is halt
An Toni sei Schatz;
A kloanwunzigs Hundei
Und schiech wier a Ratz Häßlich wie eine Ratte.!

Und dös is a Eifer,
Den die zwoa jetzt ham!
Zehnmal stellt er 'n auf,
Und zehnmal fallt er z'samm.

Er moant schier, er müßet 'n
Ziehg'n und ranschieren Erziehen und zurecht richten.
Denn a Bua braucht halt ebbes
Zum 'rumkummadieren.

No, Toni – paß auf,
Wie's Dir spater passiert:
Na' werd der Stiel umkehrt
Und Du werst ranschiert!

Aber da werst na' schaug'n
Wie's »aufwarten« hoaßt!
Du woaßt halt no' nixen Noch nichts. – –
Sei froh, daß D' nix woaßt!

Noch kräftiger tritt jene sprechende Lebendigkeit natürlich in den größeren Gruppenbildern zu Tage, z. B. im »Preispferd«, das wir schon oben genannt haben. Es ist ein junger brauner Hengst, der auf dem landwirtschaftlichen Feste den ersten Preis gewonnen; nun wird er mit der eroberten Fahne heimgeführt. Wir sehen die reizende Dorfgasse mit ihren braunen Häusern, die Bauern drängen sich herbei und der Schmied führt als Kenner das große Wort. Auch die Schuljugend steht gaffend am Wege.

»Was hab' i denn g'sagt?
(Schreit der Hiesl, der Schmied)
Dös Roß kriagt an Preis –
Aber glaubt habts ma's nit!«

Und wie's ihn mi'n Fahna Den Hengst mit der Preisfahne.
Halt einig'führt ham,
Jetzt lauft dös ganz Dörfel
Und d' Köpf stecken s' z'samm.

A jeder muaß schaug'n
Und a jeder möcht's sehg'n –
An Teufel sei Leibroß
Is gar nix dageg'n.

Und d' Schulbubn san aa Sind auch. da;
Der groß' sagt zum kloan:
»Siehgst, der hat an Preis kriegt ...
Und – mir krieg'n koan.«

In all' den erwähnten Stoffen überwiegt der Schalk; von den reinen Stimmungsbildern, in denen nur das schweigende Gemüt sich sonnt, ist mir jenes stets besonders lieb gewesen, welches »Wiegenjahre« betitelt ist: eine blutjunge Mutter, die mit der einen Hand ihre Arbeit thut und mit der andern hinunterspielt in die Wiege zu ihren Füßen.

Am Tisch sitzt d' Mutter dort
Mit blaue Aug'n;
Es gaab' wohl Arbeit gnua,
Und do' muaß s' schaug'n:

Wie halt dös Kindei lacht
In seiner Wiegen,
Wie's d' Handln auffihebt –
»Geh, bleib nur liegen!

Du möchst wohl außi gern,
Was hast heraußten?
Da geht erst d' Mühsal an
Im Leben draußten.«

Und d' Mutter schaugt so fein:
»Geh, bleib' nur liegen –
Dös is dei schönste Zeit
In dera Wiegen!«

Daß es natürlich am schwersten ist, mit den enggebundenen Mitteln und Tönen des Dialekts einen großen historischen Stoff zu fassen und die Leidenschaft der Volksseele vollgültig auszuprägen, brauche ich Ihnen kaum zu sagen, ich fühlte das am deutlichsten bei den großen Geschichtsbildern Defreggers, vor allem bei dem letzten Aufgebot, welches wohl das ergreifendste von den dreien ist.

Derschossen san d' Junga,
Koa Klag werd nit laut –
Aber 's werd nimmer g'sunga,
Koa Feld werd nit baut;

Denn all's is verloren;
As Herz druckt's oan a'! –
Nur die Kinder und d' Alten
Alloa' san no' da.

Vor die ausg'storb'na Häuser
Da sitzen s' und lahn s' Lehnen sie.;
Koa G'wehr is mehr da,
Nur mehr d' Sichel und d' Sans' Sense..

Dös packen die Alten,
Dös is die letzt' Rach'!
In der Thür stehgna Stehen. d' Weiber
Und schaug'n ihna nach.

Ihre Buben ham s' hergeb'n –
Und nachher ihr'n Mann –
Und jetzt ihren Vadern –
Dös alles ham s' than!!

Denn all's is verlor'n;
Aber klagen hörst nie. – –
Dös san jetzt die letzten:
Vielleicht g'winnen's die!

Sie san wie'r a Wald
Voll verwetterte Baam;
So ziehg'n s' dahin – –
Da kimmt koaner mehr hoam!

Es mögen etwa 30 bis 40 Bilder sein, die Defregger in dem letzten Jahrzehnt geschaffen, doch kann es natürlich nicht in meinem Zwecke liegen, Ihnen ein vollständiges Verzeichnis derselben darzubieten, denn ich möchte Ihnen ja ein Lebensbild, nicht einen kunsthistorischen Katalog geben. Der Grundzug aber, der durch all' diese Bilder geht, ist eine wunderbar gleichmäßige Frische, auch nicht ein einzigmal verfällt Defregger in das, was wir Manier nennen. Er hat nur Originale.

Eines der prächtigsten Bilder, die im Jahre 1875 entstanden, ist das »Tischgebet«, jene herzige Kindergruppe, die um die dampfende Schüssel versammelt ist.

»Kemmts, Kinder! – Zum Essen!«
Ja, da saumen s' net;
Da kraxeln s' Da klettern sie. zum Tisch nauf ...
Aber z'erscht werd fein bet't!

Und as Lenei bet' für Betet vor.
Und die hebt si' pfeilgrad;
Und der Kloane, der Schlanggl,
Is aa mäuslstaad.

Aber 's Gretei, die dicke,
Die kann halt alloa
Nit as Lachen verzwicka,
Bal's schaugt auf den Kloan' Wenn sie auf den kleinen Bruder hinschaut..

Und der Hansei mi'n Löffel
Spitzt allweil so hin;
Der spitzt grad auf d' Suppen – –
»Koane Knödel san drin«.

Und die Große Die älteste Schwester. sogar
Hat die Handln aufg'reckt:
Denkt nur halbet an Herrgott
Und halbet – wie's schmeckt!

Oh mei', unser Herrgott
Verdenkt 's Enk Euch. wohl nit!
I moanet – da esset er
Selber gern mit!

Noch im gleichen Jahre entstand der »Besuch«, der auch wohl zu den populärsten und liebenswürdigsten Bildern Defreggers gehört. Es sind jene beiden Mädchen mit den hohen grünen Hüten, die bei ihrer verheirateten Schwester, bei der Vroni, Visite machen. Sie tritt ihnen mit dem Kind auf dem Arme entgegen, triumphierend steht der junge Vater daneben.

»Ja, Vroni, (sag'n d' Schwestern)
Du hast's wohl schön gnua:
Der Mann so viel brav,
Und a so feiner Bua Knäblein.

Und der Vater und d' Mutter
San schier voller Glanz;
Der Bua Knäblein. hat d' Regentschaft
Im Häusl schon ganz!

Und 's Häusl so sauber,
Und d' Felder so grean Grün, blühend.
Der Vater schaugt drein,
Wie der Kaiser in Wean Wien..

Jetzt locken s' Die Schwestern locken den Kleinen. dös Bübei:
»So trau' dir nur fein,
So nimm nur dös Gutei,
So friß' nur fest 'nein!«

Es kemmant Kommen. die Schwestern
Schier nimmer vom Platz –
Und am Weg denkt a jede
An'n ihrigen Schatz:

»Ja mei' – 's is halt dengerscht
(Ma' sollt's schier nit moan') Nicht meinen.
Ebbes Etwas. Schöns um die Bub'n
Um die großen und kloan'!«

Weit berühmt ist auch die »Brautwerbung« geworden (1877), wo der Vater seinen dummen dicken Sohn begleitet, um für ihn ein stattliches Mädchen zu freien. Mit bäuerlicher Gravität hat sich die Mutter erhoben und rüstet sich eben, den beiden Bewerbern Bescheid zu geben, aber wie wird der Bescheid wohl lauten?

Bei diesem Bilde zeigte es sich so recht, mit welcher Unbefangenheit Defregger malt, denn als ich mich eben mit dem Texte zu demselben trug und ihn eines Tages fragte: »Also wie steht's, kriegen sich die zwei?« da sagte er mir ganz verblüfft: »Ja, das weiß ich nicht!« Für ihn besteht nur der künstlerische Moment, die Wahrheit und die Wirkung der augenblicklichen Situation, er knüpft keine berechnende Erwägung daran, was nachkommt. So mußt ich mich denn allein mit dem Gegenstande abfinden.

»Wer klopft draußt?« – As Dirndl,
Die druckt si' an d' Wand, ...
»Oh jesses, jetzt kemmen s'« –
Sie lacht scho' und spannt.

Glei' zwoaspanni Zweispännig, zu zweien. kemmen s';
Der Alt' und der Jung'!
Und der Alt' sagt sei' Sach'
Und die ganz Moanigung Seine ganze Meinung.

Was er hat, was er kriegt, Was sein Sohn bekömmt.
Daß er's all's übergiebt Daß er alles dem Sohne übergiebt.
Und der Jung', der sagt gar nix,
Der is grad verliebt!

Aber d' Mutter steht auf;
Und die steht dir scho' da
Wie an oachener Hackstock,
Der bricht nit leicht a'.

Dös is jetzt a Metten Ein Spektakel.,
Da werd disputiert,
Und die Kloan' spannen's aa scho' Die Kinder merken's auch schon.
Was da jetzt passiert! ...

»No, Mutter, wie is's jetzt?«
Hat der Alte z'letzt g'fragt.
»›Ja, Vater – a so is,
Daß's – nix is,‹« hat s' g'sagt.

So giebt er auch jetzt noch nur selten einem Bilde den Namen, und wenn er je einmal davon spricht, so beschreibt er es wohl und setzt dann ganz arglos dazu »ich weiß nicht gleich, wie sie's genannt haben.« Im übrigen spricht er fast nie von seinen eigenen Werken, es wird ihm fast unheimlich, wenn er sich auch nur von ferne loben hört. Er ist ein Mann der stillen Beschaulichkeit im tiefsten und edelsten Sinne des Wortes. Dieser Grundzug seiner Natur kam vielleicht in keinem seiner Bilder so sehr zum Ausdruck, als in dem kleinen Gemälde »Wie der Vogel singt«. Ein erwachsenes Mädchen und zwei Kinder horchen an einem Frühlingsmorgen einer singenden Amsel zu, es ist ein Nichts, wenn man es stofflich analysiert, und es ist das Höchste, wenn man die seelische Belebung des Gegenstandes betrachtet.

Luus Horch., wie der Vogel singt!
's is halt a junga –
So schön, wie der heunt singt,
Hat er nia g'sunga!

D' Sunn' scheint beim Fenster 'rein,
Ma' g'spürt an Mai schon schier;
Dös kloane Dirndl spielt,
Und d' Sunna spielt mit ihr.

Der Bua hört aa Auch. gern zua
Und denkt dabei:
Wie er am Kerschbaum steigt
Und hupft im Heu.

Und 's große Dirndl denkt:
Wenn's jetza Summer werd,
Na' geht's auf d' Alma 'nauf ...
Mei Feuerl brennt am Herd,

Und wenn der Mond so scheint,
Na' klopft's ans Fenster o'
Und kimmt der Bua zu mir,
Der z'Haus nit kemma ko'. Nicht kommen darf.

Und is do' g'wiß a Bua,
A schöna, junga ...
Wie heunt dös Vögei singt,
Hat's nia no' g'sunga!

Noch einmal in den letzten Jahren (1881) hat Defregger einen großen historischen Stoff ergriffen, als er für die Münchener Pinakothek den Schmied von Kochel malte, jenen sagenhaften Heros der Sendlinger Bauernschlacht von 1705; aber das ist vielleicht das einzige Bild, mit welchem er selber jemals zu kämpfen hatte. Er war unzufrieden damit und es war schon beinahe völlig vollendet, als er es ganz von vorne noch einmal begann.

Die heiteren Motive, die in der letzten Zeit entstanden, wie z. B. die »Ankunft beim Tanze«, der »Salontiroler« u. s. w. stehen in ihrer Erinnerung so nahe, daß ich sie nicht zu beschreiben brauche. Das letzte aber, was Defregger malte, war ein Weihnachtsgeschenk für den König von Baiern, welches bisher wohl nur wenige gesehen – eine fürstliche Dame bringt in einer Bauernstube armen Kindern das Christgeschenk. – Dazwischen malte er wohl Porträts, vor allem reizende Kinderbilder, von denen ich nur das Bild seines eigenen Knaben im Bauernkostüm erwähnen will. Es bildet das Schlußblatt in unserem gemeinsamen Opus »Von Dahoam«, während Defreggers eigenes Porträt an der Spitze steht.

Wie lange habe ich Ihre Geduld nun in Anspruch genommen, und doch wie viel hätte ich noch zu erzählen aus dem Hause, aus der Werkstatt, aus dem täglichen Leben dieses gottbegnadeten Menschen!

Doch genug, mein Zweck ist erfüllt, wenn ich Ihnen den Freund und Meister, dessen Werke Ihrem Herzen so nahe gehen, auch persönlich ein wenig näher brachte. Ist er doch in seiner stillen Bescheidenheit der Freund jedes deutschen Hauses geworden, und wem thäte es nicht wohl, einmal das Bild eines vollendet glücklichen Menschen zu sehen!

Das ist er und das, was er geschaffen, wird unvergänglich sein, wie die Sonne und die Felsen, aus denen es genommen ist.

 


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