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III.
Sitte und Brauch im bairischen Hochland.

 

Ich glaube, nur wenige sind sich heutzutage klar bewußt, was das Volk ist und vor allem, was es war. Denn der humane Geist der Gegenwart hat gleichsam die Lebenshärte ausgetilgt, die ursprünglich in diesem Worte lag, wir greifen jetzt mit einer gewissen Sehnsucht auf das Gesunde, auf das Natürliche, das im Volksleben liegt, aber wir denken kaum mehr an die Mühsal, womit der gemeine Mann sein Leben durch die Jahrhunderte dahintrug. Da thut sich ein gewaltiger Realismus auf, den vielleicht nur der völlig versteht, der im unmittelbarsten Verkehre mit dem Volke lebt!

Wie mühselig kommt da so manches Kind zur Welt; bis zur letzten Stunde steht die Mutter an der Arbeit und nur wenige Tage, dann wartet ihrer wieder die Arbeit. Wie oft sind es fremde Hände, die auf den ersten zarten Regungen des kleinen Gemütes lasten und die auf die feinsten Kinderlaute nicht selten nur rauhe Antwort haben; wer wacht über die endlosen Gefahren, die eine solche Jugend umgeben, wer begleicht hier jene ersten Eindrücke der Ungerechtigkeit, die ja keinem Kindergemüt erspart bleiben? Denn wahrlich, trotz aller Humanität giebt es noch immer mehr Hunger, mehr Schläge und ungesprochenes Herzeleid, als wir »Gebildeten« uns denken.

Dann aber, sobald die erwachsenen Jahre kommen, heißt es selber Hand anlegen fürs tägliche Brot, und zwar harte Hand, man muß bis zu einem gewissen Maße geradezu fühllos werden gegen körperliche Mühe und Schmerz. Sie wissen es ja kaum, was der gemeine Mann physisch aushalten muß und aushält. Oft geht es fort in fremde Dienste, aber da darf es kein Heimweh geben; er hat auch keine Zeit, um krank zu sein, er schleppt sich eben hin, so lang es geht, und wenn's zu Ende geht, hat wieder niemand Zeit, stundenlange vor seinem Bett zu sitzen und ihm in die stummen Augen zu schauen, die nicht sagen können, was er fühlt. Die andern um ihn herum arbeiten weiter und wenn sie am Abend nach Hause kehren, dann fragen sie, ob der Bruder oder der Vater noch lebt.

Das ist (und noch mehr das war) in Wirklichkeit das Leben des gemeinen Mannes, es sind Bilder, die ganz im harten Holzschnitt des XVI. Jahrhunderts gezeichnet sind, und manchmal sind es selbst Bilder, wie sie Courbet gemalt hat. Das ist das Volk!

Freilich ist in letzter Zeit unendlich viel zum Ausgleich geschehen, nur der Undank könnte dies leugnen, aber das letzte Wort blieb auch hier jenes große Schlagwort, das für alles Leben gilt: Hilf Dir selber!

Und dies Volk, dies unverwüstliche Volkstum, dessen Jugendfrische die Jahrhunderte nicht brachen – es half sich selber, auch in schlimmen Stunden ging der ideale Zug seiner deutschen Natur niemals verloren, es umgab die Mühsal seines Lebens mit dem grünenden Kranze tiefsinniger Sitte und wunderschöner Gebräuche. Es fügte selbst zur harten Wirklichkeit die Poesie.

Das ist das Großartige der Volksnatur; sie trug Jahrhunderte lang so manchen Druck, aber sie verödete, sie verbitterte und verdampfte nicht; sie hat in der Härte der äußeren Lebensverhältnisse nicht die Weichheit ihres Innenlebens verloren, wie dies dem Einzelnen so leicht begegnet.

Die seltene Begabung und die plastische Kraft, die speziell in dem bairischen Volksstamme ruht, hat sich auch in der Ausgestaltung seiner Sitten und Bräuche aufs reichste bekundet; doppelt reich aber tritt sie uns gerade im bairischen Hochland entgegen, dessen gewaltige Natur die schöpferischen Keime der Volksseele besonders anregt und dessen freiere Lebensweise von vornherein auch schönere Lebensformen schuf. Dazu kommt als ein wichtiger Faktor, daß die hundertjährige tiefe Abgeschlossenheit dieser Gebiete, die ja erst seit einem Menschenalter durchbrochen ist, auch die Erhaltung alter Sitten ganz besonders begünstigte.

Und so darf ich Sie denn wieder dorthin geleiten, wo zwischen den grünen Lindenhagen die braunen Häuser stehen und wo die Sonne glänzt um die blauen Felsen des Wendelsteins.

Wenden wir uns nun zum positiven Inhalt unseres Stoffes. Wenn wir da zunächst die inneren Elemente aufsuchen, aus denen diese Welt von Brauch und Sitte sich zusammensetzt, so kommen wir unwillkürlich auf den wundersamen Prozeß des Werdens, der sich damals im deutschen Volksgemüt vollzog, als die christliche Lehre zuerst in das altgermanische Leben eindrang. Es war kein vollständiger Sieg, es war ein Vergleich. Sie alle wissen, mit welchem großen historischen Blicke die ersten Sendboten des Glaubens es verstanden, den alten heidnischen Gebräuchen, die das Volk nicht preisgeben wollte, einen neuen christlichen Inhalt zu substituieren; die Örtlichkeit, die Zeit, der ganze Vorgang selber blieb bei so mancher Feierlichkeit fast unverändert bestehen und nur die Adresse, wenn ich so sagen darf, veränderte sich, bis die Heiligen allmählich unbestritten das Erbe der alten Heidengötter gewannen.

So ging es bei den Opferfeuern, bei den Leonhartsfahrten u. dergl. und so erstand jener seltsame Doppelklang von strenger kirchlicher Frömmigkeit und alter heidnischer Erinnerung, der jetzt noch durch Brauch und Sitte unseres Volkes tönt. Denn mehr als die Hälfte aller Gebräuche, die dermalen im bairischen Hochlande gelten, ist altgermanischen Ursprungs, unbewußt vertritt der Bauer auch hier das große Element der Stetigkeit, der Erhaltung, und in den Schwielen seiner Hand bergen sich unsichtbar die Fäden des Zusammenhangs mit einer tausendjährigen Vergangenheit.

Das sind die inneren Elemente dieses Stoffes und wenn es auch unmöglich ist, sie in jedem einzelnen Falle historisch und mythologisch zu entwickeln, so muß ich doch wenigstens die Thatsache in ihrer fundamentalen Bedeutung betonen.

Die äußere Gliederung des Stoffes aber zerfällt von selbst und naturgemäß in drei Gruppen. Die erste Grundlage bildet der Kalender, der Verlauf des Jahres und der Jahreszeiten, deren Bedeutung mit zahlreichen sinnvollen Formen umgeben ist; die zweite Gruppe bilden die großen Wendepunkte jedes irdischen Daseins: Geburt, Hochzeit und Tod, und als eine dritte Reihe kann man gewissermaßen jene Sitten und Bräuche ausscheiden, die unabhängig von der Zeit erscheinen und in denen sich mehr der gesamte Volkscharakter als die Bedeutung eines bestimmten Tages ausprägt, wie z. B. der Tanz, das Almenleben, die bäuerliche Wohnung u. dergl. Ich mußte sie deshalb auch bereits bei meinem früheren Vortrage über den Volkscharakter im bairischen Hochland berühren und darf hier nur gelegentlich darauf zurückkommen.

Gleichwohl erscheint der Stoff, der sich in diesem Gegenstande zusammendrängt, noch so überreich, daß ich beim besten Willen manches nur streifen kann, was wohl eine eingehendere Schilderung verdiente. Ebenso unmöglich ist es, die einzelnen Gebräuche in ihren topographischen Varianten, vom Lech bis an das Salzburger Land zu verfolgen; auch dieser Versuch, so verlockend er an sich wäre, würde einen Cyklus von Vorträgen erheischen, anstatt der Stunde, die mir zur Verfügung steht. Ich betone deshalb, daß ich überwiegend jene Sitten behandle, die in meiner engeren Heimat, wenn ich so sagen darf, d. h. zwischen Isar und Inn bestehen.

Selbst für dieses engere Gebiet giebt es ein unendliches Material, sogar was die Litteratur und die Handschriften anlangt. Am wertvollsten von den letzteren sind ohne Zweifel die Manuskripte des unvergeßlichen Lentner, welche seit kurzer Zeit aus dem k. Kabinett an die Hof- und Staatsbibliothek übergeben wurden, und welche Felix Dahn seiner vortrefflichen Darstellung in der Bavaria zu Grunde legte. In der Cimeliensammlung der genannten Stelle befinden sich auch die ältesten Bauernkalender aus dem XV. Jahrhundert, nur mit Bildern ohne Text, weil der Bauer ja damals nicht lesen konnte. Unerschöpflich erweist sich, wie überall, Schmellers Wörterbuch, eine reiche Fundgrube bietet ferner Leoprechtings »Lechrain« und mit Dank seien zudem Panzer und Steub genannt. Für die kirchlichen Gebräuche aber ist das unvergleichliche Buch von Josef Schlicht zu erwähnen »Bairisch Land und Volk«, welches zwar zunächst Niederbaiern betrifft, aber bei der Gleichartigkeit jener Gebräuche auch hier mannigfach einschlägt. Der Verfasser ist Schloßkaplan in Steinach bei Straubing und sein Werk ist von einer so zwingenden Anschaulichkeit, daß es vielleicht nach hundert Jahren, wenn mancher von uns vergessen ist, als ein Quellenwerk für bairische Volkskunde gilt. Noch jetzt denk' ich mit Freude an das rührende Erstaunen, womit mir Herr Schlicht erwiderte, als ich ihm diese unmaßgebliche aber gewiß nicht unbegründete Meinung schrieb.

Was ich auf mündlichem Wege erfuhr, ist nicht unbenützt geblieben, doch erscheint mir gegen die sogenannte Tradition einige Vorsicht geboten, seit ein biederer Landbewohner, der von einem Gelehrten wiederholt um alte Sagen, Bräuche u. dergl. inquiriert ward, mitleidig äußerte: »O mein, der Kerl hat mi' auf d'letzt derbarmt, jetzt hab' i ihm halt do' a bißel ebbes z'sammg'log'n.«

Seitdem verlasse ich mich mehr auf meine Augen, als aufs Ohr, und das meiste, was ich Ihnen hier mitteile, beruht auf eigener Anschauung. Ich habe Wochen und Wochen lang (zu einer Zeit, wo kein Fremder mehr in den Bergen weilt) auf den einsamsten Bauerngehöften gelebt; es giebt keine Bauernarbeit, die ich nicht selber mitgethan, und wenn wir am Abend heimzogen, hab' ich am eichenen Tisch aus einer Schüssel mit Knecht und Magd gegessen und vor der Holzbank knieend den Abendsegen mitgesprochen. Und aus diesem tiefsten Erleben, nicht aus ein paar schmucken Gestalten, die ich sah, oder aus ein paar frohen Liedern, die ich hörte, hab' ich die Liebe zu dem Volk gewonnen, das ich Ihnen schildern will.

Kehren wir nun zum sachlichen Teile unseres Stoffes zurück und folgen wir zunächst dem Kalender. Der Kalender! Für unser überhastetes Leben ist er freilich nur eine Summe von flüchtigen Tagen, für den Bauer aber ist er ein Ganzes, eine Einheit. Dies stille Büchlein, mit seinen langen Reihen von Heiligen und seinen roten Feiertagen, wo am Rand die Mondscheibe steht, daneben die Wetterregeln und manche gute wirtschaftliche Mahnung – es ist der festgeschlossene Rahmen des Daseins für Hunderttausende.

Wir aber wollen nicht mit dem ersten Januar beginnen, wie es die offizielle Weltordnung erfordert, sondern dies stille Bauernleben steht zu mächtig unter dem Einfluß der Jahreszeit, der Arbeit und der Kirche. Den seelischen eigentlichen Wendepunkt bildet denn nach all diesen Seiten hin der Beginn der Winterszeit, oder kirchlich gesprochen, der Advent.

Es liegt eine tiefe, ruhige Stimmung über jenen Novembertagen, über dieser Wintersnähe. Die letzte Arbeit im Feld ist gethan und nun fällt langsam der Schnee aufs Dach, selbst der rauschende Brunnen vor dem Haus ist stumm geworden. Nur dann und wann fährt ein klingelnder Schlitten über die einsame Straße und ein Flachskopf lugt ihm nach durchs Fenster. Bloß die Männer sind noch draußen, um das Holz zu Thal zu bringen, alles übrige Leben konzentriert sich im Hause.

Seine Bauart und seine innere Einrichtung ist seit einem Jahrtausend dieselbe geblieben, langgestreckt steht das stattliche Gehöfte in der Flur und nur der Unterbau ist gemauert, auf dem Giebel prangt das Wetterkreuz und die Glocke. Die Fenster sind niedrig, aber traut, über der Thüre steht nicht selten ein sinniger Spruch oder doch die Jahreszahl und der Name der Besitzer. Der zurückliegende Teil umfaßt den Stall, über dem der Heuboden und die Tenne liegt, nur der vordere Teil ist bewohnt. Überall ist links von der Hausthür die Wohnstube. Wir treten ein und tauchen die Hand in den kleinen Weihbrunnkessel, gegenüber steht der eichene Tisch und über demselben prangt der kleine Hausaltar mit dem geweihten Palmzweig; zur Rechten und Linken aber hängen die wenigen Bilder, die zum Schmuck einer Bauernstube gehören. Mitunter trifft man noch alte Kupferstiche, Fürstenporträts, Heiligenbilder oder Jagdscenen, die aus den aufgehobenen Klöstern stammen, dann kommen die Lithographie und der Farbendruck und endlich die bemalten Photographien vom Hans und Sepp in Kürassier- und Artillerieuniform. Denn auch der Bauernbursche läßt sich heutzutage, wie ich dies schon früher betonte, mit einer gewissen Passion »portographieren«. Davon wußte freilich der Alte noch nichts, der schweigsam und verträumt auf der Ofenbank liegt, auch diese gehört ja zum traulichen Inventar einer Bauernstube. Das Beste aber, was das Haus verwahrt, ist droben in der »guten Kammer«; dort stehen auch jene bemalten Kasten mit flammenden Herzen und jene Tassen, die auf Rosen und Vergißmeinnicht wandeln; in reichen Rollen liegt die Leinwand aufgespeichert, das Feiertagskleid hängt am Nagel und die roten Äpfel, die der Herbst gebracht, prangen auf dem Simse. Es riecht so feierlich hier, so unbewohnt!

Und doch, welche Fülle von Lebenslust und Lebensschmerz hat Platz in solch einem stillen Hause; wie viel Poesie weht ungesehen durch dies Leben! Besonders ehedem, als es noch die alten Kunkelstuben gab, wo beim schwirrenden Spinnrad Sagen und Lieder sich weitertrugen, da waren in der That Urahne, Großmutter, Mutter und Kind vereint. Der alte Kienspan leuchtete, auch die Bursche kamen und nicht selten beschloß ein Tanz die fleißige Arbeit. Dann ging's freilich manchmal nach Hause Schulter an Schulter gelehnt, aber wer will auch junger Liebe wehren, – und ich fürchte, das polizeiliche Verbot solcher Zusammenkünfte traf vielleicht mehr die schöne als die schlimme Seite der Sache.

Ebenso erfolglos blieb wohl das Verbot, daß der Bursche in der Mondnacht vor das Fenster seiner Liebsten zieht und mit ihr noch trauliche Zwiesprach hält; auch diese Sitte, das sogenannte Fensterln, gehört zu den ältesten und populärsten Bräuchen im bairischen Hochland. Manchmal findet freilich auch die Komik hiebei ihr gutes Teil, vor allem, wenn der Bewerber weniger erwünscht ist, als er meint. Wir lassen ihn selber zu Worte kommen:

(Der Bua steht beim Fensterl vor seinem Schatz und klopft.)
(Ganz staad.)

»Deandl – Deandl – sei g'scheid, thua auf
Ich greil Umeinanderkrabbeln. scho' a Stund lang beim Fensterl 'nauf.«

(Spöttisch.)

»Allweil hör i di' drinna raffeln,
Wart', jetzt steig' i dir 'nauf d'Staffeln.«

(Verträuli.)

»Deandl – thua auf – bal i di' bitt',
Bin ja dei Seppl, – kennst mi' nit?«

(Fuchtig.)

»Hörst jetzt heunt gar nit? Du hörst scho' – oh mein!
Deandl – i schlag' dir d'Fenster ein!«

(Klug.)

»Geh roas' außa! Scheugst Fürchtest Du. 's Wetter nit,
Thu dei Wasch eina, na' nimmst mi' mit!«

(Grantig.)

»Himmeldonner – hat die an Schlaf –
Deandl – thua auf – i bin scho' brav!«

(Ängstig.)

»So, jetzt kimmt's Regna – Jetzt werd ma wohl!
Deandl – i han – koa Parosol!!«

(Giftig.)

»Deandl, thua auf – Kreuz' Sakra jetz'!
Auf thua', – sag i, – sei nit so letz Schlimm.

(G'schaftig.)

»Geh und verstell' di' net gar a so dumm!
Jesses, Deandl – sie is der net drum.« Die Ziererei geht dir nicht von Herzen.

(Bittet.)

»Deandl – Vom Vater an schönen Gruaß!
Thua auf!!! – I hab so an Wehdam Schmerz, Weh. beim Fuß!«

(Kalt.)

»Aber mi' friert – aber heunt bist z'wider,
Deandl – i reiß dir die Hütten nieder!«

(B'sinnlich).

»Rührt sich jetzt gar nix da drin – Hoho!
Entweder is gar koa Deandl net do –

(Pfiffig.)

»Oder – wenn's do is – scheint ma schier,
's hat no' koa rechte Liab zu mir.«

(Verschmaacht. Verdrossen.)

»Dös san dir Tröpfein, – dös Warten thuat weh!
De–an–del!!! jetzt steigst mir am Buckel – i geh!«

In diese erste Winterszeit, wenn wir nun wieder dem Kalender folgen, fallen die sogenannten »Gehnächte.«

Am 5. Dezember kommt der hl. Nikolaus, von dem grimmigen Knecht Rupprecht begleitet, aber nicht selten kam früher an Stelle des Knechtes Frau Bercht. Sie war dereinst die schöne leuchtende Gestalt der deutschen Göttersage; nun ward sie langsam herabgedrückt zum Schreckbild störrischer Kinder und träger Mägde, denen sie zur Zeit erscheint, wo die alten Geister freigegeben sind. »Wart, die Frau Bercht kommt«, ist noch jetzt ein Drohwort, und noch heute werden im Pinzgau von vermummten Gestalten die alten Berchtentänze aufgeführt, wie mir Graf Lamberg in Salzburg aus persönlicher Wahrnehmung berichtet hat.

Unbewußt fühlt ja das Volk das geheimnisvolle Weben jener Zeit, da es ins Winterdunkel hineingeht. So kommt die St. Thomasnacht heran, die sagenreichste von allen; es ist die erste der vier Rauchnächte und nackt stellt sich das jugendschöne Kind des Volkes vor den Spiegel und wirft den Schuh rücklings über die Schulter, um den Liebsten zu schauen, der ihr beschieden ist. Draußen aber, in den Lüften, zieht das wilde Gejaid, der alte Wodan braust dahin auf seinem Roß mit Feuerhufen, und wehe denen, die des Zuges spotten.

Nur wenige freilich fürchten ihn mehr und auch nur mehr wenige Tage trennen all' den Heidenzauber von dem Hochfest des Christentums, vom Weihnachtstage. Doch dürfen wir nicht glauben, daß das Christfest für den oberbairischen Bauer etwa jenen intimen Familiencharakter hat, wie bei uns, denn der Weihnachtsbaum ist bekanntlich eine protestantische Sitte und im Hochland so gut wie gar nicht bekannt. Nur die uralte kirchliche Bedeutung des Tages wird gefeiert.

Der Besuch der nächtlichen Mette ist allgemein und hoch herab von den einzelnen Berggehöften kommen in der Mitternacht die Männer und Frauen mit ihren Lichtlein durch den Schnee. Auch die folgenden Tage sind noch mit frommen Bräuchen geschmückt; am St. Stephanstag wird um manche Kapellen der alte Umritt gehalten, am Johannistage wird der Wein geweiht, von dem man St. Hansen Minne trinkt und am »Unschuldigen Kindleinstag« dürfen die Bursche die Mädchen mit Ruthen »kindeln«, wenn sie derselben habhaft werden. Unter dem sogenannten »Kletzenbrode« aber, das man sich in diesen Tagen schenkt, verbirgt sich, kaum verschleiert, der Gebrauch der alten heidnischen Festbrode.

Auch die schönen tiefsinnigen Weihnachtslieder, über welche uns August Hartmann eine so treffliche Abhandlung geboten hat, leben noch immer im Volke.

Tiefer als jemals erduldet unterdes in diesen Tagen die Natur das große eiserne Gesetz des Sterbens, hoch liegt der Schnee auf Weg und Wald, aber der Mensch versteht die Stimme und das Schweigen der Natur nicht mehr.

Der Vogel fällt, das Wild bricht ein,
Der Quell starrt und die Fichten beben,
So ringt den großen Kampf ums Sein
Ein tausendfaches banges Leben.

Doch in den Dörfern traut und sacht
Da läuten heut zur Welt hienieden
Die Weihnachtsglocken durch die Nacht
Ihr Wunderlied vom ew'gen Frieden.

Und dennoch will die alte Geistermacht nicht völlig ruhen, sie lebt nicht mehr im Bewußtsein, aber in der Phantasie und Furcht, nicht mehr im Glauben, jedoch im Aberglauben des Volks weiter.

In den zwölf Nächten von Weihnachten bis Dreikönig haben die Geister »offene Zeit« und besonders der letztere Tag ist bedrohlich. Wie ehedem der Drudenfuß die Gespenster von Haus und Hof verbannte, so thun es jetzt die drei Lettern, die mit Kreide an der Thüre stehen, C. M. B., und wo noch der alte Brauch zurecht besteht, geht der Hausvater selbst nach dem Abendläuten durch alle Räume und wirft die Beeren des geheiligten Wachholderstrauches auf die Räucherpfanne.

Nun erst tritt eine gewisse Ruhe ein, das leidenschaftliche, das elementare Moment tritt mehr und mehr zurück, bis eine neue Sonnenwende es neu entfesselt.

Der Winter geht jetzt seinen ruhigen Gang; am Lichtmeßtag werden die Kerzen geweiht, die man während schwerer nächtlicher Gewitter brennt, und der rote Wachsstock für die Frauen, der in Stunden der Gefahr um Hand und Fuß gewunden wird.

Von der bäuerlichen Arbeit aber ist um diese Zeit vor allem das Dreschen im Gang und wer draußen auf der Straße zieht, hört weithin von der Tenne den fröhlichen Taktschlag erklingen. Wenn sämtliches Getreide ausgedroschen ist, folgt die sogenannte »Drischelhenk« mit einer stattlichen Mahlzeit, und daß man dabei nicht sparsam verfährt, zeigt schon der Ausdruck »Drischelwürget«, der gleichfalls dafür üblich ist. Mancherlei Übermut, vor allem gegen die Nachbarn, die noch mit dem Dreschen im Rückstand sind, knüpft sich von selber an dies Fest.

Der Lichtmeßtag ist auch für den Einstand und Abgang der Dienstboten ein Wendepunkt; »Bauer, wir zwei machen Lichtmeß«, bedeutet geradezu die Kündigung. Dann werden die Zeugnisse geschrieben »hat sich drei und fleißig gedient und beflog eine gute Aufführung«; die paar Tage, welche zwischen Ausstand und Einstand liegen, heißen die »Schlenkelweil« und die letztere ist sogar in der Land- und Polizeiordnung von 1616 ausdrücklich anerkannt.

Die Freude, welche der Bauer an jeder Vermummung oder am »Maskeragehen« hat, prägt sich auch während der Fastnacht in mannigfachen Umzügen aus, doch ist es an den Fastnachtstagen selber, in festo larvarum, wie die alten Codices sagen, ziemlich stille; es wird während jener Zeit nicht selten das vierzigstündige Gebet gehalten. In geringschätzigem Sinne sagt man wohl auch von Frauen und Mädchen, die unordentlich oder zerzaust einhergehen: »Du bist a rechte Fasinacht!«

Am Aschermittwoch geht Jung und Alt zur Kirche, um sich einäschern zu lassen – memento homo quia pulvis es, lautet das feierliche Wort des Priesters, am Abend aber wird die geweihte Asche in das Feld verstreut und das Symbol des Vergehens trägt neuen Segen in die schaffenden Fluren.

Leise regt sich der Frühling, ein Osterzug wird schon in allem fühlbar, was Haus und Sitte uns nunmehr zeigt. Mit dem Palmsonntag beginnt die feierlichste Woche des Jahres; da werden die Palmzweige geweiht, vermischt mit Mistel und Wacholder, denn in beiden wohnt eine alt geheiligte Kraft wider Zauber- und Hexenkunst.

Die Gebräuche des Gründonnerstag und Karfreitag sind allgemein kirchlicher Natur und weichen deshalb kaum von jenen der katholischen Städte ab, dagegen wird am Karsamstag nicht selten vor der Kirchenthür ein Feuer entzündet, das uralte Bedeutung hat. Manchmal wird in demselben die Puppe des Judas verbrannt, weil er den Herrn verriet, aber jedesmal nimmt der Hausherr sich ein angebranntes Scheit mit, um den heimischen Herd daran aufs neue zu entzünden.

Ostern selber, das christliche Hochfest, trägt noch den heidnischen Namen, denn Ostara ist die altgermanische Frühlingsgöttin; die Eier und der Hase gemahnen an die erwachende Fruchtbarkeit der Welt, und durch Wasser und Feuer rauscht und knistert wieder ein heimlich tausendjähriges Erinnern. Die Sitte der Osterfeuer ist bekannt, aber auch das Wasser, das an diesem Tage geschöpft wird – »vor Sonnenaufgang, stromabwärts, ohne Widerwort« – hat eine besondere Heilkraft. In der Kirche prangt unterdessen die Osterkerze und in schweren Körben bringen die Bauern das sogenannte »Geweihte,« womit an diesem Tag das Mahl eröffnet wird. Es sind Eier, Brode, Salz und Fleisch; die ersteren sind nicht selten eingeschlagen, »damit die Weihe auch ordentlich durch kann.« Der richtige Bauer freilich (meint Freund Schlicht) schüttelt zu solchen Tupfeleien den Kopf und sagt kategorisch: »A gute Weich, die geht durch Stahl und Eisen.«

Vollständig altgermanisch aber ist ein Brauch, den Lentner aus der Jachenau berichtet; dort wird alljährlich von einem der 36 Hofbesitzer ein Widder geschenkt, der im Ganzen zur Weihe gebracht wird, mit einem grünen Buchskranz und vergoldeten Hörnern, wie die heidnischen Opfertiere.

Nach alter Sage macht die Sonne am Ostermorgen drei Freudensprünge und überall spüren wir nun den starken Lebenspuls des Lenzes auch in Sitte und Brauch. Vor allem will der König Mai seine Ehre haben, es ist ein Stolz weitum im Gau, welches Dorf den schönsten Maibaum hat, man fällt ihn im eigenen Walde, Tanz und Schmaus begleiten seine Errichtung und die steifen holzgeschnitzten Figuren, die zur Rechten und Linken des Stammes prangen, mischen in seltener Weise häusliches und kirchliches Leben. Sie sind zum Teil aus dem Leiden Christi genommen, dann folgen Bauer und Bäuerin, der Scherenschleifer, der Schmied, Hansl und Gretl und nicht selten nach den vier Winden eine gespannte Armbrust.

Der Bauer ist sich wohl selber des Zusammenhanges kaum mehr bewußt – es war die Waffe, die er einst im deutschen Heerbanne trug, und das Zeichen seiner Wehrhaftigkeit ist es gewissermaßen, das er weithin sichtbar dem Lande weist.

Daß die Polizei niemals mit dem Maien auf besonderem Fuße stand, das liegt eigentlich schon in der Definition der beiden Begriffe. Um so interessanter mag eine Verordnung aus der Montgelas'schen Zeit, aus der sogenannten Aufklärungsepoche am Anfange dieses Jahrhunderts erscheinen, welche folgenden Wortlaut hat:

»Da wir Volksfeste lieben und unsern getreuen Unterthanen jede ehrbare Ergötzlichkeit mit wahrer Freude gönnen, so sei es von nun an erlaubt, am ersten Mai eines Jahres in jeder Gemeinde auf dem Lande einen Maibaum zu setzen; wir vertrauen auf die Einsicht und Klugheit unserer Behörden, daß sie dieses an sich unschuldige und wohl zu gönnende Vergnügen dem Landvolke nach unserer wohlmeinenden Absicht wirklich verschaffen.«

So kommen wir zum letzten Hochfest des Jahres, zum Pfingsttag, an den sich die uralte Übung des Wasservogels oder Pfingstls anschließt.

Ein Bursche, ganz mit Laub und Schilf vermummt, reitet durch das Dorf, auch sein Gefolge, die »Santrigelbuben«, sind beritten und nun wird die Gestalt am nächsten Teich oder Bache vom Roß ins Wasser gestürzt. Manchmal geschieht dies auch nur mit einer Puppe, die dann einen Vogelschnabel trägt, der fürs Jahr hindurch an die Scheune genagelt wird.

Immer blühender entfaltet sich nun das Leben der Fluren, immer gewaltiger greift das Naturgefühl auch in das Volksleben hinein. Ihm gelten jene wunderschönen Umzüge und Bittgänge durch die Markung und durch das »liebselig Getraid«, wie es in einer Schilderung von 1583 heißt, von ihm empfängt der Fronleichnamstag jenen stimmungsvollen duftigen Zauber, den ihm alle Prangerinnen (so nennt man die Jungfrauen, die den Zug begleiten) und Fähnlein allein nicht geben könnten. Den Höhepunkt aber für dies Naturleben bildet entschieden die Sonnwendzeit. Weithin vom Watzmann bis zur Zugspitze flammen am Johannistage die Bergfeuer, doch auch im Thale soll es leuchten und singende Knaben zogen ehedem umher und sammelten das Holz zum Feste.

Heiliger St. Veit – schick uns a Scheit
Heiliger Hans – a recht a langs
Heiliger Sixt – a recht a dicks
Heiliger Florian – zünd unser Haus nit an.

Wer sich aber weigerte etwas herzugeben, der konnte leicht die Verse hören:

Gebts uns aar a Steuer
Zu unsern Sunnwendfeuer,
Wer uns koa Steuer will geben
Soll's nächste Jahr nimmer derleben.

Ebenso wurden die brennenden Scheiben, die man an diesem Tag einst durch die Lüfte schlug, mit Versen begleitet. Sie waren den verschiedensten Zielen gewidmet, der hl. Dreifaltigkeit, den Staatsbehörden, sogar dem Teufel, in der Regel aber wurden sie dem Schatz geschlagen und dann lautete der Spruch gar diplomatisch:

O Du mei liebe Scheiben,
Wohin soll i Di' treiben?
In d'Mittenwalder G'moa,
Du woaßt scho', wen i moa'!

Unbewußt fühlt es ein jeder, daß dies ein anderes Feuer ist, als es tagtäglich brennt; die kranken Tiere werden davon heil, wenn sie durch die Flamme gehen und jauchzend springt der Bursch mit seiner Liebsten durch die Glut.

Um Johannis oder St. Veit beginnt auch die Auffahrt zur Alm mit der festlich geschmückten Herde, drunten auf den duftigen Wiesen aber fängt die Heumahd an und eine Zeit schwerer und strenger Arbeit kommt nun für das Bauernleben, wo man selbst die Feiertage bisweilen nur ungeduldig erträgt, aber es ist die schönste Arbeit, die es giebt, sie gilt der Ernte.

Wenn dann alles richtig und rechtzeitig geschehen ist, läßt sich die Kirchweih' um so fröhlicher an und diese ist und bleibt doch eigentlich das populärste Fest des Jahres. Vom Dach bis zur Schwelle wird das Haus gesäubert, in der Küche brodeln die duftigen »Kirdanudl«, nun kommt der alte Bauernspruch zu recht: »Nothi' is's nit lusti!« Nach dem Frühmahl geht man zur Kirche, wo das weiß und rote Fähnlein vom Turme weht, jeder trägt sein bestes Kleid und eine Blume auf dem Hut, von weit her sind Verwandte und Freunde zu Gast gebeten. Den ganzen Tag kommen die stattlichen Maßkrüge nicht vom Tisch, auch sie sind häufig mit roten Bändern und einem Strauß verziert und den ganzen Tag ist es ein Kommen und Gehen, denn es ist Nachbarpflicht, sich heute zu besuchen. In der Regel ist auch Musik im Hause, eine Zither oder Mundharmonika und so wird bis in den Abend hinein getanzt, gesungen und jubiliert. Erst am zweiten Tage, am sogenannten »Nachkirda« gehen die besseren Bauern zum Tanze ins Wirtshaus.

»Und a lustiger Kirda
Dauert Sunda, Monda und Irda
Und es kann si' glei schicka,
Glei gar bis zum Micka.«

Früher hatte jedes Dorf im bairischen Oberland seinen eigenen Kirchweihtag, jetzt sind sie alle auf den dritten Sonntag im Oktober vereinigt, aber so viel Übermut damit auch gebannt oder lokalisiert ward, wenn ich mir den Ausdruck erlauben darf, das Wort allein » der Kirda« hat doch noch seinen solennen, übermütigen Klang.

»Was habts denn für an Kirda mitanand?« sagt man zu zweien, die in lauten Wortwechsel geraten sind, und wenn im Sommer auf den Almen getanzt wird, spricht man vom Almenkirda, selbst die Wildschützen machen sich den Tag zu nutze, wo alles daheim beim fröhlichen Gelage sitzt und wo sie sich doppelt sicher glauben.

Richt an Rucksack nur her.

Das Jahr aber neigt sich langsam zu Ende, die Luft ist so durchsichtig und klar geworden, es ist die schönste oder doch die ergreifendste der Jahreszeiten, aber diese Schönheit ist müd zum Sterben.

Verblaßte Blumen stehn am Wege.

Und den Toten gilt auch das letzte Fest, das in diese Zeit fällt, Allerheiligen und Allerseelen. Ein Kranz vom Grün der Almenrosen schmückt das schlichte Holzkreuz, auf die gelockerte Erde aber sind rote Vogelbeeren gelegt, von jenem Baum, der einst dem Thor geheiligt war.

Am 6. November mustert noch einmal St. Leonhard seine prächtigen Rosse und dann kommt wieder tiefe, tiefe Winterstille, der ewige Kreislauf des Jahres ist vollendet. Aber das Leben des einzelnen steht ja nicht stille, nicht alles ist gebunden an den Tag. Hier thun sich lang erhofft zwei lichte Äuglein auf und lachen ins Leben, dort schließen unverhofft sich zwei müde Augen und soweit ist es vollends noch nirgends gekommen, daß der Hochzeitlader »Feierabend machte«.

Diese drei großen Wendepunkte irdischen Daseins wollen wir jetzt noch in Kürze betrachten, und zwar an erster Stelle die Hochzeitsbräuche.

Nicht bloß bei uns, auch draußen auf dem Lande ist der Gegensatz zwischen Herz und Interesse ein bewußter und manchmal sogar ein recht akuter; je zwangloser man bei Anknüpfung einer »Bekanntschaft« verfährt, desto bedächtiger geht man (wenigstens beim Großbauer) mit dem Heiraten zu Werke. Die Vermittlung, wenn sie sich auch nicht in Inseraten ausprägt, hat doch immer noch im mündlichen Verkehre einen großen Spielraum, damit nicht bloß die Herzen, sondern auch die Summen zusammenpassen. Man geht mit feierlicher Miene »auf die B'schau«, bevor man die Sache »richtig macht«, und dann erst folgt der feste Verspruch.

Nun giebt es scharfe Arbeit für den Hochzeitlader. Den Rosmarin am Hut, den Rock mit roten Bändern verziert und einen mannshohen Stock in der Hand sieht man ihn auf der bestaubten Straße steuern, manchmal aber trabt er sogar hoch zu Rosse oder ist von ein paar Adjutanten der beteiligten Familien begleitet. Aus jedem Hause erscheint in der Regel nur ein Gast, wenn nicht persönliche Beziehungen die Einladung mehrerer Familienglieder zur Pflicht machen; schon in halbgewachsenen Jahren versprechen es sich Bursche und Mädchen »Dir geh' i amal in d'Hochzeit.« Ein solches Versprechen zwingt; auch die Nachbarn zu laden, erscheint geradezu unumgänglich.

Als offizielle Verlobung aber gilt erst das sogenannte »Stuhlfest« vor dem Pfarrer, wobei es mitunter ein scharfes Examen aus dem Katechismus absetzt. Im Hause der Braut rüstet man unterdessen emsig den »Kammerwagen«, der die Aussteuer an den neuen Wohnort bringt. Er ist hochbeladen, die vier Pferde sind mit bunten Bändern geschmückt und in manchen Gegenden sitzt die Braut selbst ganz zu höchst, wo ihr Spinnrad prangt, oder sie geht hinter dem Wagen mit der Kunkel in der Hand, dem uralten Zeichen frauenhafter Ehre.

Dort kimmt er der Wagen,
Die Bräundln, die zieh'gn,
Der Flachs und die Kasten,
Und d'Bettstatt und d'Wieg'n.

Und in der That wird er auch überall mit heller Freude begrüßt, selbst der Übermut hat dabei sein gutes Recht. Man versperrt ihm scherzhaft den Weg und sogar die Handwerksbursche, die auf der Straße ziehen, dürfen ihn gegen ein kleines Lösegeld zum Stillstand zwingen. Mit lauten Böllerschüssen wird er an seinem Ziele empfangen, dann wird das Brautbett in der »Ehekammer« feierlich eingesegnet und endlich kommt der Hochzeitstag.

Es mag hier als erfreuliche Thatsache betont werden, daß die Eheschließung auf dem Standesamt weder dem kirchlichen noch dem volkstümlichen Zeremoniell in unsern Bergen nennenswerten Abbruch gethan, und ebenso verdient es als ein Zug schöner Pietät erwähnt zu werden, wie an diesem Freudentag das Andenken der Geschiedenen geehrt wird. Regelmäßig wird da eine Seelenmesse für sie gehalten, nach der Trauung besucht man den Friedhof, und wo die Eltern leben, spricht nach der Morgensuppe der Hochzeitlader den Dank der Braut für alle Wohlthaten, die sie im elterlichen Hause genossen.

Um 10 Uhr geht der Zug zur Kirche, voraus die Musikanten, die aus vollen Backen blasen. Mit seltener Gravität schreiten die Würdenträger des Festes einher, unter ihnen Ehrvater und Ehrmutter, sowie die Kranzelherrn und Kranzeljungfern der Braut.

Auch in der Kirche ordnet der Hochzeitslader das Zeremoniell, der Lehrer auf dem Chor thut heute sein Bestes und glänzend schaut Frau Sonne durch die Fenster, während das junge Paar den Segen empfängt und St. Johannis-Minne trinkt.

Der dicke Wirt aber steht ungeduldig vor der Thüre seines Hauses und lauert, ob sie noch nicht wiederkommen, endlich sieht er den Zug von neuem nahen und nun beginnt sein Element, das schwergeladene Hochzeitsmahl. Manchmal werden vor dem Wirtshaus noch festliche Spiele aufgeführt, so der Braut- oder Schüssellauf. Die junge Frau aber geht zunächst in die Küche zum »Suppensalzen«, denn mit dem Amt kommt der Verstand und sie muß es nun genau verstehen, ob die Gerichte auch alle richtig zubereitet sind. Am Menu einer sogenannten »guten« Bauernhochzeit würden wohl die meisten von uns ersticken, wenn wir es vollständig absolvieren wollten; es heißt im Dialekte der »Kuchelbrief« und enthält fast alle erdenklichen Fleischspeisen, mit Ausnahme von Wildpret und Fisch, die auch bei der prunkvollsten Hochzeit niemals erscheinen. Hier wirkt unbewußt noch ein uralter Gegensatz – »Wildpret und Fisch sind für der Herren Tisch«. Was der einzelne von seinen Portionen nicht bezwingen kann, das legt er in ein eigenes Tüchlein beiseite und diese Überreste werden »das Bescheidessen« genannt.

Freilich sorgt auch der Tanz, der unablässig zwischen den einzelnen Gängen tobt, für die Erneuerung eines grotesken Appetits. Während der Hochzeit dürfen nur die Geladenen tanzen, nach dem Abdanken, um 7 Uhr, können sich auch andere (gegen Bezahlung der üblichen Scharen) beteiligen.

Aber bis zum Abdanken hat es gottlob noch gute Weile, zuerst müssen sie die Braut stehlen, ohne daß es der Hochzeiter bemerkt; sie wird dann in der Regel ins Herrenstüblein verbracht, wo man im vertrauten Kreise ein paar Flaschen vertilgt. Oben im Lärm des Festes merken sie es kaum, daß die Hauptperson verschwunden ist, denn von dem jungen Volk ist ja ein jeder sich selbst die Hauptperson. Wer unterdessen die Tische mustert oder die Musiktribüne, findet prächtige Typen. Breitspurig sitzt der Ehrvater dort mit rotglühendem Angesicht und beschaulicher Miene.

Mit'n Kopf gang's no' guat
Aber d'Füßl san schlecht!

Um so resoluter und unverwüstlicher blickt die Ehrmutter drein mit ihren braunen klugen Augen, sie ist sich ihrer Stellung voll bewußt – aber – aber –

Und dös is wohl was Schöns,
Wenn ma' g'schatzt is und alt,
Aber – schöner is's do'
In die junge Jahr halt.

An Ehrmutter bin i,
Dös is dir wohl fein,
Aber – lieber no' möcht i
Glei d'Hochzeit'rin sein.

Und so denkt si' die Alte,
Druckt d'Äugerl fein zua
Aber – na' waar's erst lusti! –
Schneid hätt i no' gnua!

Auch das junge »Basl«, das zur Hochzeit entboten ward, scheint von diesem Schlag zu sein, »dös is a resche« sagen die Bursche von ihr.

Als a Sendrin is s' drobn
Auf der Grünseer Alm,
Die kann's Kummadir'n
Mit die Küh und die Kalm.

Und die ferchtet wohl koan,
Der's zum Heiraten nahm,

Denn die kemmet ihm scho',
Wenn nur – er amal kaam'!

Da plötzlich füllt ein dichtes Gedräng die Stube, die Lichter werden angezündet und der Hausknecht, der soeben mit der Gießkanne den Staub gelöscht und das Parkett erfrischt hat, zieht sich respektvoll zurück. Es kommt der Glanzpunkt des Schmauses, das Abdanken oder Ehren. Ein Trompetenstoß verkündet das feierliche Ereignis und nun beginnt der Hochzeitlader seinen uralten Spruch, der gottestreue Frömmigkeit und kecke Lebenslust in seltener Weise verbindet und zum Schlusse dem Brautpaar ein halb Dutzend Buben wünscht:

»Und a fünf a sechs Dirndln drunter,
Denn wo koane Dirndln san,
San d'Buben aa nit munter.«

Dann aber kommt das gesamte Register der an der Hochzeit beteiligten Personen, wobei auch der Pfarrherr und der Wirt an hervorragender Stelle figurieren. Jeder dieser Toaste, wenn man sie so nennen will, beginnt auf die gleiche Weise: »Ferners bedanken sich die ehr- und tugendsamen Bräutpersonen bei ... Herrn Georg Hinterhuber, Knollbräu von Unterberg, als den Hochzeiter sein vielgeliebten Vettern, daß er an ihrem hochzeitlichen Ehrentag erschienen ist.« Und dann folgt in der Regel eine kleine Neckerei. »Dös is aa scho' a schöner, der is g'wiß die Bauern nit guat, weil er gar soviel Rausch allweil in sei Bier einithuat.«

Musikanten, ihm zu Ehren,
Laßt Eure Instrumenter hören.

Schallendes Gelächter folgt den einzelnen Reimen (auf ein halb Dutzend Versfüße geht es dabei nicht zusammen), ein gewaltiger Tusch ertönt und mit Pathos tritt der Aufgerufene nun vor das Brautpaar hin und legt seine klingende Gabe in die Schüssel. Der Bräutigam reicht ihm den Krug zum Trunke, daneben aber wird eine sorgfältige Liste über die einzelnen Gaben geführt, damit man sich die Ziffer im gleichen Falle ad notam nehme.

In den wohlhabenderen Gegenden unseres Oberlandes kann man schwerlich unter 10 bis 20 Mark geben, »d. h. an goldenen Reichsfuchsen«, wie der scherzhafte Ausdruck lautet, die Anzahl der Gäste beträgt bei einer guten Hochzeit wohl zwischen 60 und 100 Personen.

Mit dem Ehren aber hängt auch noch der Ehrtanz zusammen; das junge Paar tanzt zunächst einmal ganz allein, und sodann der Ehrvater mit der Braut und die Ehrmutter mit dem Bräutigam. Denn auf dem Lande heißt es: »Alter schützt vor – Tanzen nicht.«

Ah – der Ehrvater ah –
Wie der blast, wie der schnauft.

Etwa bis Mitternacht harrt das Brautpaar aus, dann trachten sie unter mancherlei Hindernissen zu entfliehen, aber die Musikanten erspähen sie noch zu rechter Zeit und geben ihnen rauschendes Geleite. Dies »Heimblasen« ist unvermeidlich. Draußen in der kühlen Nachtluft steht der Mond am Himmel, es wird so stille und während die Musik langsam verhallt, reichen sich zwei Menschen die Hände und denken leise: » Der Tag is halt dengerscht der schönste im Leben!«

Der folgende wird »der goldene Tag« genannt, er ist einer tiefen beschaulichen Ruhe gewidmet, man freut sich des Hauses und des Besitzes, keine Arbeit darf gethan werden. Nur in der Frühe geht man zur Messe und des Nachmittags mit den nächsten Anverwandten zum Wirt, wo die Abrechnung gepflogen wird.

Nach der obligaten Zeit, wenn alles sich korrekt verhält, erscheint der bewußte Sprößling, den der Hochzeitlader mit einem seltenen Scharfsinn prophezeite, und nun kommt der Gevatter zu Ehren. Der Pate oder Göd, wie man ihn oberbairisch nennt, ist auf dem Lande eine viel wichtigere Person, als in der Stadt, er steht an Autorität dem Vater am nächsten und bekundet auch eine beständige Sorgfalt für das Kind. Von ihm wird der Taufschmaus bestritten, als Geschenk dient meistens eine Schaumünze und überdies hat er die Verpflichtung, das Kind wenigstens einmal vollständig zu kleiden. Die Taufe selber findet nie im Hause, sondern nur in der Kirche statt, wohin man selbst im tiefsten Winterschnee oft stundenweit fährt. Gelegentlich wirft auch der Schlitten um, im Wirtshaus aber, wo der Schmaus gehalten wird, legt man den jungen Weltbürger ruhig auf eine Ofenbank und fordert nichts von ihm als Schweigen. Der Mythus vom Storch ist auf dem Lande wenig bekannt und wenn man Bauernkinder frägt, woher auf einmal das kleine Brüderlein gekommen sei, so kann man wohl die Antwort hören: »Ja, aus'n Brunnagrand hat's ihn auffig'schutzt.«

Was die Namen anlangt, so sind sie fast nur aus dem Heiligenkalender entnommen, Sepp ist der beliebteste bei den Knaben und Miedei (Maria) bei den Mädchen. Nur aus seltenem Anlasse wird in die alte germanische Zeit zurückgegriffen; so beschloß zum Beispiel im Jahre 1879 das Komite, welches die Einführung der Glasmalerei in Tegernsee feierte, um die sich Abt Gotzbert sehr verdient gemacht, bei einem Knaben die Patenstelle zu übernehmen, der diesen Namen bekommen würde, und alsbald fanden sich verschiedene junge Gotzberte zur Konkurrenz um diese Ehre ein. Als Kuriosum sei noch erwähnt, daß kürzlich im Tegernseer »Seegeist« unter den Verstorbenen das Kind Anonymus zu lesen war.

Der erste Besuch, den die Verwandten, Freunde oder Nachbarn bei der Wöchnerin erstatten, und das Geschenk, das sie bei dieser Gelegenheit mitbringen, heißt »das Weisat«; eine Bewirtung im Taufhaus ist die selbstverständliche Erwiderung.

Am tiefsten aber bekundet sich wohl die Innigkeit des bairischen Volkslebens in jenen Gebräuchen, die sich an die letzten schweren Stunden des Daseins schließen – an den Tod.

Wo ein Sterbefall eintritt, bleibt die Leiche in der Regel im Haus, und Tag und Nacht hindurch lösen sich die Nachbarn ab, um Wache zu halten und bei den brennenden Kerzen zu beten. Nie habe ich diese Pflicht erfüllt ohne ein Gefühl der tiefsten Ergriffenheit. Selbst das Grab wird in der Regel von den Freunden und Nachbarn gegraben und diese sind es auch, die den geschmückten Sarg tragen. Stirbt ein Kind, so fällt dies Amt den Kindern zu, der Pate aber schickt das Totenhemd und die sogenannte Krone; bei Jungfrauen verrichten die Mädchen des Dorfes diesen letzten Liebesdienst und bei jungen Männern deren Gefährten.

In der Jachenau ward der Sarg offen gelassen und nur das Antlitz des Toten bedeckt; im Berchtesgadener Land, wo viel Armut herrscht, hatten früher, wie die Bavaria berichtet, mehrere Gemeinden zusammen nur eine Totentruhe, aus der die Leiche vor der Bestattung wieder herausgenommen ward, sie war in ein Leintuch eingenäht und wurde so der Erde übergeben.

Die Leichenfrau, welche übrigens nur die äußerlichsten Veranstaltungen besorgt, wird mit einem schauerlich realistischen Worte »die Totenpackerin« genannt. Besonders ergreifend sind jene Bestattungen, wo die Leiche im langen Schiffszug über den See geführt wird, mit Grauen aber denke ich an das Bild einer schönen jungen Sennerin, die auf der Alm verunglückt war und nun aufrecht sitzend auf einem schmalspurigen Wagen, der beim Sonnenschein eine brennende Laterne trug, zu Thal gebracht wurde.

Beerdigung und Gottesdienst fallen unmittelbar zusammen, und nach dem letzteren findet noch mannigfach das alte germanische Leichenmahl statt, bei dessen Schluß ausdrücklich für den Verstorbenen gebetet wird. So hat sich zum Beispiel im Salzburgischen der dialektische Ausdruck erhalten, »wenn hamma 'n vertrunka?« anstatt »wann haben wir ihn begraben?«

Am 7. und 30. Tage nach dem Tod werden wieder Gottesdienste gehalten, bei welchen die gesamte Verwandtschaft erscheint, aber auch sonst wird das Andenken der Geschiedenen auf mannigfache Weise geehrt. Sie kennen die schöne Sitte der Martertafeln für jene, die verunglückt sind; auf einer Felswand bei der Kaiserklause waren noch vor kurzem etwa zwanzig solcher Gedenkzeichen angebracht und der Felsen selber heißt noch jetzt im Volksmund »die Tafeiwand«.

Nicht minder wurden die sogenannten Rêbretter (auf welchen man die Leiche zu Grabe getragen) an grüne Waldbäume geheftet, sie tragen die Namen des Geschiedenen und das requiescat in pace, aber bedeutet Leichnam, wie es schon im Parcival heißt: »Gebalsamt ward sin junger Rê«.

Während der Trauerzeit, die sich für die Mutter auf ein Jahr, für den Vater und Paten in der Regel auf ein halbes Jahr und für Geschwister auf etwa sechs Wochen erstreckt, tragen die Frauen schwarzes Oberkleid und Halstuch, am Hute darf keine Goldschnur prangen, sie sind »in der Klag«, wie der dialektische Ausdruck lautet.

Doch mit den Scheidenden muß auch ich endlich von Ihnen scheiden. Vieles, was ich Ihnen gerne noch berichtet hätte, ist ungesagt geblieben, aber auch aus dem wenigen, was ich in dieser engen Stunde bieten konnte, werden Sie entnehmen, welches mächtige Stück Leben, welche Fülle von Gemüt und schaffender Gestaltungskraft in unserem oberbairischen Volksstamme wurzelt!

Daß die neue Zeit und was in ihrem Gefolge auf das Land dringt, auch auf Brauch und Sitte manchen zerstörenden Einfluß übt, daß auch hier die große Nivellierung ihr Werk versucht, das könnte freilich nur der Unverstand verkennen, aber ein Bollwerk bleibt doch noch immer gegen diesen Niedergang, und dies ist das Herz des Volkes, aus dem seine Sitte entsprang. Die Liebe zur Heimat wird auch hier noch lange manches köstliche Eigengut beschirmen, und die schönste Frucht aller Forschung ist ja neben der Wahrheit – das Vertrauen. Ich aber vertraue schrankenlos auf den gesunden Sinn unseres Volkes.

Wie auch die Welt sich wandeln mag
Rastlos in Weben und Streben;
Bergvolk und grüne Bergeswelt
Sie haben ewiges Leben!


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