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II.
Die oberbairische Mundart.

 

Ich weiß, daß es ein engbegrenzter Stoff ist, den ich Ihnen heute entgegenbringe, aber seine Grenzen sind blaue Berge und hochgewachsener Tannenwald, sein Widerhall klingt von trotziger Felsenwand, und das Leben, das er in sich trägt, das zieht dahin, wie unsere Alpenströme, wie der rauschende Inn und die lichtgrünen Wogen der Isar. Und daneben hat er einen Zauber, der mir höher steht als jeder andere, – den Zauber der Heimat.

In diesem Sinne möchte ich denn auch den Gegenstand vor Ihnen behandeln. Nicht aus dem Winkel der Gelehrtenstube, nicht über ausgebreitete Bücher hinweg, will ich zu Ihnen sprechen; fürchten Sie nicht, daß ich Sie durch das Wurzelwerk etymologischer Forschung führe. Auch diese Arbeit muß ja gethan werden und es wäre thöricht, sie zu unterschätzen, (denn auf keinem Gebiete führt bloße Lebenserfahrung zum Ziel, ohne strenge systematische Arbeit) aber diese Arbeit liegt hinter der Öffentlichkeit, wenn ich so sagen darf; sie ist eine interne Angelegenheit des Forschers und nach außen soll davon nichts anderes dringen, als das Ergebnis.

Dies Ergebnis nun möchte ich Ihnen bieten aus dem, was sich denken, sagen und streiten läßt über mundartliches Wesen, aber ich möchte es bieten im vollen warmen Zusammenhange mit dem Wesen des Volksstamms; mit der organischen Einfügung ins wirkliche Leben.

Denn für jeden, der tiefer blickt, liegt ja die Macht und Bedeutung einer Sprache nicht in den philologischen Formen, die sie geschaffen, sondern in dem Geiste, der diese Formen sich zum Ausdruck wählte, in der Denkweise, die dadurch veranschaulicht wird, in dem kulturgeschichtlichen Untergrunde, von dem die Sprache getragen wird. Jedes Wort ist gesättigt mit Leben; wie scharf zeigt uns jeder einzelne Ausdruck die Grenze der Fassungskraft, ja selbst den Grundton der Stimmung, die einen Volksstamm beherrscht! Denn der Dialekt ist ehrlich und enthüllt die Gedanken; nur die Sprache der Gebildeten ist geschaffen, um die Gedanken zu verbergen.

Tief unter der Gestaltung der Sprache ruht demnach die Gestaltung unseres eigensten Volkstums und hinter dem Geheimnis des Wortes liegt das Geheimnis der Seele, die dies Volkstum beherrscht. Dieser Seele möcht' ich auch diesmal Ausdruck leihen; Sie sollen nicht nur die Sprache hören, sondern die Menschen, die sie sprechen; Sie sollen im Wort die Wirklichkeit erfassen!

Es ist im Lauf der letzten Jahrzehnte so manches über unsere bairische Mundart geschrieben worden, aber vollendeter hat jene große kulturgeschichtliche Mission der Sprachforschung, wie ich sie hier zu charakterisieren versuchte, wohl niemand bethätigt, als jener gewaltige und doch so stille, fast scheue Mann, den Deutschland mit Stolz den seinen nennen darf – Andreas Schmeller. Wer könnte von bairischer Mundart sprechen, ohne seinen Manen eine Huldigung zu bringen; kein anderer Sprachzweig der zivilisierten Welt hat eine so systematische, so mustergiltige, so erschöpfende Darstellung in grammatischer und lexikalischer Beziehung gefunden, wie sie die bairische Mundart durch ihn gewann!

Und wer war der mächtige Mann, dessen Namen selbst im eigenen Land noch Tausende nicht kennen? Ein armer Korbmacherssohn aus der Oberpfalz, der mit acht Jahren den Bauernkindern Schule hielt, der mit Hunger und Not sich durch die Studentenjahre schlug und der zuletzt, als er mit allem Studieren fertig war, wieder Bauer werden wollte. Als Wanderbursch mit zwölf Gulden in der Tasche und mit einem Manuskript, das keinen Verleger fand, zog er aus München in die weite Welt; als gemeiner Soldat in spanischen Diensten machte er die Napoleonischen Kriege mit. Dann war er Lehrer in Madrid, Jägeroffizier in Baiern, Universitätsprofessor und zuletzt ein stiller Beamter in den goldenen Bücherschätzen der Münchener Hof- und Staatsbibliothek. Am 27. Juli 1852 schloß er die Augen; aber als Jakob Grimm bei Gründung der »historischen Kommission« nach München kam, da wunderte er sich, daß er durch diese Stadt gehen müsse, ohne ein Denkmal Schmellers zu finden – so dachte der Heros deutscher Sprachforschung über unseren bescheidenen Landsmann. Wir aber meinen: das edelste Denkmal hat er sich selbst gesetzt in seinen unvergänglichen Werken; die grammatische Darstellung der Mundarten Baierns, die 1821 erschien, und das »Bairische Wörterbuch«, das vor kurzem von Frommann in zweiter Auflage ediert ward, das sind Bücher von einer wahrhaft unerschöpflichen Tiefe. Vor allem das letztere. Jedes Blatt, das man berührt, jede Seite, die man aufschlägt, strotzt von Wissen und Leben, von einem Reichtum der Anschauung und Empfindung, von einer Feinfühligkeit für das Volksleben, wie sie mit dieser strengen wissenschaftlichen Methode wohl noch keiner verbunden hat! Es ist ein seltsames Geschick um die Größe eines Mannes –: so mancher tritt von Anfang an mit gewaltigen Proportionen ins öffentliche Dasein; aber mehr und mehr bröckeln die Jahrzehnte von ihm ab, bis nichts mehr übrig bleibt, als ein Schatten und die Vergessenheit. Bei anderen aber wächst die geistige Persönlichkeit empor wie ein Baum; es ist im Anfang nur ein schwaches Reis, doch eine schaffende Triebkraft liegt darinnen, langsam und unwiderstehlich dringen sie höher und weiter. Sie erleben sich selber nicht, erst die Nachwelt der Jahrhunderte erlebt ihre volle Bedeutung! Und so ist es mit Schmeller; in hundert Jahren wird vielleicht jedermann bei uns seinen Namen kennen – heute aber gestatten Sie mir, daß ich diesem Namen in unserem engeren Kreise den Zoll der tiefsten Ehrfurcht spende.

Wenn wir nun zum positiven Inhalt unseres Gegenstandes zurückkehren, so muß es vor allem unsere Aufgabe sein, das Verhältnis der Mundart überhaupt zur Schriftsprache festzustellen. Man kann wohl sagen: bis zur Reformation gab es in unserem heutigen Sinn keine Schriftsprache, sondern jeder der großen deutschen Stämme sprach und schrieb seine Mundart; durch die bedeutendsten Denkmale der Litteratur, der Geschichtsschreibung unseres Rechtslebens klingen Dialekte. Aber keinem dieser Dialekte gelang es, die Oberhand über die anderen in der Weise zu gewinnen, daß er zum allgemein herrschenden geworden wäre, (es war im sprachlichen Leben ein analoger Prozeß, wie er im politischen Leben der deutschen Volksstämme sich vollzog) und so erhob sich endlich aus der Vielheit des wirklich Geltenden der Versuch einer gleichsam idealen Einheit, einer Sprache, die anfangs nirgends gesprochen, aber schließlich überall geschrieben ward, die kein Stamm von Anfang sein eigen nannte und die zuletzt doch allen Stämmen zu eigen ward. Bis in die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts reichen jene ersten Versuche zurück; der Amtsstil der kaiserlichen Kanzlei begünstigte diese Entwicklung, aber durchgreifend wirkte auch hier erst jene gewaltige Hand, die einst an die Kirchthür zu Wittenberg schlug und damit eine Neugestaltung aller deutschen Verhältnisse wachrief! Erst durch Luther ward der Dialekt aus der Litteratur und aus dem Leben der geistigen, höher gebildeten Kreise endgiltig ausgeschlossen, die Sphäre aber, aus welcher Luther die Elemente seiner neugestaltenden Sprachbildung nahm, lag überwiegend im bairisch-österreichischen Sprachgebiet. Dem Dialekte aber war damit von selbst seine Rückzugslinie angewiesen, er hält sich noch eine Weile im städtischen bürgerlichen Leben, aber dann wird er mehr und mehr hinausgedrängt aufs Land; er waltet noch eine zeitlang im Schriftwesen weiter, aber auch von hier wird er mehr und mehr eliminiert auf das Gebiet des mündlichen Verkehrs, und heutzutage gilt er fast nur mehr im Bereiche des abgeschlossensten Volkstums, des Bauernstandes. Dort blieb er stehen und blüht noch heute mit unverwüstlichem Leben.

Sie werden von mir nicht glauben, daß ich mit dieser Darstellung, womit ich lediglich den Verlauf der Thatsachen kennzeichne, etwa den Wert der Dialekte herabsetzen wollte. Im Gegenteil – je mehr sich in den Dialekt der volle und vollendete Ausdruck unseres Volkslebens zurückzog, desto wichtiger wird derselbe für die kulturgeschichtliche Forschung; je weiter unsere Bildung vorschreitet, desto reizvoller erscheint uns dieser Quell der Ursprünglichkeit. So steht die Mundart denn (um Schmellers Bild zu gebrauchen) wie ein reicher Erzschacht neben dem künstlich gewonnenen Metall, oder »wie der ungelichtete Teil eines tausendjährigen Waldes« neben dem Nutzholz, das daraus gewonnen ward. Und darum soll man nicht die Dialekte, die neunzehn Teile unseres Volkes sprechen, als ein gleichgiltiges Nichts betrachten, denn sie sind jene Thatsache, in der sich »das geistige und körperliche Sein und Thun« jenes Volkes am vollendetsten darstellt.

So urteilt Schmeller in seinem Vorwort zu den »Mundarten Baierns«, und in verwandtem Sinne hat sich auch der größte der deutschen Dichter geäußert; es ist bekannt, wie Goethe über den Nürnberger Dichter Grübel und über Hebels alemannische Gedichte dachte – Goethe, der bei aller scheinbaren Vornehmheit doch unter allen Großen unserem Volkstum stets am nächsten stand, der gleichsam unwandelbar die Hand am Pulse dieses Volkslebens hielt.

Wir haben bisher den historischen Entwicklungs- und Scheidungsprozeß der Schriftsprache und Mundarten in Kürze betrachtet, und es obliegt uns nun noch, die geographische Begrenzung der letzteren festzustellen. Ich darf mich wohl auch hier ziemlich kurz fassen, denn Ihnen allen ist wohl diese Gliederung im wesentlichen bekannt. Die beiden großen Hauptäste am Stamm der deutschen Sprache sind die niederdeutsche und die oberdeutsche Mundart, zwischen welche sich die mitteldeutschen Dialekte an der Mainlinie einschieben. Unter den oberdeutschen Dialekten aber, die für uns natürlich zunächst in Betracht kommen, zeigen sich drei große Hauptgruppen: der oberrheinische oder alemannische, den wir in der Schweiz, im Elsaß und zum Teil noch im südwestlichsten Winkel von Baiern finden; der westlechische oder schwäbische, der an der Donau oberhalb des Lechs, sowie im größten Teile des Neckargebietes daheim ist, und endlich der ostlechische oder bairische, der das übrige Gebiet der Donau und ihrer Seitengewässer umfaßt, soweit überhaupt noch deutsch gesprochen wird. Also zumeist Altbaiern und die deutsch-österreichischen Länder.

So gliedert Schmeller das oberdeutsche Sprachgebiet; wir aber können selbstverständlich weder die genaueren Grenzen, noch die charakteristischen Merkmale aller hieher gehörigen Dialekte ins Auge fassen, sondern müssen uns auf unser engeres Thema, auf die bairische Mundart beschränken. Allein, selbst hier hat noch die Grenzberichtigung ihre Schwierigkeiten. Wir haben vorher betont, wie eng das Gebiet unseres Stoffes gemessen sei; doch das gilt eben nur von dem, was man in der heutigen politischen Begrenzung die »oberbairische Mundart« nennt, aber keineswegs von der großen historischen Entwicklung des bairischen Stammes und bairischer Sprache. In diesem letzteren Sinne gefaßt erweitern sich die Linien unseres Bildes gewaltig; bedenken Sie nur, daß es neun bis zehn Millionen Bajuvaren giebt, wovon nur etwa 2½ im heutigen Königreiche Baiern leben, daß es unser Sprachzweig ist, der die ungarischen und italienischen Grenzen umrankt.

Die mannigfaltige Gestaltung, die dieser Sprachzweig selbst wieder erfuhr, brauche ich kaum zu betonen, er trägt andere Blüten in Tirol und im Salzburgerland, in Niederöstreich und in Niederbaiern und zuletzt in den Felsen unseres eigenen schönen Hochlands. Auf dieses letztere Gebiet wollen wir uns hier beschränken, auf jenen Sprachkreis, den man heutzutage κατ''εξοχήν die »oberbairische Mundart« nennt.

So haben wir denn unser Thema auf seine engeren festgeschlossenen Grenzen zurückgeführt und in diesen Grenzen stellen wir uns nun die Frage: Was ist das Wesen, welches sind die charakteristischen, sprachlichen Merkmale der oberbairischen Mundart?

Die Eigenart derselben läßt sich nach dem Urteil eines berufenen Kenners in drei Momente zusammenfassen: in das nachlässige Aussprechen der Vokale, in das gedämpfte Aussprechen der Halbvokale oder Liquida l, n, r und in das Verschlingen der Endsilben.

Sie werden aus dem Gesagten schwerlich ein Bild gewinnen, aber ein Beispiel aus dem Leben wird dies Bild um so lebendiger gestalten. Der Grundlaut aller Vokale, der Kinderlaut der Menschheit ist das a; o und u sind seine Tiefen, e und i seine Höhen. Und wer die Vokale nachlässig spricht, wie der oberbairische Dialekt dies thut, der spricht weder die Höhe noch die Tiefe rein, sondern läßt überall das a, den Grundlaut, hineinklingen. Das »lernen« wird zum »learna«, das »biegen« zum »biag'n« das zum »͡art«, das »zu« zum »zua«., das »zu« zum »zua«. So hört man allenthalben, auch bei den sämtlichen übrigen Vokalen das a mit.

Nicht minder geläufig wird Ihnen allen, sobald Sie es am Beispiel hören, das zweite charakteristische Merkmal des oberbairischen Dialekts werden; man sagt statt Kapelle »Kappe͠in«, statt stehen »steãhn«, statt Herren »Heãrn«.

Und ebenso bekannt ist Ihnen die Verkürzung oder völlige Abstoßung der Endsilben, das Wort »schon« klingt »scho'«, man sagt »freili'« und »lusti'«. Die Verkürzung aber hören Sie in allen Verbis: sag'n, geb'n, flieg'n u. s. w., wenn statt Büchel »Büchl« gesprochen wird oder vollends »Büchei«. So drängt sich durch die ganze oberbairische Mundart das Streben nach klangvoller Vokalisierung, die der Mundart erst jenen volltönigen Brustton giebt, den wir jetzt an ihr bewundern.

Aus dieser Tonfülle heben sich dann jene Konsonanten um so schneidiger ab, die mit verdoppelter Wucht gesprochen werden, wie z. B. schaffen, raffen, du Lapp, du Drack, geh wecka u. s. w.

Daß der Dialekt ganz besonders eigenmächtig mit den Fürwörtern verfährt, ist Ihnen bekannt; man sagt: sie regnet, sie wird schön Wetter und ebenso ist das »Ees« und »Enk« statt Ihr und Euch im Brauche. Auch sagt man ausschließlich »mir« statt wir. Z. B. Bals Ees Enk trauts, mir traun uns scho'.

Es ist hier selbstverständlich unmöglich, in erschöpfender Weise die ganze Grammatik des oberbairischen Dialektes vorzutragen, ich muß mich auf diese fragmentarischen Andeutungen beschränken und kann auch auf den eigentlichen Wortschatz, der neben der Lautgestaltung ja das charakteristische Merkmal jeder Mundart bildet, erst später eingehen.

Wir haben vordem die Behauptung aufgestellt, daß, ehe sich die Schriftsprache aus der Vielheit der Mundarten herrschend heraushob, auch der gesamte höhere geistige Verkehr und Ausdruck eines Volksstammes in der Mundart dieses Volksstammes stattfand, daß sich erst dann diese Mundart mehr und mehr in die tieferen Volksschichten zurückzog und daß demnach die Sprache, die jetzt dort gilt, nur als der Niederschlag, als das residuum der früher allgemein giltigen Sprache erscheint.

Für diese Behauptung habe ich gewissermaßen den quellenmäßigen Beweis gesucht und habe in tausenden von bairischen Urkunden vom 13. bis ins 16. ja selbst bis ins 18. Jahrhundert, die mir durch die Hände gingen, die sprachlichen Formen genauer beobachtet. Es waren dies nicht Urkunden aus dem alltäglichen Geschäftsverkehr, sondern lauter feierliche Dokumente: landesherrliche Verordnungen, Belehnungen, Verträge, Testamente, gerichtliche Urteile, welche wichtige Verhältnisse in getragener Sprache darstellen, und dennoch fand ich in diesen Urkunden fast das ganze lebensvolle Bild unserer heutigen Mundart wieder; die ganze Grammatik und den ganzen Wortschatz.

Zahllose Umlaute von Vokalen und Konsonanten treten uns hier entgegen, man schrieb »zuerueffen« für zurufen, »Lechen« statt Lehen, hültzen statt hölzern, die Miesbacher Bauern werden als »Miesbecker« aufgeführt, wie sie sich heute noch selber nennen. Fast alle Ortsnamen und viele Personennamen kommen in der Aussprache vor, die sie heute noch im Volksmunde haben. Von einer Abgabe an den Gerichtsherrn heißt es nicht die Taxe, sondern »der Tax«, wie es noch heut der Bauer sagt, in einem Gerichtsprotokoll aus Salzburg heißt es: man fand ihn todter (tot) am Wege liegen. Selbst die doppelte Verneinung kehrt wieder, daß einer »nie nichts gesehen« und das irreguläre Fürwort, daß er »ihm nichts einbilden könne,« statt daß er sich nichts vorstellen kann. Das sechzigste Jahr wird nur als das sechzigiste (sechzigischt) aufgeführt. Und nun vollends der ganze Wortschatz, der nur dem Dialekte eigen ist, auch er findet voll sich wieder; das wollene Hemd, das der Gutsherr seinem Knechte zu Ostern giebt, es ist genannt »ain rupfen Pfaid« (a rupfes Pfoad), die alten Bauernhäuser werden »Haimeter« genannt, wie heute noch die »Hoameter«, schon damals heißt es ins Holz gehen, statt in den Wald, die Tannen werden »Daxen« genannt, der Flachs heißt Haar, die Bienen »Impen«, und das, was schlecht ist, nennt man »schiech«. Und wenn ich hie und da ein Wort in Urkunden des 14. Jahrhunderts nicht verstand, so habe ich den Versuch gemacht und frug, anstatt das Wörterbuch von Schmeller oder Lexer zu beraten, einen alten Bauer unserer Berge und der alte Bauer kannte und besaß das Wort.

Soviel über die rein sprachliche linguistische Seite, aber nicht auf sie möchte ich, wie gesagt, den Schwerpunkt dieser Darstellung legen. Denn in der Sprache lebt ja am klarsten das innere Leben eines Volkes und in der Mundart vor allem kommt die ganze Charakteristik des einzelnen Volksstammes zum schlagendsten Ausdruck. In diesem Sinne, als den Spiegel des Lebens, möchte ich von nun ab die bairische Mundart betrachten, wie sie uns gleichsam die Summe des geistigen Lebens und des seelischen Besitzes darstellt, der in unserem oberbairischen Volke waltet.

Die Grenzen des Denkvermögens und die Tiefen volkstümlicher Empfindung liegen meßbar vor uns in den scharfgezogenen Linien des Sprachgebiets; in den feinen Nuancen der Begriffe können wir gleichsam die feinen Besonderheiten des Charakters verfolgen, in der Plastik des Wortes liegt die Anschauungskraft, die Energie verkörpert, die diesen Volksstamm so fesselnd macht. Schon in der Klangform der Sprache und in ihrer ganzen Struktur liegt jener Grundton selbstbewußter wehrhafter Kraft, der dort auch den Grundton des Charakters bildet; diese Sprache ist gebaut, wie die Menschen, die sie sprechen, und ihr Rhythmus gleicht dem Schritt, der über den Felsgrat der Berge schreitet. Sie hat ein Kolorit – wie's nur die alten wetterbraunen Häuser haben, eine Farbe, die sich weder nachmachen noch malen läßt, sondern die nur langsam wird in hundert Jahren, im ewigen Erdulden von Sturm und Sonnenschein.

Und dennoch klingen durch diesen Grundton wetterfester Kraft die feinsten Herzenslaute, es ist diese Mundart einer Innigkeit und Zartheit fähig, daß man sich nur wundern muß, wie dieselbe Sprache so keck und so rührend, so kräftig und so weich erscheint. Auch in ihr kommt jene doppelte Begabung, jenes Gleichgewicht von Seele und Verstand zum Ausdruck, das den oberbairischen Volksstamm auszeichnet und das, wie ich schon früher einmal hier bemerkte, vielleicht den letzten unbewußten Grund bildet für die Popularität, die er genießt.

So möchte ich im allgemeinen die oberbairische Mundart charakterisieren, gestatten Sie mir nun noch ein paar Blicke aufs einzelne. Niemand wird die reiche geistige Begabung leugnen, die in ihr zum Ausdruck kommt, und dennoch kennt diese Sprache kaum das Wort Geist; der Bauer nützt seinen Geist, aber er redet nicht davon. Er ist ein Feind abstrakter übersinnlicher Begriffe, und diese fehlen denn auch fast vollständig im Dialekt, so sehr auch beides im Volksleben thätig wird. Kurzum, der Bauer objektiviert sein inneres Leben nicht; seine Denkart ist so naturgemäß mit ihm verwachsen, daß er sie nicht selbst wieder zum Gegenstand des Denkens macht, und darum giebt es für die Nuancen seines geistigen Lebens keinen nuancierten Ausdruck, er ist geistreich ohne Bewußtsein und deshalb ohne Wort dafür.

Ganz ähnlich geht es mit dem Herzensleben, mit allen Regungen des Gemütes. Auch sie führen ein Dasein ohne Wort. Der Ausdruck » Gefühl« ist in der oberbairischen Mundart fast nur im physischen Sinne bekannt; niemand wird leugnen, daß der Bursch, der seinen Nebenbuhler am Fenster trifft, daß der Jäger, der mit seinem Todfeind im Walde zusammenstößt, einen Sturm von Leidenschaft empfindet, aber Sie würden vergeblich den Ausdruck »Leidenschaft« im Dialekte suchen. Mit elementarer Gewalt bricht das Gefühl der Liebe oft in diesen kräftigen Mädchennaturen durch, aber Sie hören niemals viel vom Glück oder Unglück der Herzen sprechen. Man kennt das Wort Sehnsucht nicht, sondern sagt höchstens Weillang oder Zeitlang haben; man ist sparsam mit Worten, wie »Seele« oder »Gemüt«, der Ausdruck » zärtlich« z. B. existiert überhaupt nur in seiner körperlichen Beziehung. Ich hörte manchen klagen über seine »zartlinga Füßl«, die es ihm verbieten, barfuß über spitze Steine zu steigen, aber niemals über die Hindernisse, die ein »zärtliches« Herz zu übersteigen hat. Ja es giebt selbst das Wort »Kuß« im ehrerbietigen und wenn ich so sagen darf im abgekühlten Sinne nicht; der Kuß der Liebenden heißt: »a Bußel«, der Kuß der Kinder heißt: »an Eiai« und andere Leute küssen sich im Volke überhaupt nicht. So scheut sich das Seelenleben instinktiv vor jeder Form des Ausdrucks.

Wenn der Wildschütz droben auf felsigem Grate zieht, der kühn entschlossen jeden Gegner tötet und der doch still den Hut vom Haupte nimmt, wenn er aus dem Dorf herauf das Zügenglöcklein für ein sterbendes Kind erschallen hört – ist dies nicht ein Feingefühl, ein Takt des Herzens, den wir vielleicht bei hochgebildeten Naturen vergeblich suchten? Und dennoch hat der Mannes nie gehört, was wir anderen unter Takt verstehen!

Glauben Sie wohl, daß der schweigsame Fischer nichts empfindet, der hinausfährt in die morgenklare Flut auf seinem uralten Einbaum, oder der Fuhrmann, der durch die mondbeglänzten schlafenden Dörfer fährt? Es ist die vollendetste Einheit der Stimmung, aber für all' das hat der Dialekt kein Wort, der Bauer würde es nie verstehen, was die »Stimmung« bedeutet, in deren ganzer Fülle er lebt!

Das ist eben die Kindernatur des Volkes, welche die Dinge innerlich erlebt, ohne sich äußerlich davon Rechenschaft zu geben, und darum fehlt ihr auch das äußernde Wort.

So haben sich mit innerer Notwendigkeit in dem Dialekt all jene abstrakten Begriffe verflüchtigt oder verfärbt, die unser Innenleben bezeichnen und in deren feiner Durchbildung unsere Schriftsprache jetzt so mächtig ist; ich habe die verschiedensten gegensätzlichsten Affekte (Liebe, Haß, Trunkenheit, Neid) schon mit dem gleichen farblosen Wort bezeichnen hören: »Ja mei', dös is halt a selle Sucht

Desto energischer und farbenreicher aber wirft sich die gestaltende Kraft des Dialektes auf das reale Leben: hier im Gebiete des Wirklichen, der sinnenfälligen Erscheinungswelt zeigt sich der schöpferische Sprachgeist des Volksstamms am besten, hier scheint das Wort nicht mehr verblaßt, sondern plastisch, wir fühlen den Puls der Sprache und das Blut, das in den Pulsen pocht. Welche Fülle der Vergleiche und der Bilder bietet uns nun die Mundart dar in ihrem sprudelnden Übermut, welch' feine Beobachtung und Charakteristik liegt in diesen Adjektiven, welche Stammkraft in diesen Verbis, die der Dialekt sich gestaltet hat! Daneben erscheint uns die hochdeutsche Sprache gleichsam matt und farblos.

Man kann es im Hochdeutschen nicht mit einem Worte sagen, was z. B. das Wort »anz'widern« im Dialekte bedeutet, wenn man jemand fortwährend mit Geberden, Blicken und Reden verdrießlich anläßt und immer das hervorkehrt, was dem andern zuwider ist; wir treffen solche Beiwörter »grantig, dalket, g'schnappet«, wie originell klingt es, wenn man von einem, der schlaftrunken am Tische sitzt und für das Gespräch kaum mehr in Betracht kommt, sagt: »Oh mein, der hat schon lang verkauft, der hat scho' übergeb'n.« Ein blauer, wolkenloser Tag wird »glockenhell« genannt, es ist ja eigentlich unlogisch, den Klang und die Farbe zu vergleichen, aber wie leuchtend und durchdringend wirkt trotzdem das Bild! Und nun erst der ganze unermeßliche Sprichwörterschatz des oberbairischen Volkes – welche Frische, welche Kühnheit und Phantasie waltet hier, wenn es heißt: »A Feuerl is aar a Haingart«, oder von einem schönen aber kalten Mädchen: »Es is a Bild ohne Gnad«, oder von einem kecken Burschen: »Er fangt an Teufel auf der freien Woad«.

Dies kühne treffende Element, das eine wundersame Mitte hält zwischen Frohmut und Beschaulichkeit, kommt wohl am prägnantesten in jenen Schnaderhüpfeln zum Ausdruck, die man entschieden als ein Monopol unserer bairischen Mundart bezeichnen kann.

Und i woaß nit woher
Und i woaß nit wohin
Und mi' wundert's nur,
Daß i so lusti bin!

Und wie werd's wohl 'mal gehn –
Und da denk' i oft dran –
Bal i amal halt koa Geld
Und koa Schneid nimmer han?

Aber auch hier überwiegt der helle muntere Ton kräftiger Zuversicht; jauchzend klingt es über den Tanzboden hin:

So frisch wie ma heunt san,
Dös hat gar koan Nam
Und so halts mi' nur grad,
Denn sonst reiß i all's z'samm.

I kann's nit dermacha
I kann's nit verstehn,
Bald d'Musi so blast
Und san d'Dirndln so schön.

Schlag a Rad bis an d'Decken,
Spring' eini in d'Leut,
Es giebt ja nix Schöners
Im Leb'n, als wie d'Schneid.

Und wenn's mi' verreißet
Vom Kopf bis auf d'Knie,
Na san d'Scherb'n no' lebendi'
Dös sell sag' Enk i.

Nur im bairischen Dialekt läßt sich dies sagen, es läßt sich in keine andere Sprache und vielleicht am wenigsten in die hochdeutsche transponieren. Und gleichwohl klingt noch durch denselben Dialekt zugleich das tiefste uralte heilige Leben unseres Volkes nach, selbst Wochentage haben noch heute die alten Heidennamen, man sagt z. B. »Irda« statt Dienstag, den heidnischen Erchtag. Und als anno 1867 am westlichen Ufer des Tegernsees ein Haus vom Blitze verbrannt ward, da erzählte mir die achtzigjährige Bäuerin dies Ereignis mit den Worten »der Thor hat eing'schlagen«. Thor, der alte Herrscher von Donner und Blitz, er lebt noch heute in der Sprache des Volkes an einem Orte, wo ein Jahrtausend lang eines der mächtigsten Klöster stand.

So bleibt uns schließlich noch die Frage übrig: Was bedeutet diese Mundart, die in dem großen Sprachgebiete unserer Nation so wichtig erscheint, daß man sie bereits als den schönsten aller deutschen Dialekte erklärt hat, für die Litteratur? Mit anderen Worten, wie ist dieser Dialekt für das poetische Schaffen, für die Ausprägung typischer Gestalten verwendbar; welche Stoffe vermag er zu tragen, welches sind (in dichterischer Hinsicht) seine Ziele und seine Grenzen?

Ich möchte in dieser Beziehung vor allem auf den naheliegenden und gewaltigen Unterschied hinweisen, der zwischen plattdeutscher und oberdeutscher (speziell oberbairischer) Mundart besteht und den ich in einer früheren Abhandlung eingehender zu charakterisieren versuchte. Der plattdeutsche Dialekt umfaßt (in seinen verschiedenen Nuancen) Millionen Menschen statt hunderttausende, vor allem aber ist das Gebiet der Lebensinteressen, der sozialen Gruppen, die er beherrscht, weit größer, als das Geltungsgebiet irgend einer oberdeutschen Mundart. Dadurch sind von selber eine Menge von Gestalten, von Begriffen und Motiven in plattdeutscher Mundart möglich, die dem schwäbischen, dem pfälzischen, dem oberbairischen Dialekte einfach fehlen. Die plattdeutsche Mundart reicht hinauf als populäre Redeweise bis in den Verkehr der höchsten Stände mit den niedersten, sie umfaßt den Gutsherrn, den Bürger, den Handwerksmann und was das Entscheidende für den Umfang ihrer Begriffe ist, überhaupt den Städter. Die oberbairische Mundart aber umfaßt beinahe nur den Bauer und das bäuerliche Leben, man trägt unwillkürlich Bedenken, sie dem Stadtbewohner, dem Gewerbsmann, dem Beamten in den Mund zu legen, weil man gleichsam fürchtet, aus dem Originellen ins Ordinäre zu verfallen. Das Plattdeutsch hat nur geographische Grenzen, in der oberbairischen Mundart aber sind es überwiegend ständische Grenzen, welche die Geltung und das Stoffgebiet derselben beschränken.

Damit ist die Klippe und die innere Schwierigkeit von selber angedeutet, welche die bairische Dialektdichtung gewärtigt, sobald sie sich in den größeren litterarischen Formen bewegen will: im breiteren Epos, im Drama, im Roman. Für den letzteren fehlt geradezu der Raum, dessen er zur Ausbreitung seiner Charaktere und seiner Handlung bedarf; es sind die Grenzen des oberbairischen Volkstums noch so fest geschlossen und die Typen dieses Volkstums trotz aller individuellen Ausprägung im großen Ganzen doch so gleichartig, daß sie nicht ergiebig genug sind für die Erfordernisse, die wir heutzutage an diese Kunstgattung stellen. Jedes Hinausgehen über diese Grenzen aber, über das, was im Bereiche unserer Mundart geistig und kulturgeschichtlich möglich ist, würde den Stoff nur auf Kosten der Echtheit erweitern und damit das wertvollste verlieren, um etwas minder Wertvolles zu gewinnen. So soll man denn fremde Figuren hereinnehmen, wird mancher sagen, um den Stoff zu erweitern, um künstlerische Gegensätze zu schaffen, aber auch hier stoßen wir auf ein inneres und sachliches Bedenken: Der bairische Bauer teilt sein inneres Leben eben nicht mit Fremden und breitet es nicht vor ihnen oder unter ihnen aus, er ist absolut exklusiv und auch der Dichter kann ihn nicht umgänglicher machen als er wirklich ist. Solche fremde, ich möchte sagen zugereiste Figuren würden in der Dichtung ebensowenig Wurzel schlagen, wie sie jemals im Bauern leben wirklich einwurzeln; sie würden im Anfange als zufällig, bald aber als gesucht erscheinen und zuletzt würde man das bestimmte Gefühl erhalten (wie wir's im Leben ja auch oft genug gehabt), es wäre am besten, sie gingen wieder fort. Kurzum, der Roman ist im bairischen Dialekte nahezu unmöglich, das äußerste, was dieser Dialekt an künstlerischen Dimensionen zu tragen vermag, ist die Novelle, die dramatische Behandlung des bäuerlichen Charakters aber wird stets mit der Schwierigkeit zu kämpfen haben, daß jene psychologische Entwicklung und jene feineren Konflikte, die wir nun einmal bei dieser Kunstform beanspruchen, sich nur schwer in der echten bäuerlichen Sphäre aufbringen lassen. Die Scenerie des Lebens, die den psychologischen Kern umgiebt, wird leicht zu gleichförmig, und was nicht in letzter Reihe in Betracht kommt – der bäuerliche Mensch erledigt seine Konflikte in Wirklichkeit nicht selten anders, als der dramatische Mensch es nach den Kunstgesetzen thun sollte. Entweder ist der wirkliche Bauer passiv oder er handelt rasch und jäh, er verschiebt die Entscheidung nicht gern und trägt nur selten eine Krisis seines Lebens durch vier Akte hindurch. Der Bauer ist (so barok das klingen mag) von Natur aus der geborene – Einakter. Und so liegt denn die Klippe immer nah, daß die dramatische Behandlung eines bäuerlichen Stoffes sich mehr als eine Reihenfolge willkürlicher genrebildlicher Scenen darstellt, statt als die organische Entwicklung eines Charakters oder einer Handlung, in deren geschlossenem Gang, in deren innerem Zusammenhang sich keine Scene verschieben läßt.

Ich kann im übrigen diese Bemerkungen nicht aussprechen, die ja nichts weiter als eine ästhetische Meinung sind, ohne der reichen Freude zu gedenken, die wir alle den trefflichen Werken und der vollendeten Darstellung verdanken, in welchen unsere Münchener Bühne dies Volkstum verkörpert und im Norden populär macht. Ich kann nur sagen, daß mir jedesmal das ganze Herz aufgeht vor diesem frischen Reiz!

Für die Einzelzüge des Charakters aber und für die Darstellung des täglichen Lebens, wie es uns in der bäuerlichen Welt entgegentritt, wird doch die Lyrik stets den einfachsten und adäquatesten Ausdruck bilden. Auch sie begegnet uns in der That schon ziemlich frühe; denn wir haben neben den volkstümlichen dramatischen Spielen aus älterer Zeit, um deren Erforschung sich August Hartmann hochverdient gemacht, und neben Anton Buchers klassisch derben Schilderungen in Prosa auch lyrische Gedichte, die im Dialekt gehalten sind; aus dem Beginne unseres Säkulums will ich nur an die massiven Strophen von Marcellin Sturm erinnern, an jenen Augustinerpater, in dessen Biographie es heißt, daß er aus »Mangel an Unterstützung« von seinem Dichtertalent Gebrauch machen mußte. Der Name Pangkofers ist vielen von Ihnen ohnedem bekannt, aber wer heutzutage diese Gedichte liest, der wird nicht selten ein gewisses Schwanken zwischen der derbsten Ungeschlachtheit und dem Bildungsniveau des Autors finden. Der Autor spricht zuviel hinein in die Welt, die er schildert. Wir selber wollen hier kein Urteil fällen, aber ein Bauer würde sagen: »Das Rechte hat er noch nicht.«

Ihre vollendete, mit einem Wort ihre künstlerische Erscheinung aber hat die oberbairische Lyrik erst durch Kobell erlangt; er erst verband mit jenem feinen Naturgefühl, das stets den poetischen Kern der Dinge trifft, eine absolute Herrschaft über die Sprache; seine Natur ist unserem Volkstum so kongenial, daß sie gewissermaßen im Volksgeist denkt und schafft, und ist ihm doch zu gleicher Zeit so überlegen, daß sie mit klarer Sicherheit alles ausscheidet, was sich künstlerisch nicht ausprägen läßt. Diese Doppelnatur, die aber in dem Momente der Produktion als volle einheitliche Kraft wirkt, ist die unerläßliche Bedingung für solche volkstümliche Dichtung.

Es hat a Diendl viel g'scherzt und g'lacht,
Ist g'west so lusti und froh,
Und auf amal, wie über Nacht,
Thuat s' nimmermehr a so.

»Ha, Diendl, ha sag', was waar denn dees,
Ha sag', was is dir g'schehg'n,
Is ebba bei schneeweiß's Katzl furt,
Dees d' gar so gern hast mög'n.

Hat ebba der Wind dein Nagerlstock
Von Fenster abi 'keit,
's san g'west gar schöne Bliemin dra',
Ich woaß's, die hab'n di' gefreut.

Hat ebber a böser Schauer g'schlag'n,
Wie Kirte g'wes'n is,
Und hab'n d'Leut koa Musi g'habt,
Gel' dees verdrießt di' gewiß?«

»›Koa Katzl, na, koa Nagerlstock,
Koa Schauer ko' dafür,
Mei Bua, der is mer untreu wor'n,
Mei Bua, der laßt vo' mir.‹«

»Mei'! Diendl, was is's um an Buab'n,
Der dir sei Lieb' verkehrt,
Schau: oana, der koa' Treu nit hat,
Der is scho' z'erscht nix wert.

Um so an Buab'n is koa Schad',
Hat aa koan' Ehr' in Leib,
Und wann er di' lang g'heiret hätt',
's waar grad zum Zeitvertreib.«

»›O mein Gott ja, Ees habts wohl recht
Und dengerscht, woaß nit wie,
So is ma', daß i sterb'n möcht',
Den Buab'n vergiß i nie.‹«

Da hat dees Diendl bitter g'woant,
Der ander aa is still –
Es geit halt Sach'n auf der Welt,
Da nutzt der Trost nit viel

(Kobell.)

Man könnte nun wohl glauben nach dem, was ich vorher sagte, daß auch die Dichtung der oberbairischen Mundart aller Leidenschaft, aller feineren Stimmung bar sei, weil diese Begriffe so ganz in deren Sprache fehlen, und daß nur der derbe Humor als eigentliches Gebiet derselben verblieben wäre. Aber diese Welt der mächtigen Empfindung ist da; sie wird nur nicht als solche genannt, der Dichter darf sie nicht von vornherein behaupten, sondern der Hörer muß sie mit erleben. Vielleicht wird das, was ich hier sage, am deutlichsten in einem kurzen Gedichte selbst. Der Stoff ist einfach – es sind zwei Holzknechte, die von der Arbeit nach Hause kehren, ehedem gute Freunde und nun verfeindet wegen des Mädchens, das sie beide lieben, sie gehen über den gefrornen See, der eine bricht durchs Eis und der andere kämpft mit sich selber: soll ich ihn retten.

Es werd' scho' finster; über's Eis am See
Gengant Gehen. zwoa Holzknecht von der Arbeit hoam,
An Rucksack hint, mit ihre Schneereif Schneereife = tellerförmige Reife, die man bei hohem Schneefall in den Bergen an die Füße schnallt drin.
An Schlierser-Hans hoaßt man den oan, den schön',
Der ander is der Lenz von Sunnamoos;
Die zwoa san lang scho' auf den nämli'n Schlag; Holzschlag.
Es warn amal die besten Freund, die zwoa,
Aber des Lenei – dös schö' Lenei halt! – –
Dem oan hat's g'hört, der ander hat's verdirbt, Verführt.
Und wie's mit der Freundschaft geht, dös woaßt.

Jetzt schaugt der oa den andern nimmer an,
Und dengerscht können s' no' nit von einand,
Bis in dem Schlag die Arbeit ferti is,
A drei, vier Monat dauert's no' allweil.
So scheitern Scheiter machen. s' neb'nanand den ganzen Tag
Und koaner sagt zum andern mehr koa Wort;
A jeder macht sei Feuer für ihm selm Für sich selbst.
Und kocht alloa; und wenn ma' Samsta(g)s läut,
Wenn's Feierabend is, packt jeder z'samm
Und geht alloa, der Hansei g'schwind voran,
Der Lenz an guat'n Büchsenschuß hintnach,
Und so, wie's allweil gengant, gengan s' heunt.

Da kracht's im Eis – kracht no'mal und bricht ein,
Es hat an Schub dort und viel Kelchbrünn' aa, Schub = Sprung, Kelchbrunnen nennt man die offenen Stellen, wo unterseeische Quellen das Gefrieren hindern.
An Hans, der vorn geht, den reißt's nein in See.
Bald kimmt der ander nach; an Augenblick
Bleibt er dort stehn; er hebt an Arm scho' auf,
Denn gar so bitte(n)d schaugt der Hansei her.
Er kann nit reden und nit schreien mehr,
Es hat ihm d'Sprach vor lauter Schreck verschlag'n;
Nur mit die Händ kreilt Kratzt. er si' ein ins Eis.
Der ander steht und richt si' schon auf d' Hilf.
Da fallt ihm 's Lenei ein! – – Der hat's verdirbt!
Und gluti(g) werd ihm 's G'sicht. »Na«, hat er g'sagt,
»Wenn unser Herrgott ihm as Leben gunnt,
Werd er scho' wissen, wie er'n außi bringt;
I müaßt mi' schaama, wenn i d'Hand nur rühr.«
Na' schaugt er weg, springt über'n Schub und geht.

So glaube ich, pocht die Leidenschaft im Herzen des Volkes, sie nennt sich niemals als solche, sie handelt! Aber sie handelt stark und kurz. Und ebenso kurz und knapp ist dies Empfinden da, wo es sich nicht um den Ausbruch der Leidenschaft, sondern um stille Ergriffenheit handelt:

A Bauer hat drei Buab'n im Feld,
Sie lassen gar nix hör'n,
Jetzt is er halt nach München 'nein
Zum Fragen in d' Kasern.

»Wie geht's mein Toni?« hat er g'fragt,
Den mag er halt vor allen,
Da schaugen s' nach und sagen's ihm:
»›Der is bei Wörth drinn g'fallen.‹«

»O mei' Gott, nei! – und unser Hans?«
»›Der is mit siebez'g Mann
Bei Sedan g'fallen‹« – »Und der Sepp?«
»›Der liegt bei Orleans!‹«

Der Alte sagt koa Wort und geht.
Er hebt sich an am Kasten,
Am Stuhl, am Thürg'schloß, an der Stieg'n –
Er muaß a weni' rasten.

Drunt auf der Staffel vor'n Haus
Da is er niederg'sessen,
Er halt sein Hut no' in der Hand,
Er hat auf All's vergessen.

Es gengant wohl viel tausend Leut,
Viel hundert Wag'n vorbei.
Der Vader sitzt no' allweil dort
»Drei Buabn und – alle drei!«

In der Regel aber wird sich auch im Liede, wie im Leben vor allem der helle, frohe Geist des Volkes spiegeln: seine Schlagfertigkeit, seine Originalität und das, was man im täglichen Verkehr mit dem leider abgegriffenen Worte des »Gemütlichen« bezeichnet. Daß bei diesen Stoffen die Komik den Löwenanteil gewinnt, ist naheliegend, sie beruht zum Teile schon in der epigrammatischen, witzigen Ausdrucksweise des Volkes, teils liegt sie in den Situationen selbst, aber auch ihre Wirkung wird um so intensiver sein, je unverkünstelter, je unmittelbarer man die Sache selber sprechen läßt. In ihr muß die vis comica liegen. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen auch hiefür eine kleine Dialektprobe biete.

Der alte Wirt steht vor der Thür,
Aufs Glatteis tropft der Regen,
A Fremder der geht aa grad für, vorbei.
Pumps – is er dorten g'legen.

Jetzt hat der Fremde aufbegehrt:
»Dös Glatteis ist so z'wider!«
»›Ja‹« sagt der Wirt, »›hab' mir's schon denkt:
Sie schlagen dorten nieder.

Denn auf dem Fleck san heut schon g'fall'n
G'wiß zehne, darf i sagen,
I paß jetzt schon die ganze Zeit,
Ob Sie nit aa hinschlagen.‹«

Was nun die äußere Behandlung, ich möchte sagen, die Technik des kleineren Dialektgedichtes betrifft, so könnte man wohl meinen, dieselbe müßte möglichst leger und sorglos behandelt werden, um den vollen Eindruck der Natürlichkeit zu machen, aber auch hier gilt der Erfahrungssatz, daß das, was am leichtesten erscheint, am schwersten ist.

Vor allem gilt das von jenen Stoffen, die nicht erfunden, sondern gefunden sind, wo es sich darum handelt, ein Erlebnis, das man selbst erfuhr, ein Dictum, das man selbst gehört hat, dichterisch einzuprägen.

Hier kommt alles darauf an, den Volksgedanken, der uns entgegenspringt, gleichsam à jour zu fassen, wie der Goldschmied den Edelstein, daß er möglichst frei und unversehrt sich darstellt, die ganze Aufgabe des Poeten beschränkt sich in solchen Fällen darauf, zur gegebenen Pointe die feine Situation zu finden, die künstlerisch abgerundete Einkleidung. Je weniger vom Wortlaut des Volkes dabei verloren geht, desto besser für die Sache.

Ich aber eile zum Schlusse. Ich weiß wohl, wie viel es hier noch zu sagen gäbe, wie verlockend es nun wäre, das Charakteristische der einzelnen Mundarten gegen einander abzugleichen oder auf die Bedeutung näher einzugehen, welche diese Mundarten gerade jetzt in unserem neugeeinten Vaterlande haben, als die Träger der großen Stammesbesonderheit, aber auch als die Vermittler der Verständigung. Und nicht minder lockend wäre wohl die Untersuchung, wie diese Mundart selbst sich jetzt allmählich umgestaltet unter dem Einflusse der neueren Zeit, im Drange allgemeiner Bildung und allgemeinen Verkehrs.

Das alles ist unmöglich, ich kann eine Stunde nicht länger machen, als sie ist, und so lassen Sie mich statt allem nur noch eines sagen, was mir am Herzen liegt. Wie das meiste Gute, was wir besitzen, so betrachten wir auch die Sprache als etwas Selbstverständliches, ohne uns den unermeßlichen Wert, den sie für unser geistiges und nationales Leben hat, auch nur zum Bewußtsein zu bringen. Und doch war sie mehr als ein Jahrhundert lang das einzige Heiligtum, in dem dies geistige Leben, in dem die Größe, in dem das Hoffen und die Einheit der deutschen Nation geborgen lag, als unser Vaterland mißachtet und zerstückt war.

Was die Sprache der Heimat wert ist, das hab' ich auf einem stillen Wandergange gelernt und empfunden, wie niemals im Leben. Sie wissen, daß hoch in den venezianischen Bergen sieben kleine deutsche Gemeinden liegen, die Sette Communi, die sich in Kirche, Schule und Haus bis in die letzten Jahrzehnte unerschütterlich ihre Muttersprache bewahrt. Erst jetzt erliegt auch sie dem Schicksal der Nivellierung; mehr und mehr ist sie eingeschlafen und nur daheim am abendlichen Herde versucht es wohl der eine oder andere, ob sie noch einen Laut hat.

Dorthin, in die Sette Communi, führte mein Wanderweg und mir ward wundersam weich zu Mute, als ich so emporstieg zu den sieben kleinen Gemeinden, in diese berggrüne Einsamkeit. Mir fiel das Märchen von den sieben Zwergen ein, die im Wald einen gläsernen Sarg behüten, darin eine holde Maid mit geschlossenen Lippen schläft. Den ganzen Tag gehen sie ihrer Arbeit nach und nur in heimlicher Abendstunde wachen und lauschen sie, ob sich die Wimper nicht regt, ob die Lippen nicht atmen, wie ehedem! Sie regt sich nicht und dies Schneewittchen ist die deutsche Sprache.

Da wußt' ich es erst, da hatt' ich es erlebt, was die Sprache der Heimat wert ist! – Und wenn ich Ihnen in dieser Darstellung heute auch manches schuldig blieb, ich will mich gern getrösten, wenn Sie darin nur jenes eine fanden, was mir die ganze Seele füllt – den Odem und die Liebe deutscher Heimat!


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