Laurence Sterne
Empfindsame Reise
Laurence Sterne

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Die mildthätige Handlung.

Paris.

Der Mann, welcher einen dunklen Eingang zu betreten entweder verschmäht oder fürchtet, kann ein außerordentlich guter Mann und zu hundert Dingen geschickt sein; aber er wird unmöglich einen guten empfindsamen Reisenden abgeben. Ich schlage die vielen Dinge, die ich am hellen lichten Tage in großen, weiten Straßen vorgehen sehe, nicht hoch an. – Die Natur ist schüchtern und haßt es, vor Zuschauern zu handeln; aber in manchem unbemerkten Winkel seht ihr bisweilen von ihr eine einzelne kurze Scene aufführen, die alle sentiments von einem Dutzend französischer Schauspiele zusammengenommen werth ist, die doch gewiß an und für sich vollkommen schön sind; – und so oft ein mehr als gewöhnlich bemerkenswerter Fall zu meiner Kenntniß kommt, dergleichen ein Prediger ebenso gut wie ein Held zu seinem Vortheile benutzen kann, so mache ich gemeiniglich meine Predigt darüber – und was den Text betrifft, so paßt »Cappadocia, Pontus und Asia, Phrygia und Pamphylia« – ebenso gut dazu, als irgend ein anderer in der Bibel.

Ein langer dunkler Gang führt aus der Opéra comique in eine enge Straße; er wird nur von den wenigen betreten, welche geduldig auf einen Fiacre warten oder ungefährdet zu Fuß heimzugelangen wünschen, wenn die Oper vorbei ist. Am Ende desselben, gegen das Theater zu, wird er von einem dürftigen Licht erleuchtet, dessen Schein sich schon zu verlieren beginnt, ehe man noch den halben Weg hinab gethan hat. Nahe am Ausgange jedoch – denn es dient mehr zur Zierde als zum Nutzen – sieht man es nur noch als einen Fixstern letzter Größe: er blinkt zwar, gewährt aber der Welt, so viel wir wissen, wenig Vortheil.

Als ich durch diesen Gang zurückkehrte, konnte ich im Näherkommen, etwa fünf oder sechs Schritte von der Thüre, zwei Damen unterscheiden, welche Arm in Arm mit dem Rücken an der Mauer standen, um, wie ich mir dachte, auf einen Fiacre zu warten. Da sie sich der Thür zunächst befanden, so glaubte ich, sie hätten ein früheres Anrecht, und deshalb schob ich mich, etwa anderthalb Schritt von ihnen, ein und nahm ruhig meinen Stand. Da ich schwarz gekleidet ging, so wurde ich kaum bemerkt.

Die Dame, welche mir zunächst stand, war eine lange, schmächtige Frauengestalt von ungefähr Sechsunddreißig; die andere, von gleicher Größe und Figur, war ungefähr Vierzig. An keiner von beiden gab es Merkmale, ob sie Frauen oder Wittwen wären – sie schienen zwei ehrbare Vestalen-Schwestern zu sein, noch nicht gewelkt unter Liebkosungen, noch ungebrochen von zärtlichen Umarmungen. Ich hätte wünschen können, sie glücklich gemacht zu haben; – doch ihr Glück sollte ihnen diesen Abend von einer andern Seite her kommen.

Eine leise Stimme bat, in wohlgesetzten Ausdrücken und mit angenehmem Tonfall am Schlusse, beide um ein Zwölfsousstück um Gottes willen. Es kam mir sonderbar vor, daß ein Bettler die Größe des Almosens bestimmte, und daß die Summe zwölfmal so viel betragen sollte, als was man sonst im Dunkeln zu geben pflegt. Beide schienen darüber ebenso erstaunt, als ich selbst. – »Zwölf Sous!« sagte die Eine – – »Ein Zwölfsousstück!« – sagte die Andere, ohne ihm zu antworten.

Der arme Mann sagte, er könne Damen von ihrem Stande unmöglich um weniger ansprechen, und verneigte dabei seinen Kopf bis zur Erde.

»Hm!« sagten sie – »wir haben kein Geld bei uns.«

Der Bettler schwieg ein paar Augenblicke und erneuerte dann seine Bitte.

»Meine schönen jungen Damen, verschließen Sie ihre gütigen Ohren nicht vor mir«, sagte er. –

»Auf mein Wort, lieber Mann!« sagte die Jüngere, »wir haben kein kleines Geld.« – »Nun, es segne Sie der Himmel«, sagte der arme Mann, »und vervielfache die Freuden, welche Sie Andern, ohne zu wechseln, gewähren können!« – Ich bemerkte, daß die Aeltere mit der Hand in ihre Tasche fuhr – »Ich will sehen«, sagte sie, »ob ich einen Sous bei mir habe.« – »Einen Sous! – geben Sie doch zwölf«, sagte der Bittsteller; »die Natur ist so freigebig gegen Sie gewesen, seien Sie auch freigebig gegen einen armen Mann.«

»Ich wollt' es ja von Herzen gern sein, lieber Freund«, sagte die Jüngere, »wenn ich nur was hätte.«

»Meine schöne Mitleidige!« sagte er, sich zu der Aelteren wendend – »Was Anderes ist es denn, als Ihre Güte und Menschenfreundlichkeit, was Ihre glänzenden Augen so reizend macht, daß sie sogar in diesem dunklen Gange den Morgen überstrahlen? Und was war es, was den Marquis von Santerre und seinen Bruder so viel von Ihnen beiden sprechen ließ, als Sie eben hier vorübergingen?«

Die beiden Damen schienen sehr bewegt, und aus gleichzeitigem Antrieb fuhren sie beide mit der Hand in ihre Taschen und zogen jede ein Zwölfsousstück heraus.

Der Streit zwischen ihnen und dem armen Bittenden war vorüber – er wurde nur unter jenen selbst fortgesetzt, welche von beiden das Zwölfsousstück aus Mildthätigkeit geben sollte; und um den Streit zu enden, gaben sie es alle beide, und der Mann ging hinweg.

Das gelöste Räthsel.

Paris.

Ich ging ihm eilig nach: es war derselbe Mann, dessen glücklicher Erfolg im Almosenbitten bei den Frauenzimmern vor der Thür des Hôtels mich so neugierig gemacht hatte – und ich entdeckte auf einmal sein Geheimniß, wenigstens den Grund, auf dem es beruhte: – es war Schmeichelei.

Köstliche Essenz! wie erfrischend wirkst du auf die Natur! wie stark neigen sich all ihre Kräfte und all ihre Schwächen auf deine Seite! wie süß mischest du dich mit dem Blut und hilfst es durch die schwierigsten und verschlungensten Kanäle nach dem Herzen fördern!

Da der arme Mann hinsichtlich der Zeit nicht beschränkt war, so hatte er hier diese Essenz in reichlicherer Dosis zugemessen. Sicherlich verstand er auch die Kunst, sie für die vielen unerwarteten Fälle, die ihm in den Straßen aufstießen, in kleinere Dosen zu bringen; aber wie er es anfing, sie den Umständen anzupassen, zu versüßen, zu verstärken oder zu mildern –: mit dieser Untersuchung quäle ich mir den Geist nicht ab. – Genug, der Bettler kam zu zwei Zwölfsousstücken, und diejenigen, welche Beträchtlicheres dadurch gewonnen haben, könnten am besten über das Weitere Mittheilungen machen.

 
Paris.

Wir bewirken unser Fortkommen in der Welt nicht sowohl dadurch, daß wir Dienste leisten, als, daß wir sie empfangen: ihr nehmt einen welkenden Zweig und setzt ihn in die Erde, und dann begießt ihr ihn, weil ihr ihn gepflanzt habt.

Der Herr Graf von B . . . . wollte, blos weil er mir eine Gefälligkeit in meiner Paßangelegenheit erzeigt hatte, noch weiter gehen und mir in den wenigen Tagen, die er in Paris verweilte, eine andere dadurch erweisen, daß er mich mit einigen angesehenen Personen bekannt machte, und diese sollten mich wieder andern vorstellen, und so weiter.

Ich war grade zur rechten Zeit in Besitz meines Geheimnisses gekommen, um diese Ehren zu einigem Vortheil für mich zu benutzen; sonst dürfte ich wohl, wie es gewöhnlich der Fall ist, ein- oder zweimal die Reihe herum zu Mittag oder zu Abend gespeist, und dann, infolge der Uebersetzung französischer Blicke und Geberden in deutliches Englisch, baldigst erkannt haben, daß ich mich des Couverts eines unterhaltendern Gastes bemächtigt hätte; und natürlicher Weise hätte ich dann auf alle meine Plätze, einen nach dem andern, Verzicht leisten müssen, aus dem einfachen Grunde, weil ich sie nicht behaupten konnte. – Wie es aber einmal war, lief die Sache nicht so übel ab.

Ich hatte die Ehre bei dem alten Marquis von B . . . . eingeführt zu werden. Vor Zeiten hatte er sich durch einige kleine ritterliche Thaten an dem Cour d'amour hervorgethan und sich seitdem stets nach seiner Idee von Lanzenrennen und Turnieren gekleidet. – Der Marquis von B . . . . wünschte, man möchte glauben, die Sache beruhe nicht blos auf seiner Einbildung. »Er hätte nicht übel Lust, einen Ausflug nach England zu machen«, und fragte mich viel über die englischen Damen aus. »Bitte, bleiben Sie, wo Sie sind, Herr Marquis, sagte ich« – »les Messieurs Anglais können jetzt schon kaum einen gütigen Blick von ihnen erlangen.« – Der Marquis lud mich zum Abendessen ein.

Monsieur P . . . ., der Generalpächter, erkundigte sich ebenso angelegentlich nach unsern Steuern – sie wären sehr beträchtlich, hätte er gehört. – »Wenn wir sie nur einzutreiben verstünden«, sagte ich und machte ihm einen tiefen Bückling.

Auf eine andere Aeußerung hin wäre ich nie zu Monsieur P . . . . s Concerten eingeladen worden.

Man hatte mich der Madame de Q . . . . fälschlich als einen esprit vorgestellt. – Madame de Q . . . . war selbst ein esprit; sie brannte vor Ungeduld, mich zu sehen und sprechen zu hören. Ehe ich mich noch gesetzt hatte, bemerkte ich schon, daß sie sich nicht im Geringsten darum kümmerte, ob ich Witz hätte oder nicht. Ich wurde blos zugelassen, um mich zu überzeugen, daß sie welchen hätte. Ich nehme den Himmel zum Zeugen, daß ich auch nicht Einmal die Pforte meiner Lippen öffnete.

Madame de Q . . . . betheuerte Jedermann, dem sie begegnete: sie hätte in ihrem Leben mit noch keinem Manne eine so lehrreiche Unterhaltung geführt.

In der Herrschaft einer französischen Dame giebt es drei Epochen: erst ist sie Kokette – dann Freigeist – dann Dévote. Niemals läßt sie während dieser Epochen die Zügel aus den Händen – sie wechselt nur die Gegenstände derselben. Wenn fünfunddreißig Jahre und darüber ihre Staaten von den Sclaven der Liebe entvölkert haben, so bevölkert sie diese wieder mit Sclaven des Unglaubens – und hierauf mit den Sclaven der Kirche.

Madame de V . . . . schwankte eben zwischen den ersten beiden Epochen: die Farbe der Rose war in schnellem Verbleichen begriffen – sie hätte eigentlich schon fünf Jahre früher Freigeist werden sollen, ehe ich die Ehre hatte, ihr meinen ersten Besuch abzustatten.

Sie lud mich ein, mich zu ihr auf das Sopha zu setzen, um den Punct der Religion genauer durchzusprechen. – Madame de Q . . . . sagte mir kurz und gut, sie glaube gar nichts.

Ich sagte Madame de V . . . ., es möchte dies wohl Grundsatz bei ihr sein; doch wäre ich überzeugt, es könne nicht in ihrem Interesse liegen, die Außenwerke zu schleifen; denn ich begriffe nicht, wie eine Festung wie die ihrige sich ohne diese zu halten vermöchte; – es gäbe für eine Schönheit nichts Gefährlicheres in der Welt, als ein Freigeist zu sein – ich wäre es meinem Glauben schuldig, ihr dies nicht zu verhehlen; – noch hätte ich keine fünf Minuten neben ihr auf dem Sopha gesessen, und schon hätte ich Anschläge zu schmieden begonnen; – und was anders als die Empfindungen der Religion und die Ueberzeugung, daß deren auch in ihrer Brust lebten, hätten diese Pläne im Entstehen ersticken können?

»Wir sind nicht von Diamant«, sagte ich, ihre Hand ergreifend – »und es ist alle Zurückhaltung erforderlich, bis das Alter zu seiner Zeit sich einschleicht und sie uns auferlegt. – Doch, meine verehrte Dame«, sagte ich und küßte ihr die Hand – »es ist noch zu früh – noch allzu früh.« –

Ich darf es wohl äußern, daß ich in ganz Paris im Rufe stand, Madame de V . . . . von der Freigeisterei bekehrt zu haben. Sie versicherte es dem Monsieur D . . . . und dem Abbé M . . . ., daß ich in einer halben Stunde mehr zu Gunsten der geoffenbarten Religion gesprochen hätte, als ihre ganze Enzyklopädie dagegen vorgebracht hätte. – Ich wurde sogleich in die Liste der Coterie der Madame de V . . . . eingetragen – und sie schob die Epoche der Freigeisterei noch auf zwei Jahre hinaus.

In dieser Coterie war es, wie ich mich erinnere, mitten in einem Gespräche, in welchem ich die Nothwendigkeit einer ersten Ursache nachwies, daß der junge Graf von Fainéant mich bei der Hand nahm und in die äußerste Ecke des Zimmers führte, um mir zu sagen, daß ich meinen Solitaire zu eng um meinen Hals angesteckt hätte – er müsse plus badinant sein, sagte der Graf, auf seinen eignen hinabblickend – »aber ein Wort, Monsieur Yorick, zu dem Weisen – –«

– »Und von dem Weisen, mein Herr Graf«, erwiederte ich, mit einer Verbeugung – »ist genug

Der Graf von Fainéant umarmte mich mit größerer Wärme, als ich jemals von einem sterblichen Menschen umarmt worden bin.

Drei Wochen lang war ich der Meinung eines Jeden, der mir in den Weg kam. – Pardi! ce Monsieur Yorick a autant d'esprit que nous autres.«»Il raisonne bien«, sagte ein Anderer. »C'est un bon enfant«, sagte ein Dritter. – Und um diesen Preis hätte ich all meine Lebtage in Paris essen und trinken und fröhlich sein können. Aber das war eine ehrlose Rechnung – ich fing an mich zu schämen:– es war der Gewinn eines Sclaven – jedes Gefühl von Ehre empörte sich dawider. Je höher ich stieg, desto mehr war ich von meinem Bettelsystem abhängig, – je besser die Coterie – desto mehr Kinder der Kunst – ich schmachtete nach denen der Natur. Und eines Abends, nachdem ich mich höchst schmählich einem halben Dutzend verschiedener Leute preis gegeben hatte, wurde mir unwohl – ich ging zu Bette und befahl La Fleur, mir für den Morgen Pferde zu bestellen, um nach Italien abzureisen.

Maria.

Moulins.

Noch hatte ich die Qual des Ueberflusses unter keinerlei Gestalt empfunden bis jetzt – – durch Bourbonnais, die lieblichste Landschaft von Frankreich, zu reisen – zur lustigen Zeit der Weinlese, wenn die Natur ihren Reichthum in Jedermanns Schoß schüttet und jedes Auge emporgerichtet ist – eine Fahrt, auf welcher bei jedem Schritte Musik den Tact zur Arbeit schlägt, und all ihre Kinder aufjubeln, indem sie ihre Trauben einbringen; – durch alles dies hindurch zu ziehen mit meinen überwallenden Gefühlen, die sich an jeder Gruppe vor mir entzünden – und jede derselben war reich an Abenteuern.

Gerechter Himmel! – ich könnte zwanzig Bände damit anfüllen – und ach! es sind mir nur noch wenige kleine Seiten übrig geblieben, worauf ich all dies zusammendrängen muß;– und die Hälfte davon muß ich der armen Maria widmen, die mein Freund, Herr Shandy, nahe bei Moulins antraf.

Die Geschichte, die er mir von diesem seelenkranken Mädchen mittheilte, hat mich beim Lesen nicht wenig ergriffen; aber als ich in die Nähe des Ortes kam, wo sie lebte, kehrte alles so heftig in mein Gedächtniß zurück, daß ich dem Antriebe nicht widerstehen konnte, einen Umweg von einer halben Meile nach dem Dorf zu machen, wo ihre Eltern wohnten, um mich nach ihr zu erkundigen.

Diese Fahrt, ich leugne es nicht, gleicht denen des »Ritters von der traurigen Gestalt«, um trübselige Abenteuer aufzusuchen; – allein ich weiß nicht, wie es kommt –: ich bin mir niemals des Daseins einer Seele in mir so vollkommen bewußt, als wenn ich mich mit dergleichen befasse.

Die bejahrte Mutter kam an die Thüre: ihre Blicke erzählten mir die Geschichte, ehe sie noch den Mund öffnete. – Sie hatte ihren Mann verloren: er war, wie sie sagte, aus Kummer über den Verlust der Sinne Maria's ungefähr vor einem Monate gestorben. – Sie hätte im Anfange gefürchtet, fügte sie hinzu, dies möchte ihr armes Kind vollends des bischen Verstandes, das ihr noch übrig war, berauben – es hätte sie aber im Gegentheil mehr zu sich selbst gebracht, dennoch hätte sie noch immer keine Ruhe; – ihre arme Tochter, sagte sie seufzend, irre stets irgendwo auf der Landstraße umher. –

– Warum schlägt denn mein Puls so matt, indem ich dies schreibe? und was bewirkte denn, daß La Fleur, dessen Herz nur für Freude gestimmt zu sein scheint, sich zweimal mit dem Rücken der Hand über die Augen fuhr, als das Weib dastand und dies berichtete? Ich winkte dem Postillon, wieder nach der Landstraße umzulenken.

Als wir eine halbe Meile nach Moulins zu gemacht hatten, sah ich, einen Seitenpfad entlang, welcher nach einem Gebüsch führte, Maria unter einer Pappel sitzen – sie saß da, den Ellbogen auf den Schoß gestützt und den Kopf in die innere Fläche der Hand legend – ein kleiner Bach floß an dem Fuße des Baumes hin.

Ich befahl dem Postillon, mit der Kutsche nach Moulins weiter zu fahren, und La Fleur, mir das Abendessen zu bestellen, und sagte, ich würde nachkommen.

Sie war weiß gekleidet und ganz so, wie mein Freund sie beschrieben hatte, ausgenommen daß ihr Haar, das früher in ein seidenes Netz geflochten war, lose herabhing. Sie hatte ihr Mieder noch mit einem blaßgrünen Bande versehen, welches von ihrer Schulter bis auf die Hüfte herabfiel, und an dessen Ende ihre Hirtenflöte hing. – Ihre Ziege war ihr so untreu geworden, wie ihr Geliebter, und sie hatte sich an ihrer Statt einen kleinen Hund angeschafft, den sie, vermittelst einer Schnur an ihrem Gürtel mit sich führte. Als ich auf ihren Hund sah, zog sie ihn an der Schnur zu sich hin. – »Du sollst mich nicht verlassen, Sylvio«, sagte sie. Ich blickte in Maria's Augen und erkannte, daß sie mehr an ihren Vater als an ihren Geliebten oder ihre kleine Ziege dachte; denn als sie diese Worte aussprach, rollten ihr die Thränen über die Wangen hinab.

Ich setzte mich dicht neben sie, und Maria ließ sie mich, wie sie so herabträufelten, mit meinem Taschentuch abtrocknen. Dann drückte ich es auf meine eignen – dann auf die ihrigen – dann wieder auf die meinigen – und dann trocknete ich die ihrigen abermals – und als ich dies that, fühlte ich so unbeschreibliche Regungen in meinem Innern, wie man sie, deß bin ich sicher, aus irgend einer Verbindung von Materie und Bewegung nicht erklären kann.

Ich bin fest überzeugt, ich habe eine Seele, und alle Bücher, womit die Materialisten die Welt verpestet haben, können mich niemals zur Annahme des Gegentheils bewegen.

Maria.

Als Maria ein wenig zu sich selbst gekommen war, fragte ich sie, ob sie sich eines blassen schlanken Mannes erinnere, welcher vor etwa zwei Jahren zwischen ihr und ihrer Ziege gesessen hätte? – Sie sagte, sie wäre damals nicht recht bei sich gewesen, aber doch erinnere sie sich zweier Umstände – daß sie, so krank sie auch gewesen, doch wahrgenommen hätte, die Person habe Mitleid mit ihr; und ferner, daß ihre Ziege sein Taschentuch gestohlen, und sie dieselbe wegen des Diebstahls geschlagen habe. Sie hätte es, sagte sie, in dem Bache gewaschen und seitdem immer in ihrer Tasche behalten, um es ihm wiederzugeben, im Fall sie ihn jemals wiedersehen sollte, was er, fügte sie hinzu, ihr halb und halb versprochen hätte. Als sie dies sagte, zog sie das Tuch aus ihrer Tasche, um es mir zu zeigen; sie hatte es, sauber zusammengefaltet, in ein Paar Weinblätter eingeschlagen und mit einer Weinrebe zugebunden; – als ich es aufmachte, sah ich in einer der Ecken ein  S eingezeichnet.

Sie hätte sich seitdem, erzählte sie mir, bis nach Rom verirrt und wäre einmal um den St. Peter herumgegangen –und dann zurückgekehrt; – sie hätte ihren Weg über die Apenninen ganz allein gefunden; – hätte die ganze Lombardei ohne Geld durchwandert – und die steinigen Straßen Savoyens ohne Schuhe – wie sie das ausgehalten und überstanden hätte, das könnte sie nicht sagen – »aber Gott macht den Wind sanft für das geschorene Lamm«, sagte Maria.

»In der That geschoren! und bis ins Fleisch hinein«, sagte ich. »Und wärest du in meiner Heimath, wo ich eine Hütte habe, so wollte ich dich hineinführen und dich schützen. Du solltest von meinem Brot essen und aus meinem Becher trinken – ich würde deinen Sylvio freundlich behandeln – in all deinem Selbstvergessen und Umherirren wollt' ich dich aufsuchen und dich wieder zurückbringen – wenn die Sonne niederginge, wollt' ich dir meine Gebete vorsagen; und wäre ich damit fertig, so solltest du dein Abendlied auf der Schalmei spielen – und der Weihrauch meines Opfers würde darum nicht minder huldvoll aufgenommen werden, weil er zugleich mit dem eines gebrochenen Herzens zum Himmel emporstiege.«

Mein Inneres löste sich auf, als ich diese Worte hervorbrachte; und da Maria, als ich mein Taschentuch herauszog, bemerkte, daß es schon zu feucht wäre, um es noch gebrauchen zu können, wollte sie durchaus gehn und es in dem Bache waschen. – »Und wo willst du es trocknen, Maria?« fragte ich. – »Ich werde es in meinem Busen trocknen«, sagte sie, »es wird mir wohlthun.«

»Und ist dein Herz noch immer so warm, Maria?« fragte ich.

Ich hatte die Saite berührt, an welcher all ihre Sorgen hingen. Sie sah mir eine Weile mit gedankenvollem Irrsinn ins Gesicht, und dann, ohne ein Wort zu sagen, nahm sie ihre Schalmei und spielte ihren Gesang an die heilige Jungfrau. – Die Saite, die ich berührt hatte, hörte auf, zu schwingen – nach ein paar Augenblicken kam Maria wieder zu sich, ließ ihre Flöte fallen und stand auf.

»Und wohin willst du nun gehen, Maria?« fragte ich. – »Nach Moulins«, sagte sie. – »So laß uns zusammen gehen«, sagte ich. – Maria legte ihren Arm in den meinigen, und nachdem sie die Schnur verlängert hatte, damit der Hund uns folgen könne, zogen wir solcherweise in Moulins ein.

Maria.

Moulins.

Obgleich ich eben kein Freund von Umarmungen und Begrüßungen auf offenem Markt bin, so hielt ich doch an, als wir in die Mitte desselben gekommen waren, um den letzten Blick und das letzte Lebewohl von Maria zu nehmen.

Maria, wenn auch nicht schlank, gehörte demungeachtet in die erste Klasse schöner Gestalten. Der Schmerz hatte ihrem Blicke ein Etwas verliehen, was kaum mehr irdisch war – Doch hatte sie noch immer etwas Weibliches – es umathmete sie noch so viel von alle dem, wornach das Herz oder die Augen bei einem Weibe verlangen, daß, hätten die Spuren des Jammers aus ihrem Gehirn, oder die von Elisa aus dem meinigen weggelöscht werden können, sie nicht allein von meinem Brot essen und aus meinem Becher trinken sollte, sondern Maria sollte auch an meiner Brust liegen und wie meine Tochter gehalten sein.

Lebe wohl, armes, unglückliches Mädchen! – Sauge das Oel und den Wein in dich, welchen das Mitleid eines Fremden, der seines Weges zieht, jetzt in deine Wunden träufelt; – jenes Wesen, das sie dir zweimal geschlagen, kann sie allein dir für immer verbinden.

Das Bourbonnais.

Es gab nichts, wovon ich mir ein so freudiges Schwelgen in Gefühlen ausgemalt hatte, als von der Reise durch diesen Theil Frankreichs zur Zeit der Weinlese. Nun aber, da ich durch diese Pforte des Kummers dahin eindrang, hatten mich meine Leiden ganz unfähig dafür gemacht. Bei jeder festlichen Scene sah ich Maria im Hintergrunde des Gemäldes, schwermüthig unter der Pappel sitzend, und ich hatte beinahe Lyon erreicht, ehe ich im Stande war, einen Schatten über sie zu werfen.

Theure Empfindsamkeit! unerschöpfte Quelle von allem, was es Köstliches in unsern Freuden oder Erhebendes in unserem Kummer giebt! Du fesselst deinen Märtyrer an sein Lager von Stroh – und du bist es auch, die ihn empor zum Himmel erhebt. Ewige Quelle unserer Gefühle! – hier will ich dir nachspüren; und dies ist deine »Gottheit, die sich in mir regt«; – nicht daß in manchen trüben und krankhaften Augenblicken »meine Seele zurückschrickt in sich selbst und vor der Vernichtung schaudert« – ein bloßer Wortprunk! – sondern daß ich gewisse großherzige Freuden und großherzige Sorgen noch außer mir fühle – alles das kommt von dir, großes, großes Sensorium der Welt! – das schon in Schwingung versetzt wird, wenn nur ein Haar von unserem Haupte zur Erde fällt in der entlegensten Wüste deiner Schöpfung. – Berührt von dir, zieht Eugenius den Vorhang vor meinem Lager weg, wenn ich verschmachtend daliege – vernimmt ruhig meine Aufzählung der Symptome und klagt das Wetter an wegen der Störung seiner Nerven. Du verleihst einen Theil davon bisweilen dem rauhen Landmann, der die unwirthbarsten Gebirge durchstreift – er findet das zerfleischte Lamm aus der Heerde eines Andern – In diesem Augenblick sehe ich ihn, wie er seinen Kopf an seinen Hirtenstab lehnt und mit mitleidigen Gefühlen darauf niederschaut! – »O wäre ich doch einen Augenblick eher gekommen! – es blutet sich zu Tode!« – Sein edles Herz blutet mit ihm. –

Friede mit dir, edelmüthiger Hirt! – Ich sehe, wie du mit Bekümmerniß von dannen gehst: – aber deine Freuden sollen sie aufwiegen. Denn glücklich ist deine Hütte, und glücklich, wer sie mit dir theilt – und glücklich sind die Lämmer, die um euch her spielen.

Die Abendmahlzeit.

Als beim Beginn des Aufsteigens am Berge Taurira ein Eisen von einem Vorderfuße des Deichselpferdes losgegangen war, stieg der Postillon herunter, drehte das Hufeisen vollends ab und steckte es in die Tasche. Da das Bergaufsteigen fünf bis sechs Meilen dauerte, und wir dabei besonders auf dieses Pferd zu rechnen hatten: so verlangte ich mit Nachdruck, daß das Hufeisen, so gut sich's thun ließe, wieder befestigt würde; aber der Postillon hatte die Nägel weggeworfen, und da ohne diese der Hammer in dem Kutschkasten von keinem großen Nutzen war, so fügte ich mich darein, daß er weiter fahre.

Wir waren noch keine halbe Meile weiter hinauf gekommen, als das arme Thier auf einer steinigen Strecke des Weges ein zweites Eisen, und zwar am andern Vorderfuße, verlor. Ich stieg nunmehr in vollem Ernst aus der Kutsche, und da ich in einer Entfernung von ungefähr einer Viertelmeile linker Hand ein Haus erblickte, so vermochte ich, nach einigem Wortwechsel, den Postillon, darauf zuzufahren. Der Anblick des Hauses und seiner Umgebung, als wir näher kamen, söhnte mich bald mit dem Unfall aus. – Es war eine kleine Meierei, von ungefähr zwanzig Acker Weinland und etwa ebenso viel an Kornfeldern umgeben, und dicht beim Hause befand sich an der einen Seite ein Gemüsegarten von anderthalb Acker, versehen mit allem, was Ueberfluß in das Haus eines französischen Landmanns bringen kann, und auf der andern Seite lag ein Wäldchen, welches das Holz zur Zubereitung der Gemüse lieferte. Es war etwa acht Uhr Abends, als ich bei dem Hause ankam – ich überließ dem Postillon, den Schaden so gut, als er konnte, zu verbessern, und ging meinerseits ohne Umstände ins Haus hinein.

Die Familie bestand aus einem alten Manne mit greisem Haupte und seiner Frau, nebst fünf oder sechs Söhnen und Schwiegersöhnen und ihren verschiedenen Weibern, und einer lustigen Nachkommenschaft derselben.

Sie saßen eben alle miteinander bei ihrer Linsensuppe; ein großes Weizenbrot lag mitten auf dem Tische; und ein Krug Wein an jedem Ende desselben versprach Fröhlichkeit in allen Zwischenpausen der Mahlzeit – es war ein Gastmahl der Liebe.

Der alte Mann stand auf, um mir entgegenzugehen, und lud mich mit einer ehrerbietigen Herzlichkeit ein, mich mit an den Tisch zu setzen. Mein Herz hatte sich schon im Augenblick, als ich eintrat, bei ihnen niedergelassen, und so setzte ich mich denn, gleich einem Sohne der Familie, ohne Umstände zu ihnen hin; und um so schnell als möglich in diesen Charakter einzugehen, borgte ich augenblicklich von dem alten Manne sein Messer, ergriff den Brotlaib und schnitt mir ein tüchtiges Stück ab. Und als ich dies that, gewahrte ich in jedem Auge ein Zeugniß nicht nur von herzlichem Willkommen, sondern auch von einem Willkommen, das zugleich den Dank enthielt dafür, daß ich nicht daran gezweifelt zu haben schien.

War es dies? oder sage mir, Natur, was es sonst war, was mir diesen Bissen so köstlich gemacht hat – und welcher Wunderkraft ich es zuzuschreiben habe, daß der Zug, den ich aus ihrem Kruge dazu that, so vortrefflich schmeckte, daß beides noch zu dieser Stunde meinen Gaumen labt?

War schon das Abendessen ganz nach meinem Geschmacke – um wie viel mehr mußte es das Dankgebet sein, das darauf folgte!

Das Dankgebet.

Als die Abendmahlzeit zu Ende war, klopfte der alte Mann mit dem Hefte seines Messers auf den Tisch – es war das Zeichen, sich zum Tanze fertig zu machen. Und im Augenblick, als es gegeben ward, eilten die Frauen und Mädchen alle mit einander in ein hinteres Gemach, um sich die Haare aufzubinden – und die jungen Männer zur Thür, um sich die Gesichter zu waschen und ihre Holzschuhe mit andern zu vertauschen, und in drei Minuten stand jede Seele auf einem kleinen Rasenplatze vor dem Hause, bereit, den Tanz zu beginnen. Der alte Mann und seine Frau kamen zuletzt heraus und ließen sich, mich in ihre Mitte nehmend, auf einer Rasenbank neben der Thüre nieder.

Der alte Mann war vor einigen fünfzig Jahren nicht ungeschickt auf der VielleEin musikalisches Instrument mit Claviatur, dessen Saiten durch ein Rad gestrichen und in Schwingung gesetzt werden. S. Dictionn. von Boiste. gewesen – und noch in seinem jetzigen Alter spielte er sie gut genug für den gegenwärtigen Zweck. Seine Frau stimmte dann und wann mit Gesang in die Weise ein – setzte dann wieder aus – und begleitete von Neuem ihren alten Mann, während ihre Kinder und Enkel vor ihnen ihre Tänze aufführten.

Erst in der Mitte des zweiten Tanzes kam es mir, während einiger kleinen Pausen in der Bewegung, in denen sie alle gen Himmel zu blicken schienen, vor, als ob ich eine Erhebung der Seele darin entdeckte, verschieden von jener, welche die Ursache oder die Wirkung einfacher Heiterkeit ist. – Mit Einem Wort, ich glaubte zu sehen, daß sich Religion in den Tanz einmischte. Da ich diese aber noch niemals in solcher Verbindung gesehen hatte, so würde ich es als die Täuschung einer Einbildungskraft betrachtet haben, die mich ewig irre führt, hätte mir nicht der alte Mann, als der Tanz vorüber war, gesagt, daß dies ihre beständige Gewohnheit wäre, und daß er es sich sein ganzes Leben lang zur Regel gemacht hätte, nach dem Abendessen die Seinigen alle zum Tanz und zur Freude aufzufordern. Denn er glaube, sagte er, daß ein heiteres und zufriedenes Gemüth die beste Art des Dankes wäre, den ein ungelehrter Landmann dem Himmel darbringen könne –

– »Oder auch ein gelehrter Prälat«, sagte ich.

Der heiklige Fall.

Wenn man auf den Gipfel des Berges Taurira gelangt ist, so geht es gleich steil hinunter nach Lyon – Adieu dann, alle schnellen Bewegungen! Die Reise erfordert alle Behutsamkeit, und gereicht den Empfindungen zum Vortheil, weil man nicht so eilig mit ihnen zu sein braucht. Und so machte ich es mit dem Vetturin aus, sich mit seinem Paar Maulthieren Zeit zu nehmen und mich in meiner eignen Kutsche wohlbehalten durch Savoyen nach Turin bringen.

Armes, geduldiges, ruhiges, redliches Volk! Befürchte nichts: deine Armuth, der Schatz deiner einfachen Tugenden, wird dir nicht von der Welt beneidet werden, noch wird sie darum feindlich in deine Thäler einbrechen. – Natur! inmitten deiner Regellosigkeiten bist du doch noch immer gütig gegen das Unzulängliche, das du geschaffen hast; – mit allen deinen großen Werken um dich her, hast du für die Sense oder die Sichel nur wenig übrig gelassen – aber diesem Wenigen gewährest du Sicherheit und Schutz, und lieblich sind die Wohnungen, welche also beschirmt stehen.

Laß den wegemüden Wanderer seine Klagen ergießen über die jähen Wendungen und Gefahren deiner Wege – deine Felsen – deine Abgründe – über die Schwierigkeiten beim Bergan-, und die Schrecken beim Bergabfahren – die unersteiglichen Gebirge – die Wasserstürze, welche große Felsenblöcke von ihren Gipfeln herabrollen und seinen Pfad versperren! –

Die Bauern hatten den ganzen Tag über daran gearbeitet, um ein großes Felsenstück dieser Art zwischen St. Michael und Madane beiseit zu schaffen; und als mein Vetturin bei der Stelle ankam, brauchte man noch volle zwei Stunden, ehe nur zur Noth eine Durchfahrt konnte zu Stande gebracht werden. Da half nichts, als geduldig zu warten, trotz des nassen und stürmischen Abends: so daß hierdurch und durch die Verzögerung der Vetturin sich genöthigt sah, fünf Meilen vor seiner Station in einem kleinen, anständig aussehenden Wirthshause an der Landstraße einzukehren.

Ich nahm sogleich Besitz von meinem Schlafgemach – ließ ein tüchtiges Feuer anzünden – bestellte ein Nachtessen und dankte dem Himmel, daß es nicht übler abgelaufen war – als ein Wagen mit einer Dame und ihrer Dienerin angefahren kam.

Da es in dem Hause ein zweites Schlafzimmer nicht gab, so wies sie die Wirthin ohne große Bedenklichkeit in das meinige, indem sie ihnen während des Hereinführens mittheilte, daß niemand darin wäre, als nur ein englischer Herr; daß zwei gute Betten darin ständen, und ein Verschlag im Zimmer wäre, wo sich noch ein drittes befände. Der Ton, in welchem sie von diesem dritten Bette sprach, schien nicht viel Gutes davon zu verheißen. Genug, sie sagte, es wären drei Betten da für ebenso viel Personen – und sie dürfe wohl behaupten, der englische Herr würde Alles zu accommodiren wissen. – Ich ließ der Dame keinen Augenblick Zeit, darüber ihre Muthmaßungen anzustellen, und gab sofort die Erklärung ab, daß ich Alles thun würde, was in meinen Kräften stände.

Da mich diese Erklärung nicht zu einer unbedingten Uebergabe meines Schlafgemaches verpflichtete, so sah ich mich noch entschieden genug als den Eigner des Zimmers an, um berechtigt zu sein, die Honneurs darin zu machen – Ich ersuchte also die Dame, sich niederzulassen – nöthigte sie auf den wärmsten Sitz – rief nach mehr Brennholz – bat die Wirthin, den Plan des Abendessens zu erweitern und uns mit ihrem besten Weine zu beglücken.

Kaum hatte sich die Dame fünf Minuten lang am Feuer gewärmt, als sie ihren Kopf zurückwandte und einen Blick auf die Betten warf; und je öfter sie ihre Augen diesen Weg gehen ließ, um so besorglicher kehrten sie zurück. – Ich empfand für sie – und für mich selbst; denn in wenigen Minuten fühlte ich mich, sei es nun infolge ihrer Blicke, oder durch die Sache selbst, ebenso verlegen, als es nur immer die Dame sein konnte.

Daß die Betten, worin wir schlafen sollten, sich in einem und demselben Zimmer befanden, war schon an sich hinreichend, um diese Wirkung hervorzurufen – allein ihre Stellung (sie standen parallel und so nahe beieinander, daß sie nur einen Raum für einen kleinen Rohrstuhl zwischen sich ließen) machte die Sache für uns noch verfänglicher. Ueberdies standen sie nahe beim Feuer, und die Ausladung des Kamins auf der einen, und ein starker Tragpfeiler, der durch das Zimmer lief, auf der andern Seite bildeten eine Art von Blende, die in keiner Weise unserem Zartgefühl günstig war – Und als wäre es an alle dem noch nicht genug gewesen, so kam noch hinzu, daß die beiden Betten so sehr schmal waren, daß der Gedanke an ein Zusammenschlafen der Dame und ihres Mädchens gar nicht aufkommen konnte. Wäre dies ausführbar gewesen, so würde mein Danebenliegen, wenn auch nicht gerade etwas Wünschenswertes, doch nichts so Furchtbares gewesen sein, daß nicht die Phantasie ohne Pein darüber hätte hinweg kommen können.

Was den kleinen abgesonderten Raum betraf, so gewährte uns dieser wenig oder gar keinen Trost. Es war ein feuchter, kalter Verschlag, mit einem halb zerfallenen Laden und einem Fenster, worin weder Glas noch geöltes Papier war, um gegen den Nachtwind zu schützen. Ich gab mir gar nicht Mühe, meinen Husten zu unterdrücken, als die Dame einen flüchtigen Blick hineinwarf; und so war man natürlich auf die Alternative gebracht: entweder, die Dame mußte ihre Gesundheit ihrem Zartgefühl zum Opfer bringen, den Verschlag einnehmen und das Bett neben dem meinigen dem Kammermädchen überlassen – oder das Mädchen mußte im Verschlage liegen u. s. w.

Die Dame war eine Piemontesin von ungefähr dreißig Jahren, mit einer Gluth von Gesundheit auf ihren Wangen. Die Jungfer war eine Lyonerin von Zwanzig, und so frisch und lebhaft, als nur irgend ein französisches Mädchen sein kann. Da gab es Schwierigkeiten auf allen Seiten – und das Hinderniß des Felsenblockes auf der Landstraße, welcher uns in diese kritische Noth versetzte, so groß es auch erschien, als die Bauern sich abmüheten, ihn zu beseitigen, war nur ein Kiesel gegen das, was jetzt uns im Wege lag. Ich füge nur noch hinzu, daß es das Gewicht, welches auf unsern Gemüthern lastete, nicht vermindern konnte, daß wir beide zu delicat waren, um das, was wir bei der Gelegenheit empfanden, einander mitzutheilen.

Wir setzten uns zum Abendessen nieder; und hätten wir keinen begeisternderen Wein dabei gehabt, als den ein geringes Wirthshaus in Savoyen zu bieten vermochte: so wären unsere Zungen gefesselt geblieben, bis die Notwendigkeit selbst sie in Freiheit gesetzt hätte. Da aber die Dame einige Flaschen Burgunder in ihrem Wagen hatte, so ließ sie durch das Kammermädchen ein Paar davon herauf holen; so daß wir, als wir abgegessen hatten und allein gelassen waren, uns zu hinreichender Stärke des Geistes erhoben fühlten, um wenigstens ohne Rückhalt von unserer Situation zu sprechen. Wir wendeten den Gegenstand hin und her, und untersuchten und betrachteten ihn in jeder Art von Beleuchtung im Verlauf einer zweistündigen Unterhandlung. Zu Ende derselben wurden schließlich die Artikel zwischen uns bestimmt und in Form und Weise eines Friedensvertrages festgesetzt – und ich bin der Meinung: mit ebenso vieler Gewissenhaftigkeit und gutem Vertrauen von beiden Seiten, als bei irgend einem Vertrage, der noch die Ehre gehabt hat, der Nachwelt überliefert zu werden.

Sie waren folgende:

Erstens: Da Monsieur im Besitzrecht des Schlafzimmers ist und er glaubt, daß das Bett zunächst am Feuer das wärmste sei, so besteht er darauf, daß ihm von Seiten der Dame zugestanden werde, dasselbe einzunehmen.

Gewährt von Seiten der Dame; jedoch mit der Bedingung: daß, da die Gardinen nur aus einem dünnen, durchsichtigen Baumwollenzeuge bestehen und auch zu schmal zu sein scheinen, um sie dicht zuziehen zu können, das Kammermädchen den klaffenden Spalt mit großen Stecknadeln, oder mit Nadel und Zwirn in solcher Art schließen soll, daß es als eine genügende Schranke an der Seite von Monsieur erachtet werden kann.

Zweitens: Von Seiten der Dame wird verlangt, daß Monsieur die ganze Nacht hindurch in seinem Schlafrocke liegen soll.

Abgeschlagen, in sofern als Monsieur keinen Schlafrock hat, da sich in seinem Mantelsack nur sechs Hemden und ein Paar schwarzseidene Beinkleider befinden.

Die Erwähnung der schwarzseidenen Beinkleider führte eine gänzliche Umänderung des Artikels herbei; denn die Beinkleider wurden als ein Aequivalent für den Schlafrock angenommen, und so ward stipulirt und festgesetzt, daß ich die ganze Nacht in meinen schwarzseidenen Beinkleidern liegen sollte.

Drittens: Es wird von Seiten der Dame darauf bestanden und festgesetzt, daß, nachdem Monsieur zu Bett gegangen und Feuer und Licht ausgelöscht worden, Monsieur die ganze Nacht hindurch nicht ein einziges Wort verlauten lassen soll.

Zugestanden; nur dürfe, wenn Monsieur seine Gebete spräche, dies nicht für einen Bruch des Vertrages angesehen werden.

Nur ein Punct war in dem Vertrage vergessen, und dieser betraf die Art und Weise, wie die Dame und ich selbst verpflichtet sein sollten, uns zu entkleiden und zu Bette zu legen. Es war nur eine Art möglich, und diese zu errathen, überlasse ich dem Leser, betheure aber dabei, daß, wenn dies nicht die delikateste Art von der Welt ist, die Schuld seine eigene Einbildungskraft trägt – gegen welche dieses nicht meine erste Klage ist.

Wir waren nun zu Bette gegangen. Aber mochte es die Neuheit der Situation sein, oder was es sonst war, ich weiß es nicht – genug, ich konnte kein Auge schließen. Ich versuchte es auf der einen und auf der andern Seite, ich wendete mich herum und wieder herum, bis eine ganze Stunde nach Mitternacht – bis Natur und Geduld erschöpft waren. – »O mein Gott!« rief ich aus –

»Sie haben den Vertrag gebrochen, Monsieur«, rief die Dame, welche ebenso wenig geschlafen hatte, als ich selbst. – Ich bat tausendmal um Verzeihung, blieb aber dabei, es wäre nichts weiter als ein Stoßgebet gewesen. – Sie dagegen bestand darauf, es wäre ein vollständiger Bruch des Vertrages. – Ich behauptete aber, dem wäre in der Klausel des dritten Artikels vorgesehen worden.

Die Dame wollte auf keine Weise nachgeben, obgleich sie dadurch nur ihrer Barriere schadete; denn in der Hitze des Streites hörte ich, wie zwei oder drei der großen Nadeln aus der Gardine zu Boden fielen.

»Aber mein Wort und meine Ehre, Madame«, sagte ich, meinen Arm als Zeichen der Versicherung aus dem Bette streckend –

Ich wollte eben hinzufügen, daß ich um die Welt nicht gegen die entfernteste Idee von Wohlanständigkeit gehandelt haben möchte –

Allein das Kammermädchen, das diesen Wortwechsel zwischen uns vernommen hatte und fürchtete, es möchten Feindseligkeiten daraus erfolgen, war stillschweigend aus ihrem Verschlage herausgeschlichen, und hatte sich, da es stockfinster war, so nahe an unsere Betten herangestohlen, daß sie in den Engpaß, der diese trennte, gerathen und so weit gekommen war, daß sie eben in einer Linie zwischen ihrer Herrin und mir stand –

Als ich daher meine Hand ausstreckte, faßte ich der Kammerjungfer ihre –


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