Laurence Sterne
Empfindsame Reise
Laurence Sterne

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Das Bidet.

Nachdem alle diese kleinen Angelegenheiten beseitigt waren, setzte ich mich in meine Postchaise mit mehr Behagen, als ich mich jemals in meinem Leben in eine Postchaise gesetzt habe; und nachdem La Fleur einen großen Courierstiefel auf die rechte Seite eines kleinen BidetsEin Postpferd. , und einen andern auf die entgegengesetzte gebracht hatte (denn seine Beine kommen dabei nicht in Betracht) – trottete er vor mir hin, so glücklich und so kerzengerad wie ein Prinz. –

– Doch was ist Glück? was ist Größe auf dieser gemalten Bühne des Lebens? – Bevor wir noch eine Viertelmeile zurückgelegt hatten, stellte ein todter Esel dem Laufe La Fleurs ein plötzliches Hinderniß entgegen – sein Bidet wollte nicht daran vorüber – ein Streit erhob sich zwischen ihnen, und der arme Bursch wurde gleich beim ersten Ausschlagen des Bidets aus seinen Courierstiefeln herausgeschlagen.

La Fleur ertrug seinen Fall wie ein französischer Christ, indem er weder mehr noch weniger darüber verlauten ließ, als: »Diable!« – Damit raffte er sich augenblicklich empor, und bürdete sich rittlings seinem Bidet von Neuem auf, indem er darauf losschlug, als ob es seine Trommel wäre.

Das Bidet setzte von der einen Seite der Straße zur andern, dann wieder zurück – dann hierhin – dann dorthin, kurz überallhin, nur nicht am todten Esel vorbei. – La Fleur bestand auf seinem Kopfe – und das Bidet drehte sich wieder mit ihm herum.

»Was ist denn das mit deinem Bidet, La Fleur?« fragte ich. – »Monsieur«, sagte er, »c'est un cheval le plus opiniâtre du monde!« – »Nun, wenn es eine so störrige Bestie ist«, erwiederte ich, »so laß es seinen eignen Weg gehen.« – La Fleur stieg ab und gab ihm einen tüchtigen Schmitz; das Bidet aber nahm mich beim Wort und riß aus, nach Montreuil zurück. – »Peste!« sagte La Fleur.

Es wird nicht mal-à-propos sein, hier Kenntniß davon zu nehmen, daß, wenn sich auch La Fleur nur dieser beiden Ausdrücke bediente, um sich bei diesem Abenteuer Luft zu machen – nämlich: Diable! und Peste! – es demungeachtet in der französischen Sprache deren drei giebt, dem Positiv, Comparativ und Superlativ entsprechend, von denen man den einen oder andern bei jedem unerwarteten Wurf im Würfelspiel des Lebens anwendet.

Le diable! welches der erste, der positive Grad ist, wird hauptsächlich bei gewöhnlichen Gemüthserregungen gebraucht, wo geringfügige Dinge anders ausfallen, als wir erwarteten – z. B. wenn man im Brettspiel einmal einen Pasch wirft – wenn man, wie La Fleur, vom Pferde abgeworfen wird, und so weiter – folglich aus demselben Grunde auch bei Hahnreischaft, stets Le diable!

Bei Fällen aber, wo der Wurf etwas Aergerliches hat, wie als das Bidet hinterher davon lief und La Fleur in Courierstiefeln zu Fuße zurückließ – findet der zweite Grad statt. Dann heißt es: Peste!

Und was den dritten anlangt –

– Doch hier wird mein Herz von Bedauern und menschlichem Mitgefühl bedrängt, wenn ich bedenke, wie elend das Loos eines so verfeinerten Volkes gewesen sein, und welche bittere Leiden es durchgemacht haben muß, um es zum Gebrauch eines solchen Ausdrucks zu zwingen! –

Legt mir, o ihr Mächte, die ihr im Unglück der Zunge Beredsamkeit verleiht – wie immer auch mein Wurf falle – legt mir nur anständige Worte zu Ausrufungen in den Mund, und ich will meiner Natur den Lauf lassen.

– Da aber solche Worte in Frankreich nicht zu haben waren, so beschloß ich, ein jedes Uebel grade so hinzunehmen, wie es mich träfe, ohne irgend einen Ausruf.

La Fleur, der keinen solchen Vertrag mit sich geschlossen. hatte, folgte dem Bidet mit seinen Augen, bis es ihm aus dem Gesichte gekommen war – und nun mögt ihr euch selbst vorstellen, wenn es euch beliebt, mit welchem Wort er den ganzen Handel schloß.

Da es unmöglich war, einem scheu gewordenen Pferde in Courierstiefeln nachzujagen, so blieb keine andre Wahl, als La Fleur entweder hinten auf-, oder in die Chaise einsteigen zu lassen. –

Ich zog das Letztere vor, und in einer halben Stunde hielten wir vor dem Posthause zu Nampont.

Der todte Esel.

Nampont.

– »Und dies«, sagte er, den Ueberrest einer Brotrinde in seinen Reisesack steckend – »dies wäre dein Theil gewesen, wärest du leben geblieben, um es mit mir theilen zu können.« – Dem Tone nach, mit dem er dies sagte, hätte ich denken sollen, es wäre eine Anrede an sein Kind gewesen; aber sie galt nur seinem todten Esel, und zwar demselben Esel, den wir todt auf der Landstraße hatten liegen sehen, und welcher La Fleurs Unfall veranlaßt hatte. Der Mann schien ihn sehr zu beklagen, und dies brachte mir augenblicklich die Klage Sancho's um den seinigen in die Erinnerung; aber dieser that es mit wahreren Tönen der Natur.

Der Betrübte saß auf einer steinernen Bank an der Thür mit des Esels Sattelkissen und Zaum an seiner Seite, die er von Zeit zu Zeit in die Höhe hob – dann wieder hinlegte – sie anblickte und den Kopf schüttelte. Dann holte er wieder die Brotkruste aus seinem Reisesack, als ob er sie essen wollte; hielt sie eine Zeitlang in der Hand – legte sie dann auf das Gebiß von seines Esels Zaum – sah gedankenvoll auf die kleine Veranstaltung, die er getroffen hatte – und stieß einen Seufzer aus.

Das Rührend-Einfache seines Kummers zog eine Menge Menschen um ihn herbei, und unter ihnen auch La Fleur, indeß die Pferde angeschirrt wurden; und da ich in der Postchaise sitzen geblieben war, so konnte ich über ihre Köpfe weg Alles sehen und hören.

Er erzählte, er wäre erst kürzlich aus Spanien gekommen, wohin er von den äußersten Grenzen Frankens gereist wäre, und so weit wäre er auf seiner Heimreise gelangt, als ihm sein Esel gestorben sei. Jedermann schien begierig zu erfahren, was einen so alten und armen Mann zu einer so weiten Reise von Hause fort bewogen haben könne.

Es hätte dem Himmel gefallen, sagte er, ihn mit drei Söhnen zu segnen, den hübschesten Burschen in ganz Deutschland. Als er darauf in Einer Woche die beiden ältesten von ihnen durch die Pocken verloren hätte, und auch der jüngste von derselben Krankheit befallen worden, so habe ihn die Angst ergriffen, ihrer aller beraubt zu werden, und er habe ein Gelübde gethan, wenn der Himmel ihm diesen Letzten nicht nehmen würde, so wolle er aus Dankbarkeit nach Sanct Jago in Spanien wallfahrten.

Als der Trauernde in seiner Geschichte so weit gekommen war, hielt er inne, um der Natur ihren Zoll zu entrichten – und weinte bitterlich.

Darauf erzählte er: wie der Himmel die Bedingung angenommen, und wie er seine Hütte verlassen habe mit dieser armen Creatur, die ein geduldiger Theilnehmer seiner Pilgerfahrt gewesen wäre – wie sie auf dem ganzen Wege dasselbe Brot mit ihm gegessen hätte und ihm wie ein Freund gewesen wäre.

Alle Umstehenden hörten dem armen Manne mit Theilnahme zu – La Fleur bot ihm Geld an – aber der Betrübte erwiederte, er bedürfe dessen nicht – es wäre ihm nicht um den Werth des Esels, sondern um den Verlust desselben. – Er wäre überzeugt, sagte er, daß der Esel ihn geliebt hätte – und hierauf erzählte er eine lange Geschichte von Unfällen bei ihrem Uebergange über die Pyrenäen, welche sie drei Tage lang von einander getrennt hätten. Während dieser Zeit hätte der Esel ihn eben so sehr, als er den Esel gesucht, und sie hätten beide kaum Speise oder Trank zu sich genommen, bis sie einander wieder gefunden.

»Bei diesem Verlust deines armen Thieres, mein guter Freund«, sagte ich, »bleibt dir wenigstens Ein Trost; denn ich bin überzeugt, du bist ihm ein gütiger Herr gewesen.« –»Ach!« sagte der Traurige, »ich dachte das auch, als er noch lebte; doch jetzt, da er todt ist, denke ich anders. – Ich besorge, daß die Last von mir und meinem Kummer zusammen zu schwer für ihn gewesen ist – das hat das Leben des armen Thieres verkürzt, und ich fürchte. daß ich das zu verantworten habe.« – »Schmach über die Welt!« sagte ich zu mir selbst: –»liebten wir einander nur so, wie dieser arme Mensch seinen Esel liebte – das wäre doch noch etwas.« –

Der Postillon.

Nampont.

Die traurige Stimmung, in die mich die Geschichte des armen Mannes versetzt hatte, erheischte einige Rücksicht; aber der Postillon schenkte ihr nicht die geringste, sondern jagte über das Steinpflaster in vollem Galopp davon.

Die durstigste Seele in der sandigsten Wüste Arabiens hätte nicht ähnlicher nach einem Becher frischen Wassers verlangen können, als die meinige nach einer gemessenen, ruhigen Bewegung; und ich würde eine hohe Meinung von dem Postillon gefaßt haben, wäre er mit mir, so zu sagen, in einem nachdenklichen Schritt dahin geschlichen. – Im Gegentheil aber gab der Bursche, als der Betrübte seine Klage beendet hatte, jedem seiner Thiere einen fühllosen Hieb und jagte rasselnd gleich tausend Teufeln auf und davon.

Ich rief ihm aus allen Leibeskräften zu, um des Himmels willen langsamer zu fahren; doch je lauter ich rief, desto unbarmherziger galoppirte er weiter. – »Der Henker hole ihn und sein Galoppiren dazu«, sagte ich – »er wird so lange meine Nerven in Stücke zerreißen, bis er mich in die tollste Aufregung versetzt hat – und dann wird er langsam fahren, damit ich die Süßigkeit des Aergers recht schmecken kann.«

Der Postillon betrieb die Sache wirklich zum Verwundern. Während der Zeit, daß er bis zum Fuß eines steilen Hügels, etwa eine halbe Meile von Nampont, gelangt war, hatte er mich in Aerger gegen sich gebracht – und dann gegen mich selbst, daß ich mich hatte ärgern lassen.

Meine Stimmung erforderte jetzt eine ganz verschiedene Behandlung, und ein guter durchrüttelnder Galopp würde mir sehr dienlich gewesen sein. –

»Nun, fahr' zu, bitte, fahr' zu! mein guter Bursche«, sagte ich.

Der Postillon zeigte auf den Hügel hin – Ich versuchte, mir die Geschichte des armen Deutschen wieder in Erinnerung zu bringen – aber der Faden war abgerissen – und ich konnte so wenig wieder in den Zug damit kommen, als der Postillon in den Trab.

– »Der Henker hole Alles mit einander!« sagte ich. »Ich sitze hier so willfährig, um das Schlimmste zum Besten zu kehren, wie es nur jemals ein Menschenkind sein konnte, und Alles rennt wider den Strich.«

Ein sanftes Beruhigungsmittel für Uebel giebt es wenigstens, das die Natur uns darreicht; und so nahm ich es denn dankbar aus ihren Händen an und schlief ein; – und das erste Wort, das mich weckte, war – Amiens.

– »Beim Himmel!« sagte ich, indem ich mir die Augen rieb – »das ist ja gerade die Stadt, wohin meine arme Dame kommen wird.« –

 
Amiens.

Kaum waren mir diese Worte aus dem Munde, als die Postchaise des Grafen von L . . ., mit seiner Schwester darin, eilig vorüber fuhr. Sie hatte grade Zeit genug, mir zum Zeichen des Wiedererkennens eine Verbeugung zu machen, und zwar auf eine ganz besondere Art, welche mir bezeugte, daß sie die angeknüpfte Beziehung zu mir noch nicht für aufgehoben erklärte.

Sie war so gut, als ihr Blick zu erkennen gab; denn ehe ich noch ganz meine Abendmahlzeit beendet hatte, trat ihres Bruders Bedienter in mein Zimmer mit einem Billet, in welchem sie mir schrieb, sie hätte sich die Freiheit genommen, mich mit einem Briefe zu belästigen, den ich an dem ersten freien Morgen in Paris Madame R . . . in eigner Person einhändigen möchte. Dann war nur noch hinzugefügt: es thäte ihr leid, aber aus welchem penchant, wüßte sie nicht zu sagen, daß sie verhindert worden, mir ihre Geschichte zu erzählen, sie bliebe mir dieselbe aber schuldig; und wenn mich jemals meine Reise über Brüssel führen sollte, und ich bis dahin den Namen der Frau von L . . . nicht vergessen hätte – so würde Frau von L . . . sehr erfreut sein, sich ihrer Verpflichtung zu entledigen.

»Also werde ich dich wiedersehen, schöne Seele!« sagte ich, »in Brüssel – ich brauche ja nur bei meiner Rückkehr aus Italien durch Deutschland nach Holland und über Flandern nach Hause zu reisen – es wird kaum zehn Poststationen außerhalb meiner Reiseroute liegen. Und wären es tausend! Mit welchem tugendhaften Ergetzen wird es meine Reise krönen, Antheil an den traurigen Vorfällen einer leidensvollen Erzählung zu nehmen, die mir von einer solchen Dulderin mitgetheilt wird! – Sie weinen zu sehen! – Und wenn ich auch die Quelle ihrer Thränen nicht trocknen kann – welch eine erhabene Empfindung gewährt es noch, sie von den Wangen der besten und schönsten der Frauen abzuwischen, indem ich mit meinem Tuche in der Hand schweigend die ganze Nacht an ihrer Seite sitze!«

Es lag nichts Unrechtes in diesem Gefühl; und dennoch tadelte ich sogleich mein Herz darüber in den bittersten und vorwurfsvollsten Ausdrücken.

Eine der besondern Segensgaben meines Lebens war, wie ich dem Leser schon mitgetheilt habe, daß ich fast zu jeder Stunde desselben sterblich in irgend eine Person verliebt gewesen; und da meine letzte Flamme beim plötzlichen Umwenden um eine Ecke von einem Windstoße der Eifersucht ausgeblasen worden war, so hatte ich sie etwa drei Monate vorher an der reinen Kerze meiner Elisa wieder angezündet – und zwar mit dem Schwure, daß sie die ganze Reise über dauern sollte. – Nun, warum sollte ich die Sache verheimlichen? – Ich hatte ihr ewige Treue geschworen – sie hatte ein Recht auf mein ganzes Herz – meine Liebe theilen, hieß sie verringern – sie bloßstellen, hieß sie der Gefahr aussetzen – wo Gefahr droht, da kann auch Verlust bevorstehen; – und was wird dir dann bleiben, Yorick! einem Herzen zu antworten, das so voller Vertrauen und Zuversicht ist – so gut, so edel und so ohne alle Vorwürfe?

– »Ich werde nicht nach Brüssel gehen!« – rief ich aus, mich unterbrechend – aber meine Einbildungskraft ging ihren Gang – ihr Blick in dem entscheidenden Momente unserer Trennung kam mir wieder vor die Seele, als keines von uns beiden die Kraft hatte, Lebewohl zu sagen! Ich blickte auf das Bild, das sie mir mit einem schwarzen Bande um den Nacken gebunden hatte – und erröthete, als ich es ansah – ich hätte eine Welt darum gegeben, es küssen zu dürfen – aber ich schämte mich – – »Und soll diese zarte Blume«, sagte ich, indem ich es zwischen meinen Händen drückte – »soll sie bis auf die Wurzel zerknickt werden – und zerknickt durch dich, Yorick. der du versprochen hast, sie an deiner Brust zu schirmen?«

»Ewiger Quell der Glückseligkeit!« rief ich, auf den Boden hinknieend – »sei du mein Zeuge – und jeder reine Geist, der sie kostet, sei mir ebenfalls Zeuge: daß ich nicht nach Brüssel reisen würde, wo nicht Elisa mit mir ginge, und führte mich auch der Weg dem Himmel zu.«

In Entzückungen dieser Art wird das Herz, trotz dem Verstande, immer zu viel sagen.

Der Brief.

Amiens.

Das Glück hatte La Fleur nicht gelächelt; denn er war in seinen Ritterthaten erfolglos gewesen – auch nicht das Geringste hatte seit der Zeit, daß er in meinen Dienst getreten war (und das waren beinahe vierundzwanzig Stunden), sich dargeboten, wodurch er seinen Eifer hätte bethätigen können. Der arme Junge brannte vor Ungeduld; da kam der Bediente des Grafen von L . . . mit dem Briefe, und da dies die erste anwendbare Gelegenheit war, die sich darbot, so hielt sie La Fleur auch sogleich fest. Er nahm ihn, um seinem Herrn Ehre zu machen, in ein Hinterzimmer des Gasthauses und bewirthete ihn mit ein oder zwei Bechern des besten Weines der Picardie; und des Grafen von L . . . Diener, um in der Höflichkeit nicht hinter La Fleur zurückzubleiben, hatte ihn zur Erwiederung mit zurück in des Grafen Hôtel genommen. La Fleurs einnehmendes Wesen (sein bloßer Blick diente ihm schon als Empfehlungsbrief) setzte bald alle Leute in der Küche auf vertraulichen Fuß mit ihm. Und da ein Franzose durchaus nicht spröde damit thut, seine Talente zu zeigen, worin diese auch bestehen mögen: so hatte La Fleur in weniger als fünf Minuten seine Querpfeife hervorgeholt, und indem er selbst mit der ersten Note den Tanz anführte, machte er die Fille de chambre, den Maître d'hôtel, den Koch, die Scheuermagd, kurz den ganzen Haushalt, Hunde und Katzen, selbst einen alten Affen nicht ausgenommen, zu einem Tänzchen aufgelegt. Ich glaube, es hat seit der Sündfluth keine so lustige Küche gegeben.

Frau von L . . . ging grade von ihres Bruders Zimmern nach dem ihrigen, und da sie die ungemeine Heiterkeit drunten vernahm, klingelte sie ihrem Kammermädchen, um nach der Ursache davon zu fragen; und als sie hörte, es sei der Bediente des englischen Herrn, der das ganze Haus mit seiner Querpfeife in Lustigkeit versetzt habe, so beorderte sie ihn zu sich herauf.

Da sich der arme Bursche doch nicht mit leeren Händen vorstellen konnte, so hatte er sich, während er die Treppe hinaufstieg, mit unzähligen Complimenten von Seiten seines Herrn an Frau von L . . . versehen – fügte eine lange Liste von erdichteten Erkundigungen nach der Gesundheit der gnädigen Frau hinzu; sagte ihr, Monsieur, sein Herr, wäre au désespoir betreffs ihrer Erholung von den Beschwerden der Reise – und, als Schluß von Allem, Monsieur habe den Brief empfangen, womit Madame ihn beehrt hätte – – »Und er hat mir die Ehre erzeigt«, fragte Frau von L . . ., La Fleur unterbrechend, »mir zur Erwiederung ein Billet zu senden?«

Frau von L . . . hatte dies mit einem solchen Tone zuversichtlicher Hoffnung gesagt, daß La Fleur nicht den Muth fand, ihre Erwartung zu täuschen – er zitterte für meine Ehre – und wahrscheinlich mochte er auch um die seinige nicht ganz unbesorgt sein, als sei er fähig, einem Herrn anzuhängen, der es en égards vis-à-vis d'une femme ermangeln lassen könnte! Als daher Frau von L . . . La Fleur fragte, ob er einen Brief mitgebracht hätte, sagte dieser: »O qu'oui!« – Und damit legte er seinen Hut auf den Fußboden, griff mit der linken Hand nach der Klappe der rechten Rocktasche und fing mit der Rechten an, nach dem Briefe zu suchen – dann auf der entgegengesetzten Seite – »Diable!« – dann wurde jede Tasche, eine nach der andern an seinem Leibe durchsucht, selbst die Hosentasche nicht ausgenommen – »Peste!« – Hierauf leerte La Fleur sie alle auf dem Fußboden aus – zog eine schmutzige Halsbinde hervor – ein Schnupftuch – einen Kamm – eine Peitschenschnur – eine Nachtmütze – dann warf er einen Blick in seinen Hut – »Quelle étourderie!« – er hätte den Brief im Wirthshause auf dem Tische liegen lassen; er würde darnach eilen und mit ihm in drei Minuten wieder zurück sein.

Ich hatte eben mein Abendessen beendigt, als La Fleur hereintrat und mir einen Bericht von seinem Abenteuer abstattete. Er trug mir die ganze Geschichte so einfach vor, wie sie sich verhielt, und fügte nur noch hinzu: wenn Monsieur (par hazard) vergessen haben sollte, Madame auf ihren Brief zu antworten, so gäbe ihm dies arrangement Gelegenheit, den faux pas wieder gut zu machen; – wo nicht, so bliebe Alles, wie es gewesen.

Nun war ich hinsichtlich der Etiquette allerdings nicht ganz sicher, ob ich hätte schreiben sollen oder nicht; doch wäre ich es auch gewesen – der Teufel selbst hätte nicht böse werden können: es war ja nur der Pflichteifer eines wohlmeinenden Geschöpfes, das um meine Ehre besorgt war; und mochte er immerhin einen Mißgriff gethan, oder mich durch sein Thun in Verlegenheit gesetzt haben – sein Herz hatte keine Schuld daran – ich befand mich durchaus nicht in der Notwendigkeit, zu schreiben – und was mehr als alles das ins Gewicht fiel – er hatte gar nicht das Aussehen, als ob er etwas Unrechtes gethan hätte.

– »Das ist Alles ganz gut, La Fleur«, sagte ich – und dies war hinreichend –: La Fleur flog wie ein Blitz aus dem Zimmer und kehrte mit Feder, Dinte und Papier in der Hand zurück; und indem er an den Tisch herantrat, legte er es mit solcher Freude in den Mienen dicht vor mich hin, daß ich nicht umhin konnte, die Feder zu ergreifen.

Ich fing an und fing wieder an; und obgleich ich nichts zu sagen hatte, und dieses Nichts in einem halben Dutzend Zeilen hätte ausgedrückt werden können, so machte ich doch ein Dutzend verschiedener Anfänge und konnte mir es mit keinem recht machen.

Genug, ich war nicht in der Laune zu schreiben.

La Fleur ging wieder hinaus und brachte ein wenig Wasser in einem Glase, um mir die Dinte flüssiger zu machen – dann holte er Sand und Siegellack – es blieb dasselbe: ich schrieb, und strich aus, und zerriß und verbrannte es, und schrieb von Neuem. – »Le diable l'emporte!« brummte ich vor mich hin – »ich bin außer Stande, diesen Brief zu schreiben«, und mit diesen Worten warf ich voll Verzweiflung die Feder weg.

Sobald ich sie weggeworfen hatte, trat La Fleur mit der demüthigsten Haltung an den Tisch heran, und nachdem er tausend Entschuldigungen vorgebracht wegen der Freiheit, die er sich herausnähme, sagte er zu mir: er hätte einen Brief in der Tasche, den ein Tambour seines Regimentes an die Frau eines Corporals geschrieben habe, und der, wie er sich zu behaupten unterstände, auf den vorliegenden Fall passen werde.

Ich befand mich in der Laune, auf den wunderlichen Einfall des armen Burschen einzugehen – »Nun«, sagte ich, »so laß mich ihn sehen.«

La Fleur zog sofort eine kleine schmutzige Brieftasche hervor, vollgepfropft mit kleinen Briefen und billets-doux in einem traurigen Zustande; und indem er diese auf den Tisch hinlegte und hierauf die Schnur, mit der sie alle zusammengebunden waren, aufnestelte, sah er sie alle der Reihe nach eilig durch, bis er auf den fraglichen Brief traf. – »Voilà!« rief er, die Hände zusammenschlagend, faltete ihn dann auseinander, legte ihn vor mich hin und zog sich, während ich ihn las, drei Schritte von dem Tische zurück.

Der Brief.

Madame,

Je suis pénétré de la douleur la plus vive, et réduit en même temps au désespoir par ce retour imprévu du Corporal, qui rend notre entrevue de ce soir la chose du monde la plus impossible.

Mais vive la joie! et toute la mienne sera de penser à vous.

L'amour n'est rien sans sentiment.

Et le sentiment est encore moins sans amour.

On dit qu'on ne doit jamais désespérer.

On dit aussi que Monsieur le Corporal monte la garde Mercredi: alors ce sera mon tour.

Chacun à son tour.

En attendant — Vive l'amour! et vive la bagatelle!

Je suis,

Madame,
avec tous les sentiments les plus respectueux
et les plus tendres tout à vous
       

Jacques Roque.

Es war nichts weiter nöthig, als den Corporal in den Grafen umzuändern und nichts von dem Auf-die-Wache-ziehen am Mittwoch zu erwähnen – und der Brief war so übel nicht. Um also dem armen Jungen, der für meine Ehre, für seine eigne und für die seines Briefes zitternd dastand, einen Gefallen zu thun – schöpfte ich den Rahm sauber davon ab, und nachdem ich ihn nach meiner Weise zugerichtet hatte – siegelte ich das Billet und schickte ihn damit zu Frau von L . . . – Und am nächsten Morgen setzten wir unsere Reise nach Paris fort.

 
Paris.

Wenn ein Mann es mit einer Equipage durchsetzen und ringsum Aufsehen erregend mit einem halben Dutzend Lakaien und ein paar Köchen daher rauschen kann – so macht sich das prächtig an einem solchen Orte wie Paris – er kann in jede beliebige Straße hineinjagen.

Ein armer Prinz aber, der nicht stark mit Reiterei versehen ist, und dessen Fußvolk nicht über Einen Mann hinausgeht, thut am besten, das Feld frei zu geben und sich im Cabinet hervorzuthun, wenn er nämlich hinaufkommen kann – ich sage: hinaufkommen kann in dasselbe – weil man sich da nicht so senkrecht unter die Leute hinablassen kann mit einem: »Me voici, mes enfans!« hier bin ich – was Mancher auch denken mag.

Ich gestehe, meine ersten Empfindungen, sobald ich mich einsam und allein in dem mir angewiesenen Zimmer im Hôtel befand, waren nichts weniger als so schmeichelhaft, wie ich sie mir im voraus gedacht hatte. Ich trat nachdenklich in meinem bestaubten schwarzen Rock an das Fenster und sah, durch die Scheiben blickend, alle Welt in Gelb, Blau und Grün nach dem Ringe des Vergnügens rennen – Die Alten, mit zersplitterten Lanzen und in Helmen, denen die Visire fehlten – die Jungen in glänzenden Rüstungen, die wie eitel Gold schimmerten, befiedert mit jeder bunten Feder des Orients – alle – alle stachen darnach, gleich bezauberten Rittern in den alten Turnierspielen um Ruhm und Liebe.

»Ach, armer Yorick!« rief ich aus, »was willst du hier anfangen? Beim ersten Stoß an all dieses glänzende Getümmel wirst du zu einem Atom zusammenschwinden; – suche – suche irgend eine sich dahin schlängelnde Allée, die ein Drehkreuz schließt, wo noch nie eine Kutsche rollte, noch je eine Fackel ihre Strahlen hinschoß – dort magst du deine Seele in der süßen Unterhaltung mit irgend einer gutherzigen Grisette von Barbiersfrau erlaben und Zutritt in dergleichen Coterien finden.«

– »Lieber umkommen, als das thun!« sagte ich, indem ich den Brief hervorzog, den ich an Madame de R . . . zu übergeben hatte. »Ich will dieser Dame meine Aufwartung machen; das soll mein erster Gang sein.« – Somit rief ich La Fleur, mir auf der Stelle einen Barbier zu schaffen und bald wiederzukommen und meinen Rock auszubürsten.

Die Perrücke.

Paris.

Als der Barbier kam, weigerte er sich entschieden, irgend etwas mit meiner Perrücke vorzunehmen: sie war entweder über oder unter seiner Kunst. Mir blieb weiter nichts übrig, als eine fertige neue auf seine Empfehlung hin zu nehmen.

–»Aber ich fürchte, mein Freund!« sagte ich, »diese Locke wird nicht stehen.« – »Und wenn Sie sie in den Ocean tauchen«, erwiederte er, »so wird sie stehen!« –

Nach welchem großen Maßstabe doch Alles in dieser Stadt genommen wird! dachte ich. – Die äußerste Grenze der Vorstellungen eines englischen Perrückenmachers wäre nicht weiter gegangen, als sie »in einen Eimer Wasser getaucht« zu haben. – Welch ein Unterschied! – es ist wie Zeit und Ewigkeit.

Ich gestehe, ich hasse alle nüchternen Vorstellungen ebenso sehr, wie die kleinlichen Ideen, aus denen sie entspringen, und ich werde gemeiniglich von den großen Werken der Natur so stark ergriffen, daß ich meinerseits, wenn es sein müßte. niemals etwas Geringeres zu einem Gleichniß brauchen würde, als mindestens einen Berg. Alles, was gegen die französische Erhabenheit in dem vorliegenden Beispiele eingewendet werden kann, ist dies – daß die Größe mehr in den Worten liegt und weniger in der Sache. Ohne Zweifel erfüllt der Ocean die Seele mit erhabenen Gedanken; da aber Paris so tief im Lande liegt, so ließ sich nicht annehmen, daß ich ein hundert Meilen per Post reisen würde, um den Versuch anzustellen; – der Pariser Barbier dachte sich nichts dabei. –

Der Eimer mit Wasser neben die unermeßliche Tiefe hingestellt, macht freilich eine ärmliche Figur in der Rede; – aber man kann sagen, er gewährt doch Einen Vortheil, er ist im nächsten besten Zimmer zur Hand, und die Festigkeit der Locke kann darin ohne weitere Umstände erprobt werden, und zwar in einem Augenblicke.

Ehrlich herausgesagt, und nach unparteiischer Untersuchung der Sache: der französische Ausdruck verspricht mehr, als er leistet.

Mir scheint, daß ich die bestimmten und unterscheidenden Merkmale des Nationalcharakters besser in diesen albernen Geringfügigkeiten zu erkennen vermag, als in den wichtigsten Staatsgeschäften, wo die großen Männer aller Nationen in so ganz gleicher Weise handeln und wandeln, daß ich nicht neun Pfennige für die Auswahl unter ihnen geben möchte.

Ich befand mich so lange unter den Händen meines Barbiers, daß es zu spät wurde, noch diesen Abend an einen Gang mit meinem Briefe zu Madame de R . . . zu denken. Doch wenn man einmal in jedem Stücke zum Ausgehen hergerichtet ist, so hat man wenig Lust zu etwas Anderem. Ich merkte mir also den Namen des Hôtel de Modène, wo ich logirte, und ging, ohne irgend ein bestimmtes Ziel zu haben, fort. – »Ich werde unterwegs«, sagte ich zu mir, »darüber nachdenken.«

Der Puls.

Paris.

Gesegnet seid, ihr kleinen, süßen Gefälligkeiten des Lebens! denn ihr macht den Pfad desselben angenehm, gleich der Anmuth und Schönheit, welche beim ersten Anblick uns zur Liebe geneigt machen; ihr seid es, welche diese Pforte öffnen und dem Fremdling den Eintritt gestatten.

– »Ich bitte, Madame«, sagte ich, »haben Sie die Güte, mir zu sagen, welchen Weg ich nehmen muß, um zur Opéra comique zu gelangen.« – »Sehr gern, Monsieur«, sagte sie und legte ihre Arbeit bei Seite.

Ich hatte im Dahinschreiten meinen Blick in ein halb Dutzend Läden geworfen, mich nach einem Gesicht umsehend, das durch eine solche Unterbrechung nicht allzu sehr gestört würde, bis ich zuletzt, da dieses meine Phantasie anlockte, hier eintrat.

Sie arbeitete grade an einem Paar Handkrausen und saß dabei auf einem niedrigen Sessel an der der Thür entgegengesetzten Seite des Ladens.

– »Très-volontiers, sehr gern«, sagte sie, legte ihre Arbeit auf einen neben ihr stehenden Stuhl und erhob sich von dem niedrigen Sessel, worauf sie saß, mit so munterer Bewegung und so heiterem Blicke, daß ich, hätte ich auch fünfzig Louisd'or vor sie hingezahlt, doch gesagt haben würde: »Dies Frauenzimmer ist dankbar.« –

»Sie müssen sich, mein Herr«, sagte sie, indem sie mit mir bis zur Thür des Ladens ging und mir den Weg die Straße hinab zeigte, die ich nehmen sollte – »Sie müssen sich erst linker Hand halten – mais prenez garde – da sind zwei Straßenmündungen; treten Sie gefälligst in die zweite ein; dann gehn Sie diese ein wenig entlang – und Sie werden eine Kirche sehen; und sobald Sie an dieser vorüber sind, so bemühen Sie sich nur gleich rechts, so kommen Sie an den pont neuf, den Sie überschreiten müssen – und dort wird Ihnen Jedermann mit Vergnügen den ferneren Weg zeigen. –

Sie wiederholte ihre Unterweisung dreimal, das letzte wie das erste Mal mit derselben gutmüthigen Geduld; und wenn Ton und Manieren eine Bedeutung haben, wie es wirklich der Fall ist, außer für Herzen, die sich dafür verschließen – so schien ihr wirklich daran gelegen zu sein, daß ich mich nicht verirren sollte.

Ich will die Annahme beiseit lassen, als ob die Schönheit des Frauenzimmers (wiewohl sie, meines Bedünkens, die hübscheste Grisette war, die ich jemals sah) an der Empfindung, die mir ihre Gefälligkeit einflößte, großen Antheil hatte: ich erinnere mich nur, daß ich ihr sehr tief in die Augen blickte, als ich ihr sagte, wie sehr ich ihr verpflichtet wäre, – und daß ich meinen Dank eben so oft wiederholte, als sie es mit ihrer Unterweisung gethan hatte.

Ich war noch nicht zehn Schritte von ihrer Thür, als ich schon merkte, daß ich jedes Tüttelchen von dem, was sie mir gesagt, vergessen hatte; – und da ich in dieser Verlegenheit zurückschaute und sie noch in der Thür des Ladens stehn sah, als wenn sie sich überzeugen wollte, ob ich recht ginge oder nicht: so kehrte ich zurück, um sie zu fragen, ob ich mich zuerst nach rechts oder links zu wenden hätte – denn ich hätte es rein vergessen. – »Ist es möglich!« sagte sie halblachend. –»Das ist sehr möglich«, versetzte ich, »wenn ein Mann mehr an ein Frauenzimmer denkt, als an ihren guten Rath.«

Da dies die reine Wahrheit war – so nahm sie es, wie jedes Weib etwas aufnimmt, das ihr zukommt, mit einer leichten Verneigung hin.

»Attendez«, sagte sie, indem sie ihre Hand auf meinen Arm legte, um mich zurückzuhalten, während sie einem Burschen in dem hintern Laden zurief, ein Packetchen Handschuhe bereit zu machen. »Ich wollte ihn eben«, sagte sie, »mit einem Packet in jenes Viertel schicken; und wenn Sie gefälligst eintreten wollen, so wird es in einem Augenblick zurecht gemacht sein, und er soll Sie nach dem Platze geleiten.« – Ich ging also mit ihr hinein in den Laden, und indem ich die Manschette, die sie auf den Stuhl gelegt hatte, in die Hand nahm, als ob ich mich setzen wollte, ließ sie selbst sich auf ihrem niedrigen Sessel nieder, und ich setzte mich ohne Weiteres neben sie.

– »Er wird gleich fertig sein, Monsieur«, sagte sie, »in einem Augenblick.« – »Und in diesem Augenblicke«, erwiederte ich, »möchte ich Ihnen so gern etwas recht Artiges für all diese Gefälligkeiten sagen. Ein Jeder kann wohl gelegentlich eine Handlung der Gutmüthigkeit ausüben; aber sie zu wiederholen, das zeigt, daß das Temperament dabei betheiligt ist; und sicherlich«, fügte ich hinzu, »wenn dasjenige Blut, das vom Herzen ausgeht, dasselbe ist, welches sich nach den äußern Theilen verbreitet (und hierbei faßte ich sie an ihrem Handgelenk): so bin ich überzeugt, Sie müssen einen der besten Pulse haben, den je ein Frauenzimmer in der Welt hatte.« – »Fühlen Sie ihn«, sagte sie, indem sie ihren Arm hinhielt. – So legte ich denn meinen Hut beiseit, hielt ihre Finger mit der einen Hand umfaßt und legte die beiden Vorderfinger der andern auf die Pulsader –

– Beim Himmel! ich wünschte, mein theurer Eugenius, du wärest vorbeigegangen und hättest mich in meinem schwarzen Rocke und mit meiner Jammermiene sitzen sehen, wie ich die Schläge des Pulses, einen nach dem andern, mit ebenso wahrer Andacht zählte, als wenn ich die kritische Ebbe und Flut ihres Fiebers hätte beobachten wollen. – Wie würdest du über meine neue Profession gelacht und moralisirt haben! – Und möchtest du immerhin gelacht und moralisirt haben – glaube mir, theurer Eugenius, ich würde gesagt haben: »Es giebt schlimmere Beschäftigten in dieser Welt, als einem Weibe den Puls fühlen.« – »Aber einer Grisette!« würdest du erwiedert haben – »und in einem offenen Laden, Yorick!« –

– »Um so besser. Denn wenn meine Absichten ehrbar sind, Eugenius, so ist es mir gleichgültig, ob auch die ganze Welt mich den Puls fühlen sähe.«

Der Ehemann.

Paris.

Ich hatte zwanzig Pulsschläge gezählt und zählte weiter bis gegen die vierzig hin, als ihr Mann unvermuthet aus einem hintern Zimmer in den Laden kam und mich ein wenig aus meinem Zählen brachte. – Es wäre niemand weiter als ihr Mann, sagte sie – und so fing ich ein neues Halbschock zu zählen an. – »Monsieur ist so gütig«, sagte sie zu ihrem Manne, als dieser an uns vorüberging, »und bemüht sich, mir den Puls zu fühlen.« – Der Ehemann zog seinen Hut ab und sagte mit einer Verbeugung, ich erzeige ihm zu große Ehre – und dies gesagt, setzte er den Hut wieder auf und ging hinaus.

»Gütiger Gott!« sagte ich bei mir selber, als er hinausging – »kann dies der Mann dieser Frau sein?!«

Mögen sich die Wenigen, die sich den Grund meiner Ausrufung zu erklären wissen, nicht ärgern, wenn ich ihn denen erörtere, die es nicht können.

In London scheinen ein Ladenhändler und eines Ladenhändlers Frau Ein Fleisch und Bein zu sein. In den verschiedenen geistigen wie leiblichen Begabungen ist bald das Eine, bald das Andere im Vortheil, so daß sie sich im Allgemeinen die Wage halten und genau so zu einander passen, wie es bei Mann und Weib nothwendig ist.

In Paris dagegen giebt es kaum zwei Klassen von Wesen, die verschiedener wären. Denn da die gesetzgebende und vollziehende Gewalt im Laden nicht auf dem Manne beruht, so kommt er selten hinein; – ohne Verkehr sitzt er mit seiner wollenen Nachtmütze in irgend einem dunklen, trübseligen Hinterzimmer, als ebenderselbe rauhe Sohn der Natur, wie die Natur ihn von sich entließ.

Da aber der Genius eines Volkes, bei dem nichts als die Monarchie auf dem salischen Gesetze beruht, dieses Departement nebst verschiedenen andern gänzlich den Frauen abgetreten hat –: so haben diese durch ein fortwährendes Markten mit Kunden aller Stände und Sinnesarten von Morgen bis in die Nacht, gleich rauhen Kieseln, die man lange Zeit in einem Beutel zusammen schüttelte, durch freundschaftliche Berührung ihre Rauhheiten und scharfen Kanten verloren und sind nicht nur rund und glatt geworden, sondern einige von ihnen nehmen auch eine Politur an gleich dem Brillanten. – Monsieurr le Mari ist wenig besser als der Stein, auf den ihr tretet. –

– Wahrlich – wahrlich, Mensch! – es ist nicht gut, daß du allein seist – du wurdest für geselligen Umgang und freundliche Begrüßung geschaffen, und die Vervollkommnung, welche unsere Naturen dadurch erhalten, ist mein Beweis dafür.

– »Und wie geht er denn, Monsieur?« fragte sie. – »Mit all der Gutartigkeit«, sagte ich, ihr ruhig in die Augen blickend, »die ich erwartet hatte.« – Sie wollte eben etwas Verbindliches darauf erwiedern – aber der Diener kam in den Laden mit den Handschuhen. »A-propos«, sagte ich, »ich brauche selbst ein Paar.«


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